Reisen

Schlagwort: Pfälzer Jakobsweg – Nordroute

Aller, dann! Adschee!

Von Mainz bis nach Vogelbach zu wandern – am Rhein entlang und durch den Pfälzer Wald -, das war die beste Idee, die ich haben konnte. Und Gott sei Dank hat mir Jan mit der Einladung zu seinem Gartenfest den Anlass geliefert.


Etwa 240 Kilometer war die Strecke lang (ich hatte keinen Kilometerzähler – gut so! -, und die Umwege rechne ich jetzt mal nicht mit). 15 Tage war ich unterwegs, davon ein Ruhetag. Also einen Tag kürzer als geplant. Ich fühle mich mit meinen noch 61 Jahren wohl in meiner Haut, wohl auch wegen der gestärkten Muskeln und einigen Pfunden weniger Fett.

Von Heimat zu Heimat
Ich bin von der einen Heimat in die andere gegangen. Das war mir vor 15 Tagen nicht klar: Von Rheinhessen, wo ich seit über 40 Jahren lebe, wo meine Freunde sind, in die „Hinnerpalz“, wo meine Familie lebt. Von den quirligen, offenen Rheinhessen, wo Anna Seghers und Carl Zuckmayer herkommen, wo immer noch ein Platz in der Weinstube für dich da ist, bis zu den Waldpfälzern, den Kartoffelbauern, die lieber Bier trinken, die länger brauchen, bis sie mit einem warm werden, die wortkarger sind, bodenständiger. Dorthin, wo die „Weltachs ingeschmeert und uffgepasst werd, dass nix passeert“, halt zur „Pälzer Weltgeschicht“. Aber beide haben sie das Herz auf dem rechten Fleck.
Es geht also: Man kann in 2 „Heimaten“ wurzeln. Und dass die einen „Du kimmst“ und die anderen „du kummscht“ sagen, ist kein unüberwindbares Hindernis.

„Doktor Wald“
Bei meinen Schwiegereltern im Harz hing – in der Küche oder im Bad, das erinnere ich nicht mehr genau – ein kleines gerahmtes Gedichtblatt: „Doktor Wald“, passend im Haushalt eines Arztes.
Geschrieben hat es der Förster Helmut Dagenbach.
Ich fand es immer ganz lieb-naiv. Jetzt kann ich die Reime nachvollziehen.
Es fängt an:
„Wenn ich an Kopfweh leide oder Neurosen,
mich unverstanden fühle oder alt,
und mich die holden Musen nicht liebkosen,
dann konsultiere ich den Doktor Wald.

Er ist mein Augenarzt und mein Psychiater,
mein Orthopäde und mein Internist,
er hilft mir sicher über jeden Kater,
ob er von Kummer oder Cognac ist.“

In der letzten Strophe heißt es dann:
„Er bringt uns immer wieder auf die Beine,
das Seelische ins Gleichgewicht,
verhindert Fettansatz und Gallensteine,
nur – Hausbesuche macht er leider nicht.“

Das stimmt sehr für meine Wanderung, nicht nur durch den Wald, sondern auch entlang der Weinterrassen am Rhein.

Vom Wandern
Wer recht wandert schaltet ab. Er lässt die Trump-Welt außen vor, das Auto-Kartell, Nordkorea, die beruflichen Aufgaben, Sorgen um die Zukunft.
Wer wandert, achtet auf das, was gerade im Moment ist: Die Baumwurzel auf dem Weg, den Wiesenthymian am Rand, den Baumpilz, den Mistkäfer, die Kuhle des Wildschweins, das Moos am Felsblock; er sieht die ungezählten Grünschattierungen des Blätterdachs, auf dem die Sonnenstrahlen tanzen, und das, was langsam am Horizont erscheint: eine Steigung, eine Wegmarkierung, eine Gabelung. Er spürt die Wärme auf der Haut und riecht die kühle Feuchte im Wald. Er hört, wenn ein Greifvogel sein Frühstück erwischt, hört das Gemurmel des Baches (auch ohne Hörgerät), und er hört vor allem die Stille.
Er trifft Menschen für kurze Begegnungen und sagt nach kurzer Zeit: Aller dann!


So war ich nie allein, auch dann nicht, wenn keine guten Freunde mich begleitet haben.
Der Tag gehört dem Wandern – und nur dem -, der Abend dem Schreiben. Beim Glas Wein den Tag Revue passieren lassen – das ist fast so, als ginge man den Weg ein zweites Mal. Das ist eine Freude.

Die Welt mal ver-rücken
Einmal hat mich ein älterer Mann gefragt: „Wo hascht dann dei Mann?“ Der ist doch dabei, habe ich gedacht.
Manchmal, wenn ich früher mal wieder eine „tolle Idee“ hatte, entspann sich meist folgender Dialog:
Hubert: Ich hab schon ein verrücktes Weib!
Ich: Besser verrückt als langweilig.
Hubert: Da hast du auch wieder recht!
Was wäre die Welt, wenn wir sie nicht ab und zu für kurze Zeit ein wenig „ver-rücken“ könnten?
Und damit:
Aller, dann! Adschee – un Hauptsach gut gess un getrunk!

 

 

 

Am Ziel – trotz amerikanischer Blockade

Ungefähr um 18:30 Uhr bin ich am Donnerstag in Vogelbach angekommen. Einen Tag früher als geplant und nach etwa 34 Kilometern vom Gelterswoog her. Aus zwei mach eins. Ein wenig zu viel. Sicher. Aber nachdem ich mit dem Mittagsläuten schon in Landstuhl war, wäre es unsinnig gewesen, hier nochmal zu übernachten, 16 Kilometer vorm Ziel. Beinahe hätten mich die Amis aber noch kurz vor dem Ziel gestoppt.
Der Reihe nach.
Sehr idyllisch geht der Weg vom Gelterswoog durchs Walkmühltal an 5 aufsteigenden verwunschenen Woogen vorbei.

In die Stille platzen plötzlich Motorgeräusche auf der anderen Seite der Teiche. Dort verläuft anscheinend ein Forstweg. Ein Schreckmoment, und ich greife nach meinem Schweizer Messer, das immer in der Hosentasche steckt. Aber es ist wohl nur ein Autofahrer, der eine Abkürzung genommen hat. Zu viel Krimis gelesen.
Dann bin ich schon im Sickinger Land und im Landstuhler Forst. Am Banner Sportplatz treffe ich einen Walker, der mich noch von früher kennt. Gemeinsam gehen wir zum „Herrengärtchen“, einem Felsvorsprung, vom dem man weit ins Land sehen kann.


Hierher spazierten die feinen Herrschaften, die im Schlosshotel des damaligen Moorbades Landstuhl kurten. Die Hautevolee aus ganz Deutschland feierte hier Waldfeste.
Man erzählt sich auch, dass der Gutsbesitzer Heinrich Didier von hier aus mit dem Fernrohr seine Arbeiter bei der Arbeit im Bruch kontrollierte.
Und tatsächlich: Von hier aus sehe ich die ganze Ramsteiner Airbase!
Kein Wunder also, dass man nach den Anschlägen von New York Angst hatte, dass die Base von hier aus ausspioniert werden könnte.
Das sollte nicht die erste „Begegnung“ mit den Amis an diesem Tag sein. Landstuhl ist US-Enklave!


Über die Burg – Gruppen von Amerikanern, die Fotos schießen – gehe ich auf dem altbekannten „Pädche“ am Moorbad vorbei in die Stadt. Der Landstuhler Marktplatz ist schön hergerichtet, aber ansonsten prägen Döner-, Burger- und Pizzabuden, Billigläden und „Vintage furniture from Europe“-Läden (Trödel) das Bild der Hauptstraße. Spätestens jetzt entscheide ich mich, bis Vogelbach weiter zu gehen.
Hinter dem Bismarkturm komme ich zu weit nach unten und lande – Freudsche Fehlleistung – bei den Tennisplätzen, wo ich Tennisspielen gelernt habe. Ich esse erst Mal Spaghetti Bolognese bei Salvatore, bevor ich wieder steil hoch steige zur Housing Area. Die ganze Zeit begleiten mich Schiessgeräusche. Und dann stehe ich vor einem Schild, das mich eindringlich davor warnt, weiter zu gehen: Truppenübungsplatz. Das Geballere ist jetzt sehr nah. Aber mich halten die Amis nicht auf. Zwei Telefonate mit Jan, der mich militär- und laufstrategisch berät, und ich kann die „Out of Area- Zone“ umgehen. Von oben sehe ich dann das Gelände, das sich sehr weit dehnt.
Jetzt merke ich zum ersten Mal meine Füße. Der Weg wird lang bis zur Fritz-Claus-Hütte. Ich hatte die Tour mit maximal 20-Kilometer-Etappen schon vernünftig geplant. Alles andere ist einfach zu viel.

Ohne Worte

Aber jetzt kommt die Elendsklamm, und ich weiß, dass ich es geschafft habe.

Am Schluss gehe ich noch durch „unsern Wald“ und stehe dann vor dem Haus meiner Mutter. Sabine, Jan und ich trinken an diesem Abend 3 Flaschen Wein (Mama nur Wasser, wie immer).

Ein Blog folgt morgen noch zum Abschluss, danach verabschiede ich mich von dieser Seite.

Die „Allerscheenste“

Wollte ich aus all den sehr schönen Etappen, die ich auf dieser Wanderung gegangen bin – und es gibt keine, die nervig, öde oder langweilig war -, wollte ich also zwei auswählen, die die „Allerscheenste“ waren, so wären das die von Bodenheim nach Oppenheim am Rheinterrassenweg und die heute von Johanniskreuz zum Gelterswoog.
Während die eine hoch oben vom Roten Hang aus atemberaubende Blicke auf den Rhein freigibt und dabei durch die Wein-Kulturlandschaft führt, taucht die andere ganz tief in den Pfälzer Wald ein, in seine Schluchten, Täler, Bäche, Feuchtwiesen. Und in die Kulturgeschichte der Eisenverhüttung.
Johanniskreuz also der Startpunkt um 8:00 Uhr. Das Hotel dort übrigens war überteuert, und ich habe das mit Abstand schlechteste Essen der vergangenen 14 Tage gegessen. Schwamm drüber, dafür hat der Wirt mir die Zecke fachmännisch entfernt.
In Johanniskreuz habe ich als Kind zum ersten Mal auf Skiern gestanden – ist ja auch mit 473 Meter der höchste Punkt meiner Tour. Johanniskreuz ist ein Wegekreuz für Wanderer, Biker, Motorradfahrer, Autofahrer. Und dort haben Hubert und ich uns bei einer Wanderung vor ein paar Jahren so verirrt, dass wir in einem Tal ankamen, dass kilometerweit von unserem Auto entfernt war. Hubert hatte damals, während wir orientierungslos herumirrten, sehr launisch und bildhaft die Zeitungsgeschichte von dem Mann erzählt, der eine Woche lang im Pfälzer Wald unterwegs war, weil er nicht mehr rausfand. Seitdem habe ich, was den Pfälzer Wald betrifft, ein kleines „Trauma“.
Deswegen will ich mich heute sehr konzentrieren, denn bei vor mir liegenden 20 Kilometern kann ich es mir nicht leisten, weitere 10 mit „Sackgassen-Laufen“ zu verbringen.
Es wird nicht regnen. Das weiß ich von den Tauben (und von der Wetter App). Die Zuchttauben des Hotelbesitzers sind heute zu einem Probeflug nach Frankreich gestartet. Das wären sie nicht, wenn es regnen würde. Sagt die Ehefrau des Hoteliers.
Tatsächlich löst sich der Nebel bald auf, und der Weg durch den Pfälzer Wald Richtung Finsterbrunnental – immer sachte bergab – ist ein Genuss für alle Sinne. Der Geruch des Waldes, der samtweiche Waldboden, das Grün in allen Schattierungen, die Stille.


Die Markierungen sind sehr gut und sehr neu. Trotzdem muss man aufpassen. Wie schnell läuft man so dahin, in Gedanken versunken auf einem breiten Forstweg – und schon hat man das kleine “Pädche“ übersehen, das links den Hang runterführt. Wie im Leben manchmal.

Wenn auch unscharf: Links geht’s „Pädche“ ab.

Heute übersehe ich nichts. Der Pfad führt in Serpentinen hinunter zur Moosalb. Und hier beginnen die Spuren der Eisenverhüttung, die in der Region zurück bis in die Zeiten des 30jährigen Krieges reicht. Ein Stein markiert die „Uralte Schmelz“ (zerstört 1636), ein Holzkohle-Schmelzofen zur Eisengewinnung. Oberhammer heißt  ein Ort in der Nähe, ein Name, der auf das frühe Handwerk hinweist.


Schnell bin ich an der Karlstalschlucht. Caspar David Friedrich hätte sie gemalt, Eichendorff ein Gedicht geschrieben und Schumann ein Lied komponiert, hätten sie die Schlucht gekannt. Ich durchwandere sie, nehme mir viel Zeit und weiß, dass ich mit meiner Tablet-Kamera keine Chance habe, auch nur einen Bruchteil dieser wildromantischen Schlucht einzufangen, durch die die Moosalb fließt.
Ursprünglich hieß die Klamm „Wüstetal“. Freiherr Franz Carl Josef von Hacke, Erbauer des Trippstadter Schlosses, hat der Karlstalschlucht ihren Namen gegeben. In den nach englischem Vorbild gestalteten barocken Schlosspark ließ er die Schlucht mit einbeziehen.
1 Kilometer weit geht es über Treppchen und Brücken durch den Schluchtwald. Es gurgelt und murmelt, es sprudelt und strudelt. Es ist grün und feucht. Moose und Farne überwuchern die gewaltigen Sandsteinblöcke. Pfälzer Regenwald.

Am Ende der Schlucht weitet sich das Tal, und ich gehe über Wiesenbäche (der Weg ist gut befestigt und teilweise als kleiner Dammweg gebaut). Auch hier quellt es überall.


Vorbei an Mittelhammer mit der Klugschen Mühle, komme ich – wie kann’s auch anders sein – nach Unterhammer. Dort stand zu Zeiten des Freiherrn Anton von Hacke (der Vater) das von ihm gegründete Hammerwerk mit Herrenhaus (Hier kann man heute „Romantik-Übernachtungspakete“ buchen!)
Der alte Freiherr, kurpfälzischer Oberjägermeister, Herr von Trippstadt, dem durch Zukauf so gut wie alles in der Region gehörte, muss ein kreativer Kopf mit Geschäftssinn gewesen sein. Er gründete das Eisenhammerwerk in Unterhammer, sorgte für die nötige Infrastruktur, ließ Stauweiher anlegen, um die Wasserkraft nutzen zu können, ließ Meiler errichten, um die für die Eisenherstellung nötige Holzkohle vor Ort zu haben; ja, er sorgte auch mit einem Entwässerungssystem dafür, dass in den Bachwiesen („Buckelwiesen“) Heu für die vielen Pferde der Fuhrleute geerntet werden konnte. Er warb Siedler aus Tirol an und baute Häuser für sie. Also ein Tausendsassa, der außerdem mit seiner Frau noch 18 Kinder zeugte.
Später führten die „Pfälzer Eisenbarone“ das Werk weiter. Mit dem Beginn der Industrialisierung, mit der Dampflok, fielen die Blechpreise. Den Niedergang der Produktionsanlagen konnte auch König Ludwig I von Bayern mit seinem Besuch im Karlstal 1862 nicht aufhalten.
Das alles erfährt man auf Informationstafeln des Eisenhüttenweges, der hier den gleichen Verlauf wie der Jakobsweg hat.
Genug der Kulturgeschichte. Flugs bin ich wieder im Wald, wo ich im Naturfreundehaus Finsterbrunner Tal (sehr gemütlich) einen Kaffee trinken. Ab hier kenne ich alle Ortsnamen: Schopp, Krickenbach, Stelzenbach… Mein Großvater ist hier in den 60ern über die Dörfer gefahren, um Wäsche und Kleider zu verkaufen. In den Dörfern gab es nichts, und Autos hatten die wenigsten.
Um 13 Uhr bin ich am Gelterswoog. Im Seehotel. In FCK-Land. Rückzugsort vor wichtigen Heimspielen. Aber auch guter Treffpunkt für Absprachen von Funktionären. Wie heute wohl. Glaube ich zumindest zu beobachten.


Jedenfalls ein guter Ort. Und gutes Essen. Und ein schönes Zimmer mit Blick auf den See.
Das war heute eine Premium-Wanderung. Ohne Regen. Auf die Tauben ist Verlass. Man sollte sie nicht im Park vergiften gehen.

 

Im Elmsteiner Tal

Am Morgen um 7:00 Uhr regnet es. Das erste Mal tagsüber seit Beginn meiner Wanderung. Es prasselt auf das Dach der Terrasse im Frankenecker Gasthof. Nach dem Frühstück nieselt es nur noch, und ich entschließe mich aufzubrechen. Ich habe ja Huberts Regencape.
Die Wirtin zeichnet mir genau auf, wie ich von Frankeneck wieder auf die Route mit dem gelben Kreuz komme, die nach Johanniskreuz führt. Das ist gleichzeitig die Nordroute des Jakobsweges durch die Pfalz. Auf diesem Weg komme ich dann bis Vogelbach.


Es ist gar nicht so einfach, von den kleinen Örtchen am Beginn des Elmsteiner Tals hoch auf die Route zu kommen. Man muss die Straße queren, die Gleise vom „Kuckucksbähnel“ (fährt nur an Sonn- und Feiertagen, keine Gefahr), den Speyerbach und dann noch den Hang hoch kraxeln.
Aber es klappt auch im Nieselregen und oben im Wald hält das Laubdach die Nässe etwas ab. Auch schön, im Regen durch den Pfälzer Wald zu gehen. Solange es nicht schüttet. Das Grün ist noch fetter, die Farbe des Sandsteins noch intensiver. Und die Nebelschwaden an den bewaldeten Bergrücken haben auch ihren Reiz.


Es geht ziemlich bequem immer am Speyerbach und am Bähnel entlang, mal höher oben, mal fast direkt am Wasser. Das enge Elmsteiner Tal ist wildromantisch.
Ich komme rasch vorwärts. Das liegt auch daran, dass der Weg schnörkelloser ist als der Weinsteig.

Ritterburgruinen. Auf der einen Talseite Erlenstein, auf der anderen Spangenberg. Wegzoll muss ich nicht zahlen. Im Gegenteil: Der Himmel wird heller, die Sonne kommt, der Regen lässt nach. Beim der Forstwirtschaft Breitenstein (geschlossen) mache ich eine Pause.

Ein lebendiges Wildschwein habe ich noch nicht getroffen. Diese aus Bundsandstein am Breitenbacher Forsthaus  ist mir auch lieber.

Mir fällt auf, dass die Natur hier weiter zurück ist als in der Rheinebene: Die Brombeeren sind noch grün. Ja, das Klima ist rauer im Pfälzer Wald.
Vor Appenthal muss ich kurz die Straßenseite wechseln, um dann durch eine kleine Unterführung (Gleise) und eine Brücke (Bach) wieder zu rotieren. Das Tal macht hier einen Knick und wird noch enger als bisher.
Dann kommt schon Appenthal. Dahinter liegt Harzofen, wo das Naturfreundehaus ist. Wo sind nur die 15 Kilometer geblieben? Wie hat die Wirtin gesagt: “DEN Weesch no Elmstein find e Blinder. Den findscht a Du!“
Nur bin ich mittlerweile wieder weiter oben am Hang, und es stellt sich die Frage: Wie komme ich in den Ort? Auf der Landstraße geht es nicht, denn da ist eine S-Kurve ohne Randstreifen.

Das „Kuckucksbähnel“ fährt nur an Sonn- und Feiertagen.

Ich gehe also einfach auf den Gleisen und finde dann einen Pfad in den um die Mittagszeit ausgestorbenen Ort. Das kenne ich ja schon!
Zum Naturfreundehaus ist es nicht so weit wie ich dachte, so dass ich meine Etappe früh am Mittag beende. Mit einem starken Kaffee im Sonnenschein der Terrasse des Naturfreundehauses.

Und dann kommt das Gewitter. Und die Information, dass es morgen den ganzen Tag regnen soll. Na, dann gute Nacht! So dicht ist das Cape von Hubert nun auch wieder nicht.

 

Tristesse in Frankeneck

Frankeneck, meine Logis für die Nacht, ist anders als die bisherigen adretten Weinorte, durch die ich gekommen bin. Früher bestimmt ein ganz lebendiges Örtchen kurz hinter Lambrecht, das erst vom Holzmachen, dann von der Papierindustrie lebte, ist es heute in einen Dämmerschlaf gefallen, den – so fürchte ich – kein Prinz wieder wegküssen kann. Putz blättert an vielen Häusern, Immobilien stehen zum Verkauf, auch bei Sonnenschein spürt man die Tristesse. Meine Unterkunft liegt direkt an der Straße ins Elmsteiner Tal. Trotz Fahrverbot für Motorräder in der engen, kurvenreichen Straße röhren sonntags die Maschinen. Es gibt zu viele Ausnahmegenehmigungen, sagt meine Wirtin.
Gegenüber dem Gasthof steht die Papierfabrik von Frankeneck. Wenige Menschen arbeiten hier noch. Im Schichtbetrieb. Das meiste ist automatisiert. Zigarettenpapier wird hergestellt. Tagsüber hört man den Fabrikationslärm. Rhythmisches Gezische. Dampf steigt ständig auf. Es muss heiß sein in der neuen Halle, die die Straße mit ihrer Hässlichkeit beherrscht und alles Schöne, was vielleicht mal war, arrogant niedergedrückt hat. Selbst der Wald, der gleich hinter der Fabrik beginnt, kann hier nichts mehr wett machen.

Blick von der Terrasse des Gasthofs auf den nicht ganz so hässlichen Teil der Fabrik. Die Halle schließt sich daran an.

Der Gasthof hatte wohl auch schon bessere Zeiten erlebt. 700 Quadratmeter Wohn- und Schankfläche verantwortet die Wirtin: Ein großer Gastraum, eine ebenso große überdachte Terrasse mit Blick direkt auf die Fabrik, Treppen und Stiegen, die in die Privat- und Gästezimmer führen. Alles ist reinlich und sauber. Die Küche blinkt. Überall Pflanzen, echte und künstliche. Letztere bevorzugt als Drapage um Spiegel und Lampen. Kleine und große Figürchen, wo man hinschaut. Landschaftsbilder. Über meinem Zimmer mit Möbeln aus den 50er Jahren hängt eine Dolomitenlandschaft. Wie bei Oma. Bunte Teppiche. Kachelöfen. Alles mit wenig Sonnenlicht.
Die Wirtin ist einem Theaterstück von Brecht und entsprungen. Klein, drahtig, um die 60, kluge, warme Augen, kehliges Lachen. Es klingt so, als habe sie die Welt und sich durchschaut. Sie bewirtschaftet das ganze Haus allein.
Ich bin der einzige Gast. Ein älteres Ehepaar war zum Essen hier.
Jetzt sitzen die Wirtin und ich auf der Terrasse und erzählen uns das Leben bei Schorle und Zigaretten. Zwei so unterschiedliche Biographien: Die eine ziemlich geradlinig, fast leicht – bis auf den einen Bruch; die andere mit so vielen Sackgassen, Rückschlägen, Verletzungen, gebrochenen Bildungswegen.
Und doch. Die Wirtin sagt: „Ich han viel gelernt im Lewe.“ Lacht ihr kehliges Lachen, das ein bisschen dreckig ist und trotzig. Mutter Courage eben.
Trotz aller Tristesse: Ich habe mich wohl gefühlt in dem Gasthaus in Frankeneck.

 

© 2024 Wolkenfolgen

Theme von Anders NorénHoch ↑