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Kategorie: Kurzwanderungen

Unter „Kurzwanderungen“ werden Beitrage zu lesen sein zu Wanderungen, die nur höchstens ein paar Tage dauern.

Ins schlesische Elysium

Ein Weihnachtspäckchen aus Berlin war der Anstoß: 2 Bücher über das Hirschberger Tal, dem schlesischen Elysium, eine  Landkarte und der Weihnachtswunsch, man könne doch 2022 gemeinsam einen Wanderurlaub dort verbringen.  Garniert wurde die Idee noch damit, dass man dann in einigen der dort als Hotels genutzten  Schlössern übernachten könne. Letzteres gab den Ausschlag, dass ich mit Schwägerin und Schwager im Spätsommer von Berlin über die polnische Grenze fahre.

Ich hatte vor Weihnachten 2021 noch nie etwas von diesem Tal in Niederschlesien gehört. Der Talkessel mit seinem namensgebenden Zentrum Jelina Gora (Hirschberg) wird flankiert vom Riesengebirge.

Das weckt einige wenige Assoziationen: Schneegebirge, Rübezahl….

Dass das Tal  die höchste Dichte an Schlössern, Herrenhäusern und Parks in Europa hat, war mir aber  unbekannt. Dabei ist diese mitteleuropäische Kulturlandschaftbereits im 18. Jahrhundert bereits ein Anziehungspunkt. Nachdem das bis dahin habsburgische Schlesien von Friedrich II eingenommen worden war,  baute zuerst der Adel, danach auch das reiche Bürgertum dort – bei den „Preußischen Alpen“ – seine hochherrschaftlichen Residenzen und Parklandschaften.  Und auch Künstler:innen entdeckten  das Tal alsbald: Natürlich war Goethe hier, aber auch E.T.A. Hoffmann, Alexander von Humboldt, Körner, Fontane, Caspar David Friedrich und, und, und. „Es ist der große Vorzug der schlesischen Bäder“, schreibt Josef Roth 1925, „dass sie jedes Bedürfnis an falscher und echter Romantik, an ‚Abgeschiedenheit ‚, an Bergen, Wald und Andacht befriedigen und noch viel für den verwöhnten Zivilisationsmenschen übrig haben“.

Und  noch ein Name ist mit dem Tal verbunden: Gerhart Hauptmann, der in Agnetendorf/Jagniatkow lebte und starb und der den schlesischen Webern ein literarisches Denkmal setzte.  Wobei wir bei denen wären, die das „siebentorige Theben“ bauten.  Der Reichtum der häufig bürgerlichen Schlossherren, der „Schleierherren“, der Kaufleute, die den Leinenstoff in ganz Europa vertrieben, der gründete auf einem System der Ausbeutung der „Häusler“, die das Garn herstellten und den Stoff webten, die beim Verkauf auf Gedeih und Verderb  abhängig waren von den Zwischenhändlern und den reichen Endabnehmern. Die zu allem noch den Weberzins an den Grundherrn zahlen mussten.

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben. (Heinrich Heine)

Ich bin gespannt – auf das Tal, auf das Riesengebirge, auf Schlösser und Kurbäder – und vielleicht auf eine Begegnung mit Rübezahl.

Palac Pakoszow – Schloss Wernersdorf

 

Detail aus dem Deckengemälde im Barocksaal: im Hintergrund das Schloss selbst, davor die Bleichwiesen. Statt Arbeiterinnen kümmern sich Putten um die Leintücher.

Wir übernachten heute in einem Schloss, das ehemals einem „Schleierherren“ gehörte, nachdem der es 1725 vom  Grafen Schaffgotsch abgekauft hatte: Palac Pakoszow/Schloss Wernersdorf.  Der neue Besitzer, der durch Tuchhandel reich gewordene Kaufmann Johann Martin Gottfried, ließ das Gebäude zu einem barocken Landsitz ausbauen, das sowohl Wohnhaus als auch „Produktionsstätte“ war: Im ersten Stock wohnte zeitweilig die Familie und lagen die Repräsentationsräume, im Erdgeschoß mit Gewölbedecken war die Bleiche untergebracht. Hier arbeiteten die Frauen,  um die angelieferten Leinenstoffe in Bottichen mit Wasser und Pottasche zu zu bleichen. Auf den weitläufigen Wiesen vor dem Haus wurden die Stoffe dann ausgebreitet und in der Sonne ständig mit Wasser aus dem Zackel  begossen. Dazu wurde eigens ein Kanal gebaut.Ihn gibt es noch heute. Auf den Wiesen vor dem Schloss liegen heute keine Tücher, mehr, sondern hier stehen weiße Formen für Bronzen eines Bresslauer Professors.

Bronzeformen, entworfen von einem Breslauer Professor, auf den Bleichwiesen.

Dort wo früher Arbeiterinnen geschuftet haben, befinden sich Rezeption und Restaurant eines Sterne-Hotels. Im ehemaligen barocken Festsaal mit seinen allegorischen Deckengemälden  finden Konzerte statt. Nur im etwas abseits gelegenen „Herrenraum“,  dessen 4 Wände mit Delfter Kacheln gefliest sind, wird nicht mehr geraucht.

Das Kachelkabinett mit wertvollen Delfter Fliesen ist auf Anfrage zu besichtigen.

Berühmtheiten waren im Schloss zu Gast, das bald nach seinem Besitzer und dessen Nachfolger die „Gottfried/Heßsche Bleiche“ hieß: der preußische König Friedrich II, Klopstock, John Q. Adams, späterer Präsident der Vereinigten Staaten.

Bis 1945 war das Schloss in Familienbesitz. 2004 kaufte der Enkel des letzten Bewohners, Hagen Georg Hartmann, die Wernersdorfer Bleiche aus polnische Privatbesitz und ließ  sie zu einem Hotel umbauen.

Burgwanderung zur emanzipierten Kunigunde

Unsere erste Wanderung geht zur Burgruine Chojnik/Kynast, ganz in der Nähe unseres Schlosshotels Wernersdorf. Die Burg ist der Stammsitz der Grafen Schaffgotsch. Sie waren eins der ältesten Adelsgeschlechter der Region, hatten seit dem 14. Jahrhundert großen politischen Einfluß weit über das Tal hinaus und  gehörten zudem zu den größten Grundbesitzern der Gegend. Überall im Hirschberger Tal treffen wir auf den Namen Schaffgotsch – als Besitzer von Schlössern, als Stifter, auf Grabsteinen….

Es führen zwei Wege von Sobieszów zur Burg, die hoch oben auf einem Granitfelsen thront und weit im Tal sichtbar ist. Der eine ist ein bequemer Spazierweg, der fast durchgängig mit Natursteinen gepflastert ist und stetig bergauf geht. Der andere führt als Direttissima zwischen Felsenblöcken sehr steil zum Ziel. Wir gehen bequem hoch und steil herunter. Nicht zur Nachahmung empfohlen. So oder so: Es geht durch herrlichen Buchenwald. Den gibt es noch – dank Friedrich II, der das Abholzen der Wälder reglementierte.

Oben auf der Burg findet wir alles, was wir uns unter Ritterleben so vorstellen: Burghof und Brunnen, Staupsäule, Zisterne, einen Wehrturm mit herrlicher Aussicht und natürlich eine Sage. Es ist die vom Burgfräulein Kunigunde, das nur denjenigen heiraten wollte, der mit dem Pferd eine Runde auf der Burgmauer drehen konnte ohne abzustürzen. Was für einige Tote und Schwerverletzte sorgte! Derjenige, den sie als einzigen halbwegs passabel fand, den sie sich sozusagen als Ehemann vorstellen konnte und der die  verlangte Runde auf der Mauer auch ohne Mühe auf die Reihe bekam, der hatte sich nur einen bösen Scherz mit ihr erlaubt. Er wollte ihr gegen alle „anständigen Männer“ gerichtetes, aus der Rolle fallendes Verhalten bloßstellen und ist einfach davongeritten. Kunigunde hat sich daraufhin von den Burgzinnen in den Tod gestürzt.

Damit war klar, wo der Platz von Frauen und Mädchen ist. Wo kämen wir denn hin, wenn die Frauen sich verweigerten und ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollten! Viel deutsche Dichter – von Bechstein über Theodor Körner bis zu Friedrich Rückert haben in ihren Märchensammlungen und Balladen dieses Frauenbild weitergegeben. Bis die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters in ihrem Gedicht „Auf dem Kynast“ bereits im19. Jahrhunderts eine andere Perspektive aufzeigte:

Und wo der andren Ritter Leichen lagen,
Da eilt ich selber mir das Grab zu betten –
Nun muß ich nächtlich umgehn noch und klagen
Und Flüche hören an den öden Stätten;
Und war es doch mein einziges Verbrechen,
Nicht ohne Lieb zur Sklavin mich zu machen! –
Das wollten nur die stolzen Männer rächen,
Das ist’s, was sie noch heut an mir verlachen!«

Das ist’s rief ich, das wird noch heut beschworen –
Wir sind ja nichts – sie sind die Herrn der Welt.
Es wird das Weib zur Sklavin nur geboren.
So heißt der Spruch, das Urteil ist gefällt.
Und weh dem Weibe, das sich kühn vermessen
Und wo es liebt, sich liebend zu ergeben,
Das nennt man thöricht nennt man pflichtvergessen,
Nie fehlt die Hand den ersten Stein zu heben.

Und weh dem Weibe, das sich kühn erhoben
Und frei nach einem andern Ziele strebt,
An einem andern Altar zu geloben
Ein höhres Fühlen, das sein Herz durchbebt.
Und weh dem Weibe, das mit festen Schritten
Sich ob der Knechtschaft Schranken stolz erhebt –
Ich weiß es, was ein solches Weib gelitten –
Ich weiß auch: nicht umsonst hat es gelebt.

„Auf zum Kynast“ von Louise Otto-Peters (1850)

Die Wolken hingen vom Gebirge nieder
Gespenstig ziehend um den finstern Wald,
Dampfende Nebel dehnten Riesenglieder
In grau und schwarz mit seltsamer Gestalt;
Doch hob sich draus auf waldumkränzter Höhe
Die alte Veste stolz und kühn hervor,
Daß sie die Wolken sich zu Füßen sehe
Als Weihrauch sie des Nebels Ziehn erkor.

Und durch die Nebel schritt ich ihr entgegen
Und durch die Wolken eilte ich ihr zu
Auf feuchten moosbedeckten Waldeswegen
Zu des Gebirges stiller Totenruh.
Bald klomm ich zu des Kynast höchstem Walle
Und ließ die Blicke schweifen in die Runde –
Da fuhr ich auf von eines Seufzers Schalle
Und vor mir stand sie – Fräulein Kunigunde

»Viel Ritter kamen einst um mich zu werben,
Weil meine Schönheit, weil mein Gold sie zog;
Ich aber wollt als freie Jungfrau sterben,
Wenn nicht die Lieb mir mehr als Freiheit wog
Drum sann ich, mich der Werber zu entschlagen,
Ein listiges ein finstres Mittel aus –
Sein Leben dacht ich würde keiner wagen,
Für mich nicht wagen einen blut’gen Strauß.

Doch kamen sie um Ruhm sich zu erringen,
Den Ritt zu wagen um des Walles Ring.
Doch konnte keinem je die That gelingen
Und einer nach dem andern unterging.
Da kam der eine, der mein Herz bezwungen,
Daß es für ihn in heißer Liebe schlug
Ich rief und hielt sein Knie ihm fest umschlungen
»Hier meine Hand – Halt ein! es ist genug!«

Er aber stieß mich fort und sprengt zum Rande
Und ihm gelang der unheilvolle Ritt –
Dann höhnt er mich, »Das that ich dir zur Schande,
Zur Rache jedem, der hier Tod erlitt!«
Im Zorne schön noch wie ein Rachegott,
So sprach er es mit heldenstolzen Trieben –
Da trug ich still der Andern Hohn und Spott,
Doch trug ich nimmer das verratne Lieben!

Und wo der andren Ritter Leichen lagen,
Da eilt ich selber mir das Grab zu betten –
Nun muß ich nächtlich umgehn noch und klagen
Und Flüche hören an den öden Stätten;
Und war es doch mein einziges Verbrechen,
Nicht ohne Lieb zur Sklavin mich zu machen! –
Das wollten nur die stolzen Männer rächen,
Das ist’s, was sie noch heut an mir verlachen!«

Das ist’s rief ich, das wird noch heut beschworen –
Wir sind ja nichts – sie sind die Herrn der Welt.
Es wird das Weib zur Sklavin nur geboren.
So heißt der Spruch, das Urteil ist gefällt.
Und weh dem Weibe, das sich kühn vermessen
Und wo es liebt, sich liebend zu ergeben,
Das nennt man thöricht nennt man pflichtvergessen,
Nie fehlt die Hand den ersten Stein zu heben.

Und weh dem Weibe, das sich kühn erhoben
Und frei nach einem andern Ziele strebt,
An einem andern Altar zu geloben
Ein höhres Fühlen, das sein Herz durchbebt.
Und weh dem Weibe, das mit festen Schritten
Sich ob der Knechtschaft Schranken stolz erhebt –
Ich weiß es, was ein solches Weib gelitten –
Ich weiß auch: nicht umsonst hat es gelebt.
Louise Otto-Peters

 

Prunkvoll oder pompös?

Wer in eine Gerhart-Hauptmann-Schule gegangen ist und wer in einer Gerhart-Hauptmann-Strasse wohnt, der hat gewissermaßen die moralische Pflicht, nach Jagniatkow/Agnetendorf zu fahren, wo, etwas außerhalb,  die Villa Wiesenstein steht, in der der Gerhart-Hauptmann  jahrelang mit seiner zweiten Frau gelebt hat und wo er auch 1946 gestorben ist.

Wir fahren nicht nur aus Pflichtbewusstsein hin, sondern aus Neigung.

Eine schmale Serpentinenstrasse führt hoch zur Villa. Ganz im Gegensatz zur Unscheinbarkeit des Strässchens erscheint  das Dichterhaus auf einer kleinen Anhöhe: Prunkvoll, fast pompös mutet es an, und passt gar nicht zu den Sujets des Dichters wie den Webern oder dem Hannele.

Es ist eine „Burg zu Schutz und Trutz“ (Hauptmann), in die der in Niederschlesien geborene Dichterfürst 1901 einzog, nachdem er das Grundstück 1899 gekauft hatte. Die Villa war wohl imposanter Repäsentationsbau und Rückzugsort zugleich.

Heute ist sie ein Museum. Und wir sind eigentlich nachmittags am Ruhetag dort. Doch die Toreinfahrt steht offen und als wir an der Haustür klingeln, können wir ohne Probleme eintreten. Polnische Gastfreundschaft.

Bis in den letzten Winkel bemalt: die Wände der Paradieshalle

Es ist die Halle über 2 Etagen, die sprachlos macht: Der Grafiker und Maler Johannes Maximilian Avenarius hat sie mit seinem Assistenten  Ernst Paul Weise in  fast 9 Monaten ausgemalt. Szenen aus Hauptmanns Werk,  biographische Elemente, biblische Motive, Pflanzenornamentik, Landschaften des Riesengebirges alles verwebt sich in- und übereinander in einem Rausch von Farben. Es ist die „Paradieshalle“.

Detailausschnitt: Engel leiten die Weber in den Himmel.

Übrigens: Bezahlt hat Hauptmann die Ausgestaltung nicht. Das übernahm sein Mäzen Max Pinkus, ein schlesisch-jüdischer Unternehmer, als Geburtstagsgeschenk zum 60. Geburtstag des Dichters.

Kopf einer modernen Skulptur des „Hannele“, die im Park der Villa Wiesenstein“ steht.

 

Barockes Bad Warmbronn

Musizierender Engel an der Orgel der Erlöserkirche.

Die nächsten beiden Tage sind mehr Stadt-, Park- und Architekturspaziergänge statt Wanderungen in der puren Natur. Trotzdem brennen abends die Füße, denn es ist anstrengend.

Wir fahren nach einem letzten Frühstück in Schloss Wernersdorf nach Cieplice/ Bad Warmbronn. Das dauert, obwohl die Entfernung nur einige Kilomter beträgt. Irgendwie sind wir noch nicht richtig vetraut mit den polnischen Ortsnamen und Hinweisschildern. Aber irgendwann gelingt es uns doch, am Rande des historischen Zentrums der Kleinstadt zu parken.

Bad Warmbronn hat alles, was ein Kurstädtchen ausmacht: warme Quellen, einen großen  Kurpark mit altem Baumbestand, Trinkbrunnen, eine Therme, Kurgäste, die Heilung suchen – und natürlich das passende Ambiente mit  Barock- und Klassizismusbauten. Hier läßt sich gut flanieren, in einer Schokoladerie Köstlichkeiten probieren, in der Sonne sitzen.

Fußgängerzone mit Schloss.

Was mich beeindruckt : Das Schloss, das mit einer über 80 Meter langen Fassade und unzähligen Fensterachsen so harmonisch gegliedert und bis ins letzte Detail wahrhaft baumeisterlich durchdacht ist.  Das Schaffgottsche Palais – der Adelsname ist hier allgegenwärtig – am Übergang zwischen Barock und Klassizismus, war bis 1945 im Besitz des Grafen.  Ich bin eine Befürworterin moderner Architektur, aber vor solch meisterlicher Baukunst des ausgehenden 18. Jahrhunderts  kann ich nur den Hut ziehen.

Der Innenraum der evangelischen Erlöserkirche.

Und auch ein sakrales Meisterstück fasziniert: die Erlöserkirche am Ende der langen und gepflegten Fußgängerzone. Sie ist ein seltenes Beispel evangelischen Barocks, das Innere ganz in weiß  und gold, die Orgel hinter dem Altar mit musizierenden Putten und Engeln bevölkert.

Katholizismus und Protestantismus, in Niederschlesien war das in der Geschichte ein ständiges Wechselbad. Nach dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden wurden viele lutheranische Prediger des Landes vertrieben, evangelische Kirchen durften lange Zeit nur noch in Einzelfällen betrieben werden.  Die Städte im Hirschberger Tal sollten rekatholiziert werden, und so demonstrierte der Barockkatholizismus nicht  nur im Kircheninnern seine Pracht und Herrlichkeit, sondern verkündete auch „auf der Strasse“ den Sieg des Katholizismus: Heiligenbilder, Kreuze,  Martersäulen wehrten das Böse ab.  Die Landschaft wurde „sakralisiert“.  Auch in Bad Warmbrunn.

Katholizismus auf der Straße.

Neorenaissance trifft Sansibar in Schlesien

Oberhalb von Jelina Gorina/Hirschberg liegt unser zweites Übernachtungsschloss: Palac Paulinum. Nach dem hellen, lichtdurchfluteten Wernersdorf ist der Neorenaissance-Bau ein anderes Kaliber. Wuchtig trohnt er auf einem Hügel, umgeben von einer Parklandschaft, deren Bäume und Sträucher sich das von Menschen gemachte „Kunstvolle“ schon wieder einverleibt haben. Der düstere Charakter wird verstärkt durch den wolkenverhangenen Himmel über uns. Auch innen überwiegt zuerst das Trutzige  durch die Holzvertäfelungen, die schweren – alten –  Möbel und die dunklen Tapeten. Doch da sind auf allen Tischen bunt gemusterte Decken, die ich aus Afrika kenne. Und tatsächlich: Der Direktor (!) des Hotels lebt auf Sansibar und kommt nur ein paarmal im Jahr ins Schloss.  Aus Sansibar bringt er wohl auch Rezepte mit, die auf der Speisekarte des Hotels stehen und die durchaus zu empfehlen sind.

Das Haus selbst hat ein Hirschberger Fabrikbesitzer gebaut. Seine Erben verkauften es 1933 an die Deutsche Arbeiterfront. Im Krieg dann wurden Kunstgegenstände aus hauptsächlich Berliner Museen dort wie auch in anderen Schlössern der Region gelagert. Nicht umsonst wurde das Hirschberger Tal als „Reichsluftschutzbunker“ bezeichnet.

Nach dem Krieg wurde das Paulinum  zu einem der größten Lager geraubter und wiedergefundener polnischer Kunstschätze. Später war es Offizierskasino der polnischen Armee. Nach einem Brand und dem Wiederaufbau wurde es 2002 von einer eigens gegründeten  Paulinum-Gesellschaft renoviert und zu einem Hotel umgestaltet.

 

Erkundungen mit dem Navi in der Hand

Weil der Tag nach dem Besuch von Bad Warmbronn und dem Einchecken ins Paulinum noch die Gelegenheit bietet, machen wir eine Erkundungswanderung durch den Wald in der Umgebung mit dem Navi in der Hand. Wir wundern uns, wie grün hier alles ist und wie – relativ – gesund der Mischwald uns Laien erscheint.

Das Zentrum: Hirschberg

 

Hirschberg ist eine sehr alte, aber trotzdem quirlige Stadt, das „pulsierende Herz des Hirschberger Tals“ (Christopher Schmidt-Münzberg. In: das Hirschberger Tal einst und jetzt. Görlitz 2019).  Die Altstadt wird durch den sogenannten Ring geprägt, ein rechteckiger großer Platz, der vom Rathaus dominiert ist. Wir schlendern an prächtigen  Patrizierhäusern vorbei – die meisten sind allerdings nur noch Fassade. Die Laubengänge erinnern an spanische mittelalterliche Städtchen, wie überhaupt die vielen Cafés und  Restaurants mit ihrer Aussenbestuhlung südländisches Flair ausstrahlen. Wären da nicht Hirsche und natürlich die Figur des Rübezahl  in immer neuen Varianten im Stadtbild, mal als Fahne, als moderne Skulptur oder als alte Schnitzerei.

Sie machen klar, dass wir am Fuß des Riesengebirges sind.  Am meisten beeindruckt hat mich das geschnitzte Geländer im Rathaus, das, sehr kunstfertig mit viel Liebe fürs Detail ausgearbeitet, Szenen aus Rübezahls Sagenwelt aufgreift.

Übrigens: Die so romantischen Laubengänge bei den Patrizierhäusern erzählen  noch eine andere Geschichte: Sie waren nämlich auch Marktstände. Es gab die Butterlauben, die Korn-, die Garn- und die Tuchlauben. Der „Schleierherr“ saß auf einem hölzernen Thron, die Weber legten ihm ihre Ware zur Begutachtung vor. Gefiel das Leinen, wurde es sofort mit einem Kohlekreuz gekennzeichnet.  Erst dann begann die Verkaufsverhandlung. Der Weber hatte keine Chance mehr, denn der Stoff war praktisch unverkäuflich gemacht worden. Er erhielt einen geringen Preis für die Ware, die dann vom Kaufherrn veredelt und teuer verkauft wurde.

Vom Reichtum der Hirschberger Kaufleute zeugen  deren Grabkapellen um die Gnadenkirche. Die wiederum berichtet von Konfessionskonflikten- und kulturen: In den kriegswilden Zeiten auch nach dem Westfälischen Frieden kam es 1707 zu der Altranstädter Konvention zwischen dem schwedischen König Karl XII, der durch Schlesien marschierte, und dem Habsburger Kaiser Josef I. Der Kaiser gestattete darin den Protestanten „aus Gnade“ 6 Kirchen in Schlesien zu errichten, darunter eine in Hirschberg. Sie musste außerhalb der Stadtmauer gelegen sein, durfte keinen Turm besitzen und die Hirschberger Kaufleute mussten Tausende von Gulden an die Hofkasse und weitere „Dankgeschenke“ für Beamte aufbringen.

Die Kirche wurde dann von der Aussenarchitektur eine Kopie der Katharinenkirche in Stockholm als Referenz an den schwedischen Protestantismus. Innen verneigt sie sich notgedrungen auch vor der habsburgischen Macht. So findet sich am Altar das kaiserliche Wappen, und eine weibliche Figur hält das Kaiserzepter in den Händen.  Kompromisse waren damals das Gebot der Stunde.

Wir spazieren durch die ganze Innenstadt, entdecken neben Barock- und Klassizismusbauten auch einige sehr schöne Jugendstilhäuser – und verschaffen uns einen guten Überblick von einem Aussichtsturm etwas außerhalb des Innenstadtbereichs.

Hirschberg ist einen Besuch wert. Und wer mehr erfahren will, findet dies in Herzig und Schmidt-Münzer: Das Hirschberger Tal einst und jetzt. Görlitz 2019.

Tirol in Schlesien

 

Da taucht doch plötzlich bei Erdmannsdorf und der ehemaligen Sommerresidenz der preußischen Könige im neugotischen Stil, ein alpenlädisches Tiroler Bauernhaus auf. So wie man es sich vorstellt – aus Holz und mit umlaufender Galerie. Kurios. Wieder steckt die Religion dahinter. In den 1830er Jahren wurden protestantische Tiroler im Zillertal vor die Wahl gestellt, entweder zum Katholizismus zu konvertieren oder die Heimat zu verlassen, Wilhelm III bot den Zillertalern eine neue Heimat in Erdmannsdorf. Und so entstand um das preußische Schloss eine kleine Kolonie Tiroler Häuser. Sie sind weniger oder mehr gut erhalten, einige sind bewohnt.

Eine Wikinger-Kirche im Riesengebirge

Wir sind am Fuße des Riesengebirges angekommen, wo wir in Karpacz/Krummhügel die beiden letzten Nächte unserer Tour durchs schlesische Elysium verbringen werden. Der Ort war schon sehr früh beliebtes Ziel naturhungriger Städter und Städterinnen, vor allem, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die schlesische Gebirgsbahn Berlin mit Krummhübel direkt verband. Der Ort wurde zum Wintersport und zur  Sommerfrische. Theodor Fontane schrieb hier den Roman Quitt, der auf einer wahren Kriminalgeschichte aus dem Ort beruht.

Heute ist Karpacz/Krummhügel einer jener Orte, die es überall in Gebirgsregionen gibt: mit  Ferienhausanlagen und Hotelklötzen, mit Souvenirständen, einer Ski-Arena, Pommes- und Dönerbuden. Einige schöne alte Villen und – ehemalige – Hotels findet man zwischen Schnellrestaurants und Kinderbelustigungen. Es ist noch viel los Anfang Septemer. Wie schön, dass wir etwas am Rand von Karpacz übernachten. Hier ist es ruhig.

Wir beschließen, zur Kirche Wang zu laufen, die auf 800 Meter Höhe über dem Ort liegt. Wieder so eine Kuriosität in Niederschlesien, denn die Stabkirche stammt aus Norwegen aus dem 12. Jahrhundert, wo sie in Vang in den 40er Jahren des 19. Jahrunderts abgerissen werden sollte.  Ein norwegischer Maler, der in Dresden lebte, wollte verhindern, dass das Kleinod aus der Wikingerzeit zerstört wird. Er schaffte es, dass der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV  die Kirche kaufte. In Einzelteile zerlegt, wurde das alte Stück  nach Berlin transportiert,  wo es auf der Pfaueninsel wieder aufgebaut werden sollte. Diese Idee wurde aber nicht umgesetzt. So landete die wunderschöne Holzkirche schließlich auf Initiative einer Gräfin am Fuß  der Schneekoppe.  Irgendwie passt sie in die Landschaft, und wirkt doch geheimnisvoll: Im reich geschnitzten Inneren lebt die Tradition der Wikinger. Und deren ornamentale Schnitzkunst wiederum erinnert an arabische  Arabesken und Bögen. Das alles zusammen in einer christlichen Kirche hat etwas Versöhnliches.

Wer wie wir zur Kirche wandern will, braucht etwas Kondition. Zuerst geht es noch sanft ansteigend an der Lomnitza entlang, aber dann schwitzt man schnaufend die Strasse in engen steilen Kehren hoch. Es lohnt die Mühe.

Mit Rübezahl auf der Schneekoppe

 

Wir wollen auf die Schneekoppe, den höchsten Berg des Riesengebirges mit etwas über 1 600 m.
Die Schneekoppe, der Name hat für mich schon immer etwas Mythisches gehabt. Das ist das Reich von Rübezahl, der hier sein Unwesen oder, je nach Laune, seinen Schabernack treibt. Oder aber auch sein gutes Herz zeigt und einem armen Menschen einen Goldklumpen schenkt. Carl Hauptmann, der fast vergessene ältere Bruder des Nobelpreisträgers Gerhart, hat ein wunderbares Rübezahlbuch geschrieben, das im Gutenberg-Projekt auch online zur Verfügung steht!


In einer Einführung zu neun gesammelten und niedergeschrieben Rübezahl-Abenteuern reflektiert er: „Rübezahl erscheint seit Urzeiten in tausend lebendigen und toten Gestalten. Er entwischt durch die Lüfte wie der Sturmreiter, nachdem er noch kaum als starrer Steinklotz am Wege gestanden. Und er entwischt durch die Stubenritze wie eine rote Maus, und hat noch eben beim Tanze in der einsamen Baude mit der Wirtstochter Kapriolen geschlagen und aus rostiger Kehle gejohlt und gejodelt. Auch »alt« und »jung« sind für ihn keine Namen. Das Geheimnis ist, daß kein Mensch je sagen kann, was der Geist der Berge eigentlich ist…
Freilich weiß auch der Mensch von sich selber nicht, was er eigentlich ist?
Auch der Mensch macht ewig Verwandlungen durch. Einmal ist er ein kleines Wickelkind an der Mutterbrust, das nur seltsame Käuzchenschreie tut und wimmert. Dann wieder, wenn es zufällig ein Knabe ist, muß er als ausgescholtener Schulbube im Winkel heimlich gegen das harte Menschenschicksal räsonieren. Oder liegt als frischer, junger Försterbursche, von Wildschützen schwer angeschossen, im einsamsten Sommerwalde, fast verdürstend und muß sich mit den Fingern im Waldgras bis zum Bache krallen, um zu trinken. Derselbe kann noch als alter, weiser, mächtiger Grünrock durch die Welt gehen. Und jedenfalls hat schon mancher Mann, der vorher ein kühner Weltkaiser war, im kostbaren Brokatstuhl als ein kranker, jämmerlicher, armer Schlucker sitzen müssen, dem sein Grab geschaufelt vor der Nase lag.
Dabei ist Versteckenspiel genug.
Und vielleicht wird man eine Ewigkeit brauchen, um auch hier ganz dahinter zu kommen“.
Vom Riesengebirge selbst glaubt Hauptmann, dass es in seiner „gedehnten Erdwucht und seiner ewigen Frühlingsfruchtbarkeit selber die verzauberte Riesentochter ist, die weithin in alle Lande sichtbar unter dem hellen Sommerhimmel aufragt…“.


Und tatsächlich ist es keine schroffe Gebirgslandschaft, sondern es sind hohe, gerundete Kuppen, die sich weithin ins Land dehnen und mit etwas Fantasie an einen liegenden, barocken Frauenkörper erinnern.
Die Schneekoppe kann man auf drei Wegen mit je unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad erwandern. Oder man nimmt im unteren Teil eine Sesselbahn.

Die Schneekoppe ist auch ein Zwei-Länder-Berg: Hier die Sicht nach Tschechien.

 

Ich nehme den leichten Weg, der sanft in Serpentinen ansteigt. Links und rechts rückt der Wald recht nah. Überall sprudeln und gurgeln Gebirgsbäche. Pilze wachsen im Unterholz und die Beeren der Eberesche leuchten rot. Bis dann der Wald lichter und niedriger, der Weg breiter und für Spaziergänger*innen geeigneter wird. Schon bin ich auf der ersten Baude, an der sich mehrere Wanderwege treffen. Von hier aus geht es, mit zunehmend mehr Menschen, auf einer Hochebene über einen gepflasterten Weg bis zur Baude unterhalb der Kuppe. Dann heisst es nochmal steil 200 Höhenmeter hoch. Aber stürzen kann hier niemand, denn neben einer exzellenten Kettensicherung drängen au h Menschenmassen zum Gipfel. Würde man stolpern, würde man weich fallen.
Oben ist es kalt mit herrlicher Aussicht. Es war eine gute Entscheidung, hochzuladen.

 

Schlösser von Schinkel und Co

Schloß Lomnica, Teil des Gesamtensembles

Das letzte Mal, dass ich eine Region mit einer solchen Schloßdichte gesehen habe, war bei einem Besuch an der Loire. Man kann im Hirschberger Tal tatsächlich jeden Tag ein paar Schlösser besichtigen, die von Schinkel und Co geschaffen wurden und deren Parks von Lenée und anderen Parkgestaltern für die damals Reichen, Schönen und Adligen angelegt worden sind. In Schloss Lomnica wollten wir ursprünglich übernachten, aber leider war das Hotel im ehemaligen „Witwenbau“ ausgebucht.   Das Palac ist ein ganzes Ensemble aus Schlössern, Park und Gutshof. Dort haben wir gegessen und in einem Leinenladen gestöbert.

Oder Schloss von Miłków (Arnsdorf) , in dem zwar Bier gebraut wird, das aber doch enge Beziehungen zum Rheingau hat: 1837 wurde es Residenz des Grafen Bernhard von Matuschka, Verfasser eines Kräuterhandbuches mit der Beschreibung der schlesischen Pflanzenwelt. Die Vorbesitzerin war übrigens auch eine interessante Frau: Gräfin von Lodron, die auf der Suche nach einem Unsterblichkeitselexier im Schloß experimentierte. Ihr Grab ist bis heute nicht gefunden worden, das Rezept ist aber auch verloren gegangen.

Bekannt ist das Palac Staniscow in Deutschland eher unter dem Namen Stonsdorf. Natürlich kaufen wir dort den Kräuterlikor, der übrigens viel frischer und fruchtiger schneckt als den , den ich bisher in Deutschland getrunken habe. Auch dieses Schloß ist zu einem Hotel umgebaut worden mit Wellness und Spa.

 

Schloß Milkow gehörte einst einem Grafen Matuschka.

Schloß Staniscow

 

 

Einer von mehreren Speiseräumen in Schloß Staniscow

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