Wolkenfolgen

Reisen

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Ins schlesische Elysium

Ein Weihnachtspäckchen aus Berlin war der Anstoß: 2 Bücher über das Hirschberger Tal, dem schlesischen Elysium, eine  Landkarte und der Weihnachtswunsch, man könne doch 2022 gemeinsam einen Wanderurlaub dort verbringen.  Garniert wurde die Idee noch damit, dass man dann in einigen der dort als Hotels genutzten  Schlössern übernachten könne. Letzteres gab den Ausschlag, dass ich mit Schwägerin und Schwager im Spätsommer von Berlin über die polnische Grenze fahre.

Ich hatte vor Weihnachten 2021 noch nie etwas von diesem Tal in Niederschlesien gehört. Der Talkessel mit seinem namensgebenden Zentrum Jelina Gora (Hirschberg) wird flankiert vom Riesengebirge.

Das weckt einige wenige Assoziationen: Schneegebirge, Rübezahl….

Dass das Tal  die höchste Dichte an Schlössern, Herrenhäusern und Parks in Europa hat, war mir aber  unbekannt. Dabei ist diese mitteleuropäische Kulturlandschaftbereits im 18. Jahrhundert bereits ein Anziehungspunkt. Nachdem das bis dahin habsburgische Schlesien von Friedrich II eingenommen worden war,  baute zuerst der Adel, danach auch das reiche Bürgertum dort – bei den „Preußischen Alpen“ – seine hochherrschaftlichen Residenzen und Parklandschaften.  Und auch Künstler:innen entdeckten  das Tal alsbald: Natürlich war Goethe hier, aber auch E.T.A. Hoffmann, Alexander von Humboldt, Körner, Fontane, Caspar David Friedrich und, und, und. „Es ist der große Vorzug der schlesischen Bäder“, schreibt Josef Roth 1925, „dass sie jedes Bedürfnis an falscher und echter Romantik, an ‚Abgeschiedenheit ‚, an Bergen, Wald und Andacht befriedigen und noch viel für den verwöhnten Zivilisationsmenschen übrig haben“.

Und  noch ein Name ist mit dem Tal verbunden: Gerhart Hauptmann, der in Agnetendorf/Jagniatkow lebte und starb und der den schlesischen Webern ein literarisches Denkmal setzte.  Wobei wir bei denen wären, die das „siebentorige Theben“ bauten.  Der Reichtum der häufig bürgerlichen Schlossherren, der „Schleierherren“, der Kaufleute, die den Leinenstoff in ganz Europa vertrieben, der gründete auf einem System der Ausbeutung der „Häusler“, die das Garn herstellten und den Stoff webten, die beim Verkauf auf Gedeih und Verderb  abhängig waren von den Zwischenhändlern und den reichen Endabnehmern. Die zu allem noch den Weberzins an den Grundherrn zahlen mussten.

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben. (Heinrich Heine)

Ich bin gespannt – auf das Tal, auf das Riesengebirge, auf Schlösser und Kurbäder – und vielleicht auf eine Begegnung mit Rübezahl.

Was bleibt nach 2 Wochen

Natürlich war diese Wanderung für mich selbst ein Test: Was schaffst du denn noch nach soviel Krankheit? Bekommst du das hin, dich nicht vom Kranksein dominieren zu lassen?

Klar, da sind Wehwechen – aber über die habe ich auch schon vor Jahren gejammert. Und das gehört doch auch zu jeder Wanderung dazu, oder?

Aber ich weiß jetzt, dass Kondition und Ausdauer nicht gelitten haben. Im Gegenteil, manches ist leichter und vielleicht intensiver geworden.

Fester Bestandteil seit dieser Wanderung ist die WanderAPP, die ich jetzt immer nutzen werde. Sie gibt so viel Sicherheit, auch wenn ich mich mal kurz verlaufen habe. Denn ich weiß immer, wo ich bin.

Geblieben sind die Bilder von den liebevoll hergerichteten Fachwerkhäusern sowohl auf thüringischer als auch auf hessischer Seite.

Geblieben ist gleichzeitig die Wehmut darüber, dass trotz dieser Modernisierungen die alten Dorfstrukturen langsam verschwinden werden.

Erinnern werde ich die Menschen, die mir weitergeholfen haben, die ihre Träume  Wirklichkeit werden lassen, wie den 77jährigen Dr. Pippard aus Heldra oder der ältere ehemalige Leistungssportler, der mit dem Fahrrad auf Spurensuche in seiner „alten Heimat“ ist: „You are never too old, to see another goal or dream a new dream.“

In Erinnerung bleiben werden die Spinnweben, die sacht meine Haut streiften, wenn ich morgens durch die hohen Wiesen gelaufen bin. Die Walderdbeeren in den Löchern des Plattenweges. Die unzähligen Orchideen und Schmetterlinge am Wegesrand. Die Rehe, die ich mit den Geräuschen meiner Wanderstöcke regelmäßig aufgescheucht habe, und die vielen Raubvögel über mir.

Bleiben werden die Buchenwälder der Rhön und die Aussichten weit ins Land.

Laut gelacht  habe ich, als ich mich irgendwann einmal selbst habe singen hören: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Dem will er seine Wunder weisen in Berg und Tal und Strom und Feld.  Die Trägen, die zu Hause liegen, erquicket nicht das Morgenrot… „. Weiter konnte ich dann den Text nicht mehr.

Ja, irgendjemand hat mir eine rechte Gunst erwiesen, wer auch immer – einfach so.

Berührt hat mich nahe Heldra eine Brücke über die Werra aus Teilen einer ehemaligen Wassersperre, die Menschen an der Flucht durchs Wasser hinderte.

Berührt war ich aber auch vom  Plattenweg  über die „Mainzer Köpfe“, der mit der Zeit zum Wanderweg geworden ist: Der Weg selbst ist so schön einfach zu gehen, links und rechts Wiesen, begrenzt von Wald. Im  Graben,  früher KfZ-Sperre, wachsen Bäume.

Zwei Bilder, die zeigen, wie Grenzen zu Brücken und Verbindungen werden können, auf denen es sich gut gehen lässt.

Über die „Mainzer Köpfe“ zum Kloster Hülfensberg

Heute wird meine letzte Etappe auf dieser Tour sein. Das angekündigte Wetter für die nächsten Tage soll sehr regnerisch sein, weswegen es einfach auch gefährlich ist, die steilen Abstiege durch die „Eichsfelder Schweiz“ auf dem Plattenweg zu gehen.

Also genieße ich diesen vorläufig letzten Weg von Heldra über die „Mainzer Köpfe“, am Eichsfelder Kreuz vorbei hoch hinauf zum Hülfensberg mit dem Franziskanerkloster.

Warum der Bergrücken, auf den ich steige, „Mainzer Köpfe“ heißt, erschließt sich mir nur teilweise. Der Bezug zu Mainz ist klar: Ich betrete Eichsfelder Gebiet, das schon um das Jahr 1000 als ferne Exklave zum Herrschaftsbereich der Mainzer Erzbischöfe gehörte.

Aber die „Köpfe“? Maul Dreyer, Margit Sponheimer, Michael Ebling?

Auch aus der Form des Bergrückens kann ich kein mir bekanntes Profil erkennen.

Egal. Ich gehe also im wahrsten Sinne über die Köpfe meines Lebensmittelpunktes hinweg. Es geht ziemlich hoch und runter, an ehemaligen Beobachtungstürmen vorbei und einer „Agentenschleuse“.  Durch das überdimensionierte Kanalrohr soll die ehemalige DDR ihre Agenten in den Westen geschleust haben. So recht kann ich daran nicht glauben. Da war mir doch der Agentenweg im Höllental an der Muschwitz plausibler.

Angeblich krochen damals die DDR-Agenten durch das Kanalrohr in den Westen. Wer´s glaubt…

Der Kolonnenweg ist hier wunderbar gepflegt, über weite Strecken sind die Löcher geschlossen,  so dass eine große Gefahrenquelle wegfällt.

Es liegt daran, dass das Grüne Band gut in das Netz der Wanderwege der Region oder sogar der Fernwanderwege wie dem Lutherweg oder dem Werra-Burgen-Steig eingebunden ist.

Es ist wahrhaft eine tolle Wanderregion für diejenigen, die keine großen Knieprobleme haben.

Ich genieße  den Weg, mit den blühenden Wiesen, den Schmetterlingen, den Wäldern mit Buchen, Eschen, Linden, Platanen……

Und natürlich mit den Aussichten – mal ins Werra-Tal, mal ins katholische Eichsfeld.

Bei Döringshausen, wo hinter dem Dorf die Grenze verlief, an der Strasse nach Wanfried, steht das Eichsfelder Kreuz.

Alle Eichsfelder sind sehr heimatverbunden. Und der Hülfensberg mit dem Kloster und den Wallfahrten war (ist?) ihnen heilig. Mit der zunehmenden Grenzsicherung flüchteten viele Thüringer Eichsfelder. Als dann auch die Wallfahrten nicht mehr möglich waren, weil der Hülfensberg Sperrbezirk war, errichteten Eichsfelder im Westen vor Döringshausen ein Kreuz, an dem nun die Wallfahrten stattfanden.

Das letzte Mal war ich wohl Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu der Hochzeit eines guten Freundes meines Mannes in Wanfried. Natürlich musste mein Mann, geboren in Worbis im Eichsfeld, bis zur Grenze fahren,  um einen Blick auf den Hülfensberg zu werfen.

Heute will ich oben im Kloster übernachten. Nach 20 Kilometer in den Beinen ist das noch einmal eine Herausforderung.

Aber ich schaffe es. Die drei verbliebenen Franziskanerbrüder empfangen mich freundlich und nehmen mich für einen Abend in ihre Gemeinschaft auf.

Dabei benehme ich mich zuerst einmal komplett daneben: Zwischen den Sohlen meiner Barfußschuhe hatte sich Erde festgesetzt. Den habe ich natürlich gleich in den Andachtsraum mitgeschleppt.

Da werden doch Erinnerungen an alte Zeiten im Internat der Franziskanerinnen wach. Nur kann ich heute drüber lachen!

Beim Abendessen erfahre ich, dass auch der Mainzer Bischof Kohlgraf bereits hier oben war und gepredigt hat.

Na dann…

Wirklich beeindruckt hat mich aber das romanische Kreuz in der Wallfahrtskirche.

Dabei ist es nur eins von dreien, die hier oben stehen. Daneben gibt es auf dem Berg noch das große, weithin sichtbare Kreuz des Hülfensbergs (mächtig, nach Osten gerichtet), und das Friedenskreuz zur Einheit (nach Westen gerichtet).

Es ist sehr friedlich hier. Nur fehlt mir ein wenig der Schwung, wenn die Brüder den Sonnegesang des Franziskus singen. Aber man kann ja nicht alles haben.

Am nächsten Morgen  wandere ich runter nach Wanfried, wo ich den nächsten Bus nach Eisenach nehme.

Es ist grau und es regnet. Es war die richtige Entscheidung, hier aufzuhören. Und der Hülfensberg ist ein guter Abschluss einer Wandertour über 2 Wochen.

Die nächste Etappe geht hoffentlich vom Eichsfeld in den Harz.

Im Tiny-Haus

 

Heute ist mein Ruhetag. Und während es draußen ununterbrochen regnet, liege ich hier sehr kuschelig im Bett in einem ehemaligen Bauwagen. Durch Bleiglasfenster kommt das Tageslicht, ein Gründerzeit-Vertiko, zwei Biedermeierstühle und ein kleiner Tisch machen mein Tiny-Haus komplett. Ich bin im Kleegarten in Heldra. Der Gutshof ist der Stammsitz von August-Hermann Francke, dem Begründer der Franckeschen Stiftung in Halle.

Vielleicht weil ich noch vor ein paar Jahren in Halle, wo die Erziehungswissenschaften der Universität auf dem Gelände der Franckeschen Stiftung untergebracht sind, eine Tagung mitgestaltet hatte, habe ich mich bei meiner Wanderplanung für den Gutshof entschieden.

Als ich dort ankam, war ich erst einmal sprachlos. Ein riesiges Areal in der Mitte des Ortes mit kleinen und größeren liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern. Auf dem großen Innengelände stehen auf einer Wiese bunte Bauwagen. Ich bin entzückt. Leider bin ich ganz allein auf dem Gut. Aber bald nachdem ich den Besitzer, Dr. Pippart, angerufen habe, kommt ein älterer Herr aus dem Dorf – wohl so etwas wie der gute Geist des Gutshofes, zeigt mir die Zimmer – alle nur mit Antiquitäten und Raritäten eingerichtet, die Wände voll von Kunst – und auch den Bauwagen. Genau dort möchte ich meinen Ruhetag verbringen.

Wenig später ist auch der Hausherr da. Der 77ährige, immer noch praktizierende Landarzt, hat zusammen mit seiner Frau und vielen – vor allem jungen – ehrenamtlich tätigen Dorfbewohnern das Anwesen 1999 vor dem Verfall bewahrt und dafür u.a. den Deutschen Fachwerkpreis erhalten.

Dr. Pippart bringt Kuchen mit und kocht Kaffee. An Werktagen hat er eigentlich geschlossen und deswegen auch kein Personal. Ich esse an einem großen Holztisch neben der Küche. Die Küche ist übrigens das einzig Moderne im Haus.

Dr. Pippart erzählt von den Jahren,als er mit seiner Frau, den Dorfleuten und Handwerkern dieses Anwesen fachgerecht restauriert hat. Ich kann nur Staunen.

Dann möchte er wissen, was ich abends essen will. Er will kochen, weil die zweite Gaststätte im Dorf auch geschlossen hat.

Soviel Mühe ist mir fast unangenehm. Aber es kommt noch ein zweiter Gast. Am Abend sitzen die Pipparts und ihre beiden Gäste bei einem sehr guten Weissburgunder von der Unstrut, essen Pasta, Schweinelendchen mit frischen Pilzen  und erzählen Geschichten aus dem Leben.

Wie kann ein Tag besser ausklingen?

Begegnung mit dem Riesen an der Werra

 

Am nächsten Tag regnet es nicht! Stattdessen wieder eine wunderschöne Etappe bei idealem Wanderwetter (das ist dann häufig leider kein günstiges Fotografier-Wetter). Schnell bin ich morgens „zurück auf der Tour“ am Iftaer Baumkreuz. Hier kreuzen sich die B7 (Eisenach und Kassel) und die ehemalige Grenze. Ziemlich in der geografischen Mitte Deutschlands wurde hier 1990 begonnen, ein Baumkreuz zu pflanzen: Eine dreireihige Eschenallee auf dem ehemaligen Todesstreifen und eine Lindenallee an der B7. Jedes Jahr im November kommen Menschen hierher, um weitere Linden zu pflanzen. Richtung Eisenach ist die Allee fertig gestellt. Die nach Kassel ist „noch im Bau“.

In das Kunst- und Gedenkprojekt integriert ist der Grenzzaun, das wohl längste erhaltene Stück.

Danach wird es bunt und grün und einfach herrlich. Der Plattenweg ist hier durch Grassoden zu einem schönen Wanderweg geworden. Es geht zwar stetig auf, aber das merke ich kaum. Dann treffe ich auf eine Schafherde. Es ist das erste Mal auf meiner diesjährigen Tour, dass ich sehe, wie das Grüne Band von Tieren freigehalten und so vor Verbuschung bewahrt wird. Das hat einen weiteren Vorteil: Das Fleisch der Lämmer, deren Mahlzeiten die  Kräuter dieser Wiesen sind, muss köstlich schmecken.

Ehe ich es mich versehe bin ich schon auf dem Heldrastein in über 500 Meter Höhe. Der Fels aus Muschelkalk (deswegen heldra= hell) überragt auf thüringischer Seite das Werratal und war als „Riese des Werratals“ schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel mit einem Aussichtsturm. Später gab es sogar einen „Berggasthof mit Fremdenzimmern“. 1952 wurden die damaligen Wirtsleute ausgewiesen. Der Turm verfiel, wurde abgerissen und ersetzt durch einen Horchposten der Stasi. Nach der Wende haben viele engagierte Bürger:innen den Radarturm wieder in einen Aussichtsturm umgebaut – 30  Meter hoch.

Ich habe dort oben eine wunderbare Rundum-Aussicht: Wasserkuppe, Brocken, Meissner, Öchsen.

Nur muss ich danach wieder runter vom Berg. Ein wenig alpin geht es sehr steil nach unten an die Werra. Und bald bin ich im hessischen Heldra.

Wo mich etwas Einzigartiges erwartet.

Frau-Holle-Land

Ein rundum schöner Wandertag zum Genießen, auch wenn es zwischendurch so aussah, als müsse ich hungrig schlafen gehen.

Von Herleshausen aus gehe ich erst eine längere Strecke auf hessischer Seite durch den Wald bergauf, das frisch geschlagene Holz verbreitet einen Duft, so dass man ganz tief einatmen möchte.  Oben angekommen, kann ich wieder einmal nicht genug bekommen von den Aussichten. Über Gerstenfelder hinweg – hier wird Bier gebraut! – geht der Blick bis zur Wartburg. Auf dem Weg liegen ein kleines Wasserschloss und eine Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Es ist die erste Kirche, die ich offen vorfinde. Gott sei es gedankt, denn das  Kreuzgewölbe  und die Schlichtheit der Gesamtanlage berühren.

Auf einer Obstbaumallee laufe ich auf den Kolonnenweg, und damit auch auf die thüringische Seite zu.

Die Region zwischen Werra und Meissner,  in der ich momentan wandere, gehört zum Geo-Naturpark „Frau-Holle-Land“. Und an die Grimmschen Märchen erinnert diese Landschaft auch: Fachwerkdörfer, bewaldete Hügel, weite Wiesen, Storchennester, Teiche und Bäche. Mitten durch die Werra. Alles lieblich, ein wenig spießig – da, wo die Welt halt noch in Ordnung zu sein scheint.  Auf den ersten Blick – eben wie im Märchen.

Sauerkirschen, Süsskirschen – die frühen sind reif – , Äpfel, Pflaumen und Himbeeren. Mit diesen und den Kirschen genehmige ich mir ein zweites (Obst)Frühstück. Denn beim Hotel mit angeschlossener Metzgerei gab’s das natürlich nicht.

Ich kann es gebrauchen, denn vor mir liegen über 6 Kilometer Plattenweg, hoch auf über 400 Meter und dann in Serpentinen steil wieder runter. Links und rechts von mir ein Blütenmeer, in dem sich die Schmetterlinge tummeln. Anstrengend, aber herrlich!

Als der kleine thüringische Ort Ifta vor mir liegt, biege ich ab, um zu meiner Übernachtung zu kommen. Ein Ferienappartement in einer hochmodernen Anlage, in der ich mir den Schlüssel mittels eines Codes holen muss. Alles wunderbar, aber wo bekomme ich heute Abend etwas zu essen?

Ich rufe die einzige Gaststätte  in dem kleinen Fachwerkdörfchen an: Der „Rote Hirsch“ hat zu. Aber die Seniorchefin hat Erbarmen: „Lassen Sie mich überlegen. Ich habe Kartoffel und Eier und Salat. Wenn Ihnen das Recht ist, kommen Sie um 17 Uhr.“  Und wie recht mir das ist! Der Salat ist mit Stiefmüttterchen garniert, die Eier von den eigenen Hühnern, und die Bratkartöffelchen sind eine kulinarische Köstlichkeit.

Nebenbei erzählt die Wirtin von der Zeit kurz nach der Wende, als man die Häuser im Dorf im vormaligen Sperrgebiet endlich herrichten konnte. Aber auch, dass das „zusammen Bier trinken in der Gaststätte“ langsam aufhörte. Sie erzählt, wie sie nach der Wende in den Alpen Urlaub gemacht hat, aber jetzt lieber zuhause ist. Vor der Wende sei sie im Harz und einmal (!) an der Ostsee gewesen. Da habe man sich selbst versorgen müssen, denn das Mittagessen sei ungeniessbar gewesen. Was ich übrigens bestätigen kann.

Sie spricht vom „einfachen Bier“, das es zu DDR-Zeiten gab, und wie man versuchte, besseres zu bekommen.

Hier sitzt eine Frau vor mir, die 2 Systeme und eine Übergangsphase durchlebt hat, und die nie jemanden „im Regen stehen lassen würde“.

Übrigens hätte ich im „Roten Hirsch“ übernachten können, was aber nur die wissen, die auf dem Elisabeth-Weg pilgern.

Auch im evangelischen Pfarrhaus wäre ich noch untergekommen, wie mir ein Arbeiter der Kirchengemeinte sagt, als ich zum Abschluss die wunderbare Kirche von Ifta besichtige. Dort wird gerade alles herausgeputzt. Am Sonntag ist Konfirmation mit 5 Konfirmand:innen. Nicht schlecht für ein Dorf, das wenig über 1000 Einwohner hat.

Jetzt sitze ich auf der Terrasse meines hochmodernen, schicken Appartements.  Die Sonne steht noch immer hoch. Vor mir liegen Wiesen und Wald. Liebliche Hügellandschaft mit weißem Wachturm.

 

Frau-Holle-Land.

Morgen soll es regnen.

 

 

 

 

Die letzten 5 Kilometer sind die schwersten!

Störche in Berka

ü

In Berka, hübsche Fachwerkstadt an der Werra im Wartburg-Kreis, treffe ich zum ersten Mal auf Menschen, die auch auf dem Grünen Band gehen. Eine Frau ist mit ihrer Nichte unterwegs. Natürlich kommen wir sofort ins Fachsimpeln.  Die nächste Etappe hat es in sich – 27 Kilometer durch den Fulda-Wald, der bis zur Grenzöffnung komplett gesperrt war, und dann weiter bis Herleshausen auf hessischer Seite.

Während ich mich schon vor Beginn meiner Wanderung entschieden hatte, diese Strecke abzukürzen (auf da. 22 km), wollen die beiden anderen ihre Rucksäcke in Berka lassen, eine 24-Kilometer-Runde drehen und am nächsten Tag mit dem Zug nach Herleshausen fahren.

Man sieht daran: Wanderinnen auf dem Grünen Band sind flexibel, unideologisch, eher an Genuss orientiert und nicht darauf aus, möglichst viele Kilometer abzuhaken.

Trotzdem bin ich etwas nervös: Mein Gesäßmuskel schmerzt, und der Wetterbericht verheißt nichts Gutes.

Leider geschlossen: die Rundkirche in Untersuhl mit Fresken aus dem 15. Jahrhundert.

Am morgen grüßen die Störche vom Turm und die Sonne scheint.  Erst eine Auenlandschaft, die wunderbare Rundkirche in Untersuhl, dann die A4, früher mit dem Grenzübergang Wartha-Herleshausen, an dem wir manches Mal gestanden haben. Erinnerungen werden wach an Grenzschikanen, an dieses Grummeln im Bauch, bis wir endlich durch waren und der Transit begann.

Dann verstummt langsam der Autolärm je höher ich hoch auf den Fuldaer Berg komme, herrliche Aussichten aufs Werra-Tal, Kirschbäume am Weg. Der Plattenweg beginnt und der Wald wird dunkler, der sich von dem in der Rhön unterscheidet: Fichten, Kiefern, vereinzelt Birken, kaum Buchen. Ich bin ganz froh über den stetigen Anstieg, denn das geht mit der Muskelverspannung besser als abwärts. Den Aufstieg ganz zum Gipfelkreuz am Arnsberg nehme ich dann doch nicht. Zum einen will ich etwas abkürzen, zum anderen denke ich daran, dass ich dann auch wieder runter gehen muss. Dabei waren es nur noch 50 Höhenmeter. Doch ein Fehler? Nein!

Denn als ich den bequemen und darüber hinaus überaus schönen Weg durch ein Hochtal mit überall sprudelnden Quellen und Teichen gehe, fängt es wieder einmal zu regnen. Besser: Es schüttet. Es ist ein Glück, dass ich in der Nähe des ehemaligen Jagdhauses Kohlbachshäuschen bin. Zu DDR-Zeiten,  als der gesamte Wald gesperrt war, fand „das Kohlbachhaus vorwiegend jagdliche Verwendung durch Grenztruppen und Angehörige der Staatssicherheit“ . Sprich: Jagdhütte der Stasi, die im gesperrten Wald ihrem Hobby frönen konnte.

Nach der Wende wurde das kleine Haus durch Waldarbeiter und  ABM-Kräfte instand gesetzt.

An der Jagdhütte erschrecke ich erst einmal einen jungen Waldarbeiter, der dort auch Schutz gesucht hatte. Er dachte wohl, er sei allein im Wald!!! Er mäht mit einer Sense das Gras, das auf einer Aufforstungsfläche  ziemlich hoch gewachsen ist. Eine undankbare Aufgabe, weil er mit jedem Sensenschnitt auch die Setzlinge treffen kann.

Und als der Förster noch dazu kommt, bekomme ich endlich eine Antwort auf die Frage von Marlis,  ob der Borkenkäfer auch Buchen befällt. Ja, das tut er. Wusste man aber bis vor kurzem nicht. Hier wird deshalb jetzt eine Aufforstung mit Eichen versucht.

Wer Kohlbachquelle trinkt, wird lange leben und kein Geld dem Arzte geben.

Als der Regen in Nieseln übergeht, mache ich mich auf den Weg, trinke an einer Heilquelle noch Wasser, was meine verspan6ten Muskeln auch nicht löst, und komme zum zweiten Mal in einen Regenguss.  Gott sei Dank gibt es im Fuldaer Wald viele Schutzhütten.

Nach 23 Kilometer bin ich unten an der Werra. „Die letzten 5 Kilometer sind immer die schwersten“, sagt man. Und deshalb rufe ich ein Taxi, das mich zu meinem Hotel mit angeschlossener Metzgerei bringt (das zweite auf der Tour). In Herleshausen gibt es ein physiotherapeutisches Zentrum. Dort nimmt sich eine kundige Frau meiner Muskeln an.

Ende eines langen und verregneten Tages.

Reden wir vom Kali-Bergbau

3 Tage lang waren sie fast allgegenwärtig auf meiner Wanderung auf dem Grünen Band. Von Wenigentaft nach Vacha. Von Vacha nach Dankmarshausen. Und von Dankmarshausen nach Berka: die Kali-Abraumhalden von Philippstal und  Heringen – Monte Kali.

Ich bin im Kali-Revier. Seit über 100 Jahren werden hier industriell Kalisalze abgebaut.

Wenn das Wetter schön ist, leuchten die Berge weiß wie Dünen in der Wüste.  Deshalb sagen die Menschen in der Region auch, der Monte Kali könne das Wetter vorhersagen: Wenn der Berg grau ist…

Die Menschen hier sagen auch, er halte die Gewitter von ihnen fern und manch anderes. Für einige, so kommt es mir vor, ist ihr Berg ähnlich wie Gott Baal.

An einen Science Fiction Film erinnert mich die Salzhalde, als ich auf der Hornungskuppe (439 m) stehe. Nur ein eingezäunter Abgrund ist zwischen mir und dem monströsen, von Menschen geschaffenen Berg, der die Kuppe noch weit überragt. 520 m ist der “Kalimandscharo“ hoch. Und er wächst schnell, wie eine Frau aus dem „Land der weißen Berge“ erzählt. Jeden Tag werden mehrere tausend Tonnen hier abgelagert. Salz, das aus der Erde geholt, aber nicht verwertet wird.

Der internationale Bergbaukonzern „Kali und Salz“ – überall fahren die Laster mit den Aufschriften K+S – verkauft weltweit Kali-Produkte als Düngemittel oder Rohstoffe, etwa für die Chemieindustrie. 70 Prozent von dem, was unter Tage abgebaut wird, gilt als Abfall. Gelöste Abfallsalze werden in die Werra eingeleitet. Feststoffe werden auf Abraumhalden von bis zu 200 Metern Höhe gestapelt. Salzabwässer werden in den tiefen Untergrund verpresst.

Das YSalz und die Werra

Die Folgen: Das Öko-System ist nachhaltig gestört, die Werra ist kein Süßwaserfluss mehr, die Fische sterben, die Grundwasserverschmutzung steigt.

„Der Spiegel“ schreibt im April diesen Jahres: „Wie bedrohlich diese Versenkung für das Grundwasser ist, wissen die Behörden nach Erkenntnissen der Ermittler schon lange. Ein Gutachter des hessischen Landesamts für Bodenforschung habe 1963 vorgeschlagen, das Salzwasser möglichst nahe an der Grenze zur damaligen DDR in den Boden zu pumpen. Die Grundwasserschäden träten dann im sozialistischen Teil Deutschlands auf.“

Dazu kommt: Das  ganze Gebiet ist unterhöhlt mit Schächten. Schlagwetter sind eine Gefahr und Unfälle mit Kohlendioxid.

Und als ob das noch nicht genug sei, lagern im stillgelegten Schacht Herfa-Neurode hochgiftige Industrieabfälle aus Europa und den USA.

Die Region lebt vom „Weißen Gold“, und gleichzeitig macht es die Region und seine Menschen krank.

 

 

Money makes the world go round

Ganz dicht am Monte Kali.

Ein Wandertag, den ich abhaken sollte. Der aber dank eines jungen Rumänen noch sehr gut zu Ende gegangen ist.

Der Reihe nach.

Es fing schon nicht gut an, weil ich mir gestern – vielleicht sogar beim Abstieg durch die „Sturzbach-Rinne“ – irgendetwas am „unteren Rücken“ gezerrt hatte. Auch der Rucksack war durch Zukäufe unterwegs immer schwerer geworden. Meine Schmerztabletten waren irgendwo verloren gegangen, die Salbe half wenig, und der Himmel war grau.

In der Pension half man mir mit einer Schmerztablette aus – und so gerüstet ging ich los. Durch den hübschen Ort Dankmarshausen , der auf einem Felssporn oberhalb der Werra liegt. Runter an die Werra und dann durch die Unterführung über die früher die ehemalige Kali-Bahn lief. Sie überquerte  damals die Zonengrenze in Vacha und in Dankmarshausen.  Ab 1946 konnten Züge aus der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone den Streckenabschnitt befahren. Ab 1952 wurde die Werra-Bahn von der DDR zweimal mehrere Monate lang gesperrt. Danach gab es aber keine Probleme mehr.  1962 stellte allerdings die DDR ihre Kalitransporte über westdeutsches Gebiet ein. 1966 präsentierte sie der BRD eine Rechnung rückwirkend für die Benutzung der DDR-Bahnstrecke. Es dauerte bis 1969, bis man sich einigte. Zwischenzeitlich sperrte die DDR die Strecke.

Ständiger Wechsel: Mal bin ich in Thüringen, mal in Hessen. Da kann schon der Überblick verloren gehen.

Danach lief der Kaliverkehr reibungslos im Transit durch die DDR bis Bebra.

Money makes the world go round……

Ich steige sacht aber stetig auf, immer an der ehemaligen Grenze lang. Links von mir der Monte Kali.

Der Weg geht parallel zum neueren Lutherweg. Eisenach ist nah.

Obwohl ich die Rhön so langsam verlasse, bin ich nicht im Flachland. Ich bin bereits in den Ausläufern des Küll-Mittelgebirges.

Aber die Hornungskuppe, auf die ich dann steige, liegt tief unter der Spitze des Monte Kali. Ich bin jetzt so nah, dass ich die Laufbänder höre, die den Abfall hoch transportieren.  Und ich bin nicht mehr sicher, ob es mein Schweiß ist, den ich schmecke, oder das Salz des Berges.

Auf dem monströsen Berg kann man auch Führungen buchen oder Nachtwanderungen. Almhornbläser waren auch schon da, erzählt mir jemand.

Durch den dichten Wald geht es abwärts, und was gestern die Grenzsteine waren, sind jetzt die Kontrollschächte, die in schöner Regelmäßigkeit neben dem asphaltierten Feldweg auftauchen.

Seit zwei Tagen laufe ich auf „dünnem Boden“, denn unter mir ist die Erde ausgehöhlt. Ein Labyrinth von Schächten.

Und dann geht das Nieseln in einen heftigen Regen über. Der auch nicht mehr aufhört. Unten im Tal bin ich trotz Regencape durchnässt. Autos versuche ich vergeblich anzuhalten.

Bis ein junger Mann hält. Er muss nach Kleinsee, wo wir eigentlich schon gleich sind. Sich dort auf einer Baustelle bewerben. Wie selbstverständlich fährt er mich nach Berka,  10 Kilometer weiter und dann auch noch ein Umweg wegen einer Strassensperre.  In einer knappen Stunde muss er zu seinem Bewerbungsgespräch in Kleinsee sein. Das schafft er noch gut, sagt er. Er kann nicht verstehen  dass die Deutschen jemanden im Regen stehen lassen.

So ist der Tag noch gut ausgegangen. Auch wenn ich leider das Vogelparadies Rhäden und die Wasserbüffel nicht gesehen habe.

 

Grenzsteine statt Wander-App

Immer am Wegesrand: Walderdbeeren

Früh am Sonntagmorgen über die Werra-Brücke. Ideales Wanderwetter. Meine App will auch nur werktags arbeiten, denn sie schickt mich einen Pfad hinauf, der kein Pfad ist, sondern eine durch Sturzbäche entstandene Rinne. Steil. Sehr steil. Plötzlich stehe ich in einem „deutschen Urwald“: dichtes grünes Blattwerk, feuchte Wärme und – ja wirklich! – ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher.

…oder Heidelbeeren

Ich kehre um, Schrittchen für Schrittchen den glitschigen Abhang hinunter,  und finde bald den richtigen Weg hinauf zur Thüringer Hütte. Der ist auch noch steil, aber gangbar. Oben angekommen, ist die Sicht fantastisch. In früheren Zeiten kamen bestimmt viele Philippstaler hierher. Wenn sie schon nicht nach Vacha konnten, so doch wenigstens aus der Ferne schauen, was sich so tut.

Mannshoher Farn

Kurz vor der Thüringer Hütte

Heute bin ich auch zum ersten Mal nicht allein. Sonntagsspaziergängerinnen mit Hunden , Radfahrer, Joggerinnen, Wandergruppen. Auch mal zur Abwechslung ganz nett. Ein schöner Weg durch den Wald, aber für mich am interessantesten sind die vielen Grenzsteine. Klar, ich wandere weiterhin an der Grenze lang. Aber hier steht fast alle 100 Meter ein Stein. Der alte Grenzweg ist schon seit 786 bezeugt als Hoha Strazza.  Erst ab dem Hochmittelalter verlagerte sich der Verkehr ins Werratal.

Grenzstein – ausnahmsweise mal umgefallen.

Dank Grenzsteinen und Markierungen des Grünen Bandes brauche ich meine Wander-App heute also nicht. Sie kann Pause machen. Überhaupt: Das Grüne Band Thüringen ist erstaunlich gut gekennzeichnet. Das war vor 3 Jahren in Franken – Sachsen -Thüringen noch ganz anders.

Höhenwege, Panorama, Kuhweiden, steile Auf- und Abgänge, heute habe ich alles. Und natürlich auch den Monte Kali, den zweiten, den bei Heringen.

Diese Kälbchen einer „glücklichen Kuhfamilie“ waren unter dem Zaun hindurch ausgerissen.

Ich streife auf meinem Weg Gasterode, ehemals eine größere Ansammlung von Gehöften. 1952 wurde Gasterode Sperrgebiet. Alle Häuservon den Familien, die geflüchtet waren, wurden abgerissen. 1974 isolierte man die Dagebliebenen  mit einem elektrischen Zaun total von der Außenwelt. Nur eine Familie hielt durch.

Eine schlimme Geschichte aus einem wundervollen Tal.

Tal von Gasterode

Ich sehe Dankmarshausen, mein Etappenziel, schon in der Ferne. Ebenso höre und sehe ich ein nahendes Wärmegewitter. Sicher die Straße durch die Ortschaften nehmen  oder Kolonnenweg durch die Wiese? Ich wähle die sichere Variante und bin irgendwann an der Werra. Jetzt nach 20 Kilometern ziemlich erschöpft. Der Gasthof in Dankmarshausen, wo ich genüsslich eine Apfelsaftschorle trinken will, hat „geschlossene Gesellschaft“. Im einsetzenden Nieselregen muss ich nochmals 15 Minuten gehen. Aber dann bekomme ich zu trinken, eine Dusche, gutes Essen und ein Bett.

 

 

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