Sonntagabend: Ich sitze im mediterranen Vorgarten des Weinguts Spiess in Osthofen (Gault-Millau, Weinguide 2017) und trinke zum Abschluss dieses mit Eindrücken vollgepackten Tages einen Rieslingsekt als Aperitif. Das Weingut betreibt hier auch ein Restaurant („Vis a Vis“), und ich ahne, dass das Essen ebenso vorzüglich ist wie der Sekt.
Guntersblum bin ich heute morgen nur mit einer Tasse Kaffee und einem Wurstbrot (von gestern) zum Frühstück gestartet. Frühstück gab es erst ab 8 Uhr, aber freundlicherweise wurde ich mit Kaffee und Rosinenbrötchen versorgt. Ich wollte einfach früh los, weil ich nicht wusste, wie ich den Weg schaffe.
Der Ort ist am Sonntagmorgen ausgestorben. Nur das Klick-Klack meiner Stöcke auf dem Gehsteig stört die Sonntagsruhe. Eine Frau zieht am Automaten Zigaretten, ein Mann ist auf dem Weg zu seinem Auto. Danach begegne ich bis Mettenheim keiner Menschenseele.
Schnell bin ich wieder auf der Höhe meines Wanderweges. Der ändert jetzt seinen Charakter. Ich gehe durch immer mehr Hohlwege, die das Wasser im Löß „gebaut“ hat.
Manchmal sind die Lößwände 10 Meter hoch. Lößbienen durchlöchern die Wände. Manchmal ist die Enge in den hohlen Gassen direkt bedrückend. Dschungel-Feeling. Es gibt keinen Notausgang.
Aber alles löst sich oben wieder in Wohlgefallen auf, wenn die Aussicht auf die weite Weinebene wieder in den Blick kommt.
Der Weiler Hangen-Wahlheim oberhalb von Guntersblum hat seine besten Tage hinter sich. Der Dalberger Hof ist eine Bruchbude. Überhaupt hatten hier die Leiningers, die Dalbergers und wie die Adelsgeschlechter mit ihren prachtvollen Residenzen in Mainz alle hießen, hier ihre Pfründe. Und natürlich Lorsch. Das Kloster war DIE Macht, auch in Oppenheim. Der Wein, der seit dem 8. Jahrhundert hier kultiviert wird, war ausschlaggebend. Auch in Hangen-Wahlheim. Kirchenmacht.
Dabei „hat das letzte Hemd keine Taschen“, wie mir ein alter Rheinhesse wenig später so nebenbei mit auf den Weg gibt. Also wandere ich – nur mit 7 Kilogramm beschwert – weiter.
Übrigens noch ein Nachtrag zur „Völkermühle“: Hangen-Wahlheim hieß ursprünglich Walaheimberge. Man vermutet, dass (ahd.) Walah als „Fremder, besonders Romane oder Kelte“ aufzufassen ist. Hatten sich dort Menschen aus der Völkerwanderung angesiedelt? Immerhin gibt es in Rheinhessen auch ein FRIESENheim…..
Der Odenwald ist heute ganz nah, die Konturen der Berge wie ein Scherenschnitt, obwohl der Himmel verhängen ist. Es stört eigentlich nur Biblis die Harmonie, aber wenigstens ist es abgeschaltet.
Gestern schon ist die Ebene unter mir weiter geworden. Aber jetzt komme ich immer mehr an den Oberrheingrabenbruch. Bei Alsfeld (hier steht eine zweite Heidenturmkirche) treffen Rheingraben und Mainzer Becken aufeinander – und von hier an geht mein Weg auch immer mehr in die Ebene. Gegenüber der Kühkopf und Eich, unsere „Wasserversorgungsstation“.
Die Terrassen werden flacher, der Weinanbau breitet sich in der weiten, flachen Ebene aus und rechts von mir kommt das rheinhessische Hügelland in den Blick. Windanlagen inklusive. Um so deutlicher, als ich nach Mettenheim „landeinwärts“ abbiegen, um nach Bechtheim zu kommen, ein Weindorf in einer kleinen Talmulde, vorzüglichen Weinen und einem romanischen Klei nod: Die St. Lambertus Basilika.
Leider ist sie außen ganz eingerüstet. Aber innen ist die Renovierung abgeschlossen. Es ist 12 Uhr mittags, und ich verbringe viel Zeit hier. Auch um dann später den rechten Weg wieder zu finden. Würden die Anrainergemeinden des Rheinterrassenweges ihre Markierungen doch genauso liebevoll gestalten wie ihre Infotafeln (es gibt sogar einen sehr anschaulichen Wein-Aroma-Weg)! Oder würden Sie nicht dauernd neue Pilgerwege kreieren (Ich gehe jetzt nämlich auf dem Terrassenweg, dem Lutherweg UND dem rheinhessischen Jakobsweg!!!), dafür aber wenigstens einen ordentlich markieren. Aber dank Internet und Bauchgefühl finde ich mich wieder auf den Weg nach Osthofen. Wein, Wein, Rüben – das ist Rheinland-Pfalz.
Mittlerweile ist es schwülwarm geworden und ich kämpfe mit mir, ob ich noch zur Gedenkstätte des KZ Osthofen, etwas außerhalb des Ortskerns, gehen soll. Aber warum bin ich sonst so früh aufgestanden?!
Darüber und über drei dazu passende Unterhaltungen im nächsten Blog.
Übrigens: Das Essen im Weingut Spiess war tatsächlich vorzüglich: Fenchel-Orangensüppchen mit Jakobsmuschel, saftiges Kalbskottelet mit Gemüsespaghetti, dazu einen Osthofener Goldberg Riesling. Danach ging kein Dessert mehr. Nur noch Espresso mit köstlichen Schokoladenküchlein. Ich weiß, warum ich keine Pilgerwanderung mache!