Reisen

Kategorie: Deutschland (Seite 9 von 10)

Im Elmsteiner Tal

Am Morgen um 7:00 Uhr regnet es. Das erste Mal tagsüber seit Beginn meiner Wanderung. Es prasselt auf das Dach der Terrasse im Frankenecker Gasthof. Nach dem Frühstück nieselt es nur noch, und ich entschließe mich aufzubrechen. Ich habe ja Huberts Regencape.
Die Wirtin zeichnet mir genau auf, wie ich von Frankeneck wieder auf die Route mit dem gelben Kreuz komme, die nach Johanniskreuz führt. Das ist gleichzeitig die Nordroute des Jakobsweges durch die Pfalz. Auf diesem Weg komme ich dann bis Vogelbach.


Es ist gar nicht so einfach, von den kleinen Örtchen am Beginn des Elmsteiner Tals hoch auf die Route zu kommen. Man muss die Straße queren, die Gleise vom „Kuckucksbähnel“ (fährt nur an Sonn- und Feiertagen, keine Gefahr), den Speyerbach und dann noch den Hang hoch kraxeln.
Aber es klappt auch im Nieselregen und oben im Wald hält das Laubdach die Nässe etwas ab. Auch schön, im Regen durch den Pfälzer Wald zu gehen. Solange es nicht schüttet. Das Grün ist noch fetter, die Farbe des Sandsteins noch intensiver. Und die Nebelschwaden an den bewaldeten Bergrücken haben auch ihren Reiz.


Es geht ziemlich bequem immer am Speyerbach und am Bähnel entlang, mal höher oben, mal fast direkt am Wasser. Das enge Elmsteiner Tal ist wildromantisch.
Ich komme rasch vorwärts. Das liegt auch daran, dass der Weg schnörkelloser ist als der Weinsteig.

Ritterburgruinen. Auf der einen Talseite Erlenstein, auf der anderen Spangenberg. Wegzoll muss ich nicht zahlen. Im Gegenteil: Der Himmel wird heller, die Sonne kommt, der Regen lässt nach. Beim der Forstwirtschaft Breitenstein (geschlossen) mache ich eine Pause.

Ein lebendiges Wildschwein habe ich noch nicht getroffen. Diese aus Bundsandstein am Breitenbacher Forsthaus  ist mir auch lieber.

Mir fällt auf, dass die Natur hier weiter zurück ist als in der Rheinebene: Die Brombeeren sind noch grün. Ja, das Klima ist rauer im Pfälzer Wald.
Vor Appenthal muss ich kurz die Straßenseite wechseln, um dann durch eine kleine Unterführung (Gleise) und eine Brücke (Bach) wieder zu rotieren. Das Tal macht hier einen Knick und wird noch enger als bisher.
Dann kommt schon Appenthal. Dahinter liegt Harzofen, wo das Naturfreundehaus ist. Wo sind nur die 15 Kilometer geblieben? Wie hat die Wirtin gesagt: “DEN Weesch no Elmstein find e Blinder. Den findscht a Du!“
Nur bin ich mittlerweile wieder weiter oben am Hang, und es stellt sich die Frage: Wie komme ich in den Ort? Auf der Landstraße geht es nicht, denn da ist eine S-Kurve ohne Randstreifen.

Das „Kuckucksbähnel“ fährt nur an Sonn- und Feiertagen.

Ich gehe also einfach auf den Gleisen und finde dann einen Pfad in den um die Mittagszeit ausgestorbenen Ort. Das kenne ich ja schon!
Zum Naturfreundehaus ist es nicht so weit wie ich dachte, so dass ich meine Etappe früh am Mittag beende. Mit einem starken Kaffee im Sonnenschein der Terrasse des Naturfreundehauses.

Und dann kommt das Gewitter. Und die Information, dass es morgen den ganzen Tag regnen soll. Na, dann gute Nacht! So dicht ist das Cape von Hubert nun auch wieder nicht.

 

Tristesse in Frankeneck

Frankeneck, meine Logis für die Nacht, ist anders als die bisherigen adretten Weinorte, durch die ich gekommen bin. Früher bestimmt ein ganz lebendiges Örtchen kurz hinter Lambrecht, das erst vom Holzmachen, dann von der Papierindustrie lebte, ist es heute in einen Dämmerschlaf gefallen, den – so fürchte ich – kein Prinz wieder wegküssen kann. Putz blättert an vielen Häusern, Immobilien stehen zum Verkauf, auch bei Sonnenschein spürt man die Tristesse. Meine Unterkunft liegt direkt an der Straße ins Elmsteiner Tal. Trotz Fahrverbot für Motorräder in der engen, kurvenreichen Straße röhren sonntags die Maschinen. Es gibt zu viele Ausnahmegenehmigungen, sagt meine Wirtin.
Gegenüber dem Gasthof steht die Papierfabrik von Frankeneck. Wenige Menschen arbeiten hier noch. Im Schichtbetrieb. Das meiste ist automatisiert. Zigarettenpapier wird hergestellt. Tagsüber hört man den Fabrikationslärm. Rhythmisches Gezische. Dampf steigt ständig auf. Es muss heiß sein in der neuen Halle, die die Straße mit ihrer Hässlichkeit beherrscht und alles Schöne, was vielleicht mal war, arrogant niedergedrückt hat. Selbst der Wald, der gleich hinter der Fabrik beginnt, kann hier nichts mehr wett machen.

Blick von der Terrasse des Gasthofs auf den nicht ganz so hässlichen Teil der Fabrik. Die Halle schließt sich daran an.

Der Gasthof hatte wohl auch schon bessere Zeiten erlebt. 700 Quadratmeter Wohn- und Schankfläche verantwortet die Wirtin: Ein großer Gastraum, eine ebenso große überdachte Terrasse mit Blick direkt auf die Fabrik, Treppen und Stiegen, die in die Privat- und Gästezimmer führen. Alles ist reinlich und sauber. Die Küche blinkt. Überall Pflanzen, echte und künstliche. Letztere bevorzugt als Drapage um Spiegel und Lampen. Kleine und große Figürchen, wo man hinschaut. Landschaftsbilder. Über meinem Zimmer mit Möbeln aus den 50er Jahren hängt eine Dolomitenlandschaft. Wie bei Oma. Bunte Teppiche. Kachelöfen. Alles mit wenig Sonnenlicht.
Die Wirtin ist einem Theaterstück von Brecht und entsprungen. Klein, drahtig, um die 60, kluge, warme Augen, kehliges Lachen. Es klingt so, als habe sie die Welt und sich durchschaut. Sie bewirtschaftet das ganze Haus allein.
Ich bin der einzige Gast. Ein älteres Ehepaar war zum Essen hier.
Jetzt sitzen die Wirtin und ich auf der Terrasse und erzählen uns das Leben bei Schorle und Zigaretten. Zwei so unterschiedliche Biographien: Die eine ziemlich geradlinig, fast leicht – bis auf den einen Bruch; die andere mit so vielen Sackgassen, Rückschlägen, Verletzungen, gebrochenen Bildungswegen.
Und doch. Die Wirtin sagt: „Ich han viel gelernt im Lewe.“ Lacht ihr kehliges Lachen, das ein bisschen dreckig ist und trotzig. Mutter Courage eben.
Trotz aller Tristesse: Ich habe mich wohl gefühlt in dem Gasthaus in Frankeneck.

 

Über den Geissbockweg mit „Silberlocke“ und Annette

Kurz nach 8:00 Uhr am Sonntag morgen kommen Jürgen und Annette in Deidesheim an. Gestern noch haben sie dem Sohn bis spät abends beim Umzug geholfen, heute sind sie fast noch in der Nacht zu mir aufgebrochen, um rechtzeitig in Deidesheim zu sein. Wir frühstücken zusammen, dann geht es los: Über den Geissbockweg nach Lambrecht.

Das ist ein historischer Weg, den die Menschen der Gegend schon im 15. Jahrhundert gegangen sind. Die Lambrechter hatten Weiderechte von den Deidesheimern erhalten, und zahlten immer am Pfingstdienstag ihre Pacht: einen „gut gehörnten und wohl bebeutelten“ Ziegenbock. Das jüngste Brautpaar musste das Tier zu Sonnenaufgang an der Waldgrenze bei Deidesheim abliefern. Klar, dass es von vielen Lambrechtern begleitet worden ist, und ebenso klar, dass die Deidesheimer auch im Pulk zur Übernahme kamen. Der Bock wurde dann versteigert, um die Stadtkasse aufzufüllen.

Wie man sich denken kann, gab es um den Bock schnell Streitigkeiten, weil es im Blickwinkel des jeweiligen Betrachters liegt, ob ein Ziegenbock „gut gehörnt und wohl gebeutelt“ ist. 1808 musste sogar Napoleon (die Pfalz war zu dieser Zeit französisch) als Schlichter dienen, weil die Deidesheimer so unzufrieden mit dem Aussehen der gelieferten Ware waren. (Steht alles sehr ausführlich auf Wikipedia). Das muss man sich mal vorstellen: Der grosse Feldherr erobert gerade Spanien und beurteilt gleichzeitig die Güte des Bocks in der Pfalz! Aber Napoleon war ja für sein Multitasking bekannt.

Aber zurück zum Wandern.

Per Zufall bin ich bei den Vorbereitungen auf diese Tour gestoßen. Sie geht zwar steil hoch bis zum Weissen Stich (472 Meter), dafür spart sie mir aber eine zusätzlich Etappe bis Neustadt.
Wir gehen den Weg umgekehrt, also von Deidesheim nach Lambrecht. Vielleicht liegt es daran, dass wir eine Zeitlang brauchen, bis wir den „Geissbock“ gefunden haben. Wir müssen durch Deidesheim durch – dem Pfälzer Weinsteig folgend. Am Mühlenparkplatz zweigt dann der Weg rechts ab, was aber leicht zu übersehen ist, weil zum einen der Parkplatz kein richtiger Parkplatz ist und zum anderen sich dort noch keine Markierung findet. Jedenfalls keine für uns sichtbare. Deshalb ist man schnell oben am Pfalzblick mit einem weiteren Parkplatz. Für diejenigen, die diesen sehr empfehlenswerten alten Weg auch gehen wollen: An der grossen Hinweistafel zweigt er vom Weinsteig ab.
Wer wie wir trotzdem zum Pfalzblick geht, der hält sich dann auf dem breiten Forstweg, der halbrechts hoch geht. Nach einer Weile liegt ein paar Meter unterhalb die Waldschenke, an der der Geissbockweg vorbei führt. Es ist ratsam, zur Schenke hinabzugehen, weil erst hinter der Schenke das Wegzeichen, ein Geissbock, auftaucht. Die Wegmarkierung vorher (auch ein Tierbild) zeigen, einen anderen Weg, den Eselsweg. Ich z.B. hätte den Esel für den Bock genommen, wenn Annette mich nicht auf die wesentlichen Unterschiede aufmerksam gemacht hätte.

Mit dem Geissbock als Begleitung geht es dann einfach und sicher stetig bergauf, aber nicht zu anstrengend, auf weichen Waldpfaden und unter kühlem Blätterdach. Wir sind jetzt im Pfälzer Wald. Der Wein und die Reben liegen hinter uns. Es Wir wandern immer am Weinbach entlang (führt stinknormales Wasser!). Am höchsten Punkt, dem Weißen Stich, machen wir eine kleine Rast, um dann bis zum Forsthaus Silbertal abzusteigen. Das ist ein absoluter Tipp. Pfälzische Küche – alles was der Pfälzer Gaumen begehrt. Und gut! Allein die Dampfnudeln mit Weinsosse und Grumbeersupp gibt’s nur samstags. Aber die Suppe ohne die Dampfnudeln schmeckt auch.
Gut gestärkt machen wir uns auf das letzte Teilstück bergab. Dabei gehen wir den größten Teil durch das langgestreckte Lindental, das sich als Strassendorf den Hang nach Lambrecht hinunter zieht. Das hat auch mal bessere Zeiten gesehen.

Nach einem (Eis)kaffee am Nachmittag trennen sich leider unsere Wege.

Ich glaube, auch meine beiden Mitwanderer können den Weg empfehlen. Für Jürgen und mich war es ein Stück Heimatwanderung. Kindheitserinnerungen wurden dabei wach.

Annette und Jürgen nehmen den Zug nach Deidesheim, ich laufe noch die 2 Kilometer nach Frankeneck. Von dort im nächsten Blog mehr.

 

Unterwegs mit Freunden

Selfie  auf dem Flaggenturm

Es gibt Tage, an denen man gut allein sein kann, und solche, an denen es schön ist, Freunde um sich herum zu habe. Jetzt – um den 40. Hochzeitstag herum – sind Tage, an denen das Alleinsein schwerer fällt. Es ist Zufall, dass heute Dagmar und Dieter mit mir wandern (von Bad Dürkheim nach Deidesheim) und morgen Annette und Jürgen (von Deidesheim über den Geissbockweg nach Lambrecht). „Aber es gibt ja keine Zufälle“, wie meine Freundin Beate zu sagen pflegt.

Morgens um 7:45 Uhr habe ich mich mit Dagmar und Dieter am Amtsgericht in Bad Dürkheim verabredet. Nur ein paar Jogger sind im Kurpark unterwegs, und über den Marktplatz bin ich schnell oben am vereinbarten Treffpunkt. Die Plätze und Orte tauchen alle in meiner Erinnerung wieder auf, weil ich auch diesen Weg schon mit Hubert gegangen bin. Es ist eigentümlich, wie wir Bilder speichern, vergessen, und wie sie bei bestimmten Reizen wieder ganz klar aus der Versenkung der Gehirnwindungen auftauchen. Meine Gehirnzellen sind auf dieser Wanderung sehr aktiv! Gestern noch hätte ich die Tour nicht genau beschreiben können, heute fällt mir genau ein, wo Hubert und ich uns verlaufen hatten, wo wir dann wie gegangen sind, wo wir wem begegnet sind und wo wir uns über was unterhalten haben.

Aber das ist Vergangenheit.

Wir laufen durch die Weinberge zum Flaggenturm und können uns nicht satt sehen an dem Rundumblick: Die Limburg (kürzlich abgebrannt), mein Weg gestern und vor allem der vor uns liegende Pfälzer Wald.

Nach dem Mundhardter Hof ( Siedlung von Wohlbetuchten, deren Häuser nicht immer architektonische Glanzlichter sind) steigen wir in den Wald ein durch schmale Pfade immer mal auf und ab, entlang von Bachläufen, queren das Poppental. Mal laufen wir auf Bucheneckerboden, mal auf getrockneten Kastanienblüten, mal auf Kiefernnadeln.  Und wir staunen über einen Ameisenhaufen, der in meiner Kindheit noch nichts Außergewöhnliches war. Heutzutage schon.

Über einen Campingplatz geht es hoch zur Wachtenburg mit herrlichem Weitblick in die Rheinebene.  Sie heißt  ja nicht umsonst „der Balkon der Pfalz“.  Und die Burgschänke ist nur zu empfehlen. Die Burgunderschinken sind riesig und saftig, den Kastanienhonig kann ich leider nicht mitnehmen. Auf und ab geht es weiter bis zu den „Heidenlöchern“, den Resten einer alten Fliehburg aus karolingischer Zeit. Man kann die Ausmaße  noch erahnen.

Nochmal den Blick bei der Michaelskapelle schweifen lassen – auch auf Deidesheim unter uns und den Wegeinstieg für morgen. Dann sind wir wieder in den Weinbergen und merken jetzt erst, wie die Sonne sticht.

 

Der älteste Bildstock der Pfalz bei Deidesheim mit der Heiligen Barbara und der Heiligen Katharina (links).

Kuchen essen im Ritter von Boehl nach einer wunderbaren, gar nicht anstrengenden Wanderung mit vielen kleinen Pausen an idyllischen Plätzen, Gesprächen über Gott und die Welt, Vergangenem und vielleicht Zukünftigem.

„Hier hättest du auch übernachten können. Hier ist es schön“, sagt Dagmar. Nach einem Blick auf mein Handy stelle ich fest: Das ist meine Übernachtung. Es war weiß  Gott keine Enttäuschung.

Abschied von Freunden. Bis bald in Mainz. Abends trinke ich auf Hubert und unseren 40. Hochzeitstag einen Blanc de noir.

 

Erinnerungsweg Nr. 2 oder „Japanisch ist Weltsprache“

Genau eine Woche ist es her,  dass ich mit jemandem zusammen – mit Marlis –  zu Abend gegessen habe. Zeit, das zu ändern. In Bad Dürkheim sitze ich mit Dagmar, Dieter und einem Freund von beiden auf der Terrasse der Fronmühle (empfehlenswert) und geniessen pfälzische Spezialitäten. Morgen wandern wir zu dritt die 3. Weinsteigetappe nach Deidesheim.

Im Moment steckt mir allerdings noch die Etappe von von heute in den Beinen. Der Pfälzer Weinsteig ist doch etwas anderes als der Rheinterrassenweg. Sanft auf- und abschwingende Wege, meist auf der Höhe entlang, sind hier nicht mehr angesagt. Hier geht es richtig bergauf- und bergab, gerne auch mal auf kleinen Pfaden in Spitzkehren abwärts, die von Bikern  so hergerichtet Worten sind, dass es für Wanderer ungemütlich wird.

Trotzdem wird ganz allmählich für mich die Natur heimeliger: Mischwald von Buchen, Birken,  Eichen, Kiefern, Fichten , Lärchen, Kastanien – die ganze Viefalt eben. Farne und Heidekraut, weiche Waldwege, kleine Talschluchten, Buntsandsteinfelsen: Ich bin in der Pfalz!

Jedenfalls am Rand, dort wo in Zeitmillionen die Erde „eingebrochen“ ist, wo an der Bruchstelle ein einmaliges Stück Natur entstanden ist: sonnendurchflutete Rebenhänge, die bis an den Waldrand gehen, der durchzogen ist von tief eingeschnittenen Tälern und bis in die Spitzen bewaldeten Erhebungen. Durch diese Landschaft führt der Pfälzer Weinsteig. Man steigt am frühen Morgen durch die Weinberge auf und wandert dann durch schattenspendenden Wald, nicht düster, sondern grün wie im Frühling, weil das Sonnenlicht auf den Blättern glitzert.

 

Genug der Schwärmerei.

Heut morgen bin ich im Rebenland aufgebrochen, ganz schön früh und ohne Frühstück, weil die Winzerwirtin so flexibel denn doch nicht war, um mir um 7:00 wenigstens einen Kaffee hinzustellen. Ich steige durch die Treppengässchen des noch schlafende Neuleiningen, ins Tal, dann wieder auf, bis ich an den Waldsaum komme (siehe oben).

Blick zurück nach Neuleiningen

Alles kommt mir sehr bekannt vor, weil ich diese Wege schon mit Hubert gegangen bin.

Battenberg mit seiner Burgruine ist nach einem relativ steilen Anstieg erreicht. Die „Blitzröhren“, ungezählte Löcher im Bundsandstein, irgendwie eine geologische Besonderheit, wegen der ich beim letzten Mal schon unter Lebensgefahr eine S-Kurve auf der Landstraße ohne Gehweg überquert habe, spare ich mir. Ich bin jetzt allein und muss auf mich aufpassen. Durch Battenberg durch, wo ich keinen Bäcker finde: „Hier gibt’s nur 3 Winzer!“  Das kann ja heiter werden! Langsam meldet sich der leere Magen. Aber der Weg dann auf den weichen Waldwegen, immer auf und ab am steilen Uferhang des Krumbachtals entlang, lenkt ab. Es ist absolut still. Im Bannwald – oder kurz davor – weitet sich der Blick und ich schaue auf einer Lichtung ins Tal.

Ein verwittertes Kreuz am Wegrand erzählt die tragische Geschichte eines Försters, der an dieser Stelle erschossen worden ist: Es gibt 3 Varianten, wieso und warum der „unbescholtene“ Mann um die Ecke gebracht worden sein soll. Kurz gefasst: Variation 1: Er hatte eine zu schöne Frau, auf die ein anderer sein Auge geworfen hatte. Variation 2: der Försterlehrling, der im Rollenspiel“ den finalen Schuss auf das Wildschwein üben sollte – wobei der Förster der Keiler war – hatte scharfe Munition im Gewehr. Variante 3: Schmuggler. Der Vorfall gehört zu den ungeklärten Mordfällen.


Beim Abzweig zum Ungeheuer-See diskutiere ich einige Minuten mit mir, ob ich die 800 Meter runter und wieder hoch laufe oder meine Energie spare (Mittlerweile habe ich mir doch eine kleine Blase eingehandelt). Ich entscheide mich für den Abstieg und werde nicht enttäuscht: Der See liegt eher wie ein zahmes Tier denn ein Ungeheuer in der Morgensonne. Enten schwimmen an gewaltigen Seerosenblättern vorbei, Libellen schwirren – und dann kommen die Japaner.
Zwei ältere Ehepaare. DIE Gelegenheit, etwas gegen meinen knurrenden Magen zu tun. Als ich mit Hubert hier an einem Wochenende war, war hier Remmidemmi. Und natürlich war die Hütte des Pfälzerwald-Vereins geöffnet, die jetzt an einem Wochentag geschlossen ist. Nur die Japaner können mir noch weiterhelfen. Sie bieten mir auch sofort geschnittene Pfirsichstückchen und Schokolade an. Was ich dankbar annehme. Mein Versuch englisch zu sprechen, wird von einem von ihnen, der hier lebt, unterbrochen: „Meine Freunde sind zu Besuch hier. Sie sprechen nur Japanisch. Ich übersetze.“ Ich denke an Julia: „Japanisch ist Weltsprache“.


Mit neuer Energie gehe ich den Hang bergauf wieder 800 m hoch. Komisch, vor ein paar Jahren, mit Hubert, war ich außer Puste. Jetzt geht es gut. Mit Rucksack. Klar, nach einer Woche Wandern!
Die Lindenmühle hat geöffnet. Gott sei Dank! Die sechs Kilometer bis Bad Dürkheim wären sonst eine Fastenwanderung geworden. Ich esse „Grumbeere mit Weißem Käs“, die Kartoffeln ungepellt geviertelt, das Messerchen daneben, zum Quark Zwiwelcher. Ein Genuss. Zum Bismarckturm hoch, der geschlossen ist ( wird vom Verein auch nur am Wochenende betrieben; hatte dort mit Hubert selbstgebackenen Kuchen gegessen, Nickerchen im Gras.
Dann geht es eigentlich nur noch – mit einigen kleinen Anstiegen – bergab. Vorbei am Teufelstein und an der Heidenmauer – ein keltischer Wall, den ich fast übersehen hätte, weil nirgendwo ein Hinweisschild war. Apropos: Der Weinsteig hat Note 1 mit Sternchen verdient, was die Markierungen betrifft. Immer wenn ich dachte, jetzt könnte mal wieder ein Zeichen kommen, tauchte eins auf. Mit Informationstafeln haben es die Pfälzer weniger. Kultur ist ja auch nicht alles. Hauptsache ankommen und „gut gess un getrunk“.


Kriemhilds Stuhl war schon bei der ersten Wanderung mit Hubert beeindruckend. Tatsächlich sieht der Steinbruch, aus dem bereits die Römer den bunten – hier hellen – Sandstein gebrochen haben, wie ein überdimensionierter Thron aus.
Es geht abwärts auf schmalen Pfaden und in engen Kehren. Der Weg zum Merkure-Hotel zieht sich. Aber dort – Luxus: Das Hotel hat einen direkten Zugang zum öffentlichen Schwimmbad, Solebecken inklusive. Das Bad tut dem Körper gut. Der Seele tut es gut, dass ich in der Fronmühle an den Salinen dann Dagmar und Dieter treffe.
Ich schlafe sehr gut. Vielleicht auch wegen der guten Luft aus den Salinen direkt gegenüber meinem Balkon.

 

Mein Rucksack

Ruhetag.  Ein paar Sachen auswaschen. Mit dem Bus über die Dörfer durchs Leininger Land nach Grünstadt fahren. Schuh reparieren lassen. Doch noch eine Hose und eine Bluse (im Sonderangebot ) kaufen. Wiegt kaum was! Köstliches Himbeereis bei Venezia essen (seit 1957 in Grünstadt; selbstgemachtes Eis ohne Milchpulver!). Durch die mittelalterlichen Gässchen von Neuleiningen spazieren. Am frühen Abend einen Riesling Spätlese mit Blick auf diese schier endlose Ebene des Rheingrabens. Bis zur BASF und nach Philippsburg (AKW sind halt gute Anhaltspunkte, Philippsburgs qualmt noch). Die vergangenen Wandertage überdenken.
Es geht mir sehr gut. Keine Blessuren. Ein paar Mückenstiche. Kein Muskelkater, keine Kniebeschwerden, keine Rückenschmerzen, die Füße in Ordnung. Gebräunt ohne Sonnenbrand. Die Fettpolster schwinden. Die „Winke-Arme“ auch. Die Gedanken fliegen. Die Energie steigt.
Der Rucksack wird leichter, obwohl er doch mittlerweile mehr Gewicht hat (eine Broschüre der romanischen Basilika aus Bechtheim, ein kleines Buch über Osthofen, Hotelübernachtungsrechnungen samt Prospekten, Mückenspray, neue Kleider).
Sein Gewicht merke ich nur morgens für einen Moment, wenn ich ihn auf den Rücken hebe. Dann vergesse ich ihn – meistens. Als ob er ein Teil von mir wird. Und er bezwingt auch ein wenig meinen „Buckel“.
Vielleicht ist das auch mit der Trauer so. Sie nimmt nicht ab. Aber sie wird ein Teil von dir. Du gehst mit ihr deinen Weg. Schöne Wege. Auch mal nervig und anstrengend. Allein, aber nicht einsam.
Jemand hat mir nach Huberts Tod geschrieben, ich müsse jetzt lernen, auf 2 Beinen zu gehen. Nach 40 Jahren. Genau das mache ich im Moment. Ich denke für uns mit: Vor dem Verlassen des Hotelzimmers noch mal schauen, ob alles eingepackt ist. Nach jeder Rast den Blick zurück, damit nichts liegen bleibt. Der Griff an den Rucksack: Ist das Portemonnaie noch da? Nicht zu schnell gehen. Den Wein und das Essen genießen. Neugierig sein. Nachfragen. Zusammenhänge herstellen. Und doch: die Leichtigkeit des Seins.
Aber auch meinen Part von uns behalten: Das Wundern über diese prachtvolle Erde, ihre Farben und Formen: „Hubert, sag doch mal, ist das nicht schön?!“
Aber vielleicht wird der Rucksack ja auch nur deswegen leichter, weil bei mir ein paar Kilo Fett runter sind – physikalisch gesehen.
Jetzt noch ein paar Tempo-Taschentücher und morgen auf nach Bad Dürkheim. Ich freue mich auf Dagmar und Dieter. Und einen Tag später auf Jürgen und Annette.

 

 

Verlaufen, Schuh kaputt – aber alles ist gut!

Heute habe ich mich auf der ersten Etappe des Pfälzer Weinsteigs richtig verlaufen. Und mein rechter Schuh löst sich auf. Wie gut, dass morgen mein Ruhetag ist!
Aber der Reihe nach.


Bockenheim – Neuleiningen, die erste Etappe des Pfälzer Weinsteigs. Das ist kein Problem, habe ich mir gedacht. Nur die Sonne – gemeldet waren 36 Grad – könnte die Sache anstrengend machen.
Also um 7: 00 Uhr sehr gut in der Pension Brunnet gefrühstückt und dann direkt hoch durch die Weinberge, wo ich oben auf meinen Weg treffen will. Klappt. Es ist schon warm, aber je höher ich komme, desto mehr frischt ein leichter Wind auf. Eine Heiligenkirche liegt am Weg, eine kleine Feldkapelle, dem Petrus geweiht, mit barockem Portal, die in die Ruinen der romanischen Vorgängerkirche gebaut ist. Die gemauerte „Gnadenquelle“ davor ist derzeit versiegt. Aber ein Plastikeimer davor sagt mir, dass das nicht immer so ist.
Ein Kreis von Kastanienbäumen umschließt das Rund, als wollte er etwas beschützen. Das Böse fern halten. Was das ist, sehe ich eine Kehre weiter und ca. 50 Meter höher: Der „Katzenstein“, ein großer Felsblock aus Muschelkalkstein – man vermutet ein heidnischer Opferstein unsrer Vorvorfahren. Da haben die christlichen Missionare den Petrus mal gegen den Donar ins Feld geschickt!


Weiter durch die Weinberge. Leider kann man die Aussicht auf die Rheinebene nicht fotografieren – es ist einfach zu hell. Aber den Blick hinab auf diese weite, weite flache Ebene kann eh‘ keine Tablet-Kamera festhalten.
Auf der anderen Seite meine ich den Donnersberg zu sehen, will aber für meine geographischen Kenntnisse nicht die Hand ins Feuer legen.


Die Weinterrassen hier unterscheiden sich sehr von denen in Rheinhessen: Sie sind sanfter, haben weichere Bewegungen. Wie weite grüne Sonnensegel.

Während ich so sinniere, bin ich immer weiter abwärts gelaufen und merke erst zu spät, dass ich einen Abzweig übersehen habe.
Ein Winzer, der mir auf seinem Traktor entgegen kommt, hilft weiter, denn ich will nicht den ganzen weiten Hang wieder hoch laufen. Also weiter runter, dann rechts an der Sporthalle vorbei bis zur Hauptstraße: „Über den Bersch, den du do siehscht, Mädche, do muscht niwwer. Beim nächste, do siehscht dann schun Neuleininge“, erklärt er in vorderpfälzischem Singsang. Aller dann!
Ich folge seinen Anweisungen, was in Ordnung war, folge den Anweisungen eines weiteren „Einheimischen“, der mich in die Irre führt, und lande dann im Pfalzhotel in Asselheim, wo ich mir einen Kaffee genehmige. Von hier sind es knappe 3 Kilometer nach Grünstadt. Dort komme ich dann wieder auf den Weinsteig.
In Grünstadt kaufe ich in der hübschen Fußgängerzone ein Schälchen Himbeeren und mache es mir im ehemaligen Schlosspark – oder was davon übrig ist – gemütlich. Ich komme mit einem älteren Herrn auf einer Parkbank ins Gespräch. Vor sich hat er seinen Rollator stehen. Er kennt alle Wege. Wir vertiefen uns in die Landkarte. Er bekommt leuchtende Augen. „Sie sind wohl früher viel gewandert?“ „Ja, sehr viel. Irgendwann geht es halt nicht mehr“. Pause. Und dann: „Wandern macht frei.“ Dabei schaut er nicht auf den Rollator, sondern irgendwohin in die Ferne.

Aller dann!
Der Weg hoch in die Weinberge ist schweißtreibend. Und als ich an einem großen Nussbaum ankomme, denke ich mir, dass das ein gutes Plätzchen für eine Rast sei. Ich muss ja nicht in der Mittagshitze laufen!
Da entdecke ich das Malheur: Vorne an der Spitze des linken Schuhs löst sich die Sohle. Mit so einem Schuh habe ich mir in den Alpen vor Jahren das Bein gebrochen.
Sehr konzentriert gehe ich die restlichen 2,5 Kilometer bis zu meinem Etappenziel, dem Winzerhof „Sonnenberg“, mitten im gleichnamigen Weinhang, mit einem fantastischen Blick auf die Burgruine Neuleiningen. Nur die unten im Tal verlaufende Autobahn stört mit ihrem Lärmteppich etwas die Idylle. Aber man kann nicht immer alles haben.
Fazit des Tages:
Punkt 1: Es gibt immer einen zweiten Weg.
Punkt 2: Die Freiheit beim Wandern besteht auch darin, sich mal nicht an die vorgegebenen Wegmarkierungen zu halten.
Punk 3: Wer sich verläuft kürzt manches Mal auch ab. Das war heute der Fall. Und bei 36 Grad war das nicht das Schlechteste.
Morgen habe ich Zeit, mich um den kaputten Schuh zu kümmern.

 

 

 

Die „Zangen-Etappe“ entlang der Pfrimm

Was hatte ich für einen Bammel vor diesem Weg von Worms nach Bockenheim!  Der Rheinterassenweg war in Worms zu Ende. Jetzt musste ich eine „Spange“ bis zum Pfälzer Weinsteig fnden. Während die beiden Fernwanderwege touristisch gut vermarktet und deshalb durchgängig – wenn auch nicht immer sinnvoll – gekennzeichnet sind, ist der Weg von Worms nach Bockenheim eine eigene Zusammenstellung von Etappen zweier Wanderwege. Lange hatte ich getüffelt, um eine einigermaßen schöne Tour durch das Verkehrswegenetz von Autobahnen, Bundes- und Landesstrassen zu suchen. Gefunden habe ich die erste Etappe der Klosterroute (Jakobsweg, früher Teil des Nibelungenweges) raus aus Worms und dann immer an der Pfrimm lang bis Wachenheim. Von dort aus gibt es einen großen Zellertalrundweg (Radweg), der über Bockenheim – dort beginnt die deutsche Weinstraße – ,führt. Das Problem war, den Anschluss zwischen beiden Wegen und natürlich erst mal aus Worms rauszufinden. 20 Kilometer insgesamt , aber ohne wesentliche Steigungen.
Nachts im Doppelstockbett habe ich im Halbschlaf memoriert: Raus aus der Jugendherberge, Südportal Dom, Lutherring bis kurz vors Denkmal, Kriemhildstraße, über die Bahngleise in die Steubenstraße (verkehrsreich!), und dann immer geradeaus bis zur Pfrimm. Es hat geklappt. Um 7:30 Uhr bin ich gestartet (mit Lunchpaket aus der Jugendherberge) und bald schon bin ich aus dem Verkehr raus und biege links ab in einen ungeteerten Fahrradweg an der Pfrimm. Der Verkehrslärm wird leiser und verstummt ganz, als ich an einen Park komme. Ich begegne nur ein paar älteren „Walkern“. Ein Paar spricht mich an, und ist – wie alle – baff erstaunt über mein Unterfangen. Sie wollen ein Stück mitgehen, der Mann am liebsten bis Pfeddersheim, was die Frau dann aber mit dem Hinweis auf Tagesgeschäfte, die zu erledigen sind, verhindert Sie erzählen mir allerdings etwas über die Geschichte des Parks, der von einem in Amerika zu Geld gekommenen hiesigen Geschäftsmann den Einwohnern als englische Parkanlage gestiftet worden war. Dafür trägt der Park seinen Namen, und seine Urne steht in einem Mausoleum im Park. Schön.
Witzig ist „das Ochsenklavier“, das mir meine nette Begleitung zeigt: Eine Reihe von Steinen an einer Furt, die tatsächlich wie die Tasten eines Klaviers aussehen und die früher den Ochsen sicheren Halt beim Überqueren der Pfrimm gegeben haben sollen.


Dank der interaktiven Karte meines Handys, den vereinzelt auftauchenden Muschelzeichen und einer sehr guten Beschreibung im Wander- und Pilgerführer Klosterroute komme ich gut voran. Kein Wunder, es geht immer dem Wasser nach.
Die Vögel zwitschern, die Laubbäume spenden Schatten, die Pfrimm gurgelt – was will das Wanderherz mehr: „Wem Gott will Rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen , in Berg und Strom und Wald und Feld“. Tatsächlich ist es eine Gunst, einfach mal fast 3 Wochen zu Fuß unterwegs sein zu können, und die Krönung wäre ein Kaffee in Pfeddersheim, das ich schnell erreiche. Pustekuchen. Der Ort ist um 9:30 Uhr ausgestorben, und das einzige Eiskaffee am Ort öffnet erst um 12:00 Uhr.
Pfeddersheim ist besonders: Ein großes Neubaugebiet umschließt den kleinen Stadtkern. „Mütter vom Prenzlauerberg“ aus Pfeddersheim machen mit Walking.-Stöcken und Babys im Brusttuch Gruppengymnastik. Ein Walker – ich tippe pensionierter Oberstudienrat – , den ich schon zum zweiten Mal treffe, erklärt mir, dass Worms und Pfeddersheim 2 direkt nebeneinander liegende freie Residenzstädte waren. Einmalig in Deutschland. Heute ist Pfeddersheim Wormser Vorort, ein ordentlicher Vorort: Verbundsteinpflaster, sorgfältig geschnittene Hecken, die Höhe des Rasens stimmt exakt. Als wolle sich der ehemals so mächtige Ort gegenüber Worms irgendwie ein wenig Würde bewahren. Schade – das ist der falsche Weg.

Bürgertum in Pfeddersheim

Aber ein paar Wehrtürme aus der guten Alten Zeit stehen noch, die Synagoge ist erhalten, und ein paar wirklich anheimelnd kleine Häuschen. Also: Nicht alles ist falsch.
Es geht weiter entlang der Pfrimm im Schatten hoher Laubbäume am Bachrain. Rechts Rübenacker und abgeerntete Getreidefelder. Stahlblauer Himmel.

 Das erste, was ich von Monsheim sehe, ist das Klärwerk. Gut versteckt, aber mir entgeht es nicht. Nach einer alten Mühle mit einem imposanten Wasserturm ist der Ort nicht mehr weit. Wie ausgestorben in der Mittagszeit. Von weitem lese ich ein Schild – Kaffee und Kuchen -, doch beim Näherkommen entdecke ich leider ein zweites Schild: Betriebsferien. Wirklich alle Gaststätten in Monsheim machen Ferien. Aber: Glück muss der Mensch haben: Ganz oberhalb des Ortes, im liebevoll restaurierten Bahnhof gibt es das Eiscafe Noisette, mit wirklich leckerem Eis – wird doch tatsächlich aus Berlin geliefert. Und Kaffee gibt’s auch!


Passenderweise  finde ich hier auch meine Wegzeichen wieder. Zwischen einem hohen Bahndamm links und der Pfrimm rechts führt ein Vogellehrpfad. Man lässt das Totholz hier liegen, so dass sich ein kleiner rheinhessischer Urwald entwickeln konnte. Dann weitet sich die Landschaft wieder. Rechts Weinberge, links ein Biotop , Überschwemmungszone der Pfrimm.
Wachenheim: Siehe Pfeddersheim und Monsheim – ausgestorben!
Mein Problem: Hier muss irgendwo die Anschlussstelle zum Zellertalrundweg sein. Internetempfang habe ich keinen. In einer Autowerkstatt hilft mir ein junger Mann weiter, indem er mir die ungefähre Richtung zeigt. Wir schimpfen noch ein wenig gemeinsam über das langsame Internet hier auf dem Land und dann bin ich bald auf dem Radweg die letzten 3,5 Kilometer unterwegs durch die Weinberge nach Bockenheim. Es ist heiß, aber ich kann das gut vertragen.

Blick zurück kurz vor Bockenheim

Ich entdecke auch meine Pension, aber statt einer großen Rieslingschorle finde ich nur einen kleinen Zettel: „Liebe Frau Lampe, wir sind gegen 16:30 Uhr wieder da“. Tja, da heißt es 1 Stunde warten.
Aber dann gibt es eine ganz große, kühle Schorle. Und ich habe meine „Panik-Etappe“ eigentlich ganz gut bewältigt.

 

 

Vom Leiden, vom Vergessen und vom Erinnern

Erste Begegnung
Kurz vor Osthofen kommt mir ein älterer Herr mit Hund und Walking-Stöcken entgegen. Die Größenverhältnisse zwischen Mann und Hund irritieren: Der Hund, 8 Monate, Mini-Terrier, der auch nicht viel größer werden wird, wie ich erfahre; der Mann, sehr wohlbeleibt, rot im Gesicht von der Hitze und wahrscheinlich auch vom guten Rheinhessenwein.
Ich erkundige mich nach der Entfernung zur Gedenkstätte des KZ Osthofen. Das sei einfach: Bis zum Turm und dann links immer den ehemaligen Bahnschranken entlang, dann rechts bis zur „Fundgrube“, über die Bahnschranken, und schon sei ich da.
Er selbst sei ja noch nie dagewesen. Ob er denn aus Osthofen sei, frage ich. „Ei jo, schun mei Vadder is hier gebürtisch“. Der habe in der Möbelfabrik gearbeitet und auch „e Planzacker“ dort gehabt. „Ich war jo domols noch e Kind. Ich bin jetzt weit iwwer die 70. Wenn do was gewess wär, der hätt doch was vezehlt.“
Er wisse ja nicht, ob das alles stimmt, was man erzähle, er könne sich das gar nicht vorstellen.
Und dann erzählt er von seinem Alltag: Dass er „aa alleens“ sei, dass er vier große Söhne habe, eine gute Rente, früher mit Kindern und Frau erst nach Italien gefahren sei, dann nach Kroatien, aber noch nie in einem Hotel übernachtet habe oder mit dem Flugzeug geflogen sei. Alles mit dem Campingbus. Heute sei er damit allein unterwegs. Aber nur in Deutschland.
Er ist ein sympathischer alter Herr, der sich selbst versorgt, gute Hausmannskost liebt, gern erzählt und der dankbar für jeden neuen Tag ist, den er noch erleben kann. Er hat, was er zum Leben braucht, denn „ das letzte Hemd hat keine Taschen“. Was in der Fabrik passiert ist, das will er nicht wissen, denke ich.
Zweite Begegnung
An der Bahnschranke steht ein älterer Herr, schmal, außergewöhnliche gerade Haltung und wartet neben mir, dass der Zug durchfährt und die Schranke sich öffnet. „Ach, da vorne ist ja die Gedenkstätte“, sage ich mehr zu mir selbst. Der alte Herr dreht sich zu mir um und bestätigt das. „Da ist viel Schlimmes passiert“, sagt er, „viel Leid“.
Ich frage ihn, woher er komme (er spricht Hochdeutsch mit einem harten Akzent). Er stammt aus der Ukraine, lebt aber schon, sehr, sehr lange hier. Sein Vater ist damals 1937 von den Russen verschleppt worden („Stalin!!“). Er hat nie mehr etwas von ihm gehört. Jetzt ist er über 80. Er hat 4 Söhne und eine Tochter. Alle sind verheiratet. Er ist froh, dass seine Familie nach der Vertreibung nach Deutschland gekommen ist. Das war Glück. Hier ist Freiheit und Demokratie und Wohlstand.
Nur der Vater… damals, als der Vater verschleppt wurde, sei er vielleicht 10 Jahre gewesen. Der Vater sei jetzt tot, aber er, der Sohn, habe vier Söhne und eine Tochter…..
Der Zug verfährt vorbei. Die Schranke öffnet sich. Wir verabschieden uns. Ein zufriedener, dankbarer Mann. Ein wenig vergesslich. Mit geradem Rücken – obwohl in eine Last drückt. Was in Osthofen passiert ist, weiß er. „VIEL LEID.“

Osthofen, das Konzentrationslager (verantwortlich: der promovierte Jurist Beck) in einer ehemaligen, leer stehende Papierfabrik 1933 errichtet, nach Schließung des Lagers wegen der Umorganisation des KZ-Systems in Deutschland 1934 Möbelfabrik. Zynisch: Die Papierfabrik gehörte einem jüdischen Osthofener Fabrikanten…
Osthofen war 1933 das einzige staatliche Konzentrationslager für den gesamten „Volksstaat“ Hessen (Rheinhessen, Starkenburg, Oberhessen) mit Regierungssitz in Darmstadt. Die Lage an der Bahnstrecke, die Nähe zum „roten“ Worms und die Tatsache, dass der 5000-Seelen-Ort eine NSDAP-Hochburg gewesen war, mögen zu der Entscheidung für diesen Standort geführt haben.
Die Mehrheit der Häftlinge im Lager war kommunistisch, inhaftiert wurden aber auch Menschen anderer Linksparteien und 114 Juden, die zunächst wegen „politischer Vergehen“ verhaftet worden waren.
Heute ist Osthofen eine eindrucksvolle Gedenkstätte. Eintritt kostenfrei. In einem Teil der ehemaligen Fabrikhallen ist das multimediale Besucherzentrum eingerichtet. Die Verbrechen, die in Osthofen passierten, werden an Einzelschicksalen fassbar. Demütigungen , Misshandlungen, Essensentzug, Eisduschen, Erniedrigung.
Wie in einer Nachrichtensendung werden in Videoeinspielungen Presseberichte aus der Zeit per Video übertragen. Soll noch einer sagen, die Bevölkerung habe von allem nichts gewusst.
Die zweite Halle war der Schlaf- und Aufenthaltsbereich, die heute auch zur Besichtigung freigegeben ist. Die Häftlinge – darunter nachweislich 7 Frauen – schliefen anfangs auf nacktem, nur mit einer dünnen Strohschütte bedecktem Betonboden.

Ehemaliges Schlaflager

Anna Seghers, mit deren Romanfigur Georg Heisler und seiner Nacht im Mainzer Dom ich diese Wanderung begonnenen habe, flüchtet aus dem KZ Westhofen über Oppenheim nach Mainz. Anna Seghers hat sich da einfach im Namen geirrt. 7 Holzkreuze stehen im Roman auf dem Appellplatz. Für die sieben Flüchtlinge, die wieder gefasst werden sollen. Ein Kreuz bleibt leer.
Nachsatz: In Osthofen wurden keine Gefangene ermordet.

Kunst in der Gedenkstätte

 

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