Reisen

Kategorie: Deutschland (Seite 6 von 10)

Wenig Strecke, viele Kilometer

Auch das gibt es: mutwillig zerstörte Informationstafeln zum Grünen Band und dem Naturschutz. Gesehen oberhalb von Meilschnitz.

Ich war durch den Wanderführer vorgewarnt: Der Kolonnenweg bei Meilschnitz sei sehr steil. Und das war nicht übertrieben. Obwohl es noch früher Morgen ist, schwitze ich aus allen Poren. Ich kann mir kaum vorstellen , dass hier Fahrzeuge hoch kommen. Na ja, Militärfahrzeuge wohl schon.
Dabei ist der Weg durch den Wald toll. Ganz still ist es. Über mir,  gar nicht hoch, kreist ein Raubvogel. Ein Reh springt über den Weg. Das dritte bisher auf der gesamten Tour.

Oben am Isaak liegt der „Generalsblick“. Hierher führten DDR-Grenzoffiziere ausländische Militärs hin, um ihnen die „perfekte Grenze“ zu zeigen. Heute habe ich einen wunderbaren Ausblick über die Bäume bis nach Sonneberg.

Dann geht’s weiter hoch bis zur Straße. Und dann kommen die Bremsen (pfälzisch). Nichts hält sie ab. Obwohl ich mit Mückenspray eingerieben bin, finden Sie immer noch einen Platz zum Zustechen.
Ich verlasse fluchtartig den Platz und laufe auf der gegenüberliegenden Seite Kolonne weiter. Am Waldrand jetzt rechts Felder, Birken säumen den Weg, dann geht’s wieder rein in den Wald, immer schön auf einer Höhe – und dann ist der Weg weg. Ich erahne noch, wo es lang gehen könnte, merke aber, dass alles keinen Zweck hat. Einen kleinen Pfad gehe ich ein paar Meter ins Dickicht, gebe aber auch das bald auf. Auf den Infotafeln am Wegrand, wird immer wieder vor Minen gewarnt, die möglicherweise noch im Boden liegen. Da habe ich viel zu sehr Schiss.
Also Kehrtwende und alles wieder zurück, die Straße erst runter nach Effelder und wieder hoch nach Rückerswind. In Effelder bestätigt man mir, dass ich durchaus richtig war. Und Minen gibt’s hier nicht mehr. „Wir gehen dort oben ja auch in die Pilze und in die Beeren!“
Dann ist es aber ein schöner Weg ins Tal der Effelder, weiter durch den Talgrund bis zum Froschgrundstausee, der von der gigantischen ICE-Brücke der Strecke Nürnberg – Berlin überspannt wird. Und: In einem Restaurant am See gibt’s gutes Essen.

In Weißenbrunn hoch über dem Stausee tut mir der Wasserfall nicht den Gefallen: Es gibt kein schönes Foto, weil das Wasser fehlt. Also auf nach Almerswind und dann noch mal 2,5 Kilometer bis Schalkau. Das erste Mal spüre ich die gelaufenen Kilometer. Es war ein sehr heißer Tag. Und durch den Umweg habe ich zwar 29 Kilometer, aber keine „Strecke gemacht“.

Ärmla, Beela, Wanstla – im Puppenmacherland

Da meine Etappe am Dienstag schon früh in Neustadt bei Coburg endet, habe ich viel Zeit für das hübsche kleine Städtchen, seinen Marktplatz, die Cafés und vor allem für das Spielzeugmuseum.
Zwei sehr freundliche Damen im Café haben mir den Tipp gegeben: Das Museum in Sonneberg sei zwar älter und grösser, aber das von Neustadt sei auch sehr, sehr schön. Sie selbst seien allerdings noch nicht dort gewesen, sagt die eine der beiden Damen. Von ihnen erfahre ich übrigens auch, wie man nach Meilschnitz kommt, wie die Nummer des Taxis ist, in welcher Gastwirtschaft es das beste fränkische Essen gibt, und dass die Neustädter früher alle für und von dem Puppenmachen gelebt hatten. „Viele als Heimarbeiter oder als Kleingewerbetreibende. Aber meistens haben sie ja Einzelteile für die großen Betriebe hergestellt: Ärmla, Beela, Wanstla.“

Das Museum ist wirklich toll. Man erfährt sehr anschaulich vieles über die Puppenmacherei seit dem 18. Jahrhundert, es gibt eine beeindruckende Sammlung von Trachtenpuppen aus aller Welt. Diese Sammlung legte den Grundstein für das Museum. Und es gibt auch eine moderne Puppenkunstausstellung (Hanne würde sich freuen, sie zu sehen – und was zu kaufen!)

Mein Höhepunkt war aber die Kinderabteilung im Untergeschoss: Riesengroße Glasvitrinen, eigentlich Puppenbühnen hinter Glas. Darin dreidimensionale Wimmelbilder mit Puppen. Von Dornröschen, von einem Zoo oder von Wilhelm Buschs „Max und Moritz“. Am allerschönsten sind aber die Vitrinen, die die verschiedenen Berufsbilder innerhalb des Puppenmacherhandwerks zeigen: Der Bossierer, der Drücker, der Puppenstopfer, der Puppenkopfmaler, der Augeneinsetzer, der Puppenfriseur…..
Ich bin immer noch ganz fasziniert, während ich in der Gastwirtschaft Eckstein sitze, einen Frankenwein trinke, eine ganz frische Forelle esse und die Aussicht auf den Neustädter Marktplatz genieße. Prost!

Der Kolonnenweg

10 Tage sind wir nun zu einem großen Teil auf dem Kolonnenweg gewandert. Langweilig? Immer gleich? Mitnichten. Zwar ist der Aufbau meist identisch. Links und rechts ausgelegte Betonplatten mit Lochmuster, sehr verwitterungsbeständig. In der Mitte ein freigelassene Streifen Bodengrund – nicht immer gleich breit. Grenzfahrzeuge konnten – sogar mit einer Art Militär-T rabi – jeden Punkt der Grenze erreichen.
Heute, Jahrzehnte später, zeigt sich dieser „Wanderweg“ vielfältig.
Es gibt quergelegte Lochplatten, und es gibt hochgelegte. Die quergelegten sind zum Wandern besser.


Manchmal gibt es Betonplatten, die keine Muster haben, sondern nur am oberen und unteren Ende zwei quadratische Löcher. An Kurven gibt es – sehr selten – Betonplatten ohne jegliches Loch.
Viel interessanter ist aber das Verhalten des Untergrundes und der die Platten umgebenden Natur: Manchmal ist das Betonlochmuster von den Grassoden voll ausgefüllt. Dann geht es sich federnd leicht. Manchmal sind die Löcher ausgefüllt mit allen Arten von Wildkräutern und Pflanzen: Klee, blühende Pflanzen, Wildrosen. Das sieht sehr schön aus, verleitet zum Fotografieren, ist für das Wandern aber ungeeignet. Noch ungeeigneter sind tiefe Löcher, die gar nicht ausgefüllt sind. Das ist dann die Rache des DDR-Systems am Wanderer! Hier hilft nur äußerste Konzentration.


Die Lochmuster sind das eine, die unbetonierte Mitte ist ein anderes: Manchmal sind sie – von z.B. Schafen sehr gepflegt – dann kann man „durch die Mitte“ gehen. Manchmal wachsen Gras, Johanniskraut, Schafgarbe fast meterhoch – dann geht in der Mitte gar nichts .

Manchmal führt der Kolonnenweg durch Wald, wie an den Saaleschleifen, dann gehen wir in der Mitte auf federnden Waldboden. Und manchmal ist der Kolonnenweg einfach überwuchert – wie im Auenwald bei Neustadt. Dann ist man auf spannender Spurensuche.
Nein, der Kolonnenweg ist nicht eintönig. Er ist mit ordentlichem Schuhwerk auch keine Stolperfalle. Er ist einfach ein Weg der Konzentration auf das Wesentliche von Vergangenheit und Gegenwart.

Abschiede, Filmaufnahmen, Auenwald – aber „nur“ ein kurzer Wandertag

 

Was sich manchmal alles in einen Tag hineinpackt:
Da war zuerst einmal der Abschied von Annette, die in Pressig die Tour beendet und dort noch einen Tag bei ihrer Freundin bleibt.  Danke, liebe Annette, für die Begleitung! Dein Orientierungssinn wird mir fehlen. Und ab heute werde ich den Rucksack jedes Mal wieder selbst runter nehmen müssen, wenn ich fotografieren will.
Annettes Freundin – danke, liebe Sigrun, für deine Gastfreundschaft, für deine gedanklichen „Stolpersteine“ und die Fahrten zu DEINEM schönen Frankenwald – hat mich zum Start der heutigen Etappe gefahren.
Dort – und damit bin ich beim zweiten Paket des Tages, standen schon Wagen des Bayerischen Rundfunks. Sie wollten mit Kai Frobl, BUND-Experte und „Erfinder“ des Namens „Grünes Band“, einen Beitrag für die Frankenschau drehen. Und dann kam ich dahergelaufen. Das war natürlich ein wunderbarer Zufall, wie es kein Drehbuch besser schreiben kann. Der Beitrag läuft Ende Juli. Ich bin mit dabei: verschwitzt, mit ungewaschenen Haaren, Sonnenbrille, die ich vergaß abzunehmen…..
Aber trotzdem war es schön.
Und ich freue mich, wenn viele meiner Leser  und Leserinnen etwas zur Erhaltung, Weiterentwicklung und Pflege des Grünen Bandes spenden.

Das Dritte Päckchen des Tages war dann eine Auenlandschaft bei Neustadt. Ich bin gerade auf dem Radweg an der Steinach unterwegs, denke, dass Radwege für die Wandrerin nicht gerade das Non-plus-Ultra sind, als ich den Kolonnenweg entdecke, der über eine Brücke führt. Die Steinach hatte die DDR-Grenztruppe begradigt. Nach der Wende hat sich das Flüsschen sein altes Bett geholt, und so ist eine Aueninsel entstanden: ein kleiner Urwald. Der Kolonnenweg ist hier so gut wie zugewachsen. Brenessel, Brombeeren, Windbruch von Birken und Pappeln – man muss schon einiges bewältigen. Aber es macht Spaß, so sehr, dass ich den Weg immer weitergehe und irgendwann an der Straße Neustadt – Sonneberg herauskomme. Dann muss ich zwar durch ein Gewerbegebiet wieder auf einem Radweg zurücklaufen – aber es hat sich gelohnt!

Von Spechtsbrunn bis Kronach

 

Es ist früher Sonntagmorgen, als wir von Spechtsbrunn aus über einen Wiesenweg hinauf zum Waldrand steigen. Dort finden wir bald wieder den Kolonnenweg. Und wir finden die Hinweisschilder über junge Menschen, die bei Fluchtversuchen erschossen worden sind. Hier waren es drei Menschen, vor Spechtsbrunn zwei. Abends sagte mir ein Besucher in der Gastwirtschaft: Hier ist nichts passiert. Nur einer ist mal erschossen worden. Das ist alles in Berlin gewesen.“
Wie sehr hatte Hubert, mein Mann, sich immer aufgeregt, als „seine“ Benneckensteiner im Harzer ehemaligen Sperrgebiet von nichts mehr wussten: Weder von Juden, die im Nationalsozialismus in den Selbstmord getrieben wurden, noch über die Toten der innerdeutschen Grenze.
Trotzdem: Über einen wunderschönen Weg kommen wir zum Wildberghof, gegründet in den 1970ern von Frankfurter Kommunarden. Zwei von Ihnen leiten heute noch den Hof, wo man auch übernachten und sonntags Kaffee trinken kann.
Aber zu dieser Uhrzeit? Vor 10:00 Uhr?
Klar doch, Kaffee geht immer. Zusammen mit einer Unterhaltung der „alten“ Kommunarden, über die Trockenheit und ihre Konsequenzen für die Landwirtschaft.
Nach der Kaffee-Stärkung geht’s über Wald und Wiesen nach Sattelpass und Neuenbau. Dort, auf dem Hammerberg ließ dass DDR-Regime eine „Führungsstelle“ für den gesamten Grenzabschnitt einrichten. Die Sattelpasser hatten es schwer: Wenn in Neuenbau Tanz war, mussten die Sattelpasser um 22:00 Uhr zuhause sein.

Dabei war das früher ganz anders: Die über den Sattelpass verlaufende Straße war seit dem späten Mittelalters Geleitstrasse, auf der Reisenden Schutz und Schild gewährt worden war. Sie war die Verbindungsstrasse zwischen Maintal und oberen Saaletal, zwischen Nürnberg und Leipzig. Martin Luther war wohl der bekannteste Reisende dort.

Dann wandern wir runter ins Tal der Tettau. Ganz lang durch den Frankenwald. Ganz weit runter. So weit, dass wir uns etwas verlaufen. Was nicht schlimm ist. Weil wir direkt an einer Gasstätte rauskommen: Klöße mit Sauce, Thüringer Würste: ein Gedicht!
Der Weg entlang der Tettau – linkerhand ein sehr steiler Frankenwaldsteilhang, rechts die Tettau mit einer zugewachsenen Bahntrasse – führt mal wieder durch eine tolle Landschaft – leider auf dem Fahrradweg. Was es für Wandrerinnen nicht einfach macht.
Es geht bis Heinersdorf, einem zweiten Mödlareuth – mit Mauer.
Wir (müssen) noch weiter zum Bahnhof nach Pressig.

Von wo aus wir nach Kronach fahren. In die Cranach-Stadt. Mit ihren wunderbaren alten Häusern. Wo wir im alten Flossherrenhaus übernachten. Und im Brauhaus gut essen und trinken. Und auf unsere wunderbare Gastgeberin des Ruhetages am Montag treffen. Wir fühlen uns wohl im Frankenwald!

Nachdenkliches

„Mit welchen Erwartungen seid Ihr denn hier hergekommen?!“ Eine, deren Heimat der Frankenwald ist, ist nicht sehr erfreut über den letzten Blog, in dem es um geschlossene Gasthäuser ging. „Hier in dieser Region entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze war 50 Jahre nichts. Hier gab es vielleicht in den Dörfern ein Wirtshaus, in das die Männer abends ein Bier trinken gingen.“ Wir könnten diese Region am Grünen Band nicht mit Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz vergleichen. Hier sei nicht viel gewesen – außer der wunderbaren Landschaft.
Tatsächlich bin ich sehr nachdenklich geworden. Hat sich da etwa so eine etwas arrogant-oberflächliche Sichtweise eingeschlichen, dass es im Frankenwald doch – bitte schön – an jeder Wegzweigung eine urige Waldgaststätte zu geben habe?
„Freut Euch doch stattdessen, wenn ihr auf eine Gaststätte trefft, statt nur zu kritisieren, wenn eine geschlossen ist.“ Diesen Ratschlag werde ich in Zukunft beachten. Versprochen.
Und das fällt ja nicht schwer bei dieser wunderbaren Landschaft mit seinen dunkelbewaldeten Berghügeln, den Bächen, Wiesen und Feldern, wo der Wanderer oder die Wandrerin allein auf weiter Flur ist, wo man die Vögel noch singen hört und die Schmetterlinge nicht vereinzelt, sondern hundertfach am Wegrand flattern.

Grandiose Aussicht auf der Thüringer Warte

Die Thüringer Warte

Manche Tage geht’s rauf und runter. An diesem Tag von Probstzella nach Spechtsbrunn geht’s mehr rauf – und zwar steil und schweißtreibend . Erst nach Lauenstein (Bayern) mit Burg, dann nochmal höher zur Thüringer Warte, in früherer Zeit DEM Aussichtspunkt im Westen, um die Grenzanlagen zu sehen.

Besuch des Bundespräsidenten Lübke an der Thüringer Warte 1964

 

Blick nach Süden

Herrliche Aussichten bei strahlendem Sonnenschein hatten wir schon den ganzen Morgen, aber die Blicke vom Turm waren kaum zu überbieten – in alle Richtungen!


Dann wieder ein Stück Kolonnenweg – wir hatten ihn schon vermisst, bis wir nachmittags wieder auf den Rennsteig stoßen (Teerweg!) und nach über 20 Kilometer in Spechtsbrunn ankommen.

„Zonenrandgebiet“

Vom Sperrgebiet zum Wanderparadies: Zwischen Ludwigsstadt und Probstzella.

Die Frau aus der Touristik-Information in Ludwigsstadt, bei der wir uns nach dem Wanderweg nach Probstzella erkundigen, ist sehr, sehr stolz auf ihre guten und prämierten Wanderwege.
Das sei nicht immer so gewesen. Als die Gegend hier noch „Zonenrandgebiet“ gewesen sei habe man sich vor Touristen nicht retten können. Grenztouristen. Zum Beispiel zur Thüringer Warte oberhalb von Lauenstein. Alle Häuser seien voll gewesen. Nach der Wende habe man gedacht, es gehe alles so weiter. Vor 10 Jahren sei klar geworden, dass man die neue Zeit verschlafen habe. Keine Touristen mehr. Keine Einnahmen. Deshalb setze man jetzt verstärkt auf Wandertourismus. Qualitätsgeprüft. Stimmt – das Wandern hier lohnt sich.

Knödel-Äquator

Heute essen wir zum ersten Mal Thüringer Würste. Zusammen mit fränkischen Würstchen und Sauerkraut in einem Gasthof am Rennsteig. Überall in den kleine Dörfern links und rechts des Grünen Bandes gab es früher Gasthäuser und Pensionen. Jetzt treffen wir unterwegs kaum auf eine Einkehrmöglichkeit. Häufig findet man am Ortseingang noch ein Hinweisschild mit Öffnungszeiten – aber nur, weil man vergessen hat, es abzumontieren.
Häufig bieten die Gasthöfe auch noch Übernachtungen an, allerdings ohne warmes Essen, weil Ruhetag ist, oder Ferien, oder der Koch krank.
Nicht, dass der Betrieb nicht lohnen würde. Nein, die Besitzer, in die Jahre gekommen, finden keinen Nachfolger und/oder keine Mitarbeiter. Wer will heutzutage schon an Wochenenden arbeiten, noch dazu für einen mickrigen Stundenlohn und dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen?

In den Gaststätten selbst ist die Zeit stehen geblieben. Das Interieur aus den 60er Jahren, viel Holz, eine Schiebetür für den zweiten Gastraum, alles im Halbdunkel – ich habe sogar den guten alten Kaugummi-Automaten wiederentdeckt. Die Speisekarte stammt auch aus den 60ern: Strammer Max und Toast Hawaii. Frische Klöße gibt es – wenn überhaupt – nur an Wochenenden und auf Bestellung.
So wandern wir am „Knödel-Äquator“ entlang, und hatten nur am ersten Abend in Bad Elster böhmische Klöße auf dem Teller.
Der kulinarische Tiefpunkt war das Gasthaus am Friedrich-Wilhelm-Stollen in Lichtenberg (Franken) bei Blankenstein (Thüringen). Wir übernachten am Mittwoch, die Gaststätte hat von Montag bis Mittwoch Ruhetag. „Die Frau“, sagt der Wirt, ist in Hof zum Einkaufen. Sie würde uns Grillhähnchen mitbringen. Ob’s recht sei? Nach einer 20-Kilometer-Wanderung ohne Einkehrmöglichkeit unterwegs ist uns alles recht. Das halbe Hähnchen – immerhin macht uns „die Frau“ noch Bratkartoffeln – muss vom schlechtesten Grillwagen der Gegend stammen. Den Geschmack nach altem Fett habe ich die ganze Nacht im Mund, und am nächsten Tag müssen wir uns beide mal des öfteren in die Büsche verziehen.
Die deftige Hausmannskost auf dem Dorf ist eine Mär, zumindest bis jetzt.
Aber das sollte niemand von der Wanderung auf dem Grünen Band abhalten.
Und ein Nachtrag: Wie schnell sich die Sachlage zum Guten ändern kann! Diesen Blog-Beitrag hatte ich Samstagabend geschrieben. Am Sonntagmittag haben wir uns verlaufen. Gott sei Dank!  Wir sind nämlich an einer Gaststätte aus dem Wald gekommen, bei der es fränkische Würste gab und Klöße  mit Soße – so locker und frisch hatte ich noch keine gegessen.

Eine Perle der Bauhaus-Architektur und ein Unternehmer, der alle Muster sprengt

Das “Haus des Volkes“ ist ein Meisterwerk des Bauhaus-Architekten Alfred Arndt. Eines seiner frühen Bauten. Es ist nicht nur das Wahrzeichen von Probstzella, es dominiert den kleinen Schieferort im ehemaligen Sperrgebiet.
Eigentlich war das gewaltige Bauwerk schon reif für die Abrissbirne, doch dann fanden sich drei im positiven Sinne „Verrückte“, die es Anfang der Jahrtausendwende von der Treuhand ersteigerten und versuchen, es wieder als Hotel, Kultur- und Bildungshaus zu etablieren. Ein Wahnsinnsunterfangen!
Allein der große Veranstaltungsraum fasste einmal 1.000 Plätze. Die Deckenkonstruktion dieser „Kathedrale des Volkes“ – wie sie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts genannt wurde – wurde leider in der DDR-Zeit verschandelt.

Der Rote Saal bietet Platz für 1.000 Menschen. Leider wurde die Deckenkonstrukton verschandelt.

Erbauen ließ das Haus der thüringische Industriepionier Franz Itting. Als Jugendlicher wollte er mit seinem Freund nach Amerika, um „den unterdrückten Indianern“ zu helfen, als Industrieller führte er in seinem Elektrizitätsunternehmen in der Weimarer Republik die 40-Stunden-Woche ein, förderte die Mitgliedschaft in Gewerkschaften, schloss Lebensversicherungen für seine Arbeiter ab…
Das Haus des Volkes sollte den Menschen dieser ärmlichen Gegend Bildung, aber auch Entspannung und Erholung bringen. Der Aufbruch in eine neue Zeit mit den Formen moderner Architektur. Das Konzept ging auf. Zu den Veranstaltungen im „Haus des Volkes“ strömten die Massen. Bis die Nazis kamen.
Itting war Sozialist, war in der Region politisch aktiv und wurde von den Nazis als „Bonze“ und „Volksschädling“ beschimpft, in Schutzhaft genommen, verfolgt. Nach dem Krieg haben ihn die Kommunisten als „feindliches und entartetes Element“ verfolgt, inhaftiert, verurteilt. Aber Itting fing im Westen ein drittes Mal an und blieb bis zu seinem Tod mit über 90 Jahren der Überzeugung treu, „dass sich die Menschheit ein Paradies schaffen könnte“.
Im „Haus des Volkes“ gibt es eine gut konzipierte Ausstellung über das Leben dieses Mannes, der in keine deutsche Norm“ (Roman Grafe) passt. Roman Grafe hat ihm mit dem Buch und Dokumentarfilm „Mehr Licht“ ein Denkmal gesetzt.
Es ist ein Erlebnis, in diesem Bauhaus-Hotel zu übernachten. Würde es in Berlin stehen, wäre es auf Jahre hinaus ausgebucht. Aber es steht am Grünen Band – im „wilden Deutschland“.

 

Frühstücksraum des Hotels und bereits Teil des Museums.

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