Reisen

Kategorie: Deutschland (Seite 3 von 10)

Im Tiny-Haus

 

Heute ist mein Ruhetag. Und während es draußen ununterbrochen regnet, liege ich hier sehr kuschelig im Bett in einem ehemaligen Bauwagen. Durch Bleiglasfenster kommt das Tageslicht, ein Gründerzeit-Vertiko, zwei Biedermeierstühle und ein kleiner Tisch machen mein Tiny-Haus komplett. Ich bin im Kleegarten in Heldra. Der Gutshof ist der Stammsitz von August-Hermann Francke, dem Begründer der Franckeschen Stiftung in Halle.

Vielleicht weil ich noch vor ein paar Jahren in Halle, wo die Erziehungswissenschaften der Universität auf dem Gelände der Franckeschen Stiftung untergebracht sind, eine Tagung mitgestaltet hatte, habe ich mich bei meiner Wanderplanung für den Gutshof entschieden.

Als ich dort ankam, war ich erst einmal sprachlos. Ein riesiges Areal in der Mitte des Ortes mit kleinen und größeren liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern. Auf dem großen Innengelände stehen auf einer Wiese bunte Bauwagen. Ich bin entzückt. Leider bin ich ganz allein auf dem Gut. Aber bald nachdem ich den Besitzer, Dr. Pippart, angerufen habe, kommt ein älterer Herr aus dem Dorf – wohl so etwas wie der gute Geist des Gutshofes, zeigt mir die Zimmer – alle nur mit Antiquitäten und Raritäten eingerichtet, die Wände voll von Kunst – und auch den Bauwagen. Genau dort möchte ich meinen Ruhetag verbringen.

Wenig später ist auch der Hausherr da. Der 77ährige, immer noch praktizierende Landarzt, hat zusammen mit seiner Frau und vielen – vor allem jungen – ehrenamtlich tätigen Dorfbewohnern das Anwesen 1999 vor dem Verfall bewahrt und dafür u.a. den Deutschen Fachwerkpreis erhalten.

Dr. Pippart bringt Kuchen mit und kocht Kaffee. An Werktagen hat er eigentlich geschlossen und deswegen auch kein Personal. Ich esse an einem großen Holztisch neben der Küche. Die Küche ist übrigens das einzig Moderne im Haus.

Dr. Pippart erzählt von den Jahren,als er mit seiner Frau, den Dorfleuten und Handwerkern dieses Anwesen fachgerecht restauriert hat. Ich kann nur Staunen.

Dann möchte er wissen, was ich abends essen will. Er will kochen, weil die zweite Gaststätte im Dorf auch geschlossen hat.

Soviel Mühe ist mir fast unangenehm. Aber es kommt noch ein zweiter Gast. Am Abend sitzen die Pipparts und ihre beiden Gäste bei einem sehr guten Weissburgunder von der Unstrut, essen Pasta, Schweinelendchen mit frischen Pilzen  und erzählen Geschichten aus dem Leben.

Wie kann ein Tag besser ausklingen?

Begegnung mit dem Riesen an der Werra

 

Am nächsten Tag regnet es nicht! Stattdessen wieder eine wunderschöne Etappe bei idealem Wanderwetter (das ist dann häufig leider kein günstiges Fotografier-Wetter). Schnell bin ich morgens „zurück auf der Tour“ am Iftaer Baumkreuz. Hier kreuzen sich die B7 (Eisenach und Kassel) und die ehemalige Grenze. Ziemlich in der geografischen Mitte Deutschlands wurde hier 1990 begonnen, ein Baumkreuz zu pflanzen: Eine dreireihige Eschenallee auf dem ehemaligen Todesstreifen und eine Lindenallee an der B7. Jedes Jahr im November kommen Menschen hierher, um weitere Linden zu pflanzen. Richtung Eisenach ist die Allee fertig gestellt. Die nach Kassel ist „noch im Bau“.

In das Kunst- und Gedenkprojekt integriert ist der Grenzzaun, das wohl längste erhaltene Stück.

Danach wird es bunt und grün und einfach herrlich. Der Plattenweg ist hier durch Grassoden zu einem schönen Wanderweg geworden. Es geht zwar stetig auf, aber das merke ich kaum. Dann treffe ich auf eine Schafherde. Es ist das erste Mal auf meiner diesjährigen Tour, dass ich sehe, wie das Grüne Band von Tieren freigehalten und so vor Verbuschung bewahrt wird. Das hat einen weiteren Vorteil: Das Fleisch der Lämmer, deren Mahlzeiten die  Kräuter dieser Wiesen sind, muss köstlich schmecken.

Ehe ich es mich versehe bin ich schon auf dem Heldrastein in über 500 Meter Höhe. Der Fels aus Muschelkalk (deswegen heldra= hell) überragt auf thüringischer Seite das Werratal und war als „Riese des Werratals“ schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel mit einem Aussichtsturm. Später gab es sogar einen „Berggasthof mit Fremdenzimmern“. 1952 wurden die damaligen Wirtsleute ausgewiesen. Der Turm verfiel, wurde abgerissen und ersetzt durch einen Horchposten der Stasi. Nach der Wende haben viele engagierte Bürger:innen den Radarturm wieder in einen Aussichtsturm umgebaut – 30  Meter hoch.

Ich habe dort oben eine wunderbare Rundum-Aussicht: Wasserkuppe, Brocken, Meissner, Öchsen.

Nur muss ich danach wieder runter vom Berg. Ein wenig alpin geht es sehr steil nach unten an die Werra. Und bald bin ich im hessischen Heldra.

Wo mich etwas Einzigartiges erwartet.

Frau-Holle-Land

Ein rundum schöner Wandertag zum Genießen, auch wenn es zwischendurch so aussah, als müsse ich hungrig schlafen gehen.

Von Herleshausen aus gehe ich erst eine längere Strecke auf hessischer Seite durch den Wald bergauf, das frisch geschlagene Holz verbreitet einen Duft, so dass man ganz tief einatmen möchte.  Oben angekommen, kann ich wieder einmal nicht genug bekommen von den Aussichten. Über Gerstenfelder hinweg – hier wird Bier gebraut! – geht der Blick bis zur Wartburg. Auf dem Weg liegen ein kleines Wasserschloss und eine Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Es ist die erste Kirche, die ich offen vorfinde. Gott sei es gedankt, denn das  Kreuzgewölbe  und die Schlichtheit der Gesamtanlage berühren.

Auf einer Obstbaumallee laufe ich auf den Kolonnenweg, und damit auch auf die thüringische Seite zu.

Die Region zwischen Werra und Meissner,  in der ich momentan wandere, gehört zum Geo-Naturpark „Frau-Holle-Land“. Und an die Grimmschen Märchen erinnert diese Landschaft auch: Fachwerkdörfer, bewaldete Hügel, weite Wiesen, Storchennester, Teiche und Bäche. Mitten durch die Werra. Alles lieblich, ein wenig spießig – da, wo die Welt halt noch in Ordnung zu sein scheint.  Auf den ersten Blick – eben wie im Märchen.

Sauerkirschen, Süsskirschen – die frühen sind reif – , Äpfel, Pflaumen und Himbeeren. Mit diesen und den Kirschen genehmige ich mir ein zweites (Obst)Frühstück. Denn beim Hotel mit angeschlossener Metzgerei gab’s das natürlich nicht.

Ich kann es gebrauchen, denn vor mir liegen über 6 Kilometer Plattenweg, hoch auf über 400 Meter und dann in Serpentinen steil wieder runter. Links und rechts von mir ein Blütenmeer, in dem sich die Schmetterlinge tummeln. Anstrengend, aber herrlich!

Als der kleine thüringische Ort Ifta vor mir liegt, biege ich ab, um zu meiner Übernachtung zu kommen. Ein Ferienappartement in einer hochmodernen Anlage, in der ich mir den Schlüssel mittels eines Codes holen muss. Alles wunderbar, aber wo bekomme ich heute Abend etwas zu essen?

Ich rufe die einzige Gaststätte  in dem kleinen Fachwerkdörfchen an: Der „Rote Hirsch“ hat zu. Aber die Seniorchefin hat Erbarmen: „Lassen Sie mich überlegen. Ich habe Kartoffel und Eier und Salat. Wenn Ihnen das Recht ist, kommen Sie um 17 Uhr.“  Und wie recht mir das ist! Der Salat ist mit Stiefmüttterchen garniert, die Eier von den eigenen Hühnern, und die Bratkartöffelchen sind eine kulinarische Köstlichkeit.

Nebenbei erzählt die Wirtin von der Zeit kurz nach der Wende, als man die Häuser im Dorf im vormaligen Sperrgebiet endlich herrichten konnte. Aber auch, dass das „zusammen Bier trinken in der Gaststätte“ langsam aufhörte. Sie erzählt, wie sie nach der Wende in den Alpen Urlaub gemacht hat, aber jetzt lieber zuhause ist. Vor der Wende sei sie im Harz und einmal (!) an der Ostsee gewesen. Da habe man sich selbst versorgen müssen, denn das Mittagessen sei ungeniessbar gewesen. Was ich übrigens bestätigen kann.

Sie spricht vom „einfachen Bier“, das es zu DDR-Zeiten gab, und wie man versuchte, besseres zu bekommen.

Hier sitzt eine Frau vor mir, die 2 Systeme und eine Übergangsphase durchlebt hat, und die nie jemanden „im Regen stehen lassen würde“.

Übrigens hätte ich im „Roten Hirsch“ übernachten können, was aber nur die wissen, die auf dem Elisabeth-Weg pilgern.

Auch im evangelischen Pfarrhaus wäre ich noch untergekommen, wie mir ein Arbeiter der Kirchengemeinte sagt, als ich zum Abschluss die wunderbare Kirche von Ifta besichtige. Dort wird gerade alles herausgeputzt. Am Sonntag ist Konfirmation mit 5 Konfirmand:innen. Nicht schlecht für ein Dorf, das wenig über 1000 Einwohner hat.

Jetzt sitze ich auf der Terrasse meines hochmodernen, schicken Appartements.  Die Sonne steht noch immer hoch. Vor mir liegen Wiesen und Wald. Liebliche Hügellandschaft mit weißem Wachturm.

 

Frau-Holle-Land.

Morgen soll es regnen.

 

 

 

 

Die letzten 5 Kilometer sind die schwersten!

Störche in Berka

ü

In Berka, hübsche Fachwerkstadt an der Werra im Wartburg-Kreis, treffe ich zum ersten Mal auf Menschen, die auch auf dem Grünen Band gehen. Eine Frau ist mit ihrer Nichte unterwegs. Natürlich kommen wir sofort ins Fachsimpeln.  Die nächste Etappe hat es in sich – 27 Kilometer durch den Fulda-Wald, der bis zur Grenzöffnung komplett gesperrt war, und dann weiter bis Herleshausen auf hessischer Seite.

Während ich mich schon vor Beginn meiner Wanderung entschieden hatte, diese Strecke abzukürzen (auf da. 22 km), wollen die beiden anderen ihre Rucksäcke in Berka lassen, eine 24-Kilometer-Runde drehen und am nächsten Tag mit dem Zug nach Herleshausen fahren.

Man sieht daran: Wanderinnen auf dem Grünen Band sind flexibel, unideologisch, eher an Genuss orientiert und nicht darauf aus, möglichst viele Kilometer abzuhaken.

Trotzdem bin ich etwas nervös: Mein Gesäßmuskel schmerzt, und der Wetterbericht verheißt nichts Gutes.

Leider geschlossen: die Rundkirche in Untersuhl mit Fresken aus dem 15. Jahrhundert.

Am morgen grüßen die Störche vom Turm und die Sonne scheint.  Erst eine Auenlandschaft, die wunderbare Rundkirche in Untersuhl, dann die A4, früher mit dem Grenzübergang Wartha-Herleshausen, an dem wir manches Mal gestanden haben. Erinnerungen werden wach an Grenzschikanen, an dieses Grummeln im Bauch, bis wir endlich durch waren und der Transit begann.

Dann verstummt langsam der Autolärm je höher ich hoch auf den Fuldaer Berg komme, herrliche Aussichten aufs Werra-Tal, Kirschbäume am Weg. Der Plattenweg beginnt und der Wald wird dunkler, der sich von dem in der Rhön unterscheidet: Fichten, Kiefern, vereinzelt Birken, kaum Buchen. Ich bin ganz froh über den stetigen Anstieg, denn das geht mit der Muskelverspannung besser als abwärts. Den Aufstieg ganz zum Gipfelkreuz am Arnsberg nehme ich dann doch nicht. Zum einen will ich etwas abkürzen, zum anderen denke ich daran, dass ich dann auch wieder runter gehen muss. Dabei waren es nur noch 50 Höhenmeter. Doch ein Fehler? Nein!

Denn als ich den bequemen und darüber hinaus überaus schönen Weg durch ein Hochtal mit überall sprudelnden Quellen und Teichen gehe, fängt es wieder einmal zu regnen. Besser: Es schüttet. Es ist ein Glück, dass ich in der Nähe des ehemaligen Jagdhauses Kohlbachshäuschen bin. Zu DDR-Zeiten,  als der gesamte Wald gesperrt war, fand „das Kohlbachhaus vorwiegend jagdliche Verwendung durch Grenztruppen und Angehörige der Staatssicherheit“ . Sprich: Jagdhütte der Stasi, die im gesperrten Wald ihrem Hobby frönen konnte.

Nach der Wende wurde das kleine Haus durch Waldarbeiter und  ABM-Kräfte instand gesetzt.

An der Jagdhütte erschrecke ich erst einmal einen jungen Waldarbeiter, der dort auch Schutz gesucht hatte. Er dachte wohl, er sei allein im Wald!!! Er mäht mit einer Sense das Gras, das auf einer Aufforstungsfläche  ziemlich hoch gewachsen ist. Eine undankbare Aufgabe, weil er mit jedem Sensenschnitt auch die Setzlinge treffen kann.

Und als der Förster noch dazu kommt, bekomme ich endlich eine Antwort auf die Frage von Marlis,  ob der Borkenkäfer auch Buchen befällt. Ja, das tut er. Wusste man aber bis vor kurzem nicht. Hier wird deshalb jetzt eine Aufforstung mit Eichen versucht.

Wer Kohlbachquelle trinkt, wird lange leben und kein Geld dem Arzte geben.

Als der Regen in Nieseln übergeht, mache ich mich auf den Weg, trinke an einer Heilquelle noch Wasser, was meine verspan6ten Muskeln auch nicht löst, und komme zum zweiten Mal in einen Regenguss.  Gott sei Dank gibt es im Fuldaer Wald viele Schutzhütten.

Nach 23 Kilometer bin ich unten an der Werra. „Die letzten 5 Kilometer sind immer die schwersten“, sagt man. Und deshalb rufe ich ein Taxi, das mich zu meinem Hotel mit angeschlossener Metzgerei bringt (das zweite auf der Tour). In Herleshausen gibt es ein physiotherapeutisches Zentrum. Dort nimmt sich eine kundige Frau meiner Muskeln an.

Ende eines langen und verregneten Tages.

Reden wir vom Kali-Bergbau

3 Tage lang waren sie fast allgegenwärtig auf meiner Wanderung auf dem Grünen Band. Von Wenigentaft nach Vacha. Von Vacha nach Dankmarshausen. Und von Dankmarshausen nach Berka: die Kali-Abraumhalden von Philippstal und  Heringen – Monte Kali.

Ich bin im Kali-Revier. Seit über 100 Jahren werden hier industriell Kalisalze abgebaut.

Wenn das Wetter schön ist, leuchten die Berge weiß wie Dünen in der Wüste.  Deshalb sagen die Menschen in der Region auch, der Monte Kali könne das Wetter vorhersagen: Wenn der Berg grau ist…

Die Menschen hier sagen auch, er halte die Gewitter von ihnen fern und manch anderes. Für einige, so kommt es mir vor, ist ihr Berg ähnlich wie Gott Baal.

An einen Science Fiction Film erinnert mich die Salzhalde, als ich auf der Hornungskuppe (439 m) stehe. Nur ein eingezäunter Abgrund ist zwischen mir und dem monströsen, von Menschen geschaffenen Berg, der die Kuppe noch weit überragt. 520 m ist der “Kalimandscharo“ hoch. Und er wächst schnell, wie eine Frau aus dem „Land der weißen Berge“ erzählt. Jeden Tag werden mehrere tausend Tonnen hier abgelagert. Salz, das aus der Erde geholt, aber nicht verwertet wird.

Der internationale Bergbaukonzern „Kali und Salz“ – überall fahren die Laster mit den Aufschriften K+S – verkauft weltweit Kali-Produkte als Düngemittel oder Rohstoffe, etwa für die Chemieindustrie. 70 Prozent von dem, was unter Tage abgebaut wird, gilt als Abfall. Gelöste Abfallsalze werden in die Werra eingeleitet. Feststoffe werden auf Abraumhalden von bis zu 200 Metern Höhe gestapelt. Salzabwässer werden in den tiefen Untergrund verpresst.

Das YSalz und die Werra

Die Folgen: Das Öko-System ist nachhaltig gestört, die Werra ist kein Süßwaserfluss mehr, die Fische sterben, die Grundwasserverschmutzung steigt.

„Der Spiegel“ schreibt im April diesen Jahres: „Wie bedrohlich diese Versenkung für das Grundwasser ist, wissen die Behörden nach Erkenntnissen der Ermittler schon lange. Ein Gutachter des hessischen Landesamts für Bodenforschung habe 1963 vorgeschlagen, das Salzwasser möglichst nahe an der Grenze zur damaligen DDR in den Boden zu pumpen. Die Grundwasserschäden träten dann im sozialistischen Teil Deutschlands auf.“

Dazu kommt: Das  ganze Gebiet ist unterhöhlt mit Schächten. Schlagwetter sind eine Gefahr und Unfälle mit Kohlendioxid.

Und als ob das noch nicht genug sei, lagern im stillgelegten Schacht Herfa-Neurode hochgiftige Industrieabfälle aus Europa und den USA.

Die Region lebt vom „Weißen Gold“, und gleichzeitig macht es die Region und seine Menschen krank.

 

 

Money makes the world go round

Ganz dicht am Monte Kali.

Ein Wandertag, den ich abhaken sollte. Der aber dank eines jungen Rumänen noch sehr gut zu Ende gegangen ist.

Der Reihe nach.

Es fing schon nicht gut an, weil ich mir gestern – vielleicht sogar beim Abstieg durch die „Sturzbach-Rinne“ – irgendetwas am „unteren Rücken“ gezerrt hatte. Auch der Rucksack war durch Zukäufe unterwegs immer schwerer geworden. Meine Schmerztabletten waren irgendwo verloren gegangen, die Salbe half wenig, und der Himmel war grau.

In der Pension half man mir mit einer Schmerztablette aus – und so gerüstet ging ich los. Durch den hübschen Ort Dankmarshausen , der auf einem Felssporn oberhalb der Werra liegt. Runter an die Werra und dann durch die Unterführung über die früher die ehemalige Kali-Bahn lief. Sie überquerte  damals die Zonengrenze in Vacha und in Dankmarshausen.  Ab 1946 konnten Züge aus der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone den Streckenabschnitt befahren. Ab 1952 wurde die Werra-Bahn von der DDR zweimal mehrere Monate lang gesperrt. Danach gab es aber keine Probleme mehr.  1962 stellte allerdings die DDR ihre Kalitransporte über westdeutsches Gebiet ein. 1966 präsentierte sie der BRD eine Rechnung rückwirkend für die Benutzung der DDR-Bahnstrecke. Es dauerte bis 1969, bis man sich einigte. Zwischenzeitlich sperrte die DDR die Strecke.

Ständiger Wechsel: Mal bin ich in Thüringen, mal in Hessen. Da kann schon der Überblick verloren gehen.

Danach lief der Kaliverkehr reibungslos im Transit durch die DDR bis Bebra.

Money makes the world go round……

Ich steige sacht aber stetig auf, immer an der ehemaligen Grenze lang. Links von mir der Monte Kali.

Der Weg geht parallel zum neueren Lutherweg. Eisenach ist nah.

Obwohl ich die Rhön so langsam verlasse, bin ich nicht im Flachland. Ich bin bereits in den Ausläufern des Küll-Mittelgebirges.

Aber die Hornungskuppe, auf die ich dann steige, liegt tief unter der Spitze des Monte Kali. Ich bin jetzt so nah, dass ich die Laufbänder höre, die den Abfall hoch transportieren.  Und ich bin nicht mehr sicher, ob es mein Schweiß ist, den ich schmecke, oder das Salz des Berges.

Auf dem monströsen Berg kann man auch Führungen buchen oder Nachtwanderungen. Almhornbläser waren auch schon da, erzählt mir jemand.

Durch den dichten Wald geht es abwärts, und was gestern die Grenzsteine waren, sind jetzt die Kontrollschächte, die in schöner Regelmäßigkeit neben dem asphaltierten Feldweg auftauchen.

Seit zwei Tagen laufe ich auf „dünnem Boden“, denn unter mir ist die Erde ausgehöhlt. Ein Labyrinth von Schächten.

Und dann geht das Nieseln in einen heftigen Regen über. Der auch nicht mehr aufhört. Unten im Tal bin ich trotz Regencape durchnässt. Autos versuche ich vergeblich anzuhalten.

Bis ein junger Mann hält. Er muss nach Kleinsee, wo wir eigentlich schon gleich sind. Sich dort auf einer Baustelle bewerben. Wie selbstverständlich fährt er mich nach Berka,  10 Kilometer weiter und dann auch noch ein Umweg wegen einer Strassensperre.  In einer knappen Stunde muss er zu seinem Bewerbungsgespräch in Kleinsee sein. Das schafft er noch gut, sagt er. Er kann nicht verstehen  dass die Deutschen jemanden im Regen stehen lassen.

So ist der Tag noch gut ausgegangen. Auch wenn ich leider das Vogelparadies Rhäden und die Wasserbüffel nicht gesehen habe.

 

Grenzsteine statt Wander-App

Immer am Wegesrand: Walderdbeeren

Früh am Sonntagmorgen über die Werra-Brücke. Ideales Wanderwetter. Meine App will auch nur werktags arbeiten, denn sie schickt mich einen Pfad hinauf, der kein Pfad ist, sondern eine durch Sturzbäche entstandene Rinne. Steil. Sehr steil. Plötzlich stehe ich in einem „deutschen Urwald“: dichtes grünes Blattwerk, feuchte Wärme und – ja wirklich! – ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher.

…oder Heidelbeeren

Ich kehre um, Schrittchen für Schrittchen den glitschigen Abhang hinunter,  und finde bald den richtigen Weg hinauf zur Thüringer Hütte. Der ist auch noch steil, aber gangbar. Oben angekommen, ist die Sicht fantastisch. In früheren Zeiten kamen bestimmt viele Philippstaler hierher. Wenn sie schon nicht nach Vacha konnten, so doch wenigstens aus der Ferne schauen, was sich so tut.

Mannshoher Farn

Kurz vor der Thüringer Hütte

Heute bin ich auch zum ersten Mal nicht allein. Sonntagsspaziergängerinnen mit Hunden , Radfahrer, Joggerinnen, Wandergruppen. Auch mal zur Abwechslung ganz nett. Ein schöner Weg durch den Wald, aber für mich am interessantesten sind die vielen Grenzsteine. Klar, ich wandere weiterhin an der Grenze lang. Aber hier steht fast alle 100 Meter ein Stein. Der alte Grenzweg ist schon seit 786 bezeugt als Hoha Strazza.  Erst ab dem Hochmittelalter verlagerte sich der Verkehr ins Werratal.

Grenzstein – ausnahmsweise mal umgefallen.

Dank Grenzsteinen und Markierungen des Grünen Bandes brauche ich meine Wander-App heute also nicht. Sie kann Pause machen. Überhaupt: Das Grüne Band Thüringen ist erstaunlich gut gekennzeichnet. Das war vor 3 Jahren in Franken – Sachsen -Thüringen noch ganz anders.

Höhenwege, Panorama, Kuhweiden, steile Auf- und Abgänge, heute habe ich alles. Und natürlich auch den Monte Kali, den zweiten, den bei Heringen.

Diese Kälbchen einer „glücklichen Kuhfamilie“ waren unter dem Zaun hindurch ausgerissen.

Ich streife auf meinem Weg Gasterode, ehemals eine größere Ansammlung von Gehöften. 1952 wurde Gasterode Sperrgebiet. Alle Häuservon den Familien, die geflüchtet waren, wurden abgerissen. 1974 isolierte man die Dagebliebenen  mit einem elektrischen Zaun total von der Außenwelt. Nur eine Familie hielt durch.

Eine schlimme Geschichte aus einem wundervollen Tal.

Tal von Gasterode

Ich sehe Dankmarshausen, mein Etappenziel, schon in der Ferne. Ebenso höre und sehe ich ein nahendes Wärmegewitter. Sicher die Straße durch die Ortschaften nehmen  oder Kolonnenweg durch die Wiese? Ich wähle die sichere Variante und bin irgendwann an der Werra. Jetzt nach 20 Kilometern ziemlich erschöpft. Der Gasthof in Dankmarshausen, wo ich genüsslich eine Apfelsaftschorle trinken will, hat „geschlossene Gesellschaft“. Im einsetzenden Nieselregen muss ich nochmals 15 Minuten gehen. Aber dann bekomme ich zu trinken, eine Dusche, gutes Essen und ein Bett.

 

 

Thüringer Rahmkuchen unterm Kirschbaum

Frisch geduscht sitze ich nachmittags in Vacha  bei Kaffee und Kuchen im Garten von Verwandten eines Freundes aus Mainz. Es gibt Thüringer Rahmkuchen, wahlweise mit Johannisbeeren oder Kirschen. Mit einer ordentlichen Portion Sahne. Herrlich!

Der Widmarkt, heute Rathaus, in dem bereits Napoleon übernachtet hat. Das imposante dreistöckige Gebäude wurde Anfang des 17. Jahrhunderts erbaut, ebenso der Vitusbrunnen. Vacha war ein Handelszentrum, weil es an der wichtigen Via Regia lag mit der Brücke über die Werra.

Wir reden von Vacha und seinen Fachwerkshäusern, vom Markt mit Gebäuden aus dem 15. Jahrhundert, von den Kelten, die hier, um den Oechsenberg siedelten. Ich höre viel vom Kaliwerk, von den Basaltsäulen, die früher am Oechsen abgebaut wurden, von den Störchen auf dem Storchenturm und von Napoleon, der hier nach seinem Rückzug von der Völkerschlacht bei Leipzig Quartier bezogen hat. Ich höre Geschichten vom Leben an der Grenze vor dem Mauerfall und von der Grenzöffnung und, und, und.

Symbole dreier Epochen: Ganz hinten ein Wachturm, in der Mitte die Postsäule der Via Regia und vorne das „Ampelmännchen“ als Kunstprojekt „Einheitsmann“.

Ansicht von Vacha mit Storchenturm und Hausberg, dem Oechsen.

Ich merke – wieder einmal – wie stolz die Menschen auf ihre Region sind und auf das, was sie erreicht haben.

Und dann fahren wir noch ein wenig durch die nähere Umgebung: zur Ruine der Annen-Kapelle aus  dem 15. Jahrhundert, wir bewundern von unterschiedlichen Stellen aus die Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Berge, wir sehen in der Ferne  das hessische Kegelspiel und in der Nähe das benachbarte hessische Philippstal.

„Früher wurden die Lehrerinnen und Erzieherinnen zu Kartoffelernte hierher in den Sperrbezirk beordert. Ich war hellauf begeistert von den weißen und sauberen Häuser die ich im Westen sah.“

Klar, Philippstal boomte in der Nachkriegszeit durch das Kali-Werk.

Blick von der Brücke nach Vacha.

 

Blick au das Hossfeldsche Haus

Am Schluss fahren wir zur Werra-Brücke, der Brücke der Einheit. Sie wurde im 14. Jahrhundert gebaut, um Vacha und Philippstal zu verbinden. Eine herrliche Brücke, die an der Via Regia liegt, der alten west-östlichen  Heer- und Handelsstrasse, die auch von Frankfurt nach Leipzig führt.

Und dann durfte sie 40 Jahre niemand überqueren. Weil hier die Grenze verlief. Eine Brücke, die ihren Sinn verloren hatte. Bis 1990 die Grenzen fielen.

Auf der anderen Seite der Brücke von Vachaer Seite aus gesehen fällt ein großes weißes Haus auf. Es ist das Hoßfeldsche Haus, durch das die Grenze lief. Es wurde 1890 erbaut und beherbergte eine Druckerei. Aus steuerlichen Gründen stand es zu 11/12 auf preußischer  Seite, der Rest lag auf thüringischem Boden. Als sich 1951 die Grenze mehr und mehr schloss, verlagerte die Besitzerin die Druckmaschinen in der Silvesternacht 51/52 in den hessischen Gebäudeteil und mauerte die Verbindungstür zu.  Daraufhin verwehrte die DDR Frau Hoßfeld  den Zugang zu dieser Haushälfte. Erst nach dem Grundlagenvertrag wurde das thüringische Zwölftel des Hauses wieder an sie zur Nutzung übergeben.

Abends schwirrt mir der Kopf. Und gleichzeitig war es ein Privileg als Fremde so kundig durch eine Stadt geführt zu werden.

Morgen bin ich wieder allein unterwegs.

Unkrautvernichter, Schwarzstörche und die Kali-Abraumhalde

Die Nebel lichten sich, und es verspricht ein wunderbarer Wandertag zu werden. Dann ist mein Portemonnaie weg. Panik. Findet sich aber wieder. Ich werde nach dem Frühstück mit dem Auto wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt nach Wenigentaft gebracht. Meine Fahrerin, Hotelangestellte, kommt aus der Gegend. Sie interessiert sich sehr für meine Wanderung. „Hier“, deutet sie auf eine Stelle an der Ulster, „ hier ist mein Bruder rüber. Wir kommen aus Buttlar. Hatten Landwirtschaft. Mein Bruder wusste, das an der Ulster Hundelaufanlagen waren. Da hat er Würste mitgenommen.“. Er war damals 21. Er hat es geschafft.

Das Grenzsicherungssystem bestand nicht nur aus dem Zaun, der über die Jahre immer mehr perfektioniert wurde.  Da waren: eine 5 Kilometer breite Sperrzone, ein 500 Meter breiter Schutzstreifen und ein 10-Meter Kontrollstreifen.  Sperrzone und  Schutzstreifen durften nur unter bestimmten Voraussetzungen betreten werden; man brauchte einen Vermerk im Personalausweis, Besucher:innen benötigten einen Passagierschein. Direkt vor dem Schutzstreifen war ein Zaun mit elektronischen und akustischen Signalanlagen. Lag eine Ortschaft innerhalb des Schutzstreifens, wurde sie geschleift oder mit einer Betonmauer/Sichtblende umgeben. Innerhalb des Schutzstreifens befanden sich die Beobachtungs- bzw. Führtürme, die Hundelaufanlagen, der Kolonnenweg/Plattenweg mit den Peitschenlampen, links daneben der Kfz-Sperrgraben mit Betonplatten. Danach erst kam der über 3 Meter Höhe Metallzaun, eine freie Fläche  und dann die eigentliche Grenze mit Grenzpfählen und -steinen.  Flüsse wie z. B. die Werra erhielten Flusssperranlagen, die bis zum Boden reichten.

Anderes Thema. Ich lenke ab. „Aber heute ist die Landschaft entlang des Grünen Bandes ein Paradies. Orchideen habe ich gesehen. Ganze Ansammlungen davon entlang des Plattenweges.“ „ Ja, und Kuhschellen gibt’s hier viel. Aber früher wurde hier alles totgespritzt.“  Gemeint sind die Wiesen im Kontrollstreifen und bis zur Grenze. Das freie Schussfeld.  „Und in den Dörfern sind sehr viele an Krebs gestorben“.

Ich hatte bis dahin immer gedacht, die Wiesen seien auch zu DDR-Zeiten ordentlich gemäht worden. Aber später am Tag wird mir das ungefragt bestätigt, als ich mit Verwandten eines Freundes an den Werrawiesen stehe: „Hier haben Sie damals alles abgespritzt.“

Am ehemaligen Bahnhof Wenigentaft steige ich aus. Das war vor der Teilung ein regionaler Verkehrsknotenpunkt, der dann, wie die gesamte Bahnstrecke, der Grenzsicherung zum Opfer fiel.

Ich gehe in den Ulstersack. Hier ragte das Gebiet der BRD wie ein Sack in die DDR. Hauptsächlich bestand der „Sack“  aus Wiese.  Heute morgen, als ich auf dem Ulster-Radweg dort entlang gehe,  sehe ich ein Paar Schwarzstörche. Wunderbar. Ich fotografiere, aber immer wenn ich näher komme, fliegen sie auf.

Am Flaschenhals des Ulstersacks biege ich ab und hinauf in den Wald. Hier strengt das Aufsteigen noch nicht so an. Ausserdem ist der Kolonnenweg überschottert. Es ist früher Morgen, die Natur erfrischt und die Vögel zwitschern. Bald bin ich an der Winterliete, einem vergessenen Beobachtungsturm,  der heute unter Denkmalschutz steht.

 

Und da sehe ich ihn zum ersten Mal: den Monte Kali von Hattdorf. Er wird mich den Rest der Wanderung dieses Tages begleiten, mal weiter entfernt, mal ganz nah.

Aber erst einmal muss ich steil runter zur Strasse Glaam -Unterbreizbach – und dann gleich wieder hoch.

Die Kali-Abraumhalde ist jetzt ganz nah. Monströs. Mir kommt sie vor wie von einem anderen Stern oder wie eine Düne in der Wüste. Nur das üppige Grün stört die Vorstellung.  Mehr zum Kali-Abbau in einem anderen Blog.

Es zieht sich jetzt. Runter zur Ulster nach Unterbreizbach, entlang der Ulster, und dann nochmal steil hoch. Nach einem 20 Kilometern  liegt Vacha unter mir. Da werde ich erwartet.

 

 

Roger Loewig: Noch bleibt die Narbe quer durchs Land

Noch bleibt die Narbe quer durchs Land.
Nach Jahr und Tag wird Erde, Sand,
Gebüsch und Gras darüberziehn
und sie dem Auge bald verbergen.

Hier sollen nie mehr Menschen fliehn
und niemals wieder Tränen fließen
und nie mehr Mauern stehn – und Schergen
nie wieder unser Blut vergießen
auf streng geheime Schießbefehle.
Die Schnitte aber in die Seele
vernarbten nicht. Aus dem Gelände
sind Turm und Graben und sind Wände
und Flucht so leicht nicht wegzuschieben.

Was gestern hier war und was drüben,
berührt heut weder Fluß noch Strand,
und von dem Risse quer durchs Land
ist eine Narbe nur geblieben.

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