Wolkenfolgen

Reisen

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Buchonia oder das Waldsterben

 

Wie lange noch wird es in der Rhön solche Buchenwälder geben?

Ein großer Teil der Rhön war früher von dichten Buchenurwäldern bedeckt. Die Bezeichnung „Buchonia“ – wohl aus dem Keltischen – heißt Buchenland und war der frühe Name für die Rhön. Mit der Besiedlung vor rund 1000 Jahren begann die Rodung. Der Mensch brauchte Holz als Baumaterial und Energieträger. Aber auch als Waldweide dienten die Buchenwälder, weil die Bucheggern ein Leckerbissen für Schweine und Ziegen waren, die damit gemästet wurden.

So entstand im Zusammenspiel von Rodung und Waldnutzung dieses für die Rhön typische Landschaftsbild von Waldflächen und Bergwiesen, das uns so begeistert. Die UNESCO hat es als  Biosphärenreservat ausgewiesen.

Hier kommt jede Hilfe zu spät. Bei Reinhards.

Nun ist es aber schon länger bedroht. Um „schnelles Holz“ zu machen, hat man vor vielen Jahren begonnen, schnellwachsende Bäume anzupflanzen. Fichten zum Beispiel.  Lärchen und Eschen. Durch den Klimawandel und die damit verbundene Trockenheit wurden sie geschwächt  – der Borkenkäfer hatte leichtes Spiel.

Ganze Hänge sind kaputtgegangen. Und langsam sterben auch die Buchen.

Ökologisch fragwürdig: direkt neben dem Plattenweg in der Nähe von Geisa –  eine Weihnachtsbaumanpflanzung.

Kühe, Schafe, Ziegen und der Hahn auf dem Mist

Tann hat gleich 3 Schlösser – ein rotes, ein gelbes und ein blaues. Bedeutet 3 unterschiedliche Bauepochen, aber auch drei Linien des Adelsgeschlechts derer von Tann. Weil Eberhard von Tann ein Freund Luthers war, wurde die Gegend um Tann evangelisch und führte 100 Jahre Krieg gegen die Äbte von Fulda. Bis heute ist die Region evangelisch, obwohl der Landkreis Fulda als erzkatholisch gilt.

Auch das Stadttor erbaute jener Eberhard, durch das Soldaten aller Länder gezogen sind. Nur die Amerikaner scheiterten 1945: Sie blieben mit dem Kanonenrohr ihres Panzers am Rundbogen hängen.

Am Schlosspark vorbei gehe ich über eine Ulster-Brücke und dann hoch zu Kühen, Schafen, Ziegen und dem  Hahn auf dem Mist.

Wieder kommt mir die Gegend wie aus der Zeit gefallen vor.  Kleine Orte wie Günthers oder Neuswarts liegen in der Flurlandschaft, wo ich zum ersten Mal auch  – noch sehr niedrig stehende Mais- und Gerstenfelder sehe. Ich überquere die Landesgrenze Hessen – Thüringen und bin wieder auf dem Plattenweg. Aufwärts geht es jetzt bis zur Wüstung Selenhof, der wie so viele Gehöfte in den 70er Jahren, abgerissen wurde wegen seiner Nähe zur Grenze. Nur ein Gedenkstein, den die Nachfahren errichteten, erinnert noch daran. Jetzt ist es ein friedlicher Ort zum Rasten mit Blick auf die Kuppeln der Rhön.

Ich gehe durch Buchenwälder und auf Panoramawegen, wechsle zwischendurch immer mal wieder die Landesgrenzen und sehe plötzlich, am ehemaligen Schlagbaum zwischen der Bundesrepublik und der DDR, mein Etappenziel vor mir liegen: den kleinen Ort Reinharts. Aber statt den direkten Weg zu nehmen, „drehe ich noch eine Runde“, steige auf dem Kolonnenweg zum Alten Berg hoch und komme am westlichsten Punkt der ehemaligen DDR  vorbei.

Dann erst geht es nach Reinharts runter, wo meine kleine Enkelin mit den Eltern ein paar Tage Ferien auf dem Wassermannshof machen. Der ist mit seinen vielen Tieren ideal für „Ferien auf dem Bauernhof“. Und in den sehr geschmackvoll eingerichteten Ferienwohnungen im alten Fachwerkgemäuer kann auch ich es gut aushalten. Deswegen gönne ich mir nach einer Tagesetappe von 22 Kilometern einen Ruhetag.

Wandern digital

 

„Sie haben die Tour verlassen. Tour wird angepasst. Tour kann nicht angepasst werden. Gehen Sie zurück.“

Mein Verhältnis zu der Wander-App ist zwiegespalten. Gestern hatte ich sie noch über den grünen Klee gelobt, heute ist sie die Ursache eines holprigen Beginns meiner Tour von Tann nach Reinharts. Und auch wohl der Grund dafür, dass ich statt 20 22 Kilometer zurücklegen musste. Vielleicht lag’s an mir, vielleicht am GPS, jedenfalls  wäre es vielleicht besser gewesen, dem Rat eines Einheimischen zu folgen.

Aber im Großen und Ganzen klappt die Orientierung mit der App. Ich weiß  immer, wo ich bin, auch wenn ich zwischenzeitlich mal kurzfristig „die Tour verlasse“. Zur Not habe ich ja noch Landkarten und die Wegbeschreibung im Wanderführer.

Lediglich manchmal wünschte ich mir ein wenig mehr Emotionen von der Stimme aus dem Off: Schalte ich die Navigation nach einer Rast wieder ein, heißt es „Weiter jetzt“. Ohne Betonung eines der beiden Wörter. Lieber wäre mir eine motivierende Betonung auf „weiter“. Aber man kann nicht alles haben.

Damit dem Handy – und damit auch der App – „der Saft nicht ausgeht“, habe ich es mit einem Kabel an meine Powerbank angeschlossen. Die hängt außen an meinem Rucksack und kann sich auch durch das Sonnenlicht aufladen.

Dass mein Rucksack damit wieder etwas schwerer wird, nehme ich in Kauf.

So geht wohl  Wandern im digitalen Zeitalter.

Allein unterwegs nach Tann

 

Die Stimme in meiner Hosentasche erfreut mein Gemüt sehr. Obwohl sie frei von irgendwelchen Emotionen den Weg vorgibt: „Gehen Sie auf diesem Weg 2,2 km.“ „Biegen Sie jetzt links ab.“

Ich habe meine Wander-App gestern abend doch noch „zum Laufen“ gebracht. Es war Zufall, kein Können. Trotzdem war es eine unruhige Nacht: Mein linker Arm ist inklusive der Hand von Schnaken und Bremsenstichen stark angeschwollen. Aber Gott sei Dank habe ich in meinem 8-Kilo-Rucksack ja einen gut sortierten Medikamentenkoffer. Und dann war ich auch unsicher, ob ich das allein morgen schaffen werde.

Aber jetzt – am frühen Morgen – ist alles gut. Die Sonne scheint, die Luft ist frisch, und ich wandere auf einem sanft abfallenden, knieschonenden Weg vom Ellenbogen runter Richtung Unterweid. Entlang blühender Feuchtwiesen, durch Wald. Hutungen nennen sie in der Rhön seit Jahrhunderten die Weideflächen. Durch Krieg, aber auch durch die Gewinnmöglichkeiten in der Holzwirtschaft sind große Flächen verbuscht oder wurden mit Nadelbäumen aufgeforstet.

Ich mache Rast an der ehemaligen „Hinteren Mühle“ von Unterweid. Sie wurde noch 1979 geschleift, weil sie zu nah an der Grenze lag. 300 Jahre lang haben ihre Besitzer und Pächter zur Ernährung der Menschen beigetragen. Heute erinnert nur noch ein modernes Wasserrad an den abgerissenen Bau. Am Ufer des Baches blühen die Vergissmeinicht.


Jetzt geht es sanft wieder hoch bis Kleinfischbach. Dann  wird’s steiler. Hinzu kommt, dass der im Wanderführer vorgesehene Weg gesperrt ist. Ich muss ins Dorf zurück und einen Umweg gehen.

Die Sonne sticht. Es ist schwül. Und es geht aufwärts. Schweißtreibend.  Aber oben werde ich bald mit Panoramablicken auf die Kuppenrhön entlohnt.  Ich bin jetzt wieder auf dem Hochrhöner. Dann geht es runter nach Tann. Die hessische Stadt mit tollen Fachwerkshäusern wird überragt vom Habelberg. Zu DDR- Zeiten ragte sie wie ein Pilz in die DDR. War also auch von Grenzen eingeschlossen. Alle Beziehungen zu Freunden und Verwandten in Kaltennordheim waren gekappt.

11-Apostel-Haus, eines von vielen schönen Fachwerkhäusern in Tann. Allerdings stellt einer der Apostel Christus dar. Und ausserdem: Wieso eigentlich 11 Apostel.

Das Ochsenbäckerhaus beherbergte zuerst eine Metzgerei, dann eine Bäckerei.

Ich bin nach 18 Kilometern zu müde für eine längere Stadtbesichtigung und Suche meine Übernachtung „Zur Krone“ auf, ein Landgasthof mit angeschlossener Metzgerei. Ihr ahnt, was noch kommt: eine Schlachterplatte zum Abendessen mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Bei immer noch glühender Hitze auf der Terrasse des Hotels mit Blick auf den Habelberg. Der Höhepunkt: der „Schweinebaron“, ein freundlicher Herr, der die Ferkel angeliefert hat, und der auch mit am Tisch sitzt, zeigt mir ein Foto von den Ferkeln am Morgen: lebend!

Wo früher „Horch und Guck“ spionierten, gibt’s heute kein Netz

Ich sitze oben auf 813 Meter Höhe auf dem Ellenbogen, früher Horchstation der DDR, das Pendant zur „westlichen“ Wasserkuppe, die ich von hier aus ebenso sehe wie geschätzt alle erloschenen  Vulkankegel der Kuppenrhön.  Es ist Abend und langsam werden die Berglinien vor mir zu Schattenrissen. Die Mücken stechen, der angenehme Wind von heute Mittag hat sich verdrückt – und ich habe keinen Empfang. Das muss man sich mal vorstellen: Von hier aus haben die Leute des Ministeriums für Staatssicherheit mit modernster Technik in 6 Türmen die halbe Bundesrepublik ausgespäht (in der Bundesrepublik saßen die amerikanischen Späher mit ihrem Radar auf der etwas höheren Wasserkuppe) – und heute kann ich hier nicht telefonieren.

Dafür ist der Ellenbogen mittlerweile Anziehungspunkt für Wanderer, Familien mit Kindern, Biker, Radfahrer. Und statt der Spähtürme von „Horch und Guck“, die 1990 abgerissen wurden, steht heute auf der Spitze  „Noahs Segel“, eine 23 Meter hohe Metallkonstruktion, die man ersteigen kann. Oben auf der Plattform hat man einen grandiosen Rundumblick. Und für Kinder das Schönste – runter geht es auf einer Rutsche!

Der Name spricht einerseits die Form der Konstruktion an, andererseits verweist er auf ein knapp 6 Kilometer entfernt errichtetes anderes Bauwerk, die Arche. Und dann erinnert das Segel in seiner Form auch noch an einen Ellenbogen. Fast zu viel der Symbolik.

Langsam gehe ich zurück zu meiner Unterkunft, dem Eisenacher Haus, einem Berggasthof mit Geschichte. Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde der mächtige Bau vom Rhönclub errichtet. Nach dem 2. Weltkrieg – der Ellenbogen lag im Osten – wurde der Rhönclub dort verboten, das Haus wurde Staatseigentum und zu einem FDGB-Ferienheim. Danach waren zwischenzeitlich die Russen dort, und dann kam die Staatssicherheit. 1968. Das Haus war wegen seiner Grenznähe idealer Standpunkt für die Funkaufklärung. Noch vor der Wiedervereinigung, im September 1990 wurden die Antennen hnd Türme abgerissen

Das Haus war in einem desolaten Zustand. Doch mittlerweile hat es sich als Berghotel wieder etabliert.

Übrigens: Lange glaubten Russen und Staatssicherheit, dass die Zentrale im Eisenacher Haus mit den Spähtürmen  – genannt „Blitz“ – sowohl dem Westen als auch der eigenen Bevölkerung verborgen sei. Aber der Westen wusste schon lange über Fotos von westlichen Grenzschützern bescheid. Und die Menschen, die im Gebiet wohnten, nannten das Areal um den Ellenbogen „Klein Sibirien“. Noch Fragen?

Zum Einstieg  ein lila Band: Von Birx bis zum Ellenbogen

Der erste Wandertag ist immer aufregend, auch wenn die Strecke von Birx zum Eisenacher Haus kurz ist. Deshalb bin ich froh, dass meine Nachbarsfreunde dabei sind.

Und natürlich komme ich mit meiner Wander-App nicht zurecht. Wir werden sehen, wie das wird, wenn ich allein bin.

Der Einstieg in Birx gelingt aber erst einmal gut. Ganz in der Nähe unserer Pension finden wir doch tatsächlich die Markierung des Grünen Bandes.  Etwas ganz seltenes, wie ich von meiner Wanderung 2018 weiß. Und das soll auch so bleiben. Denn die Markierung verschwindet bald wieder.

 

„Mit den Füßen  in Thüringen und Bayern im Rücken wandern wir auf einem Feldweg auf Hessen zu“, beschreibt die Autorin meines Wanderführers ganz anschaulich nicht nur den Start, sondern auch die Grenzsituation an diesem Dreiländereck. Und sie läßt erahnen, wie eingekesselt der Ort Birx zu Zeiten der deutschen Teilung war. Es lag im Sperrgebiet. Frei war nur der Weg nach Osten Richtung Frankenstein.

Komisch, ich sehe sofort, als wir den kaum mehr sichtbaren Kolonnenweg queren. Die Tage auf der ersten Grenzwanderung 2018 haben das Auge geschult.

Aber wir folgen ihm noch nicht, weil er durch eine ungemähte Wiese führt, sondern machen einen kleinen Bogen ins Hessische. Dann stoßen wir wieder auf den Grenzweg mit seinen Betonlochplatten, die man nur mit äusserster Konzentration begehen kann, will man nicht unversehens umknicken. Das Gras steht hoch im Mittelstück des Weges. Es ist wirklich schwer zu gehen. Links und rechts ist die Landschaft nicht mehr „nur“ verbuscht; hohe Birken und Nadelbäume sind gewachsen. Der Kolonnenweg ist hier eher eine schmale Schneise durch den Wald. Dazwischen Feuchtbiotope.

Für meinen Nachbarsfreund ist es auch deshalb so unwirklich, auf dem Betonweg zu gehen, weil er vor langer Zeit seinen Wehrdienst hier bei der Grenzschutzpolizei absolviert hat. Er hat sozusagen vom Westen aus beobachtet, was sich dort abspielt, wo er jetzt zum ersten Mal geht.

Und dann wird das Grüne Band zum Lila Band. Schön fürs Auge, schlecht für die einheimischen Pflanzen. Die Lupinien, die manchmal hundert Meter weit den Weg links und rechts säumen, gehören nicht in die Rhön. Aber sie verbreiten sich rasend schnell und sind zum Problem geworden, weil sie alle anderen Pflanzen verdrängen, besonders diese einmaligen hier am Grünen Band.

Bald verlassen wir den Kolonnenweg wieder und folgen dem Hochrhöner. Durch duftende Wiesen geht es mit herrlichen Aussichten rasch zum Ziel der ersten kleinen Etappe: dem Ellenbogen.

 

 

Tradition auf dem Grünen Band: das falsche Hotel

Kühl ist es abends in der Hohen Rhön. Birx liegt über 700 m hoch.

Ich war so sicher, dass ich Zimmer im Flechsenberger Hof in Birx gebucht hatte. Ich hatte alles auf meinem Tourplan vermerkt. Doch als wir ankamen, standen dort viele Hochzeitsgäste. Ein besonders elegant gekleideter Mann machte uns darauf aufmerksam, dass der Landgasthof heute wegen einer Hochzeit geschlossen sei. Ich wollte es nicht glauben. „Aber ich habe doch reserviert! Ich habe doch mit Ihnen telefoniert!“ Ich war fassungslos. Der Angesprochene – augenscheinlich der Wirt – meinte lapidar: „Das wüsste ich aber. Es ist meine Tochter, die heute heiratet. Und dieser Termin steht seit über einem Jahr.“

So ging es noch eine Weile hin und her, bis der Wirt uns empfahl, es in der Pension Dreiländereck zu probieren. „Dort wo der gelbe Trabi auf dem Garagendach steht.“ Und siehe da: Dort hatte ich auch gebucht. Und es nur falsch in meinem Plan vermerkt. Mea Culpa!

Dafür wurden wir aber mit einem tollen Frühstück entlohnt. Und im „Rhönstübchen“, einem Gasthof, haben wir auch recht gut gegessen.

Ich habe den Eindruck, dass die Infrastruktur an diesem Teil des Grünen Bandes besser ist als am ersten südlichen Teilstück. Das kann aber daran liegen, dass der Hochrhöner hier vorbeiführt.

Dieser Wanderweg ist vielbegangen. Auf dem Grünen Band geht kaum jemand. Das bestätigt auch unser Wirt, der selbst geführte Grenzwanderungen  anbietet. „30 gehen den Hochrhöner, 3 das Grüne Band“.

„Zur Rhön hinauf“

Hand auf’s Herz: Wer hat schon einmal seinen Urlaub in der Rhön verbracht? Ich nicht.

In einigen Mittelgebirgen bin ich gewandert: im Harz, im Hunsrück, in der Eifel, im Bayerischen Wald, im Odenwald oder im Spessart….aber in der Rhön?

Karges, kaltes Land, unwirtlich, arm, „Zonenrandgebiet“ – insgesamt wenig attraktiv.

Und was erlebe ich, als ich mit meinen lieben Nachbarn, die mit mir zum Start meiner Grüne-Band-Wanderung nach Brix, im Dreiländereck Franken/Hessen/Thüringen fahre?

Eine grüne  Mittelgebirgslandschaft, die ihresgleichen sucht. Famose Aussichten von langgestreckten Höhenrücken aus (Lange Rhön), bewaldete Kuppeln, herrliche Buchenwälder, fette  Wiesen. Grün in allen Schattierungen. Die Mauersegler – wer kennt die noch? – sind unterwegs, und überhaupt merke ich jetzt erst hier, wo um uns herum das Vogelgezwitscher eine stete Hintergrundmelodie ist, wie sehr die Vögel in der Stadt fehlen.

Und in den Tälern  liegen die kleinen Ortschaften wie aus dem Bilderbuch: Fachwerkhäuser, rote Ziegeldächer, Kirchen mit Zwiebeltürmen. Es ist wie eine aus der Zeit gefallene Welt.

Die Wandervögel fallen mir ein. Im Frühtau zu Bergen. Wem Gott will rechte Gunst erweisen….

Ach, und da gibt es ja auch noch das wunderbar kitschige  Rhön-Lied:
Zieh an die Wanderschuh,
Und nimm den Rucksack auf,
Und wirf die Sorgen ab,
Marschier zur Rhön hinauf!

Machen wir. Nach Corona kommen die Wanderer wieder. Das ist gut.

Wir bestaunen die Kirchenburg in Ostheim, trinken Holunderlimonade in Fladungen, sind begeistert von der Bedienung im Thüringer Haus (Franken), die im Regen stets freundlich die Gäste unter den Sonnen(Regen)schirmen bedient und dabei vom Hin- und Herrennen schon ziemlich aufgeweicht ist.

Wir wandern – sozusagen als Ouvertüre zum Grünen Band – 4 Kilometer auf einem Rundweg, der sich Franziskusweg nennt. Der Weg war trotz Regen schön, die „meditativen Textelemente“ an verschiedenen Wegstationen waren überhaupt nicht meine Welt.  Der Sonnengesang des Franziskus ist Poesie. Warum muss man ihn dann noch interpretieren?

Und dann sind wir in Birx. In der Pension, die ich angeblich gebucht habe. Oder doch nicht? Wieso beginnt meine zweite Wanderung auf dem Grünen Band schon wieder mit einer Fehlbuchung??

 

 

 

 

„Lebbe geht weider“

Vor fast genau 3 Jahren habe ich meine Wanderung entlang des Grünen Bandes begonnen – in Bad Elster. Gekommen bin ich bis in die Rhön mit dem festen Vorsatz, im folgenden Jahr wieder ein Teilstück der insgesamt ca. 1.400 Kilometer entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zurück zu legen. Aber meistens kommt es anders als man plant. 2019 war mein letztes Berufsjahr, da blieb wenig Zeit für längere Wanderungen. Und 2020  kamen Corona und eine fiese Krankheit.

Aber jetzt geht es weiter: Mit einem kleinen Stück weniger Lunge, mit einer Autoimmunkrankheit, die derzeit Gott sei Dank ruht, und etwas mehr Gepäck (Medikamente, Stützen fürs Knie und was man als Rentnerin mit Wehwehchen halt alles so braucht).

Foto aus dem Wanderführer von Anne Haertel: Grünes Band. Der Süden. Berlin 2020. Der Trescher-Verlag hat freundlicherweise den Abdruck des Kartenausschnittes genehmigt.

Wie weit ich komme, das weiß ich noch nicht. Ich will keine Rekorde aufstellen, sondern die Tage bei hoffentlichen angenehmen Wanderwetter genießen. Zuerst durch die Rhön und vielleicht bis ins Eichsfeld.  Starten werde ich in Birx. Und dann geht es in kleinen Etappen weiter.

 

 

„Bananenrepublik“?

„Bananenrepublik“ nennen wir Europäer despektierlich ein meist afrikanisches oder südamerikanisches Land, wenn es durch Misswirtschaft, ständige Putsche, Gewalt und Korruption in den Schlagzeilen ist. Dabei vergessen wir nur allzu gern, dass wir Europäer es waren, die durch die so genannte „Kolonisation“, durch Gewaltherrschaft, Ausbeutung und Versklavung, durch In-Besitz-nehmen, durch willkürliche Grenzziehungen (z.B. bei der Kongo-Konferenz oder dem Helgoland-Sansibar-Vertrag) diejenigen waren, die den Grundstein gelegt hatten für die zukünftigen Entwicklungen. Und damit nicht genug: Auch nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien haben die Industrieländer die wirtschaftliche Abhängigkeit und Ausbeutung u.a. durch Großkonzerne verstärkt fortgesetzt. Die afrikanischen Ländern wurden zum Spielball der westlichen Mächte, Stellvertreterkriege wurden und werden ausgetragen.
Natürlich ist die Situation viel zu komplex, als dass man sie in einem Satz auf den Punkt bringen könnte. Und die Verwicklungen der regierenden Klasse in manchem afrikanischen Staat, das Klammern an Macht und Vermögen, manchmal die Unterdrückung und Ermordung des eigenen Volkes, die Entführung so vieler Kinder, um sie als „Kindersoldaten“ zu missbrauchen, all das muss ebenso klar benannt werden. „ Ich bin durch Gewalt an die Macht gekommen, ich werde nur durch Gewalt von der Macht vertrieben werden können“ soll Museveni, der ugandische Präsident, einmal gesagt haben. Es ist die alte Warnung von Paolo Freire, dass die „neuen“ Machthaber nicht die gleiche Haltung und das gleiche Verhalten wie ihre ehemaligen Unterdrücker annehmen dürften. Sonst würden aus den Unterdrückten wieder Unterdrücker.


Wir sind in Uganda nicht nur durch Parks gefahren und haben Tiere beobachtet. Wir haben auch ab und an Zeitung gelesen – den „Daily Monitor“, die wichtigste Zeitung mit regierungskritischer Haltung, deren Redakteure immer wieder verhaftet werden. Wir haben auch mit kritisch eingestellten Menschen gesprochen, die das Land trotz der widrigen Verhältnisse lieben, und wir haben einfach nur beobachtet.
Ich kann hier nur ein paar Eindrücke wiedergeben, nach 3 Wochen ist seriös nicht mehr möglich.
„ How can the nation survive, if the tribe does not die?“ (Sandra Machel, Mozambique)
Als der damalige Freiheitskämpfer Museveni mit der NRA (National Resistance Army) an die Macht kam und die Gewaltherrschaft Obotes beendete, wurde er im Süden und Westen des Landes bejubelt. Er bildete eine Regierung über alle ethnischen, politischen und religiösen Machtgrenzen hinweg, betrieb eine Politik der Nationalen Aussöhnung, leitete einen Demokratierungsprozess ein, führte halbwegs Pressefreiheit ein und eine ordentliche Gerichtsbarkeit. Sein Ziel: Er wollte eine Nation formen. Die Wirtschaft des Landes wuchs.
Der Westen goutierte das. Allerdings hatte Uganda bis 2005 eine „ Einparteien“-Demokratie, innerhalb derer sich mehrere „Movements“ zur Wahl stellten.
1993 machte Museveni einen geschickten Schachzug, indem er die alten Königreiche wieder aufleben ließ, und den Sohn von Mutesi II aus dem Exil in London zurückholte. Uganda bestand in vorkolonialer Zeit aus mehreren Königreichen, vielen „tribes“ und Ethnien, die auch gegenseitig Machtkämpfe ausgetragen hatten.( Das kennen wir ja auch aus der deutschen Geschichte).
Die neuen alten Könige haben keine formale politische Macht, aber sie sind identitätsstiftend und knüpfen an an die Zeit vor dem Kolonialismus. Gleichzeitig liegt hier das Problem: Wie kann sich eine Nation entwickeln, wenn die Identifizierung der Menschen über die Tribes erfolgt?
Dazu kommt, dass die jeweiligen Machthaber selbst ihre Herkunft hochhalten: Idi Amin war aus dem Norden, und so flossen Ressourcen dorthin. Unter Museveni brachen kurz nach seiner Machtübernahme im Norden Machtkämpfe aus. Heute ist der Norden – trotz aller anfänglich bestimmt guten Versöhnungsabsichten des Präsidenten, der Bugander ist (Kampala), der ärmste Landstrich.
Mein erster Eindruck ist, dass es eine zentrale Herausforderung ist, die Nation Uganda zu schaffen, im Bewusstein ihrer Wurzeln, in der Verarbeitung der kolonialen Zeit sowie den gewaltsamen Konflikten und Tyranneien unter Obote und Idi Amin.
Wenn die Alten Männer nicht von der Macht lassen wollen
Heute ist Musoweni nicht bereit von der Macht zu lassen. Auch die Wahlen 2021 wird er wohl gewinnen, obwohl in Kampala selbst ein großer Teil der Menschen, so berichten kritische Stimmen, gegen eine Wiederwahl ist..
Wahlmanipulationen habe es schon bei der letzten Wahl gegeben. Man habe Menschen aus Ruanda mit falschen Identitäten versorgt und sie in Lastwagen zu den Wahllokalen gefahren.
Der „Daily Monitor“ hat am 4. Februar ein großes Interview mit Derrik Wandera geführt, der derzeit eine „Aliance for Transformation“ gründet und auch die Oppositionsparteien einen will. Auf die Frage, ob es 2021 freie und faire Wahlen geben wird, antwortet er: „ No, we won’t have. I am not one of those people that have such illusions. It cannot happen and we know it“.
Dazu kommt das Thema „Wahlgeschenke“, auf das immer mal wieder die Rede kommt. Die Distrikte, die mehrheitlich Museveni gewählt hätten, bekämen z.B. die besseren Infrastruktur.
Der Star unter den Oppositionellen ist der Musiker Boni Wine, der wg. seiner Haltung bereits im Gefängnis saß. Er wird wohl kandidieren, aber einige zweifeln an seiner politischen Erfahrung.
Evangelikale und die Verfolgung von Schwulen und Lesben
Wenn man durch die Straßen von Kampala geht, trifft man immer wieder auf Prediger, die mal mit, mal ohne Mikro, das „nahe Reich Gottes“ beschwören oder laut aus der Bibel lesen. Die evangelikalen Sekten haben einen enormen Zulauf. Auch die Gattin Musevenis (und Ministerin für Erziehung!!) gehört dazu. Mit ihnen einher geht die Verteufelung der Homosexualität. Schwule und Lesben leben in Uganda gefährlich, a „hidden life“. Während in der Millionenstadt Kampala dieses Versteckspiel noch halbwegs funktioniert, ist es auf dem Land unmöglich. Dort versteht man einfach nicht, dass es eine andere Beziehung als die zwischen Mann und Frau geben kann. Woher auch, wenn der Mann die Frau für eine bestimmte Anzahl Ziegen kauft.
Von der  Armut und der Korruption
Das Gros der Ugander ist arm. Während aber auf dem Land die Erde genügend hergibt, damit die Menschen ihre Nahrung selbst anbauen und ernten können, sieht es in und um die Städte ganz anders aus. Ein Beispiel: Der junge Mann, der im Verkehrschaos in Kampala wie viele andere zwischen den Autos seine Klopapierrollen verkaufen will, hat die Großpackung (10 Rollen) für 10.000 Uganda-Shilling gekauft. Maximal verdient er damit 2.000, etwa 50 Cent. „Das reicht grade mal, um nicht zu verhungern“, sagt unser Fahrer.


Viele verdienen nicht mehr als einen Dollar am Tag, die Polizei wird sehr schlecht bezahlt, und da ist es kein Wunder, dass die Korruption blüht. Dabei sind das nur die kleinen Fische. Im „Daily Monitor“ lese ich z.B. von Menschen, die anderen ganze Grundstücke „weggenommen“ haben.
Auch wenn die Regierung eine Kampagne gegen Korruption gestartet hat – auf unserer Reise haben wir ein einziges Plakat gesehen – scheint der Erfolg auf sich warten zu lassen: „ Der Fisch stinkt vom Kopf her“, sagt uns jemand.
Wohlgemerkt: Es gibt auch viele Ugander, denen es gut geht und die den Fotos auf den großen Werbeplakaten mit den prall gefüllten Einkaufswagen aus dem Supermarkt gleichen.
Das Bevölkerungswachstum
Wie auch in Ruanda sieht man in Uganda wenige ältere Menschen. Kinder und Jugendliche beherrschen das Straßenbild. Kein Wunder bei 6,6 Kindern pro Frau (Platz 2 weltweit). Das Bildungssystem reicht dafür nicht aus. Wenn ich richtig gelesen habe, wird der Bildungsetat derzeit sogar zurückgeschraubt, weil internationale Projekte ausgelaufen sind.
Hinzu kommt, dass viele Schulen zusätzlich zu den Schulgebühren weitere Beiträge für zusätzliche Anschaffungen verlangen.

Tourismus
Es hat immer gute Ansätze von touristischer Entwicklung seit den 90er Jahren gegeben. Allerdings wurden Sie mehrmals wieder gestoppt durch Überfälle und Entführungen von Reisenden. Derzeit ist „Uganda im Kommen“. Das Landschaften sind spektakulär, die Parks außerordentlich, die Menschen sind überaus hilfsbereit, überall gibt es sehr gute Lodges. Lediglich die Straßen sind eine Herausforderung. Man wird sehen, wie die weitere Entwicklung aussieht, wenn die Pipeline durch den Murchison-Park gebaut wird. An den Parks hängen viele Arbeitsplätze, direkt und indirekt. Es bleibt zu wünschen, dass dieser Wirtschaftszweig wächst.

Uganda, eine Bananenrepublik? Landwirtschaftlich gesehen bestimmt. Denn noch nie habe ich so viele Bananenplantagen gesehen.
Politisch gesehen ist es ein Land im Transformationsprozess, das seine Identität sucht. Auch wenn Museweni 2021 wiedergewählt wird, hat seine Ära den Zenit überschritten. Und was kommt dann?
Wie oben geschrieben: Das sind meine ersten Eindrücke.

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