Mein letzter Wandertag. Leider, denn eigentlich würde ich gerne noch einige Tage weiter laufen. Aber ich habe keine Wanderkarten mehr. Und nur die kleinen Kartenausschnitte im Wanderführer sind – wie sich herausgestellt hat – einfach nicht ausreichend.
Doch die letzten 22 Kilometer werden noch einmal sehr schön.
Von der ehemaligen Grenzübergangsstelle Rottenbach – Eisfeld wandere ich die Langen Berge hoch. Nein, es geht nicht sehr steil aufwärts. Das Maß aller Dinge war der Weg bei Meilschnitz, das „Alpe d’Huez“ des Kolonnenweg-Wanderers!
Heute laufe ich meistens durch Wiesen, Feldfluren, vorbei an Streuobstwiesen und Waldesrand. Es ist ein Hochsommertag.
Das Grüne Band ist hier sehr gepflegt, denke ich gerade, als ich in dieser absoluten Einsamkeit und Stille plötzlich Autogeräusche höre, die hinter mir immer näher kommen. Es ist Verena Volkmar vom Landschaftspflegeverband „Thüringer Grabfeld“ e.V. , der das Grüne Band in der Region pflegt schützt. Zusammen mit Landwirten, Schäfern und Schäferinnen erhält der Verein auf schonende Weise die Freifläche, bewahrt sie vor Verbuschung und bringt alle Betroffenen und Interessierte an einen Tisch, um sie in Planungs- und Umsetzungsprozesse einzubinden.
Verena Volkert kommt gerade von einer der Schäferinnen, die sie betreut. Jetzt will sie sich noch ein paar Stellen am Grünen Band anschauen. Man merkt sofort: Da ist jemand mit dem ganzen Herzen am Werk.
Ein paar Minuten später sehe ich rechts am Wegrand Kreuze. Hier, bei Harras, wurden 1975 zwei Grenzsoldaten von einem flüchtenden NVA-Angehörigen erschossen. Auch das ist passiert an dieser unmenschlichen Grenze.
Auf der Informationstafel werden die Grenzsicherungsanlagen detailliert beschrieben: „…Der Grenz- und Signalzaun stand unter Strom (ca. 60 Volt) und reagierte auf Berührung, welche auf 50 Meter genau lokalisiert werden konnte …“
Ich schaue mich um: Die Aussicht ist fantastisch. Diese Weite. Man schaut bis an den Horizont.
Was passiert mit Menschen, die jahrzehntelang eingeschlossen werden? Hier, wo es nur Natur und Landwirtschaft gab? Wie werden sie? Was treibt sie?
Mit festem Schritt laufe ich weiter. Grenzenlos wandern.
In Hetschbach verabschiede ich mich für dieses Jahr vom Kolonnenweg. 14 Tage war ich auf ihm unterwegs. Vergangenes Jahr bin ich in der Heimat gewandert. Dieses Jahr in einem mir unbekannten, ja fremden Teil Deutschlands. Das war eine gute Idee, die ich irgendwann an der Ostsee zu Ende bringen möchte.
In Bad Rodach beende ich meine diesjährige Etappe am Grünen Band. Das hat auch etwas: Ich bin sozusagen von Kurbad zu Kurbad gegangen – von Bad Elster nach Bad Rodach.
Dort geblieben sind ein einzelner Socken in Blankenberg, mein schöner Strohhut irgendwo an der Saale, nutzloses Mückenspray in Schalkau, mein löchriges Trägershirt am Ziel in Bad Rodach, Stress und die Hektik irgendwo auf dem Grünen Band.
Mitgebracht habe ich eine Unzahl von Bildern (im Kopf und auf dem Tablet), Erinnerungen an durchweg freundliche und hilfsbereite Menschen, die schon Auskunft geben wollen, bevor ich gefragt habe, oder die einen einfach so zum Kaffeetrinken einladen. Gelernt und erfahren habe ich vieles über die ehemalige innerdeutsche Grenze, was so niemand in einem Geschichtsbuch lernen kann.
Dafür ist mein Unverstädnis denjenigen gegenüber, die heute wieder Grenzen und Mauern errichten wollen, – ob in Europa oder in Amerika – noch einmal grösser geworden.
Klar ist mir mal wieder geworden, dass es Menschen gibt, die in Ruhehaltung ruhig werden, und solche, die durch Bewegung zur Ruhe kommen. Ich gehöre zur letzteren Gruppe.
Bis zur nächsten Wanderung.
Ich bin dann mal wieder da!