Reisen

Kategorie: Deutschland (Seite 10 von 10)

Sonntagsspaziergang nach Osthofen

Sonntagabend: Ich sitze im mediterranen Vorgarten des Weinguts Spiess in Osthofen (Gault-Millau, Weinguide 2017) und trinke zum Abschluss dieses mit Eindrücken vollgepackten Tages einen Rieslingsekt als Aperitif. Das Weingut betreibt hier auch ein Restaurant („Vis a Vis“), und ich ahne, dass das Essen ebenso vorzüglich ist wie der Sekt.
Guntersblum bin ich heute morgen nur mit einer Tasse Kaffee und einem Wurstbrot (von gestern) zum Frühstück gestartet. Frühstück gab es erst ab 8 Uhr, aber freundlicherweise wurde ich mit Kaffee und Rosinenbrötchen versorgt. Ich wollte einfach früh los, weil ich nicht wusste, wie ich den Weg schaffe.
Der Ort ist am Sonntagmorgen ausgestorben. Nur das Klick-Klack meiner Stöcke auf dem Gehsteig stört die Sonntagsruhe. Eine Frau zieht am Automaten Zigaretten, ein Mann ist auf dem Weg zu seinem Auto. Danach begegne ich bis Mettenheim keiner Menschenseele.

Schnell bin ich wieder auf der Höhe meines Wanderweges. Der ändert jetzt seinen Charakter. Ich gehe durch immer mehr Hohlwege, die das Wasser im Löß „gebaut“ hat.

Manchmal sind die Lößwände 10 Meter hoch. Lößbienen durchlöchern die Wände. Manchmal ist die Enge in den hohlen Gassen direkt bedrückend. Dschungel-Feeling. Es gibt keinen Notausgang.
Aber alles löst sich oben wieder in Wohlgefallen auf, wenn die Aussicht auf die weite Weinebene wieder in den Blick kommt.
Der Weiler Hangen-Wahlheim oberhalb von Guntersblum hat seine besten Tage hinter sich. Der Dalberger Hof ist eine Bruchbude. Überhaupt hatten hier die Leiningers, die Dalbergers und wie die Adelsgeschlechter mit ihren prachtvollen Residenzen in Mainz alle hießen, hier ihre Pfründe. Und natürlich Lorsch. Das Kloster war DIE Macht, auch in Oppenheim. Der Wein, der seit dem 8. Jahrhundert hier kultiviert wird, war ausschlaggebend. Auch in Hangen-Wahlheim. Kirchenmacht.
Dabei „hat das letzte Hemd keine Taschen“, wie mir ein alter Rheinhesse wenig später so nebenbei mit auf den Weg gibt. Also wandere ich – nur mit 7 Kilogramm beschwert – weiter.
Übrigens noch ein Nachtrag zur „Völkermühle“: Hangen-Wahlheim hieß ursprünglich Walaheimberge. Man vermutet, dass (ahd.) Walah als „Fremder, besonders Romane oder Kelte“ aufzufassen ist. Hatten sich dort Menschen aus der Völkerwanderung angesiedelt? Immerhin gibt es in Rheinhessen auch ein FRIESENheim…..
Der Odenwald ist heute ganz nah, die Konturen der Berge wie ein Scherenschnitt, obwohl der Himmel verhängen ist. Es stört eigentlich nur Biblis die Harmonie, aber wenigstens ist es abgeschaltet.
Gestern schon ist die Ebene unter mir weiter geworden. Aber jetzt komme ich immer mehr an den Oberrheingrabenbruch. Bei Alsfeld (hier steht eine zweite Heidenturmkirche) treffen Rheingraben und Mainzer Becken aufeinander – und von hier an geht mein Weg auch immer mehr in die Ebene. Gegenüber der Kühkopf und Eich, unsere „Wasserversorgungsstation“.
Die Terrassen werden flacher, der Weinanbau breitet sich in der weiten, flachen Ebene aus und rechts von mir kommt das rheinhessische Hügelland in den Blick. Windanlagen inklusive. Um so deutlicher, als ich nach Mettenheim „landeinwärts“ abbiegen, um nach Bechtheim zu kommen, ein Weindorf in einer kleinen Talmulde, vorzüglichen Weinen und einem romanischen Klei nod: Die St.  Lambertus Basilika.

Leider ist sie außen ganz eingerüstet. Aber innen ist die Renovierung abgeschlossen. Es ist 12 Uhr mittags, und ich verbringe viel Zeit hier. Auch um dann später den rechten Weg wieder zu finden. Würden die Anrainergemeinden des Rheinterrassenweges ihre Markierungen doch genauso liebevoll gestalten wie ihre Infotafeln (es gibt sogar einen sehr anschaulichen Wein-Aroma-Weg)! Oder würden Sie nicht dauernd neue Pilgerwege kreieren (Ich gehe jetzt nämlich auf dem Terrassenweg, dem Lutherweg UND dem rheinhessischen Jakobsweg!!!), dafür aber wenigstens einen ordentlich markieren. Aber dank Internet und Bauchgefühl finde ich mich wieder auf den Weg nach Osthofen. Wein, Wein, Rüben – das ist Rheinland-Pfalz.
Mittlerweile ist es schwülwarm geworden und ich kämpfe mit mir, ob ich noch zur Gedenkstätte des KZ  Osthofen, etwas außerhalb des Ortskerns, gehen soll. Aber warum bin ich sonst so früh aufgestanden?!
Darüber und über drei dazu passende Unterhaltungen im nächsten Blog.
Übrigens: Das Essen im Weingut Spiess war tatsächlich vorzüglich: Fenchel-Orangensüppchen mit Jakobsmuschel, saftiges Kalbskottelet mit Gemüsespaghetti, dazu einen Osthofener Goldberg Riesling. Danach ging kein Dessert mehr. Nur noch Espresso mit köstlichen Schokoladenküchlein. Ich weiß, warum ich keine Pilgerwanderung mache!

Am frühen Samstag morgen trennen sich die Wege von Marlis und mir. Ich gehe Richtung Guntersblum, Marlis fährt mit dem Zug zurück nach Berlin.

Vorher frühstücken wir aber nochmal ausgiebig und wirklich vorzüglich im Hotel Merian.

Es war schön mit dir, liebe Marlis. Es hat Freude gemacht. Und ich kann jetzt auch WhatsApp.

Über die Krämerstrasse komme ich schnell auf meinen Weg. Ein letzer Blick zurück zur Katharinenkirche, dann liegen die Weinterassen vor mir. Sie sind  hier besonders gut sichtbar. In unterschiedlichen Höhen gibt es parallele Wege. Einmal steige ich auf dem Hang eine ‚Ebene‘ höher: So habe ich noch eine bessere Aussicht.

Die Rheinebene wird immer weiter, das eigentliche  Flussbett ist fast außer Sichtweite. In der Ferne der Odenwald. Ich bin ganz allein unterwegs. Kein Mensch begegnet mir. Nur ein Feldhase schlägt sofort Haken, als ich näher komme

Die Brombeeren sind hier reif, die Mirabellen auch,  es gibt Nussbäume ohne Zahl,  Kirsch- und Mandelbäume.

Dann irritiert mich ein funkelnagelneues Wegzeichen, das erst kürzlich angebracht worden sein kann : Lutherweg . Ein neuer Pilgerweg! Später  erfahre ich, dass der Weg die Reise des Reformators von der Fähre in Nierstein bis nach Worms abbildet. Na, dann!

Bald sehe ich Ludwigshöhe unter mir. Nicht das an der Haardt, das ist noch weit entfernt. Aber Guntersblum ist bereits nah – und dabei ist es erst Vormittag!

Bald liegt eine meterhohe Löss-Abbruchkante vor mir und eine Streuobstwiese an der Sasselbach mit Speierlingsbäumen. Wie ich auf den Infotafeln lese, ist die Baumart sehr selten, hat sehr hartes Holz und wird zum Kelterbau verwendet. Tja, lesen bildet!

Eine gemauerte Quelle lädt zu Rast ein.

Der Vögelsgärtenbrunnen hiess früher mal Victorsquelle nach einem Heiligen und wurde dann im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte zuerst zur Vichel- und später zur Fechel-Quelle  (rhoihessisch für Vögel ). Zur Vogelsquelle nach Vogelbach ist es jetzt nur noch einen „Katzensprung“von 13 Tagen!

Durch einen wunderschönen Hohlweg, wie er typisch für Rheinhessen ist, laufe ich auf Guntersblum zu. Und staune dort über eine wunderliche Kirche mit orientalischem Flair. Nein keine Moschee. Die Architektur der Sarazenenturm- oder Heidenturmkirchen mit zwei Türmen, streng geometrisch und mit achteckigen (!) Aufbauten haben Kreuzritter um die erste Jahrtausendwende nach Rheinhessen gebracht. Einer der Türme ist noch von 1100,  der andere wurde im 30jährigen Krieg zerstört und später rekonstruiert.

Es gibt noch 3 weitere solcher Kirchen in der Gegend.

Ich schlendere durch Guntersblum. Samstagnachmittag in Rheinhessen. Wochenende. Ab und zu werkelt jemand am Haus oder wäscht das Auto. Ansonsten Ruhe.

Am Kellerwegfest im August stapeln sich hier die Menschen. Jetzt kann man  an den wunderbaren alten Höfen, den Fachwerkhäusern und grossherrschaftlichen Anwesen in Ruhe vorbei gehen. Der Ort hat etwas Südländisches mit dem hellen Bruchsteinmauerwerk, dem Oleander, den blühenden Schlingpflanzen. Dazu trägt auch bei,  dass nicht alles auf Schickimicki getrimmt ist. Man spürt die Zeit und die Geschichte des Ortes…

Ich wohne und esse im Landhotel Weinhof. Ein Paar, das die Welt gesehen hat, baut sich in alten Gemäuern eine neue Existenz auf. Ich esse traumhaftes Lamm aus der Hüfte mit Ratatouille und Polentaplätzchen. Dazu einen Guntersblumer Spätburgunder.

Aber zu den Übernachtungs- und Restaurantbesuchen auf meiner Wanderung gibt es später Extra was zu lesen. Dann nämlich, wenn irgendwo in Rheinhessen das WLAN funktioniert und ich mein Tablet nutzen kann…

Schlappe 10 Kilometer bin ich heute gelaufen. Morgen wirds anstrengend!

 

 

„Man kann gewisse Dinge nicht erfinden, die die Natur gemacht hat“…

Zum dritten Mal gehe ich den Weg von Bodenheim nach Oppenheim. Jedes Mal in anderer Besetzung: Letztes  Jahr im Frühjahr mit Hubert, Dagmar und Dieter – unsere letzte gemeinsame Wanderung mit Hubert. Dann im Spätsommer 2016 mit Annette – das war auch eine Erinnerungswanderung.  Jetzt mit Marlis. Und dreimal habe ich mich an denselben Stellen verfranst: Vor Nackenheim und in Nierstein. Das liegt nicht an mir, sondern an der unachtsamen und/oder fehlenden Markierung. Und daran, dass der Weg ordentlich nur von Oppenheim nach Bodenheim markiert ist. Niemand kommt wohl auf die Idee, dass jemand auch andersrum gehen könnte. Meine Bitte an die Verantwortlichen: Überarbeitet die Markierungen auf der gesamten Teilstrecke!

Wir starten nach einem guten Frühstücķ. Bald lassen wir den alten Ortskern von Bodenheim hinter uns, laufen durch halbfertige Neubaugebiete  und sind dann mitten in der rheinhessischen Reben-und Rübenlandschaft, die sich bis zum Horizont zieht.  Im Wingert werden die  Reben  geschnitten. Da waren wir in Gonsenheim früher dran,  nicht wahr, Konrad und Klaus?

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Der Rucksack

Schon erstaunlich, auf was der Mensch so alles verzichten kann. Für 16 Tage geht alles in einen 28-Liter-Rucksack.  Funktionsunterwäsche und der Gedanke, dass ich ja alles selbst schleppen muss, machen das möglich.  7,5 Kilo – mehr will ich meinem Rücken nicht zumuten. Das Gute dabei ist, wie meine Freundin Beate meint: Du musst morgens nicht überlegen, was du heute anziehen sollst.

 

Was es ist, und was es nicht ist

Nein, das ist keine Pilgerwanderung! Fast jedes Mal, wenn ich erzähle, dass ich eine längere Wanderung plane, war die Reaktion: Ach, eine Pilgerwanderung! Oder: Geht es nach Santiago de Compostella?

Es beschleicht mich das Gefühl, dass heutzutage kaum noch jemand wandert – es sei denn, es geht in die Alpen. Nein, „man“ nimmt eine Pilgerroute.   Davon gibt es jedes Jahr mehr. Allein durch die Pfalz führen 5 „Jakobspilgerwege“: ein nördlicher und ein ein südlicher Weg (von Speyer nach Hornbach), dazu eine Verbindungsroute, eine Klosterroute von Worms nach Metz, und seit neuestem auch eine von Wissembourg nach Bad Bergzabern.  Dazu eine Menge erbauliche Literatur, Krimis vom Jakobsweg, Historisches (Seriöses und Historienschinken), Kartenmaterial, Internetseiten, „Übernachtungsmöglichkeiten am Jakobsweg“….. das Pilgergeschäft blüht. Aber das war ja schon vor 1000 Jahren so. Und hilft auch der heimischen Wirtschaft. Trotzdem: Schon eigentümlich in unserer säkularisierten Gesellschaft.

Ich jedenfalls werde nicht pilgern.

Ich wandere. Suche mir Wege durch schöne Landschaften. Meide Straßen. Genieße angenehme Übernachtungsmöglichkeiten und gutes Essen. Und wenn es mir zuviel wird, nehme ich auch mal den Bus.

Auf der Route bleibt es nicht aus, dass ich auch auf markierte Wege mit der „Muschel“ treffe: Von Worms bis Wachenheim an der Pfrimm verläuft heute die „Klosterroute“, die früher mal Nibelungenweg hieß. Und von Lambrecht bis nach Vogelbach gehe ich die Nordroute des Pfälzer Jakobsweges. Das hat seinen Grund: Denn in meinem Heimatort liegt die älteste Kirche der Westpfalz, eine Simultankirche, ein spätromanisches Juwel, das von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Hier entlang des Pfälzer Bruchs führte der Jakobsweg . Auch deshalb, weil das schon bei Kelten und Römern ein bedeutender Verkehrsweg war. Die Kirche ist den Heiligen  Jakobus und Philippus geweiht, aber viel wichtiger ist, dass Hubert und ich dort geheiratet haben. Auch Florian wurde dort zusammen mit Geza getauft.

Deswegen ist meine Wanderung auch ein Weg zurück. 1974 hat mich mein Vater zum Studieren nach Mainz gefahren. Mainz war für mich eine Großstadt – heute denke ich da etwas anders drüber -, aber wenn jemand aus einem 1.300-Seelen-Dorf kommt, 18 Jahre alt ist und über Kaiserslautern und ein paar Besuche in München noch nicht so viel städtisches Leben gesehen hatte, war Mainz –  jedenfalls in den 70er Jahren  – schon etwas Besonderes. Nach über 40 Jahren, in denen ich jetzt in Mainz lebe, ist mir die „Großstadt“ von einst vetraut geworden.  Oft denke ich: Mainz ist ein Dorf! Kein Einkauf, kein  Theaterbesuch, keine Veranstaltung, ohne dass ich  Bekannte treffe.

Zeit, sich auf den Weg in die Heimat zu machen.

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