Reisen

Kategorie: Deutschland (Seite 5 von 10)

Allein unterwegs nach Tann

 

Die Stimme in meiner Hosentasche erfreut mein Gemüt sehr. Obwohl sie frei von irgendwelchen Emotionen den Weg vorgibt: „Gehen Sie auf diesem Weg 2,2 km.“ „Biegen Sie jetzt links ab.“

Ich habe meine Wander-App gestern abend doch noch „zum Laufen“ gebracht. Es war Zufall, kein Können. Trotzdem war es eine unruhige Nacht: Mein linker Arm ist inklusive der Hand von Schnaken und Bremsenstichen stark angeschwollen. Aber Gott sei Dank habe ich in meinem 8-Kilo-Rucksack ja einen gut sortierten Medikamentenkoffer. Und dann war ich auch unsicher, ob ich das allein morgen schaffen werde.

Aber jetzt – am frühen Morgen – ist alles gut. Die Sonne scheint, die Luft ist frisch, und ich wandere auf einem sanft abfallenden, knieschonenden Weg vom Ellenbogen runter Richtung Unterweid. Entlang blühender Feuchtwiesen, durch Wald. Hutungen nennen sie in der Rhön seit Jahrhunderten die Weideflächen. Durch Krieg, aber auch durch die Gewinnmöglichkeiten in der Holzwirtschaft sind große Flächen verbuscht oder wurden mit Nadelbäumen aufgeforstet.

Ich mache Rast an der ehemaligen „Hinteren Mühle“ von Unterweid. Sie wurde noch 1979 geschleift, weil sie zu nah an der Grenze lag. 300 Jahre lang haben ihre Besitzer und Pächter zur Ernährung der Menschen beigetragen. Heute erinnert nur noch ein modernes Wasserrad an den abgerissenen Bau. Am Ufer des Baches blühen die Vergissmeinicht.


Jetzt geht es sanft wieder hoch bis Kleinfischbach. Dann  wird’s steiler. Hinzu kommt, dass der im Wanderführer vorgesehene Weg gesperrt ist. Ich muss ins Dorf zurück und einen Umweg gehen.

Die Sonne sticht. Es ist schwül. Und es geht aufwärts. Schweißtreibend.  Aber oben werde ich bald mit Panoramablicken auf die Kuppenrhön entlohnt.  Ich bin jetzt wieder auf dem Hochrhöner. Dann geht es runter nach Tann. Die hessische Stadt mit tollen Fachwerkshäusern wird überragt vom Habelberg. Zu DDR- Zeiten ragte sie wie ein Pilz in die DDR. War also auch von Grenzen eingeschlossen. Alle Beziehungen zu Freunden und Verwandten in Kaltennordheim waren gekappt.

11-Apostel-Haus, eines von vielen schönen Fachwerkhäusern in Tann. Allerdings stellt einer der Apostel Christus dar. Und ausserdem: Wieso eigentlich 11 Apostel.

Das Ochsenbäckerhaus beherbergte zuerst eine Metzgerei, dann eine Bäckerei.

Ich bin nach 18 Kilometern zu müde für eine längere Stadtbesichtigung und Suche meine Übernachtung „Zur Krone“ auf, ein Landgasthof mit angeschlossener Metzgerei. Ihr ahnt, was noch kommt: eine Schlachterplatte zum Abendessen mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Bei immer noch glühender Hitze auf der Terrasse des Hotels mit Blick auf den Habelberg. Der Höhepunkt: der „Schweinebaron“, ein freundlicher Herr, der die Ferkel angeliefert hat, und der auch mit am Tisch sitzt, zeigt mir ein Foto von den Ferkeln am Morgen: lebend!

Wo früher „Horch und Guck“ spionierten, gibt’s heute kein Netz

Ich sitze oben auf 813 Meter Höhe auf dem Ellenbogen, früher Horchstation der DDR, das Pendant zur „westlichen“ Wasserkuppe, die ich von hier aus ebenso sehe wie geschätzt alle erloschenen  Vulkankegel der Kuppenrhön.  Es ist Abend und langsam werden die Berglinien vor mir zu Schattenrissen. Die Mücken stechen, der angenehme Wind von heute Mittag hat sich verdrückt – und ich habe keinen Empfang. Das muss man sich mal vorstellen: Von hier aus haben die Leute des Ministeriums für Staatssicherheit mit modernster Technik in 6 Türmen die halbe Bundesrepublik ausgespäht (in der Bundesrepublik saßen die amerikanischen Späher mit ihrem Radar auf der etwas höheren Wasserkuppe) – und heute kann ich hier nicht telefonieren.

Dafür ist der Ellenbogen mittlerweile Anziehungspunkt für Wanderer, Familien mit Kindern, Biker, Radfahrer. Und statt der Spähtürme von „Horch und Guck“, die 1990 abgerissen wurden, steht heute auf der Spitze  „Noahs Segel“, eine 23 Meter hohe Metallkonstruktion, die man ersteigen kann. Oben auf der Plattform hat man einen grandiosen Rundumblick. Und für Kinder das Schönste – runter geht es auf einer Rutsche!

Der Name spricht einerseits die Form der Konstruktion an, andererseits verweist er auf ein knapp 6 Kilometer entfernt errichtetes anderes Bauwerk, die Arche. Und dann erinnert das Segel in seiner Form auch noch an einen Ellenbogen. Fast zu viel der Symbolik.

Langsam gehe ich zurück zu meiner Unterkunft, dem Eisenacher Haus, einem Berggasthof mit Geschichte. Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde der mächtige Bau vom Rhönclub errichtet. Nach dem 2. Weltkrieg – der Ellenbogen lag im Osten – wurde der Rhönclub dort verboten, das Haus wurde Staatseigentum und zu einem FDGB-Ferienheim. Danach waren zwischenzeitlich die Russen dort, und dann kam die Staatssicherheit. 1968. Das Haus war wegen seiner Grenznähe idealer Standpunkt für die Funkaufklärung. Noch vor der Wiedervereinigung, im September 1990 wurden die Antennen hnd Türme abgerissen

Das Haus war in einem desolaten Zustand. Doch mittlerweile hat es sich als Berghotel wieder etabliert.

Übrigens: Lange glaubten Russen und Staatssicherheit, dass die Zentrale im Eisenacher Haus mit den Spähtürmen  – genannt „Blitz“ – sowohl dem Westen als auch der eigenen Bevölkerung verborgen sei. Aber der Westen wusste schon lange über Fotos von westlichen Grenzschützern bescheid. Und die Menschen, die im Gebiet wohnten, nannten das Areal um den Ellenbogen „Klein Sibirien“. Noch Fragen?

Zum Einstieg  ein lila Band: Von Birx bis zum Ellenbogen

Der erste Wandertag ist immer aufregend, auch wenn die Strecke von Birx zum Eisenacher Haus kurz ist. Deshalb bin ich froh, dass meine Nachbarsfreunde dabei sind.

Und natürlich komme ich mit meiner Wander-App nicht zurecht. Wir werden sehen, wie das wird, wenn ich allein bin.

Der Einstieg in Birx gelingt aber erst einmal gut. Ganz in der Nähe unserer Pension finden wir doch tatsächlich die Markierung des Grünen Bandes.  Etwas ganz seltenes, wie ich von meiner Wanderung 2018 weiß. Und das soll auch so bleiben. Denn die Markierung verschwindet bald wieder.

 

„Mit den Füßen  in Thüringen und Bayern im Rücken wandern wir auf einem Feldweg auf Hessen zu“, beschreibt die Autorin meines Wanderführers ganz anschaulich nicht nur den Start, sondern auch die Grenzsituation an diesem Dreiländereck. Und sie läßt erahnen, wie eingekesselt der Ort Birx zu Zeiten der deutschen Teilung war. Es lag im Sperrgebiet. Frei war nur der Weg nach Osten Richtung Frankenstein.

Komisch, ich sehe sofort, als wir den kaum mehr sichtbaren Kolonnenweg queren. Die Tage auf der ersten Grenzwanderung 2018 haben das Auge geschult.

Aber wir folgen ihm noch nicht, weil er durch eine ungemähte Wiese führt, sondern machen einen kleinen Bogen ins Hessische. Dann stoßen wir wieder auf den Grenzweg mit seinen Betonlochplatten, die man nur mit äusserster Konzentration begehen kann, will man nicht unversehens umknicken. Das Gras steht hoch im Mittelstück des Weges. Es ist wirklich schwer zu gehen. Links und rechts ist die Landschaft nicht mehr „nur“ verbuscht; hohe Birken und Nadelbäume sind gewachsen. Der Kolonnenweg ist hier eher eine schmale Schneise durch den Wald. Dazwischen Feuchtbiotope.

Für meinen Nachbarsfreund ist es auch deshalb so unwirklich, auf dem Betonweg zu gehen, weil er vor langer Zeit seinen Wehrdienst hier bei der Grenzschutzpolizei absolviert hat. Er hat sozusagen vom Westen aus beobachtet, was sich dort abspielt, wo er jetzt zum ersten Mal geht.

Und dann wird das Grüne Band zum Lila Band. Schön fürs Auge, schlecht für die einheimischen Pflanzen. Die Lupinien, die manchmal hundert Meter weit den Weg links und rechts säumen, gehören nicht in die Rhön. Aber sie verbreiten sich rasend schnell und sind zum Problem geworden, weil sie alle anderen Pflanzen verdrängen, besonders diese einmaligen hier am Grünen Band.

Bald verlassen wir den Kolonnenweg wieder und folgen dem Hochrhöner. Durch duftende Wiesen geht es mit herrlichen Aussichten rasch zum Ziel der ersten kleinen Etappe: dem Ellenbogen.

 

 

Tradition auf dem Grünen Band: das falsche Hotel

Kühl ist es abends in der Hohen Rhön. Birx liegt über 700 m hoch.

Ich war so sicher, dass ich Zimmer im Flechsenberger Hof in Birx gebucht hatte. Ich hatte alles auf meinem Tourplan vermerkt. Doch als wir ankamen, standen dort viele Hochzeitsgäste. Ein besonders elegant gekleideter Mann machte uns darauf aufmerksam, dass der Landgasthof heute wegen einer Hochzeit geschlossen sei. Ich wollte es nicht glauben. „Aber ich habe doch reserviert! Ich habe doch mit Ihnen telefoniert!“ Ich war fassungslos. Der Angesprochene – augenscheinlich der Wirt – meinte lapidar: „Das wüsste ich aber. Es ist meine Tochter, die heute heiratet. Und dieser Termin steht seit über einem Jahr.“

So ging es noch eine Weile hin und her, bis der Wirt uns empfahl, es in der Pension Dreiländereck zu probieren. „Dort wo der gelbe Trabi auf dem Garagendach steht.“ Und siehe da: Dort hatte ich auch gebucht. Und es nur falsch in meinem Plan vermerkt. Mea Culpa!

Dafür wurden wir aber mit einem tollen Frühstück entlohnt. Und im „Rhönstübchen“, einem Gasthof, haben wir auch recht gut gegessen.

Ich habe den Eindruck, dass die Infrastruktur an diesem Teil des Grünen Bandes besser ist als am ersten südlichen Teilstück. Das kann aber daran liegen, dass der Hochrhöner hier vorbeiführt.

Dieser Wanderweg ist vielbegangen. Auf dem Grünen Band geht kaum jemand. Das bestätigt auch unser Wirt, der selbst geführte Grenzwanderungen  anbietet. „30 gehen den Hochrhöner, 3 das Grüne Band“.

„Zur Rhön hinauf“

Hand auf’s Herz: Wer hat schon einmal seinen Urlaub in der Rhön verbracht? Ich nicht.

In einigen Mittelgebirgen bin ich gewandert: im Harz, im Hunsrück, in der Eifel, im Bayerischen Wald, im Odenwald oder im Spessart….aber in der Rhön?

Karges, kaltes Land, unwirtlich, arm, „Zonenrandgebiet“ – insgesamt wenig attraktiv.

Und was erlebe ich, als ich mit meinen lieben Nachbarn, die mit mir zum Start meiner Grüne-Band-Wanderung nach Brix, im Dreiländereck Franken/Hessen/Thüringen fahre?

Eine grüne  Mittelgebirgslandschaft, die ihresgleichen sucht. Famose Aussichten von langgestreckten Höhenrücken aus (Lange Rhön), bewaldete Kuppeln, herrliche Buchenwälder, fette  Wiesen. Grün in allen Schattierungen. Die Mauersegler – wer kennt die noch? – sind unterwegs, und überhaupt merke ich jetzt erst hier, wo um uns herum das Vogelgezwitscher eine stete Hintergrundmelodie ist, wie sehr die Vögel in der Stadt fehlen.

Und in den Tälern  liegen die kleinen Ortschaften wie aus dem Bilderbuch: Fachwerkhäuser, rote Ziegeldächer, Kirchen mit Zwiebeltürmen. Es ist wie eine aus der Zeit gefallene Welt.

Die Wandervögel fallen mir ein. Im Frühtau zu Bergen. Wem Gott will rechte Gunst erweisen….

Ach, und da gibt es ja auch noch das wunderbar kitschige  Rhön-Lied:
Zieh an die Wanderschuh,
Und nimm den Rucksack auf,
Und wirf die Sorgen ab,
Marschier zur Rhön hinauf!

Machen wir. Nach Corona kommen die Wanderer wieder. Das ist gut.

Wir bestaunen die Kirchenburg in Ostheim, trinken Holunderlimonade in Fladungen, sind begeistert von der Bedienung im Thüringer Haus (Franken), die im Regen stets freundlich die Gäste unter den Sonnen(Regen)schirmen bedient und dabei vom Hin- und Herrennen schon ziemlich aufgeweicht ist.

Wir wandern – sozusagen als Ouvertüre zum Grünen Band – 4 Kilometer auf einem Rundweg, der sich Franziskusweg nennt. Der Weg war trotz Regen schön, die „meditativen Textelemente“ an verschiedenen Wegstationen waren überhaupt nicht meine Welt.  Der Sonnengesang des Franziskus ist Poesie. Warum muss man ihn dann noch interpretieren?

Und dann sind wir in Birx. In der Pension, die ich angeblich gebucht habe. Oder doch nicht? Wieso beginnt meine zweite Wanderung auf dem Grünen Band schon wieder mit einer Fehlbuchung??

 

 

 

 

„Lebbe geht weider“

Vor fast genau 3 Jahren habe ich meine Wanderung entlang des Grünen Bandes begonnen – in Bad Elster. Gekommen bin ich bis in die Rhön mit dem festen Vorsatz, im folgenden Jahr wieder ein Teilstück der insgesamt ca. 1.400 Kilometer entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zurück zu legen. Aber meistens kommt es anders als man plant. 2019 war mein letztes Berufsjahr, da blieb wenig Zeit für längere Wanderungen. Und 2020  kamen Corona und eine fiese Krankheit.

Aber jetzt geht es weiter: Mit einem kleinen Stück weniger Lunge, mit einer Autoimmunkrankheit, die derzeit Gott sei Dank ruht, und etwas mehr Gepäck (Medikamente, Stützen fürs Knie und was man als Rentnerin mit Wehwehchen halt alles so braucht).

Foto aus dem Wanderführer von Anne Haertel: Grünes Band. Der Süden. Berlin 2020. Der Trescher-Verlag hat freundlicherweise den Abdruck des Kartenausschnittes genehmigt.

Wie weit ich komme, das weiß ich noch nicht. Ich will keine Rekorde aufstellen, sondern die Tage bei hoffentlichen angenehmen Wanderwetter genießen. Zuerst durch die Rhön und vielleicht bis ins Eichsfeld.  Starten werde ich in Birx. Und dann geht es in kleinen Etappen weiter.

 

 

Grenzenlos wandern

Mein letzter Wandertag. Leider, denn eigentlich würde ich gerne noch einige Tage weiter laufen. Aber ich habe keine Wanderkarten mehr. Und nur die kleinen Kartenausschnitte im Wanderführer sind – wie sich herausgestellt hat – einfach nicht ausreichend.
Doch die letzten 22 Kilometer werden noch einmal sehr schön.
Von der ehemaligen Grenzübergangsstelle Rottenbach – Eisfeld wandere ich die Langen Berge hoch. Nein, es geht nicht sehr steil aufwärts. Das Maß aller Dinge war der Weg bei Meilschnitz, das „Alpe d’Huez“ des Kolonnenweg-Wanderers!
Heute laufe ich meistens durch Wiesen, Feldfluren, vorbei an Streuobstwiesen und Waldesrand. Es ist ein Hochsommertag.
Das Grüne Band ist hier sehr gepflegt, denke ich gerade, als ich in dieser absoluten Einsamkeit und Stille plötzlich Autogeräusche höre, die hinter mir immer näher kommen. Es ist Verena Volkmar vom Landschaftspflegeverband „Thüringer Grabfeld“ e.V. , der das Grüne Band in der Region pflegt schützt. Zusammen mit Landwirten, Schäfern und Schäferinnen erhält der Verein auf schonende Weise die Freifläche, bewahrt sie vor Verbuschung und bringt alle Betroffenen und Interessierte an einen Tisch, um sie in Planungs- und Umsetzungsprozesse einzubinden.
Verena Volkert kommt gerade von einer der Schäferinnen, die sie betreut. Jetzt will sie sich noch ein paar Stellen am Grünen Band anschauen. Man merkt sofort: Da ist jemand mit dem ganzen Herzen am Werk.

Ein paar Minuten später sehe ich rechts am Wegrand Kreuze. Hier, bei Harras, wurden 1975 zwei Grenzsoldaten von einem flüchtenden NVA-Angehörigen erschossen. Auch das ist passiert an dieser unmenschlichen Grenze.
Auf der Informationstafel werden die Grenzsicherungsanlagen detailliert beschrieben: „…Der Grenz- und Signalzaun stand unter Strom (ca. 60 Volt) und reagierte auf Berührung, welche auf 50 Meter genau lokalisiert werden konnte …“
Ich schaue mich um: Die Aussicht ist fantastisch. Diese Weite. Man schaut bis an den Horizont.
Was passiert mit Menschen, die jahrzehntelang eingeschlossen werden? Hier, wo es nur Natur und Landwirtschaft gab? Wie werden sie? Was treibt sie?
Mit festem Schritt laufe ich weiter. Grenzenlos wandern.
In Hetschbach verabschiede ich mich für dieses Jahr vom Kolonnenweg. 14 Tage war ich auf ihm unterwegs. Vergangenes Jahr bin ich in der Heimat gewandert.  Dieses Jahr in einem mir unbekannten, ja fremden Teil Deutschlands. Das war eine gute Idee, die ich irgendwann an der Ostsee zu Ende bringen möchte.

In Bad Rodach beende ich meine diesjährige Etappe am Grünen Band. Das hat auch etwas: Ich bin sozusagen von Kurbad zu Kurbad gegangen – von Bad Elster nach Bad Rodach.

Dort geblieben sind ein einzelner Socken in Blankenberg, mein schöner Strohhut irgendwo an der Saale, nutzloses Mückenspray in Schalkau, mein löchriges Trägershirt am Ziel in Bad Rodach,  Stress und die Hektik irgendwo auf dem Grünen Band.

Mitgebracht habe ich eine Unzahl von Bildern (im Kopf und auf dem Tablet), Erinnerungen an durchweg freundliche und hilfsbereite Menschen, die schon Auskunft geben wollen, bevor ich gefragt habe, oder die einen einfach so zum Kaffeetrinken einladen. Gelernt und erfahren habe ich vieles über die ehemalige innerdeutsche Grenze, was so niemand in einem Geschichtsbuch lernen kann.

Dafür ist mein Unverstädnis denjenigen gegenüber, die heute wieder Grenzen und Mauern errichten wollen, – ob in Europa oder in Amerika – noch einmal grösser geworden.

Klar ist mir mal wieder geworden, dass es Menschen gibt, die in Ruhehaltung ruhig werden, und solche, die durch Bewegung zur Ruhe kommen. Ich gehöre zur letzteren Gruppe.

Bis zur nächsten Wanderung.

Ich bin dann mal wieder da!

 

 

 

 

Das Parfum des Grünen Bandes

 

Ich weiss ja nicht, ob es daran liegt, dass ich seit 7 Wochen nicht mehr rauche, oder daran, dass in diesem relativ unberührten Teil Deutschlands manches intensiver riecht, oder dass die sommerliche Hitze verantwortlich war, oder alles zusammen – auf jeden Fall sind mir die Gerüche dieser Wanderung besonders hängen geblieben.

Sie duften gewissermaßen nach: die Felder von Kamilleblüten im Vogtland, der scharfe Gestank des Misthaufens bei Eisfeld, der Geruch von „glücklichen Kühen“ in Schalkau, der Wildgeruch in der Nähe einer Wildschweinkuhle im Frankenwald, der Duft von gemähten Gras in den Langen Bergen, von wildem Thymian bei Mödlareuth, von Schafen, Ziegen und Pferden überall am Grünen Band, von frisch gehauenem Holz am Rennsteig und, und, und…..

Schade, dass man das im Blog nicht weiter reichen kann.

 

In einem kühlen Grunde

Der Weg von Schalkau nach Eisfeld heute ist trotz der Hitze ein Genuss. Schon um 7 Uhr hat mir die Zimmerwirtin den Kaffee gebracht. Sie war Spielzeugfacharbeiterin in der DDR: „Lang ist das her“, sagt sie. Ein paar Puppen stehen noch in einer Vitrine.

Zurück in Almerswind, wo ich gestern auf dem Hinweg schon vorbei gekommen war. Da hatte mir die Gastwirtin ein großes Glas Wasser gegeben und den Weg nach Schalkau gezeigt.
Dort entdecke ich das wunderschönste Schieferhaus auf der ganzen Tour: Schieferwände mit Staniolmalerei. Überhaupt sind die Häuser hier in den Dörfern der Umgebung fein rausgeputzt, ohne „Schickimicki“ zu sein. In Weissenbrunn am Wald zum Beispiel: Mit viel Einfühlungsvermögen hergerichtete Fachwerkhäuser, daneben Bauernhöfe, wo es den Misthaufen im Hof noch gibt und die Gänsefamilie auf der Wiese zum Bach spaziert.

Von Almerswind aus geht es immer auf dem Kolonnenweg zügig hoch und dann durch den Wald. Heute komme ich mal sehr schnell voran. Und wenn man so mitten im Sinnieren ist, mit sich und der Welt und dem Weg im Reinen,  wird es wieder verstörend: In diesem Wiesengrund stand einmal eine Mühle. Nichts außer einem Hinweisschild erinnert daran. Die Weihersmühle wurde 1515 (!) zum ersten Mal erwähnt. Nie scherte sich jemand daran, dass sie an der Landesgrenze zwischen Coburg und Meiningen , später Thüringen und Bayern lag. Bis 1961 die Mauer in Berlin gebaut wurde. Da wurden die Besitzer nach Schmalkalden umgesiedelt, weil man sie verdächtigte, Menschen bei der Flucht geholfen zu haben. Das Gehöft wurde abgerissen. „In einem kühlen Gründe“….
Nach Görsdorf, dem Dorf mit der Restmauer, verändert sich die Landschaft unmerklich. Viele Kiefern neben Fichten, Heidekraut, Ginster ( was muss das an Pfingsten für ein gelber Rausch sein!), Sandboden.

Ich gehe durch das Naturschutzgebiet Görsdorfer Heide. Es ist entstanden, weil ein Regime einst einen todbringenden Zaun durch ganz Deutschland gezogen hat. Heute bietet es vielen seltenen Pflanzen und Tieren Schutz. Damit das so bleibt, muss diese „Kulturlandschaft“ ständig gepflegt werden. Sonst verbuscht sie. Verrückte Welt!
In Eisfeld, in der Nähe der Autobahnabfahrt, am damaligen Grenzübergang übernachte ich im Waldhotel Hubertus. Hubert hätte es jetzt nicht so sehr zugesagt. Mir ehrlich auch nicht. Aber die Bedienung war sehr freundlich.

Die mauer

Mauerstück bei Görsdorf: Es ist nach Mödlareuth und Heinersdorf das dritte Dorf an der ehemaligen Grenze, das durch eine Mauer geteilt bzw. abgeschirmt wurde.

 

Zum 3.oktober 1990

Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht,

wie hoch sie ist

in uns

 

Wir hatten uns gewöhnt

an ihren horizont

 

Und an die windstille

 

In ihrem schatten

warfen alle keine schatten

 

Nun stehen wir entblößt

jeder entschuldigung.

Rainer Kunze

 

 

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