Reisen

Kategorie: Deutschland (Seite 8 von 10)

Ihr wolltet Abenteuer? Ihr bekommt Abenteuer!

Hranice ist ein hoffnungsloser Ort. Die Menschen sind freundlich, aber ohne Zukunft. 2.000 leben noch hier von ehemals 6.000. Textil- und Glasindustrie gibt es nicht mehr. In den ehemaligen Fabrikhallen arbeiten Zuliefererfirmen mit gering qualifiziertem Personal, erzählt man uns. Ganz anders als im adretten Bad Elster, das einen Boom zu erleben scheint, sind hier – wenige Kilometer und eine Grenze weiter – viele Häuser verfallen, das Restaurant Rossbach, benannt nach dem früheren Namen von Hranice, ist eine ausgebrannte Ruine mitten im Ortskern. Der Asia-Laden ist das einzige Lebensmittelgeschäft, und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass in diesem verlorenen „Zipfel Tschechiens“, der hier in das Gebiet der Bundesrepublik hineinreicht, das nette kleine Hotel zu finden ist, das wir gebucht hatten. War es auch nicht.
Es gibt nämlich noch ein Hranice, östlich von Prag. Dort hatten wir über ein Hotel-Portal gebucht.
Die einzige Übernachtung in dem Hranice, in dem wir gerade angekommen war,  gibt es in der „Familienpension Kim“. Darüber informiert auch unser Reiseführer mit dem Hinweis, unbedingt vorher dort anzurufen. Das war aber ja jetzt nicht mehr möglich. Wir sind schon im Ort und klingeln eine etwas verwirrt blickende junge Frau aus dem nicht sehr einladend schauenden Etablissement heraus. Nach einigem Zögern bittet sie uns herein. In einen ungepflegten Gartenbereich: überall Sitzecken mit verdreckten Sofas, gebrauchte Kaffeetassen und volle Aschenbecher auf Couchtischen. Eine zweite und eine dritte Frau kommen, alle sprechen kaum tschechisch, englisch oder deutsch. Ein junger Mann sitzt mit Ohrstöpseln in einem Sessel und ignoriert uns vollständig. Wir sind hier Fremdkörper. Wir können ihnen klar machen, dass wir übernachten wollen. Eine Frau verschwindet und kommt bald darauf mit schmutziger Bettwäsche aus dem Haus. Die andere bringt Tassen, in denen sich mit heißem Wasser übergossenes Kaffeepulver befindet. Sie erzählt uns in gebrochenem Deutsch, dass es hier schrecklich sei, dass sie aus Serbien komme und dass sie weg wolle. Dann kommen zwei weitere Männer. Einer erklärt, dass die Zimmer 12 Euro pro Person kosten. Wir haben inzwischen WLAN und nach einigen Fehlversuchen das Zimmmer im falschen Hanice kostenlos stornieren können.

Zimmer in der „Familienpension Kim“ in Hranice

Zimmerbesichtigung: Das Haus entstammt einem Hitchcock-Krimi. Düsteres Treppenhaus, Wände und Decken vollkommen mit Holz verkleidet, alles verstaubt und schmuddelig, riesige Heiligengemälde neben zugestaubten Trockenblumen, Weihnachtskugeln, Kitschfiguren. Die Zimmer sind noch schlimmer als das Treppenhaus. Ein Bett mit einem stoffgepolsterten Kopfende, überall Spiegel, Gelsenkirchener Barock, zerschlissene Sessel, den schmutzigsten Teppichboden, den ich je gesehen habe. Aber: Auf der kunstvoll arrangierten Bettdecke liegt eine rote Kunstrose. Das habe sie in einem Hotel in Zürich gelernt, wo sie gearbeitet habe, erklärt die Serbin. Annette und ich schauen uns an, lassen uns die Schlüssel geben, verstauen die Rucksäcke und flüchten nach draußen , um Luft zu holen. Es bleibt uns nichts übrig. Wir müssen hier die Nacht verbringen!
Die Kirche von Hranice soll sehenswert sein mit einer seltenen Orgel. Wir holen bei der Küsterfrau den Schlüssel. Sie spricht, hier geboren, ein gepflegtes fränkisch. Und bestätigt uns erst einmal das, was wir über unsere „Herberge“ vermuten. Sie ist so was wie eine Absteige. Die jungen Männer bringen zuweilen die Freier zu den Frauen ins Haus

Taufbecken in der Kirche von HraniceWir wollten Abenteuer. Wir haben es! Zwei Omas übernachten im Puff!
Im Dorf gibt es nichts zu essen, aber wir entdecken ein Schild Richtung Grenze – wo wir morgen sowieso hin müssen – Familienrestaurant mit Einkaufsmöglichkeiten in 1,5 Kilometern. Dort essen wir, kaufen für morgen früh ein, weil es natürlich sonst nirgendwo etwas zum Frühstück gibt, und trinken am frühen Abend noch ein Bier. Vorbereitung auf eine Nacht in Schmuddelzimmern und hoffentlich ohne Ungeziefer. Ich vermisse Huberts dünnen Reiseschlafsack „für alle Fälle“.
Dabei hatte der Tag gut angefangen mit einem Glas Wasser aus der Heilquelle in Bad Elster, einem Spaziergang durch den Park, dann vorbei an wunderbar restaurierten Villen aus ganz verschiedenen Stilepochen, über eine einsame Landstraße bergaufwärts zur tschechisch-deutschen Grenze.

Trinkhalle im Kurpark von Bad Elster


Auf dem Weg von Bad Elster nach Hranice

Kaffee in der Regionalbahn und „Mischwein“ in Bad Elster

 

Wolkenfolgen – Grünes Band 2018

„Möchten Sie einen Kaffee?“ Manche ganz normalen Fragen werden an bestimmten Orten in bestimmten Situationen plötzlich sonderbar. Das Kaffeeangebot des Schaffners in der Vogtlandbahn zum Beispiel – einer privaten Regionalbahn, in der wir von Werdau nach Bad Elster fahren. Den frischen Kaffee gibt’s kostenlos – aber erst nach Plauen, weil nur die Reisenden, die nach diesem Halt noch in der Bahn sitzen, einiges an Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssen. Im Mai nämlich wurden durch starken Regen die Gleise auf einem Streckenabschnitt hinter Plauen so stark überspült und beschädigt, dass die Reparaturarbeiten immer noch nicht abgeschlossen sind. Schienenersatzverkehr also zwischen 2 Stationen, was uns neben dem Kaffee noch zweierlei beschert: eine Busfahrt durch durch die sanfte grüne Hügellandschaft dieser Grenzregion zu Tschechien und erste Gespräche mit Menschen der Region. Der Schaffner etwa, zuerst etwas knodderisch, als er unsere Fahrkarten kontrolliert – „Sie wissen schon, dass Sie derzeit nicht direkt nach Bad Elster kommen?!“ Dann, als er merkt, dass wir seinen etwas trockenen Humor verstehen, freundlich, hilfsbereit und auskunftsfreudig; später, als meine Freundin vom „Königsbad“ Bad Elster spricht, wieder sehr zugeknöpft einsilbig: „Staatsbad hieß das!“ Wir haben verstanden.

Die Sache mit dem Schienenersatzverkehr war aber auch das einzige Unvorhergesehene auf unserer Fahrt von Mainz über Leipzig nach Bad Elster. Die Bundesbahn war pünktlich auf die Minute, was allein schon eine Meldung wert ist.

Und es war auch nicht weiter schlimm,  dass wir ab Leipzig auf S- und Regionalbahn angewiesen waren: Die langsame Fahrt durch das Vogtland lohnt sich.

Leider liegt der Bahnhof von Bad Elster mitnichten im Zentrum, sondern 2,5 km ausserhalb. Und so kamen wir unverhofft am Anreisetag bereits zu einer Kurzwanderung durch den Wald bis zum wirklich sehenswerten Bad Elster. Schön restaurierte Villen, prachtvolle Kuranlagen, ein grosser Kurpark.

Unser Hotel am Ortsrand wird von einer Frau aus Speyer geführt und der Kellner des guten Restaurants kommt aus Trier.  Alles Migranten aus Rheinland-Pfalz!

Garantiert nicht aus Rheinland-Pfalz war eine  Kellnerin, die auf meine Frage, was man sich denn unter dem Begriff „Meissner Schoppen“ auf der Speisekarte vorstellen solle, lapidar antwortete:“Mischwein!“

Vorbereitungen

Irgendwie  habe ich mit für diese Tour mehr Mühe mit der Vorbereitung gemacht. Wahrscheinlich ist der Respekt vor dem fremden Weg größer als vor dem mehr oder weniger bekannten Weg in die Heimat, den ich 2017 gegangen bin.

Und so kommt es,  dass ich seit 6 Wochen rauchfrei bin, dass ich mir durch den regelmäßigen Besuch in der „Mucki-Bude“ ein wenig Muskelmasse antrainiert habe, und dass ich durch ein paar kürzere Wanderungen auch hoffentlich genügend Ausdauer habe.

Auf der Soonwaldburg

Ach ja, eine Fortbildung habe ich auch gemacht: Mit Heike Tharun war ich zum Wandertraining unterwegs von Bingen in den Hunrück, um zu lernen, mit Kompass und Karte  umzugehen (kann ich nur empfehlen!).

Blick von Bingen auf den Rhein

Das ist überhaupt das Schöne an den Vorbereitungen für einelängere Wandertour: Die Kurzwanderungen im Vorfeld: In Rheinhessen war ich mit Freunden auf einer neuen Hiwweltour durchs Aulheimer Tal . Bei herrlichem Sonnenschein war dieser 13 Kilometer lange  Rundweg durch die rheinhessische Schweiz einfach nur herrlich abwechslungsreich mit ungezählten Weitblicken. Auf dem Donnersberg wurde es auf den Spuren der Kelten auf dem Kastanienweg eher etwas duster.  Herrliche Blicke dagegen wieder auf einer der Traumschleifen – dem  Rundwanderweg „Fünfseenblick“ von Bad Salzig aus oder auf dem Weg zur Soonwaldburg hoch über dem Rhein.

Vor dem Start: Die Idee

An diesem Grenzstreifen komme ich 2018 noch nicht vorbei: Bei Benneckenstein.

Zwei Personen haben den Anstoß zu dieser Wanderung gegeben: eine Freundin und Hubert:  Als ich vergangenes Jahr bei einem Glas Rotwein von meiner Wanderung in die Pfalz erzählte, verschwand Christiane, um kurze Zeit später mit einer alten „Apotheken-Rundschau“ wieder zu kommen, auf der eine Fernwanderung beschrieben war: „Das Grüne Band“ – entlang der ehemaligen  innerdeutschen Grenze.  1.500 Kilometer von Bad Elster an der tschechischen Grenze bin nach Travemünde. Das wäre ein Traum von ihr, sagte Christiane, diese Strecke zu gehen. Ich war sofort elektrisiert von dem Paradoxon: auf dem ehemalige Todesstreifen mit seinen Sperranlagen, Grenzzäunen, Wachtürmen, der „Schutzzone“ und dem „Niemandsland“ hätten Flora und Fauna Schutz und Raum gefunden, die einmalig sein sollten. Das Wandern auf diesem „Grünen Band“ sei zwar auch heute, fast 30 Jahre nach dem Mauerfall, noch ein kleines Abenteuer, aber das schreckte mich erstmal nicht.  Vor allem deswegen nicht, weil es einen ziemlich guten Wanderführer von Dr. Rainer Cornelius über die gesamte Strecke zu kaufen gibt.  Cornelius unterstützt den Bund für Unwelt und Naturschutz Deutschland – BUND e.V.   dabei, das „Grüne Band“ zu pflegen und auch für Wanderer zugänglich zu machen.

In Huberts großer „DDR-Bibliothek“ fand ich dann natürlich noch ein weiteres Buch über das Grüne Band, eine Beschreibung von Wolfgang Kieling: „Ein deutscher Wandersommer. 1.400 Kilometer durch unsere Wilde Heimat“. Nun war Hubert ein Fan vom Naturfilmer Kieling, der in dem Buch seine vom SWR gefilmte Wandertour beschreibt; mein „favorite author“ wird er aber nicht – und so habe ich sein Buch schnell wieder zur Seite gelegt.

Das war im Winter 1990 auf dem Brocken, kurz nach der Grenzöffnung.

Ein Glück war es, dass eine weitere Freundin, der ich von meinem Plan erzählte,  Lust und Zeit hatte, im Sommer 2018 einen Teil des Weges mit mir zu gehen.

Nein, natürlich nicht 1.400 Kilometer – das erlaubt meine Arbeit nicht – aber eine erste Etappe vom Vogtland bis in den Frankenwald.

Es ist wieder eine Erinnerungswanderung – dieses Jahr nicht wie 2017 – in meine Heimat, sondern in die Geschichte meines Mannes Hubert, die immer ganz eng mit dieser innerdeutschen Grenze verbunden war – und dadurch auch mich über 40 Jahre geprägt hat.

Aller, dann! Adschee!

Von Mainz bis nach Vogelbach zu wandern – am Rhein entlang und durch den Pfälzer Wald -, das war die beste Idee, die ich haben konnte. Und Gott sei Dank hat mir Jan mit der Einladung zu seinem Gartenfest den Anlass geliefert.


Etwa 240 Kilometer war die Strecke lang (ich hatte keinen Kilometerzähler – gut so! -, und die Umwege rechne ich jetzt mal nicht mit). 15 Tage war ich unterwegs, davon ein Ruhetag. Also einen Tag kürzer als geplant. Ich fühle mich mit meinen noch 61 Jahren wohl in meiner Haut, wohl auch wegen der gestärkten Muskeln und einigen Pfunden weniger Fett.

Von Heimat zu Heimat
Ich bin von der einen Heimat in die andere gegangen. Das war mir vor 15 Tagen nicht klar: Von Rheinhessen, wo ich seit über 40 Jahren lebe, wo meine Freunde sind, in die „Hinnerpalz“, wo meine Familie lebt. Von den quirligen, offenen Rheinhessen, wo Anna Seghers und Carl Zuckmayer herkommen, wo immer noch ein Platz in der Weinstube für dich da ist, bis zu den Waldpfälzern, den Kartoffelbauern, die lieber Bier trinken, die länger brauchen, bis sie mit einem warm werden, die wortkarger sind, bodenständiger. Dorthin, wo die „Weltachs ingeschmeert und uffgepasst werd, dass nix passeert“, halt zur „Pälzer Weltgeschicht“. Aber beide haben sie das Herz auf dem rechten Fleck.
Es geht also: Man kann in 2 „Heimaten“ wurzeln. Und dass die einen „Du kimmst“ und die anderen „du kummscht“ sagen, ist kein unüberwindbares Hindernis.

„Doktor Wald“
Bei meinen Schwiegereltern im Harz hing – in der Küche oder im Bad, das erinnere ich nicht mehr genau – ein kleines gerahmtes Gedichtblatt: „Doktor Wald“, passend im Haushalt eines Arztes.
Geschrieben hat es der Förster Helmut Dagenbach.
Ich fand es immer ganz lieb-naiv. Jetzt kann ich die Reime nachvollziehen.
Es fängt an:
„Wenn ich an Kopfweh leide oder Neurosen,
mich unverstanden fühle oder alt,
und mich die holden Musen nicht liebkosen,
dann konsultiere ich den Doktor Wald.

Er ist mein Augenarzt und mein Psychiater,
mein Orthopäde und mein Internist,
er hilft mir sicher über jeden Kater,
ob er von Kummer oder Cognac ist.“

In der letzten Strophe heißt es dann:
„Er bringt uns immer wieder auf die Beine,
das Seelische ins Gleichgewicht,
verhindert Fettansatz und Gallensteine,
nur – Hausbesuche macht er leider nicht.“

Das stimmt sehr für meine Wanderung, nicht nur durch den Wald, sondern auch entlang der Weinterrassen am Rhein.

Vom Wandern
Wer recht wandert schaltet ab. Er lässt die Trump-Welt außen vor, das Auto-Kartell, Nordkorea, die beruflichen Aufgaben, Sorgen um die Zukunft.
Wer wandert, achtet auf das, was gerade im Moment ist: Die Baumwurzel auf dem Weg, den Wiesenthymian am Rand, den Baumpilz, den Mistkäfer, die Kuhle des Wildschweins, das Moos am Felsblock; er sieht die ungezählten Grünschattierungen des Blätterdachs, auf dem die Sonnenstrahlen tanzen, und das, was langsam am Horizont erscheint: eine Steigung, eine Wegmarkierung, eine Gabelung. Er spürt die Wärme auf der Haut und riecht die kühle Feuchte im Wald. Er hört, wenn ein Greifvogel sein Frühstück erwischt, hört das Gemurmel des Baches (auch ohne Hörgerät), und er hört vor allem die Stille.
Er trifft Menschen für kurze Begegnungen und sagt nach kurzer Zeit: Aller dann!


So war ich nie allein, auch dann nicht, wenn keine guten Freunde mich begleitet haben.
Der Tag gehört dem Wandern – und nur dem -, der Abend dem Schreiben. Beim Glas Wein den Tag Revue passieren lassen – das ist fast so, als ginge man den Weg ein zweites Mal. Das ist eine Freude.

Die Welt mal ver-rücken
Einmal hat mich ein älterer Mann gefragt: „Wo hascht dann dei Mann?“ Der ist doch dabei, habe ich gedacht.
Manchmal, wenn ich früher mal wieder eine „tolle Idee“ hatte, entspann sich meist folgender Dialog:
Hubert: Ich hab schon ein verrücktes Weib!
Ich: Besser verrückt als langweilig.
Hubert: Da hast du auch wieder recht!
Was wäre die Welt, wenn wir sie nicht ab und zu für kurze Zeit ein wenig „ver-rücken“ könnten?
Und damit:
Aller, dann! Adschee – un Hauptsach gut gess un getrunk!

 

 

 

Am Ziel – trotz amerikanischer Blockade

Ungefähr um 18:30 Uhr bin ich am Donnerstag in Vogelbach angekommen. Einen Tag früher als geplant und nach etwa 34 Kilometern vom Gelterswoog her. Aus zwei mach eins. Ein wenig zu viel. Sicher. Aber nachdem ich mit dem Mittagsläuten schon in Landstuhl war, wäre es unsinnig gewesen, hier nochmal zu übernachten, 16 Kilometer vorm Ziel. Beinahe hätten mich die Amis aber noch kurz vor dem Ziel gestoppt.
Der Reihe nach.
Sehr idyllisch geht der Weg vom Gelterswoog durchs Walkmühltal an 5 aufsteigenden verwunschenen Woogen vorbei.

In die Stille platzen plötzlich Motorgeräusche auf der anderen Seite der Teiche. Dort verläuft anscheinend ein Forstweg. Ein Schreckmoment, und ich greife nach meinem Schweizer Messer, das immer in der Hosentasche steckt. Aber es ist wohl nur ein Autofahrer, der eine Abkürzung genommen hat. Zu viel Krimis gelesen.
Dann bin ich schon im Sickinger Land und im Landstuhler Forst. Am Banner Sportplatz treffe ich einen Walker, der mich noch von früher kennt. Gemeinsam gehen wir zum „Herrengärtchen“, einem Felsvorsprung, vom dem man weit ins Land sehen kann.


Hierher spazierten die feinen Herrschaften, die im Schlosshotel des damaligen Moorbades Landstuhl kurten. Die Hautevolee aus ganz Deutschland feierte hier Waldfeste.
Man erzählt sich auch, dass der Gutsbesitzer Heinrich Didier von hier aus mit dem Fernrohr seine Arbeiter bei der Arbeit im Bruch kontrollierte.
Und tatsächlich: Von hier aus sehe ich die ganze Ramsteiner Airbase!
Kein Wunder also, dass man nach den Anschlägen von New York Angst hatte, dass die Base von hier aus ausspioniert werden könnte.
Das sollte nicht die erste „Begegnung“ mit den Amis an diesem Tag sein. Landstuhl ist US-Enklave!


Über die Burg – Gruppen von Amerikanern, die Fotos schießen – gehe ich auf dem altbekannten „Pädche“ am Moorbad vorbei in die Stadt. Der Landstuhler Marktplatz ist schön hergerichtet, aber ansonsten prägen Döner-, Burger- und Pizzabuden, Billigläden und „Vintage furniture from Europe“-Läden (Trödel) das Bild der Hauptstraße. Spätestens jetzt entscheide ich mich, bis Vogelbach weiter zu gehen.
Hinter dem Bismarkturm komme ich zu weit nach unten und lande – Freudsche Fehlleistung – bei den Tennisplätzen, wo ich Tennisspielen gelernt habe. Ich esse erst Mal Spaghetti Bolognese bei Salvatore, bevor ich wieder steil hoch steige zur Housing Area. Die ganze Zeit begleiten mich Schiessgeräusche. Und dann stehe ich vor einem Schild, das mich eindringlich davor warnt, weiter zu gehen: Truppenübungsplatz. Das Geballere ist jetzt sehr nah. Aber mich halten die Amis nicht auf. Zwei Telefonate mit Jan, der mich militär- und laufstrategisch berät, und ich kann die „Out of Area- Zone“ umgehen. Von oben sehe ich dann das Gelände, das sich sehr weit dehnt.
Jetzt merke ich zum ersten Mal meine Füße. Der Weg wird lang bis zur Fritz-Claus-Hütte. Ich hatte die Tour mit maximal 20-Kilometer-Etappen schon vernünftig geplant. Alles andere ist einfach zu viel.

Ohne Worte

Aber jetzt kommt die Elendsklamm, und ich weiß, dass ich es geschafft habe.

Am Schluss gehe ich noch durch „unsern Wald“ und stehe dann vor dem Haus meiner Mutter. Sabine, Jan und ich trinken an diesem Abend 3 Flaschen Wein (Mama nur Wasser, wie immer).

Ein Blog folgt morgen noch zum Abschluss, danach verabschiede ich mich von dieser Seite.

Die „Allerscheenste“

Wollte ich aus all den sehr schönen Etappen, die ich auf dieser Wanderung gegangen bin – und es gibt keine, die nervig, öde oder langweilig war -, wollte ich also zwei auswählen, die die „Allerscheenste“ waren, so wären das die von Bodenheim nach Oppenheim am Rheinterrassenweg und die heute von Johanniskreuz zum Gelterswoog.
Während die eine hoch oben vom Roten Hang aus atemberaubende Blicke auf den Rhein freigibt und dabei durch die Wein-Kulturlandschaft führt, taucht die andere ganz tief in den Pfälzer Wald ein, in seine Schluchten, Täler, Bäche, Feuchtwiesen. Und in die Kulturgeschichte der Eisenverhüttung.
Johanniskreuz also der Startpunkt um 8:00 Uhr. Das Hotel dort übrigens war überteuert, und ich habe das mit Abstand schlechteste Essen der vergangenen 14 Tage gegessen. Schwamm drüber, dafür hat der Wirt mir die Zecke fachmännisch entfernt.
In Johanniskreuz habe ich als Kind zum ersten Mal auf Skiern gestanden – ist ja auch mit 473 Meter der höchste Punkt meiner Tour. Johanniskreuz ist ein Wegekreuz für Wanderer, Biker, Motorradfahrer, Autofahrer. Und dort haben Hubert und ich uns bei einer Wanderung vor ein paar Jahren so verirrt, dass wir in einem Tal ankamen, dass kilometerweit von unserem Auto entfernt war. Hubert hatte damals, während wir orientierungslos herumirrten, sehr launisch und bildhaft die Zeitungsgeschichte von dem Mann erzählt, der eine Woche lang im Pfälzer Wald unterwegs war, weil er nicht mehr rausfand. Seitdem habe ich, was den Pfälzer Wald betrifft, ein kleines „Trauma“.
Deswegen will ich mich heute sehr konzentrieren, denn bei vor mir liegenden 20 Kilometern kann ich es mir nicht leisten, weitere 10 mit „Sackgassen-Laufen“ zu verbringen.
Es wird nicht regnen. Das weiß ich von den Tauben (und von der Wetter App). Die Zuchttauben des Hotelbesitzers sind heute zu einem Probeflug nach Frankreich gestartet. Das wären sie nicht, wenn es regnen würde. Sagt die Ehefrau des Hoteliers.
Tatsächlich löst sich der Nebel bald auf, und der Weg durch den Pfälzer Wald Richtung Finsterbrunnental – immer sachte bergab – ist ein Genuss für alle Sinne. Der Geruch des Waldes, der samtweiche Waldboden, das Grün in allen Schattierungen, die Stille.


Die Markierungen sind sehr gut und sehr neu. Trotzdem muss man aufpassen. Wie schnell läuft man so dahin, in Gedanken versunken auf einem breiten Forstweg – und schon hat man das kleine “Pädche“ übersehen, das links den Hang runterführt. Wie im Leben manchmal.

Wenn auch unscharf: Links geht’s „Pädche“ ab.

Heute übersehe ich nichts. Der Pfad führt in Serpentinen hinunter zur Moosalb. Und hier beginnen die Spuren der Eisenverhüttung, die in der Region zurück bis in die Zeiten des 30jährigen Krieges reicht. Ein Stein markiert die „Uralte Schmelz“ (zerstört 1636), ein Holzkohle-Schmelzofen zur Eisengewinnung. Oberhammer heißt  ein Ort in der Nähe, ein Name, der auf das frühe Handwerk hinweist.


Schnell bin ich an der Karlstalschlucht. Caspar David Friedrich hätte sie gemalt, Eichendorff ein Gedicht geschrieben und Schumann ein Lied komponiert, hätten sie die Schlucht gekannt. Ich durchwandere sie, nehme mir viel Zeit und weiß, dass ich mit meiner Tablet-Kamera keine Chance habe, auch nur einen Bruchteil dieser wildromantischen Schlucht einzufangen, durch die die Moosalb fließt.
Ursprünglich hieß die Klamm „Wüstetal“. Freiherr Franz Carl Josef von Hacke, Erbauer des Trippstadter Schlosses, hat der Karlstalschlucht ihren Namen gegeben. In den nach englischem Vorbild gestalteten barocken Schlosspark ließ er die Schlucht mit einbeziehen.
1 Kilometer weit geht es über Treppchen und Brücken durch den Schluchtwald. Es gurgelt und murmelt, es sprudelt und strudelt. Es ist grün und feucht. Moose und Farne überwuchern die gewaltigen Sandsteinblöcke. Pfälzer Regenwald.

Am Ende der Schlucht weitet sich das Tal, und ich gehe über Wiesenbäche (der Weg ist gut befestigt und teilweise als kleiner Dammweg gebaut). Auch hier quellt es überall.


Vorbei an Mittelhammer mit der Klugschen Mühle, komme ich – wie kann’s auch anders sein – nach Unterhammer. Dort stand zu Zeiten des Freiherrn Anton von Hacke (der Vater) das von ihm gegründete Hammerwerk mit Herrenhaus (Hier kann man heute „Romantik-Übernachtungspakete“ buchen!)
Der alte Freiherr, kurpfälzischer Oberjägermeister, Herr von Trippstadt, dem durch Zukauf so gut wie alles in der Region gehörte, muss ein kreativer Kopf mit Geschäftssinn gewesen sein. Er gründete das Eisenhammerwerk in Unterhammer, sorgte für die nötige Infrastruktur, ließ Stauweiher anlegen, um die Wasserkraft nutzen zu können, ließ Meiler errichten, um die für die Eisenherstellung nötige Holzkohle vor Ort zu haben; ja, er sorgte auch mit einem Entwässerungssystem dafür, dass in den Bachwiesen („Buckelwiesen“) Heu für die vielen Pferde der Fuhrleute geerntet werden konnte. Er warb Siedler aus Tirol an und baute Häuser für sie. Also ein Tausendsassa, der außerdem mit seiner Frau noch 18 Kinder zeugte.
Später führten die „Pfälzer Eisenbarone“ das Werk weiter. Mit dem Beginn der Industrialisierung, mit der Dampflok, fielen die Blechpreise. Den Niedergang der Produktionsanlagen konnte auch König Ludwig I von Bayern mit seinem Besuch im Karlstal 1862 nicht aufhalten.
Das alles erfährt man auf Informationstafeln des Eisenhüttenweges, der hier den gleichen Verlauf wie der Jakobsweg hat.
Genug der Kulturgeschichte. Flugs bin ich wieder im Wald, wo ich im Naturfreundehaus Finsterbrunner Tal (sehr gemütlich) einen Kaffee trinken. Ab hier kenne ich alle Ortsnamen: Schopp, Krickenbach, Stelzenbach… Mein Großvater ist hier in den 60ern über die Dörfer gefahren, um Wäsche und Kleider zu verkaufen. In den Dörfern gab es nichts, und Autos hatten die wenigsten.
Um 13 Uhr bin ich am Gelterswoog. Im Seehotel. In FCK-Land. Rückzugsort vor wichtigen Heimspielen. Aber auch guter Treffpunkt für Absprachen von Funktionären. Wie heute wohl. Glaube ich zumindest zu beobachten.


Jedenfalls ein guter Ort. Und gutes Essen. Und ein schönes Zimmer mit Blick auf den See.
Das war heute eine Premium-Wanderung. Ohne Regen. Auf die Tauben ist Verlass. Man sollte sie nicht im Park vergiften gehen.

 

Der Pfälzer Wald ist kein Wonnegau

Ich wusste ja, dass es im Pfälzer Wald schwierig wird. Das ist einfach kein Wonnegau. Und die Experten vom Pfälzer Wald Verein sind schon immer knauserig mit ihren Wegmarkierungen gewesen: „ Ei Maad, do muscht du dich halt e bissje orientiere!“


Aber alles ist gut. Ich bin zwar nicht in der Pension, in der ich reserviert habe, aus geplanten 10 Kilometern sind mindestens 16 geworden geworden, ich bin genau 1,2 Kilometer mit dem Taxi gefahren – kostenlos -, ich sitze im Warmen und Trockenen in einem Hotel in Johanniskreuz, und wenn die Chefin der Pension jetzt noch mit einer Zeckenzange kommt, die sie besorgen will, bin ich eigentlich recht zufrieden.
Dabei begann der Morgen recht unkompliziert. Dank Wetter.com wusste ich, dass ich gut daran täte, früh loszulaufen. Ich bin den Weg wieder zurück nach Appenthal – besser und schneller wäre es gewesen, vom Naturfreundehaus über den Berg nach Elmstein zu gehen. Aber was soll’s. Elmstein ist ein Ort wie in einem Märchen: Fachwerkhäuser, schmale Gässchen, eine Burgruine, der kanalisierte Speyerbach – und der einladend wirkende Gasthof zur Linde, in dem man auch übernachten kann. Es geht immer am Speyerbach lang. Mal ganz nah bei, so dass ich sogar ohne Hörgeräte das Murmeln des Bachs hören kann, mal 50 Meter oberhalb des Wassers. Die Gleise des Bähnles begleiten mich jetzt nicht mehr.
Ab und zu nieselt es kurz. Es sind aber eher die Nebelfetzen, die in den Bäumen hängen. Ich denke gerade, dass bei diesem feucht-warmen Wetter die Pilze wachsen müssten, als ich schon die ersten sehe.
Irritiert bin ich, als ich zu einer Art Schleuse komme. Wieso das?
Es ist eine Triftanlage aus jenen Zeiten, in denen das Holz auf dem Wasserweg transportiert worden ist. Jetzt verstehe ich auch, warum der Speyerbach die ganze Zeit „eingemauert“ ist. In den Triftanlagen wurde das Wasser zeitweise gestaut. Beim Öffnen ist eine Sturzwelle entstanden, auf der das Holz mitschwimmen konnte. Triftknechte mit Haken gaben dem Holz die richtige Schwimmrichtung. So haben die armen Waldpfälzern den reichen, aber holzarmen Weinbauern in Neustadt zu Brandholz verholfen.


Auf den schmalen Pfaden entlang des Speyerbachs, auf denen ich jetzt gehe, waren wahrscheinlich auch die Knechte unterwegs. Es erinnert mich an die Treidelpfade am Rhein.
Unmerklich steigt der Weg an. Es geht gegen Johanniskreuz. Vor Speyerbach wechsle ich über die Landstraße auf die andere Seite und freue mich, wie gut ich das schaffe.
Dann das verwitterte gelbe Kreuz mit – meiner Meinung nach – einem Pfeil in den Wald hinein. Das kann eigentlich noch nicht der Punkt sein, an dem mein Weg eine Schleife macht. 500 Meter rein, dann wieder zurück Auf der anderen Seite der Straße scheint kein Weg zu sein. Nur kniehohes Gras und Brennesseln. Nochmal den Forstweg hinein. Jetzt fängt es richtig an zu regnen. Ich klettere einen Hochsitz hoch, habe Schutz vorm Regen – und überlege.

Da blockiert mich doch einer!

Erstens: Mein nächster Kauf ist ein Wander-Navi. Zweitens: Ich werde die Straße hochgehen. Es ist wenig Verkehr und höchstens noch 2 Kilometer bis Schwarzbach, meinem Etappenziel kurz vor Johanniskreuz. Gesagt, getan.

100 Meter die Straße hinauf, sehe ich links von mir meinen richtigen Weg. Er war bei der Einmündung so zugewachsen, dass ich ihn nicht entdecken konnte. Bei der nächsten Möglichkeit wechsle ich auf den Wanderweg. Auf dem steht das Gras hoch. Anscheinend geht kein Mensch hier lang. Vorteil: Sehr idyllisch. Nachteil: Nasse Schuhe.
Dann endlich eine Richtungsanzeige: 1 Kilometer nach Schwarzbach halblinks, rechts nach Johanniskreuz. Ich nehme Schwarzbach, wandere oberhalb des Weilers entlang – viele Ferienhäuschen – bin aus dem Ort raus und finde keinen Abstieg. Also den Hang runter. Da sind die Zecken. Eine entdecke ich, bevor sie sich richtig an mich klammert. Die zweite sehe ich zu spät. Aber gut. Ich bin am Ziel. Alles weitere wird sich geben. Pustekuchen. Der Gasthof Waldesruh öffnet erst um 17 Uhr. Es ist jetzt noch keine 14 Uhr und es regnet. „HOTEL GEÖFFNET“ steht da. Aber kein Mensch ist da. Ich klopfe an sämtlichen Türen. Nichts.
Telefonnetz gibt’s hier nicht. Kein Mensch nirgends. Ich gehe hoch zur Straße nach Johanniskreuz und entscheide mich gerade, diesen einen Kilometer hochzulaufen, um mir dort etwas zu suchen, als ein Taxi vorbei fährt. Der junge Fahrer nimmt mich wie selbstverständlich mit und fährt mich bis zu einem Hotel. Da habe ich mit Hubert vor Jahren Kaffee getrunken.
Ein Messer gibt mir der Chef nicht, damit ich die Zecke rausholen kann. Seine Frau will in der Apotheke – wahrscheinlich Trippstadt – eine Zeckenzange holen. Derweil unterhalte ich mich mit einer Truppe Traktorfahrer aus dem Hunsrück, die zu einem Traktor-Fahrer-Treffen ins Elsass fährt.


Die Zeckenzange gab’s nicht, jetzt haben wir eine Pinzette genommen. Operation in der Gaststätte unter Beteiĺigung aller Gäste. Mit viel Gelächter. Jetzt geht es mir wieder gut.
Und morgen die längste Etappe der Tour bis zum Gelterswoog. Laut Wetter App wird es besser. Im Moment sieht es noch nicht danach aus. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

 

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