Reisen

Kategorie: Grünes Band 2021

Eine Reise entlang der ehemalgen innerdeutschen Grenze, Teil 2

„Lebbe geht weider“

Vor fast genau 3 Jahren habe ich meine Wanderung entlang des Grünen Bandes begonnen – in Bad Elster. Gekommen bin ich bis in die Rhön mit dem festen Vorsatz, im folgenden Jahr wieder ein Teilstück der insgesamt ca. 1.400 Kilometer entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zurück zu legen. Aber meistens kommt es anders als man plant. 2019 war mein letztes Berufsjahr, da blieb wenig Zeit für längere Wanderungen. Und 2020  kamen Corona und eine fiese Krankheit.

Aber jetzt geht es weiter: Mit einem kleinen Stück weniger Lunge, mit einer Autoimmunkrankheit, die derzeit Gott sei Dank ruht, und etwas mehr Gepäck (Medikamente, Stützen fürs Knie und was man als Rentnerin mit Wehwehchen halt alles so braucht).

Foto aus dem Wanderführer von Anne Haertel: Grünes Band. Der Süden. Berlin 2020. Der Trescher-Verlag hat freundlicherweise den Abdruck des Kartenausschnittes genehmigt.

Wie weit ich komme, das weiß ich noch nicht. Ich will keine Rekorde aufstellen, sondern die Tage bei hoffentlichen angenehmen Wanderwetter genießen. Zuerst durch die Rhön und vielleicht bis ins Eichsfeld.  Starten werde ich in Birx. Und dann geht es in kleinen Etappen weiter.

 

 

„Zur Rhön hinauf“

Hand auf’s Herz: Wer hat schon einmal seinen Urlaub in der Rhön verbracht? Ich nicht.

In einigen Mittelgebirgen bin ich gewandert: im Harz, im Hunsrück, in der Eifel, im Bayerischen Wald, im Odenwald oder im Spessart….aber in der Rhön?

Karges, kaltes Land, unwirtlich, arm, „Zonenrandgebiet“ – insgesamt wenig attraktiv.

Und was erlebe ich, als ich mit meinen lieben Nachbarn, die mit mir zum Start meiner Grüne-Band-Wanderung nach Brix, im Dreiländereck Franken/Hessen/Thüringen fahre?

Eine grüne  Mittelgebirgslandschaft, die ihresgleichen sucht. Famose Aussichten von langgestreckten Höhenrücken aus (Lange Rhön), bewaldete Kuppeln, herrliche Buchenwälder, fette  Wiesen. Grün in allen Schattierungen. Die Mauersegler – wer kennt die noch? – sind unterwegs, und überhaupt merke ich jetzt erst hier, wo um uns herum das Vogelgezwitscher eine stete Hintergrundmelodie ist, wie sehr die Vögel in der Stadt fehlen.

Und in den Tälern  liegen die kleinen Ortschaften wie aus dem Bilderbuch: Fachwerkhäuser, rote Ziegeldächer, Kirchen mit Zwiebeltürmen. Es ist wie eine aus der Zeit gefallene Welt.

Die Wandervögel fallen mir ein. Im Frühtau zu Bergen. Wem Gott will rechte Gunst erweisen….

Ach, und da gibt es ja auch noch das wunderbar kitschige  Rhön-Lied:
Zieh an die Wanderschuh,
Und nimm den Rucksack auf,
Und wirf die Sorgen ab,
Marschier zur Rhön hinauf!

Machen wir. Nach Corona kommen die Wanderer wieder. Das ist gut.

Wir bestaunen die Kirchenburg in Ostheim, trinken Holunderlimonade in Fladungen, sind begeistert von der Bedienung im Thüringer Haus (Franken), die im Regen stets freundlich die Gäste unter den Sonnen(Regen)schirmen bedient und dabei vom Hin- und Herrennen schon ziemlich aufgeweicht ist.

Wir wandern – sozusagen als Ouvertüre zum Grünen Band – 4 Kilometer auf einem Rundweg, der sich Franziskusweg nennt. Der Weg war trotz Regen schön, die „meditativen Textelemente“ an verschiedenen Wegstationen waren überhaupt nicht meine Welt.  Der Sonnengesang des Franziskus ist Poesie. Warum muss man ihn dann noch interpretieren?

Und dann sind wir in Birx. In der Pension, die ich angeblich gebucht habe. Oder doch nicht? Wieso beginnt meine zweite Wanderung auf dem Grünen Band schon wieder mit einer Fehlbuchung??

 

 

 

 

Tradition auf dem Grünen Band: das falsche Hotel

Kühl ist es abends in der Hohen Rhön. Birx liegt über 700 m hoch.

Ich war so sicher, dass ich Zimmer im Flechsenberger Hof in Birx gebucht hatte. Ich hatte alles auf meinem Tourplan vermerkt. Doch als wir ankamen, standen dort viele Hochzeitsgäste. Ein besonders elegant gekleideter Mann machte uns darauf aufmerksam, dass der Landgasthof heute wegen einer Hochzeit geschlossen sei. Ich wollte es nicht glauben. „Aber ich habe doch reserviert! Ich habe doch mit Ihnen telefoniert!“ Ich war fassungslos. Der Angesprochene – augenscheinlich der Wirt – meinte lapidar: „Das wüsste ich aber. Es ist meine Tochter, die heute heiratet. Und dieser Termin steht seit über einem Jahr.“

So ging es noch eine Weile hin und her, bis der Wirt uns empfahl, es in der Pension Dreiländereck zu probieren. „Dort wo der gelbe Trabi auf dem Garagendach steht.“ Und siehe da: Dort hatte ich auch gebucht. Und es nur falsch in meinem Plan vermerkt. Mea Culpa!

Dafür wurden wir aber mit einem tollen Frühstück entlohnt. Und im „Rhönstübchen“, einem Gasthof, haben wir auch recht gut gegessen.

Ich habe den Eindruck, dass die Infrastruktur an diesem Teil des Grünen Bandes besser ist als am ersten südlichen Teilstück. Das kann aber daran liegen, dass der Hochrhöner hier vorbeiführt.

Dieser Wanderweg ist vielbegangen. Auf dem Grünen Band geht kaum jemand. Das bestätigt auch unser Wirt, der selbst geführte Grenzwanderungen  anbietet. „30 gehen den Hochrhöner, 3 das Grüne Band“.

Zum Einstieg  ein lila Band: Von Birx bis zum Ellenbogen

Der erste Wandertag ist immer aufregend, auch wenn die Strecke von Birx zum Eisenacher Haus kurz ist. Deshalb bin ich froh, dass meine Nachbarsfreunde dabei sind.

Und natürlich komme ich mit meiner Wander-App nicht zurecht. Wir werden sehen, wie das wird, wenn ich allein bin.

Der Einstieg in Birx gelingt aber erst einmal gut. Ganz in der Nähe unserer Pension finden wir doch tatsächlich die Markierung des Grünen Bandes.  Etwas ganz seltenes, wie ich von meiner Wanderung 2018 weiß. Und das soll auch so bleiben. Denn die Markierung verschwindet bald wieder.

 

„Mit den Füßen  in Thüringen und Bayern im Rücken wandern wir auf einem Feldweg auf Hessen zu“, beschreibt die Autorin meines Wanderführers ganz anschaulich nicht nur den Start, sondern auch die Grenzsituation an diesem Dreiländereck. Und sie läßt erahnen, wie eingekesselt der Ort Birx zu Zeiten der deutschen Teilung war. Es lag im Sperrgebiet. Frei war nur der Weg nach Osten Richtung Frankenstein.

Komisch, ich sehe sofort, als wir den kaum mehr sichtbaren Kolonnenweg queren. Die Tage auf der ersten Grenzwanderung 2018 haben das Auge geschult.

Aber wir folgen ihm noch nicht, weil er durch eine ungemähte Wiese führt, sondern machen einen kleinen Bogen ins Hessische. Dann stoßen wir wieder auf den Grenzweg mit seinen Betonlochplatten, die man nur mit äusserster Konzentration begehen kann, will man nicht unversehens umknicken. Das Gras steht hoch im Mittelstück des Weges. Es ist wirklich schwer zu gehen. Links und rechts ist die Landschaft nicht mehr „nur“ verbuscht; hohe Birken und Nadelbäume sind gewachsen. Der Kolonnenweg ist hier eher eine schmale Schneise durch den Wald. Dazwischen Feuchtbiotope.

Für meinen Nachbarsfreund ist es auch deshalb so unwirklich, auf dem Betonweg zu gehen, weil er vor langer Zeit seinen Wehrdienst hier bei der Grenzschutzpolizei absolviert hat. Er hat sozusagen vom Westen aus beobachtet, was sich dort abspielt, wo er jetzt zum ersten Mal geht.

Und dann wird das Grüne Band zum Lila Band. Schön fürs Auge, schlecht für die einheimischen Pflanzen. Die Lupinien, die manchmal hundert Meter weit den Weg links und rechts säumen, gehören nicht in die Rhön. Aber sie verbreiten sich rasend schnell und sind zum Problem geworden, weil sie alle anderen Pflanzen verdrängen, besonders diese einmaligen hier am Grünen Band.

Bald verlassen wir den Kolonnenweg wieder und folgen dem Hochrhöner. Durch duftende Wiesen geht es mit herrlichen Aussichten rasch zum Ziel der ersten kleinen Etappe: dem Ellenbogen.

 

 

Wo früher „Horch und Guck“ spionierten, gibt’s heute kein Netz

Ich sitze oben auf 813 Meter Höhe auf dem Ellenbogen, früher Horchstation der DDR, das Pendant zur „westlichen“ Wasserkuppe, die ich von hier aus ebenso sehe wie geschätzt alle erloschenen  Vulkankegel der Kuppenrhön.  Es ist Abend und langsam werden die Berglinien vor mir zu Schattenrissen. Die Mücken stechen, der angenehme Wind von heute Mittag hat sich verdrückt – und ich habe keinen Empfang. Das muss man sich mal vorstellen: Von hier aus haben die Leute des Ministeriums für Staatssicherheit mit modernster Technik in 6 Türmen die halbe Bundesrepublik ausgespäht (in der Bundesrepublik saßen die amerikanischen Späher mit ihrem Radar auf der etwas höheren Wasserkuppe) – und heute kann ich hier nicht telefonieren.

Dafür ist der Ellenbogen mittlerweile Anziehungspunkt für Wanderer, Familien mit Kindern, Biker, Radfahrer. Und statt der Spähtürme von „Horch und Guck“, die 1990 abgerissen wurden, steht heute auf der Spitze  „Noahs Segel“, eine 23 Meter hohe Metallkonstruktion, die man ersteigen kann. Oben auf der Plattform hat man einen grandiosen Rundumblick. Und für Kinder das Schönste – runter geht es auf einer Rutsche!

Der Name spricht einerseits die Form der Konstruktion an, andererseits verweist er auf ein knapp 6 Kilometer entfernt errichtetes anderes Bauwerk, die Arche. Und dann erinnert das Segel in seiner Form auch noch an einen Ellenbogen. Fast zu viel der Symbolik.

Langsam gehe ich zurück zu meiner Unterkunft, dem Eisenacher Haus, einem Berggasthof mit Geschichte. Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde der mächtige Bau vom Rhönclub errichtet. Nach dem 2. Weltkrieg – der Ellenbogen lag im Osten – wurde der Rhönclub dort verboten, das Haus wurde Staatseigentum und zu einem FDGB-Ferienheim. Danach waren zwischenzeitlich die Russen dort, und dann kam die Staatssicherheit. 1968. Das Haus war wegen seiner Grenznähe idealer Standpunkt für die Funkaufklärung. Noch vor der Wiedervereinigung, im September 1990 wurden die Antennen hnd Türme abgerissen

Das Haus war in einem desolaten Zustand. Doch mittlerweile hat es sich als Berghotel wieder etabliert.

Übrigens: Lange glaubten Russen und Staatssicherheit, dass die Zentrale im Eisenacher Haus mit den Spähtürmen  – genannt „Blitz“ – sowohl dem Westen als auch der eigenen Bevölkerung verborgen sei. Aber der Westen wusste schon lange über Fotos von westlichen Grenzschützern bescheid. Und die Menschen, die im Gebiet wohnten, nannten das Areal um den Ellenbogen „Klein Sibirien“. Noch Fragen?

Allein unterwegs nach Tann

 

Die Stimme in meiner Hosentasche erfreut mein Gemüt sehr. Obwohl sie frei von irgendwelchen Emotionen den Weg vorgibt: „Gehen Sie auf diesem Weg 2,2 km.“ „Biegen Sie jetzt links ab.“

Ich habe meine Wander-App gestern abend doch noch „zum Laufen“ gebracht. Es war Zufall, kein Können. Trotzdem war es eine unruhige Nacht: Mein linker Arm ist inklusive der Hand von Schnaken und Bremsenstichen stark angeschwollen. Aber Gott sei Dank habe ich in meinem 8-Kilo-Rucksack ja einen gut sortierten Medikamentenkoffer. Und dann war ich auch unsicher, ob ich das allein morgen schaffen werde.

Aber jetzt – am frühen Morgen – ist alles gut. Die Sonne scheint, die Luft ist frisch, und ich wandere auf einem sanft abfallenden, knieschonenden Weg vom Ellenbogen runter Richtung Unterweid. Entlang blühender Feuchtwiesen, durch Wald. Hutungen nennen sie in der Rhön seit Jahrhunderten die Weideflächen. Durch Krieg, aber auch durch die Gewinnmöglichkeiten in der Holzwirtschaft sind große Flächen verbuscht oder wurden mit Nadelbäumen aufgeforstet.

Ich mache Rast an der ehemaligen „Hinteren Mühle“ von Unterweid. Sie wurde noch 1979 geschleift, weil sie zu nah an der Grenze lag. 300 Jahre lang haben ihre Besitzer und Pächter zur Ernährung der Menschen beigetragen. Heute erinnert nur noch ein modernes Wasserrad an den abgerissenen Bau. Am Ufer des Baches blühen die Vergissmeinicht.


Jetzt geht es sanft wieder hoch bis Kleinfischbach. Dann  wird’s steiler. Hinzu kommt, dass der im Wanderführer vorgesehene Weg gesperrt ist. Ich muss ins Dorf zurück und einen Umweg gehen.

Die Sonne sticht. Es ist schwül. Und es geht aufwärts. Schweißtreibend.  Aber oben werde ich bald mit Panoramablicken auf die Kuppenrhön entlohnt.  Ich bin jetzt wieder auf dem Hochrhöner. Dann geht es runter nach Tann. Die hessische Stadt mit tollen Fachwerkshäusern wird überragt vom Habelberg. Zu DDR- Zeiten ragte sie wie ein Pilz in die DDR. War also auch von Grenzen eingeschlossen. Alle Beziehungen zu Freunden und Verwandten in Kaltennordheim waren gekappt.

11-Apostel-Haus, eines von vielen schönen Fachwerkhäusern in Tann. Allerdings stellt einer der Apostel Christus dar. Und ausserdem: Wieso eigentlich 11 Apostel.

Das Ochsenbäckerhaus beherbergte zuerst eine Metzgerei, dann eine Bäckerei.

Ich bin nach 18 Kilometern zu müde für eine längere Stadtbesichtigung und Suche meine Übernachtung „Zur Krone“ auf, ein Landgasthof mit angeschlossener Metzgerei. Ihr ahnt, was noch kommt: eine Schlachterplatte zum Abendessen mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Bei immer noch glühender Hitze auf der Terrasse des Hotels mit Blick auf den Habelberg. Der Höhepunkt: der „Schweinebaron“, ein freundlicher Herr, der die Ferkel angeliefert hat, und der auch mit am Tisch sitzt, zeigt mir ein Foto von den Ferkeln am Morgen: lebend!

Wandern digital

 

„Sie haben die Tour verlassen. Tour wird angepasst. Tour kann nicht angepasst werden. Gehen Sie zurück.“

Mein Verhältnis zu der Wander-App ist zwiegespalten. Gestern hatte ich sie noch über den grünen Klee gelobt, heute ist sie die Ursache eines holprigen Beginns meiner Tour von Tann nach Reinharts. Und auch wohl der Grund dafür, dass ich statt 20 22 Kilometer zurücklegen musste. Vielleicht lag’s an mir, vielleicht am GPS, jedenfalls  wäre es vielleicht besser gewesen, dem Rat eines Einheimischen zu folgen.

Aber im Großen und Ganzen klappt die Orientierung mit der App. Ich weiß  immer, wo ich bin, auch wenn ich zwischenzeitlich mal kurzfristig „die Tour verlasse“. Zur Not habe ich ja noch Landkarten und die Wegbeschreibung im Wanderführer.

Lediglich manchmal wünschte ich mir ein wenig mehr Emotionen von der Stimme aus dem Off: Schalte ich die Navigation nach einer Rast wieder ein, heißt es „Weiter jetzt“. Ohne Betonung eines der beiden Wörter. Lieber wäre mir eine motivierende Betonung auf „weiter“. Aber man kann nicht alles haben.

Damit dem Handy – und damit auch der App – „der Saft nicht ausgeht“, habe ich es mit einem Kabel an meine Powerbank angeschlossen. Die hängt außen an meinem Rucksack und kann sich auch durch das Sonnenlicht aufladen.

Dass mein Rucksack damit wieder etwas schwerer wird, nehme ich in Kauf.

So geht wohl  Wandern im digitalen Zeitalter.

Kühe, Schafe, Ziegen und der Hahn auf dem Mist

Tann hat gleich 3 Schlösser – ein rotes, ein gelbes und ein blaues. Bedeutet 3 unterschiedliche Bauepochen, aber auch drei Linien des Adelsgeschlechts derer von Tann. Weil Eberhard von Tann ein Freund Luthers war, wurde die Gegend um Tann evangelisch und führte 100 Jahre Krieg gegen die Äbte von Fulda. Bis heute ist die Region evangelisch, obwohl der Landkreis Fulda als erzkatholisch gilt.

Auch das Stadttor erbaute jener Eberhard, durch das Soldaten aller Länder gezogen sind. Nur die Amerikaner scheiterten 1945: Sie blieben mit dem Kanonenrohr ihres Panzers am Rundbogen hängen.

Am Schlosspark vorbei gehe ich über eine Ulster-Brücke und dann hoch zu Kühen, Schafen, Ziegen und dem  Hahn auf dem Mist.

Wieder kommt mir die Gegend wie aus der Zeit gefallen vor.  Kleine Orte wie Günthers oder Neuswarts liegen in der Flurlandschaft, wo ich zum ersten Mal auch  – noch sehr niedrig stehende Mais- und Gerstenfelder sehe. Ich überquere die Landesgrenze Hessen – Thüringen und bin wieder auf dem Plattenweg. Aufwärts geht es jetzt bis zur Wüstung Selenhof, der wie so viele Gehöfte in den 70er Jahren, abgerissen wurde wegen seiner Nähe zur Grenze. Nur ein Gedenkstein, den die Nachfahren errichteten, erinnert noch daran. Jetzt ist es ein friedlicher Ort zum Rasten mit Blick auf die Kuppeln der Rhön.

Ich gehe durch Buchenwälder und auf Panoramawegen, wechsle zwischendurch immer mal wieder die Landesgrenzen und sehe plötzlich, am ehemaligen Schlagbaum zwischen der Bundesrepublik und der DDR, mein Etappenziel vor mir liegen: den kleinen Ort Reinharts. Aber statt den direkten Weg zu nehmen, „drehe ich noch eine Runde“, steige auf dem Kolonnenweg zum Alten Berg hoch und komme am westlichsten Punkt der ehemaligen DDR  vorbei.

Dann erst geht es nach Reinharts runter, wo meine kleine Enkelin mit den Eltern ein paar Tage Ferien auf dem Wassermannshof machen. Der ist mit seinen vielen Tieren ideal für „Ferien auf dem Bauernhof“. Und in den sehr geschmackvoll eingerichteten Ferienwohnungen im alten Fachwerkgemäuer kann auch ich es gut aushalten. Deswegen gönne ich mir nach einer Tagesetappe von 22 Kilometern einen Ruhetag.

Buchonia oder das Waldsterben

 

Wie lange noch wird es in der Rhön solche Buchenwälder geben?

Ein großer Teil der Rhön war früher von dichten Buchenurwäldern bedeckt. Die Bezeichnung „Buchonia“ – wohl aus dem Keltischen – heißt Buchenland und war der frühe Name für die Rhön. Mit der Besiedlung vor rund 1000 Jahren begann die Rodung. Der Mensch brauchte Holz als Baumaterial und Energieträger. Aber auch als Waldweide dienten die Buchenwälder, weil die Bucheggern ein Leckerbissen für Schweine und Ziegen waren, die damit gemästet wurden.

So entstand im Zusammenspiel von Rodung und Waldnutzung dieses für die Rhön typische Landschaftsbild von Waldflächen und Bergwiesen, das uns so begeistert. Die UNESCO hat es als  Biosphärenreservat ausgewiesen.

Hier kommt jede Hilfe zu spät. Bei Reinhards.

Nun ist es aber schon länger bedroht. Um „schnelles Holz“ zu machen, hat man vor vielen Jahren begonnen, schnellwachsende Bäume anzupflanzen. Fichten zum Beispiel.  Lärchen und Eschen. Durch den Klimawandel und die damit verbundene Trockenheit wurden sie geschwächt  – der Borkenkäfer hatte leichtes Spiel.

Ganze Hänge sind kaputtgegangen. Und langsam sterben auch die Buchen.

Ökologisch fragwürdig: direkt neben dem Plattenweg in der Nähe von Geisa –  eine Weihnachtsbaumanpflanzung.

Grenzziehungen

Die eine Seite des Grenzsteins zeigt zum Großherzogtum Sachsen-Weimar, heute Landkreis Wartburg/Thüringen.

Heute gehe ich von Sperrbezirk (Reinharts) zu Sperrbezirk (Geisa). Und von 16 Kilometern laufe ich  mindestens 12 auf dem ehemaligen Kolonnenweg. Bei Nieselwetter. Aber ich habe ja mein 100-Euro-Cape, leicht wie eine Feder und trotzdem mit sicherem Schutz vor Regen und auch als „Zeltdach“ benutzbar.

Es geht steil hoch und steil runter, und wieder hoch und runter und so fort. Cardio-Training, wie Annette bereits auf der Grenztour vor 3 Jahren zu sagen pflegte. Ich finde es heute ganz gut, schont es doch meine Achillessehne mehr als das ebenerdige Gehen (siehe Gesundheitsbulletin).

Die Westgrenze der sowjetischen Besatzungszone wurde in den Abkommen von London, Jalta und Potsdam festgelegt. Sie verlief über Lübeck, Helmstedt, Eisenach, Hof und orientierte sich dabei an den historischen Grenzen des Wiener Kongresses. Schon damals hatte man Regionen geteilt, die eigentlich zusammen gehörten. Geisa zum lutherischen Grossherzogtum Sachsen-Weimar, das benachbarte Rasdorf zum Königreich Preussen. Ursprünglich gehörten beide zum katholischen Fürstbistum Fulda.

Diese Seite – Königreich Preussen – weist zum Landkreis Fulda/Hessen.

Zufällig entdecke ich in der Nähe des Kolonnenweges einen Grenzstein mit den Inschriften GSW und KP. Der Besitzer des Wassermannshofs klärt mich auf. Und bis heute gehört Rasdorf zum Landkreis Fulda in Hessen, Geisa zum Wartburgkreis in Thüringen. Zwischen diesen beiden Landkreisen wechsle ich seit ein paar Tagen ständig hin und her. Manchmal weiß ich nicht, wo ich gerade bin.

Nur auf dem Plattenweg hat man zynischer Weise immer Klarheit: links (von meiner Gehrichtung aus) ist Hessen, rechts Thüringen. Ich könnte auch sagen: Da herrscht Ordnung und Klarheit.

Aber will ich das?

Freiheit sollte doch auch mit einem gewissen Grad an Chaos zurecht kommen, oder?

 

 

 

 

Gesundheitsbulletin

Meine nun etwas kleinere Lunge hat sich an mein Wandertempo gewöhnt. Sie hat schnell gelernt.

Blutdruck und Herz freuen sich über soviel Bewegung.

Die Aorta hält still dank des Antikörpers.

Der Hallux mit Arthrose am rechten Zeh macht noch keinen Mucks.

Aber: Da meine neuen Einlagen für die Wanderschuhe nicht rechtzeitig ankamen und ich sie deshalb nicht ordentlich einlaufen konnte, hat sich meine Achillessehne etwas entzündet. Was schmerzhaft ist.

Dank der hervorragenden Diagnosen meines „Schwiegerfreundes“ und meines telefonisch konsultierten Lieblingsorthopäden, wurde folgender Therapieplan erstellt: wenig Doping ( Voltaren), abwechselnd alte und neue Einlagen anziehen, es mit den Kilometern nicht übertreiben – und dann noch das eigens für mich manuell  hergestellte Wundpflaster, das die Stelle entlastet, die beim Abrollen schmerzt.

Heute hat es geholfen, nachdem ich gestern Abend – den Tränen nahe – abbrechen wollte.

 

Weg der Hoffnung

Tür zur Freiheit

Erst wusste ich gar nicht richtig, was das soll. Wahrscheinlich weil ich aus der entgegengesetzen Richtung kam. Vom „Haus an der Grenze“, ein Bildungs- und Erinnerungsort beim Point Alpha oberhalb von Geisa, zieht sich ein Skulpturenweg auf dem ehemaligen Todesstreifen entlang. Auf 1.400 Meter Länge verteilen sich  14 Eisenskulpturen. Am Ende stehen geöffnete Türen. Ich komme die Strecke von Reinhards hinauf zum Point Alpha und gehe quasi durch die Tür hinein statt hinaus.

Die Pieta

„Weg der Hoffnung“ heisst das monumentale Gesamtkunstwerk am Kolonnenweg. Die 1.400 Meter weisen auf die 1.400 Kilometer lange ehemalige innerdeutsche Grenze hin,  die 14 Stationen sind einem christlichen Kreuzweg nachgestaltet.

Das Schweisstuch der Veronika ist ein Spiegel, in dem man sich selbst und/oder den Kolonnenweg sehen kann.

Der Künstler Ulrich Barnickel hat das Kunstprojekt – im Auftrag der Point Alpha Stiftung –  gestaltet als Erinnerung an den Widerstand gegen die ehemaligen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa, als Erinnerung an den Freiheitswillen von Menschen und an die Opfer, die viele für ihre Überzeugung gebracht haben.

Es ist unglaublich beeindruckend, aber auch erschütternd.

 

 

Point Alpha

Aug‘ in Aug‘: Links der Beobachtungsturm der Amerikaner, rechts der Führungsturm der ehemaligen DDR.

Point Alpha – außer Berlin ist das wohl der einzige Ort in Deutschland, an dem sich der „Kalte Krieg“ so deutlich manifestiert hat.

Hier standen sich die beiden konkurrierenden Systeme und Machtblöcke – der Warschauer Pakt und die NATO – bis 1990 gegenüber. Soldaten der US-Armee auf dem Turm des Observation Post Alpha auf Rasdorfer Seite und Grenzer der DDR auf dem Führungsturm auf Geisaer Seite wenige Meter voneinader entfernt, praktisch von Angesicht zu Angesicht.

Der Bundesgrenzschutz

Heute ist das gesamte Gelände – Grenzsicherungsanlagen, das „Haus auf der Grenze“ und das US-Camp eine hervorragend konzipierte Gedenk-, Erinnerungs- und Lernstätte, an der deutsch-deutsche Geschichte erlebbar wird. Authentische Orte, Zeitzeugenberichte, Berichte auch von US-Soldaten über das Leben im Camp, die alten Widerstandslieder der Friedensbewegung, die Möglichkeit zum eigenen „Story telling“ und, und, und.

Jugenderinnerungen werden wach:

An die Angst einer atomaren Auseinandersetzung, denn in meinem Heimatort Bruchmühlbach-Miesau in der Pfalz liegt im Miesau Army Depot das größte Munitionsdepot der US-Armee außerhalb der USA.

An den Rüstungswettlauf, das fragile „Gleichgewicht des Schreckens“, den NATO-Doppelbeschluss, die große Demonstration in Bonn dagegen, an die Menschenketten.

Aber auch der Alltag mit den Amerikanern kommt mir wieder in die Erinnerung, als ich in einer der Ausstellungen in den ehemaligen US-Baracken von den Versuchen gemeinsamer Sportfeste lese.

Hier in Point Alpha hat sich aber alles gebündelt wie in einem Brennglas. Es war der „heißeste Ort im Kalten Krieg“. Hier – so die geostrategischen Überlegungen der NATO, in der hessischen Rhön, wo Ost und West aufeinander treffen, am so genannten Fulda Gap, wäre die beste Möglichkeit für die Pakt-Staaten, in Westeuropa einzumarschieren. Hier könnte die Lage eskalieren, es womöglich zu einer atomaren Auseinandersetzung kommen.

„Eines Morgens brüllt der Radarmann ‚Alarm, Alarm‘ und meldet 50 ostdeutsche Grenzsoldaten direkt am Zaun. Unser Kommandant war kurz davor, die militärische Meldekette nach Fulda und Heidelberg auszulösen. Glücklicherweise löste sich der Rhöner Nebel auf, unten saßen nur große Hasen. Wir hatten gedacht, jetzt kommt der 3. Weltkrieg.“ Vern Croley, Platoon Searant. Zeitzeugenbericht.

Eindrücklich beschreibt Volker Bausch, Direktor der Point Alpha Stiftung, „als die Welt am Abgrund stand – und niemand es merkte“: Im September 1983 wurde bei einem Beobachtungspunkt in der Nähe von Moskau auf dem Kontrollschirm Alarm gemeldet: Eine Minuteman-Rakete ist aus den Vereinigten Staaten gestartet.  Eine zweite, dritte und vierte wird gemeldet, abgefeuert aus Montana. Vier Interkontinentalraketen, jede mit mehreren Atomsprengköpfen bestückt, auf dem Weg in Richtung Sowjetunion. Noch 20 Minuten Zeit.  Eine weitere Rakete startet. Es wird Raketenangriff gemeldet. Hat die atomare Apokalypse begonnen? Jetzt muss der sowjetische Gegenschlag erfolgen. Es war ein Oberstleutnant – Petrow– der eine Entscheidung trifft: Fehlalarm. Erst nach mehreren Minuten melden auch die Bodenradarstationen, dass keine Raketen im Anflug sind. (Detailliert in: Mira Keune, Volker Bausch: Point Alpha. Vom heißen Ort im Kalten Krieg zum Lernort der Geschichte. Anhang. Seiten 77ff. Point Alpha Stiftung 2019).

Angesichts aktuell weltweit wieder aufkommender Kriegsrhetorik, mehr noch, angesichts der Tatsache, dass immer häufiger Konflikte militärisch ausgetragen werden, ist diese Erinnerungs- und Bildungsstätte wichtiger denn je.

Ein Besuch lohnt – auch von Menschen, die nicht wandern.

Geisa, Kleinod an der Ulster, leider im Regen


Geisa von Point Alpha aus. Die Vulkankegel sind leider wolkenverhangen.

Geisa, die westlichste Stadt der damaligen Warschauer-Pakt-Staaten, während der Teilung Deutschland isoliert im Sperrgebiet, hat sich nach der Wende zu einem Kleinod an der Ulster entwickelt.

Ein barockes Schlossensemble, das heute die Point Alpha Stiftung mit angeschlossenem Hotel beherbergt, ein neogotisches Rathaus an dem hübschen Markt, eine unversehrte Stadtmauer, gut restaurierte Häuser, Straßen, Plätze und Wege mit Natursteinen gepflastert. Hier übernachte ich im Schloss, trinke Kaffee in der ältesten Bäckerei Thüringens und lasse den Tag ausklingen.

Der steilste Abhang

Als ich heute morgen aus meinem „Schlossfenster“ schaue, nieselt es immer noch. Die Deutschland-Fahne auf dem Platz hängt nass und schlapp herunter, die Kuppeln der Rhön sind wolkenverhangen, die Wanderschuhe sind von gestern auch noch feucht, weil ich kein Zeitungspapier zur Hand hatte.

Soll ich mir nicht besser gleich ein Taxi zum Hessen Hotelpark Hohenroda nehmen statt durch den Regen zu gehen?

Ich frühstücke erst einmal, kaufe mir dann Schuhwachs und habe mich eigentlich schon längst entschieden, auch bei Nieselregen zu laufen. Allerdings muss ich dazu erst mal wieder hoch zu Point Alpha. Dann auf den Kolonnenweg. Es ist heute morgen so still, die Natur ist so frisch und grün. Ein wunderbares Stück Deutschland, dessen leidvoller Riss einmal genau hier durch ging.

Es bleibt die Narbe.

Ich komme zu dem Punkt, an dem der steilste Abhang des gesamten       1. 400 Kilometer langen Plattenweges ist. Die Lochplatten sind hier entfernt, weil es, so entnehme ich dem Wanderführer, einen tödlichen Unfall bei Crossabfahrten gegeben hat.

Übrigens: Lochplatte ist nicht gleich Lochplatte. Aber das hatte ich schon vor 3 Jahren geschrieben.

Bald bin ich in Wenigentaft. Wie verabredet, telefoniere ich mit dem Hotel, 9 Autominuten entfernt.  Luxus pur. Ich werde abgeholt und relaxe den Rest des Tages, während das Wetter aufklart. Morgen geht es mindestens 20 Kilometer nach Vacha. Da erwarten mich Verwandte eines sehr guten Freundes von Hubert zur Stadtbesichtigung. Wie schön!

Es klart auf. Blick von meinem Hotelzimmer in Hohenroda.

Roger Loewig: Noch bleibt die Narbe quer durchs Land

Noch bleibt die Narbe quer durchs Land.
Nach Jahr und Tag wird Erde, Sand,
Gebüsch und Gras darüberziehn
und sie dem Auge bald verbergen.

Hier sollen nie mehr Menschen fliehn
und niemals wieder Tränen fließen
und nie mehr Mauern stehn – und Schergen
nie wieder unser Blut vergießen
auf streng geheime Schießbefehle.
Die Schnitte aber in die Seele
vernarbten nicht. Aus dem Gelände
sind Turm und Graben und sind Wände
und Flucht so leicht nicht wegzuschieben.

Was gestern hier war und was drüben,
berührt heut weder Fluß noch Strand,
und von dem Risse quer durchs Land
ist eine Narbe nur geblieben.

Unkrautvernichter, Schwarzstörche und die Kali-Abraumhalde

Die Nebel lichten sich, und es verspricht ein wunderbarer Wandertag zu werden. Dann ist mein Portemonnaie weg. Panik. Findet sich aber wieder. Ich werde nach dem Frühstück mit dem Auto wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt nach Wenigentaft gebracht. Meine Fahrerin, Hotelangestellte, kommt aus der Gegend. Sie interessiert sich sehr für meine Wanderung. „Hier“, deutet sie auf eine Stelle an der Ulster, „ hier ist mein Bruder rüber. Wir kommen aus Buttlar. Hatten Landwirtschaft. Mein Bruder wusste, das an der Ulster Hundelaufanlagen waren. Da hat er Würste mitgenommen.“. Er war damals 21. Er hat es geschafft.

Das Grenzsicherungssystem bestand nicht nur aus dem Zaun, der über die Jahre immer mehr perfektioniert wurde.  Da waren: eine 5 Kilometer breite Sperrzone, ein 500 Meter breiter Schutzstreifen und ein 10-Meter Kontrollstreifen.  Sperrzone und  Schutzstreifen durften nur unter bestimmten Voraussetzungen betreten werden; man brauchte einen Vermerk im Personalausweis, Besucher:innen benötigten einen Passagierschein. Direkt vor dem Schutzstreifen war ein Zaun mit elektronischen und akustischen Signalanlagen. Lag eine Ortschaft innerhalb des Schutzstreifens, wurde sie geschleift oder mit einer Betonmauer/Sichtblende umgeben. Innerhalb des Schutzstreifens befanden sich die Beobachtungs- bzw. Führtürme, die Hundelaufanlagen, der Kolonnenweg/Plattenweg mit den Peitschenlampen, links daneben der Kfz-Sperrgraben mit Betonplatten. Danach erst kam der über 3 Meter Höhe Metallzaun, eine freie Fläche  und dann die eigentliche Grenze mit Grenzpfählen und -steinen.  Flüsse wie z. B. die Werra erhielten Flusssperranlagen, die bis zum Boden reichten.

Anderes Thema. Ich lenke ab. „Aber heute ist die Landschaft entlang des Grünen Bandes ein Paradies. Orchideen habe ich gesehen. Ganze Ansammlungen davon entlang des Plattenweges.“ „ Ja, und Kuhschellen gibt’s hier viel. Aber früher wurde hier alles totgespritzt.“  Gemeint sind die Wiesen im Kontrollstreifen und bis zur Grenze. Das freie Schussfeld.  „Und in den Dörfern sind sehr viele an Krebs gestorben“.

Ich hatte bis dahin immer gedacht, die Wiesen seien auch zu DDR-Zeiten ordentlich gemäht worden. Aber später am Tag wird mir das ungefragt bestätigt, als ich mit Verwandten eines Freundes an den Werrawiesen stehe: „Hier haben Sie damals alles abgespritzt.“

Am ehemaligen Bahnhof Wenigentaft steige ich aus. Das war vor der Teilung ein regionaler Verkehrsknotenpunkt, der dann, wie die gesamte Bahnstrecke, der Grenzsicherung zum Opfer fiel.

Ich gehe in den Ulstersack. Hier ragte das Gebiet der BRD wie ein Sack in die DDR. Hauptsächlich bestand der „Sack“  aus Wiese.  Heute morgen, als ich auf dem Ulster-Radweg dort entlang gehe,  sehe ich ein Paar Schwarzstörche. Wunderbar. Ich fotografiere, aber immer wenn ich näher komme, fliegen sie auf.

Am Flaschenhals des Ulstersacks biege ich ab und hinauf in den Wald. Hier strengt das Aufsteigen noch nicht so an. Ausserdem ist der Kolonnenweg überschottert. Es ist früher Morgen, die Natur erfrischt und die Vögel zwitschern. Bald bin ich an der Winterliete, einem vergessenen Beobachtungsturm,  der heute unter Denkmalschutz steht.

 

Und da sehe ich ihn zum ersten Mal: den Monte Kali von Hattdorf. Er wird mich den Rest der Wanderung dieses Tages begleiten, mal weiter entfernt, mal ganz nah.

Aber erst einmal muss ich steil runter zur Strasse Glaam -Unterbreizbach – und dann gleich wieder hoch.

Die Kali-Abraumhalde ist jetzt ganz nah. Monströs. Mir kommt sie vor wie von einem anderen Stern oder wie eine Düne in der Wüste. Nur das üppige Grün stört die Vorstellung.  Mehr zum Kali-Abbau in einem anderen Blog.

Es zieht sich jetzt. Runter zur Ulster nach Unterbreizbach, entlang der Ulster, und dann nochmal steil hoch. Nach einem 20 Kilometern  liegt Vacha unter mir. Da werde ich erwartet.

 

 

Thüringer Rahmkuchen unterm Kirschbaum

Frisch geduscht sitze ich nachmittags in Vacha  bei Kaffee und Kuchen im Garten von Verwandten eines Freundes aus Mainz. Es gibt Thüringer Rahmkuchen, wahlweise mit Johannisbeeren oder Kirschen. Mit einer ordentlichen Portion Sahne. Herrlich!

Der Widmarkt, heute Rathaus, in dem bereits Napoleon übernachtet hat. Das imposante dreistöckige Gebäude wurde Anfang des 17. Jahrhunderts erbaut, ebenso der Vitusbrunnen. Vacha war ein Handelszentrum, weil es an der wichtigen Via Regia lag mit der Brücke über die Werra.

Wir reden von Vacha und seinen Fachwerkshäusern, vom Markt mit Gebäuden aus dem 15. Jahrhundert, von den Kelten, die hier, um den Oechsenberg siedelten. Ich höre viel vom Kaliwerk, von den Basaltsäulen, die früher am Oechsen abgebaut wurden, von den Störchen auf dem Storchenturm und von Napoleon, der hier nach seinem Rückzug von der Völkerschlacht bei Leipzig Quartier bezogen hat. Ich höre Geschichten vom Leben an der Grenze vor dem Mauerfall und von der Grenzöffnung und, und, und.

Symbole dreier Epochen: Ganz hinten ein Wachturm, in der Mitte die Postsäule der Via Regia und vorne das „Ampelmännchen“ als Kunstprojekt „Einheitsmann“.

Ansicht von Vacha mit Storchenturm und Hausberg, dem Oechsen.

Ich merke – wieder einmal – wie stolz die Menschen auf ihre Region sind und auf das, was sie erreicht haben.

Und dann fahren wir noch ein wenig durch die nähere Umgebung: zur Ruine der Annen-Kapelle aus  dem 15. Jahrhundert, wir bewundern von unterschiedlichen Stellen aus die Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Berge, wir sehen in der Ferne  das hessische Kegelspiel und in der Nähe das benachbarte hessische Philippstal.

„Früher wurden die Lehrerinnen und Erzieherinnen zu Kartoffelernte hierher in den Sperrbezirk beordert. Ich war hellauf begeistert von den weißen und sauberen Häuser die ich im Westen sah.“

Klar, Philippstal boomte in der Nachkriegszeit durch das Kali-Werk.

Blick von der Brücke nach Vacha.

 

Blick au das Hossfeldsche Haus

Am Schluss fahren wir zur Werra-Brücke, der Brücke der Einheit. Sie wurde im 14. Jahrhundert gebaut, um Vacha und Philippstal zu verbinden. Eine herrliche Brücke, die an der Via Regia liegt, der alten west-östlichen  Heer- und Handelsstrasse, die auch von Frankfurt nach Leipzig führt.

Und dann durfte sie 40 Jahre niemand überqueren. Weil hier die Grenze verlief. Eine Brücke, die ihren Sinn verloren hatte. Bis 1990 die Grenzen fielen.

Auf der anderen Seite der Brücke von Vachaer Seite aus gesehen fällt ein großes weißes Haus auf. Es ist das Hoßfeldsche Haus, durch das die Grenze lief. Es wurde 1890 erbaut und beherbergte eine Druckerei. Aus steuerlichen Gründen stand es zu 11/12 auf preußischer  Seite, der Rest lag auf thüringischem Boden. Als sich 1951 die Grenze mehr und mehr schloss, verlagerte die Besitzerin die Druckmaschinen in der Silvesternacht 51/52 in den hessischen Gebäudeteil und mauerte die Verbindungstür zu.  Daraufhin verwehrte die DDR Frau Hoßfeld  den Zugang zu dieser Haushälfte. Erst nach dem Grundlagenvertrag wurde das thüringische Zwölftel des Hauses wieder an sie zur Nutzung übergeben.

Abends schwirrt mir der Kopf. Und gleichzeitig war es ein Privileg als Fremde so kundig durch eine Stadt geführt zu werden.

Morgen bin ich wieder allein unterwegs.

Grenzsteine statt Wander-App

Immer am Wegesrand: Walderdbeeren

Früh am Sonntagmorgen über die Werra-Brücke. Ideales Wanderwetter. Meine App will auch nur werktags arbeiten, denn sie schickt mich einen Pfad hinauf, der kein Pfad ist, sondern eine durch Sturzbäche entstandene Rinne. Steil. Sehr steil. Plötzlich stehe ich in einem „deutschen Urwald“: dichtes grünes Blattwerk, feuchte Wärme und – ja wirklich! – ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher.

…oder Heidelbeeren

Ich kehre um, Schrittchen für Schrittchen den glitschigen Abhang hinunter,  und finde bald den richtigen Weg hinauf zur Thüringer Hütte. Der ist auch noch steil, aber gangbar. Oben angekommen, ist die Sicht fantastisch. In früheren Zeiten kamen bestimmt viele Philippstaler hierher. Wenn sie schon nicht nach Vacha konnten, so doch wenigstens aus der Ferne schauen, was sich so tut.

Mannshoher Farn

Kurz vor der Thüringer Hütte

Heute bin ich auch zum ersten Mal nicht allein. Sonntagsspaziergängerinnen mit Hunden , Radfahrer, Joggerinnen, Wandergruppen. Auch mal zur Abwechslung ganz nett. Ein schöner Weg durch den Wald, aber für mich am interessantesten sind die vielen Grenzsteine. Klar, ich wandere weiterhin an der Grenze lang. Aber hier steht fast alle 100 Meter ein Stein. Der alte Grenzweg ist schon seit 786 bezeugt als Hoha Strazza.  Erst ab dem Hochmittelalter verlagerte sich der Verkehr ins Werratal.

Grenzstein – ausnahmsweise mal umgefallen.

Dank Grenzsteinen und Markierungen des Grünen Bandes brauche ich meine Wander-App heute also nicht. Sie kann Pause machen. Überhaupt: Das Grüne Band Thüringen ist erstaunlich gut gekennzeichnet. Das war vor 3 Jahren in Franken – Sachsen -Thüringen noch ganz anders.

Höhenwege, Panorama, Kuhweiden, steile Auf- und Abgänge, heute habe ich alles. Und natürlich auch den Monte Kali, den zweiten, den bei Heringen.

Diese Kälbchen einer „glücklichen Kuhfamilie“ waren unter dem Zaun hindurch ausgerissen.

Ich streife auf meinem Weg Gasterode, ehemals eine größere Ansammlung von Gehöften. 1952 wurde Gasterode Sperrgebiet. Alle Häuservon den Familien, die geflüchtet waren, wurden abgerissen. 1974 isolierte man die Dagebliebenen  mit einem elektrischen Zaun total von der Außenwelt. Nur eine Familie hielt durch.

Eine schlimme Geschichte aus einem wundervollen Tal.

Tal von Gasterode

Ich sehe Dankmarshausen, mein Etappenziel, schon in der Ferne. Ebenso höre und sehe ich ein nahendes Wärmegewitter. Sicher die Straße durch die Ortschaften nehmen  oder Kolonnenweg durch die Wiese? Ich wähle die sichere Variante und bin irgendwann an der Werra. Jetzt nach 20 Kilometern ziemlich erschöpft. Der Gasthof in Dankmarshausen, wo ich genüsslich eine Apfelsaftschorle trinken will, hat „geschlossene Gesellschaft“. Im einsetzenden Nieselregen muss ich nochmals 15 Minuten gehen. Aber dann bekomme ich zu trinken, eine Dusche, gutes Essen und ein Bett.

 

 

Money makes the world go round

Ganz dicht am Monte Kali.

Ein Wandertag, den ich abhaken sollte. Der aber dank eines jungen Rumänen noch sehr gut zu Ende gegangen ist.

Der Reihe nach.

Es fing schon nicht gut an, weil ich mir gestern – vielleicht sogar beim Abstieg durch die „Sturzbach-Rinne“ – irgendetwas am „unteren Rücken“ gezerrt hatte. Auch der Rucksack war durch Zukäufe unterwegs immer schwerer geworden. Meine Schmerztabletten waren irgendwo verloren gegangen, die Salbe half wenig, und der Himmel war grau.

In der Pension half man mir mit einer Schmerztablette aus – und so gerüstet ging ich los. Durch den hübschen Ort Dankmarshausen , der auf einem Felssporn oberhalb der Werra liegt. Runter an die Werra und dann durch die Unterführung über die früher die ehemalige Kali-Bahn lief. Sie überquerte  damals die Zonengrenze in Vacha und in Dankmarshausen.  Ab 1946 konnten Züge aus der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone den Streckenabschnitt befahren. Ab 1952 wurde die Werra-Bahn von der DDR zweimal mehrere Monate lang gesperrt. Danach gab es aber keine Probleme mehr.  1962 stellte allerdings die DDR ihre Kalitransporte über westdeutsches Gebiet ein. 1966 präsentierte sie der BRD eine Rechnung rückwirkend für die Benutzung der DDR-Bahnstrecke. Es dauerte bis 1969, bis man sich einigte. Zwischenzeitlich sperrte die DDR die Strecke.

Ständiger Wechsel: Mal bin ich in Thüringen, mal in Hessen. Da kann schon der Überblick verloren gehen.

Danach lief der Kaliverkehr reibungslos im Transit durch die DDR bis Bebra.

Money makes the world go round……

Ich steige sacht aber stetig auf, immer an der ehemaligen Grenze lang. Links von mir der Monte Kali.

Der Weg geht parallel zum neueren Lutherweg. Eisenach ist nah.

Obwohl ich die Rhön so langsam verlasse, bin ich nicht im Flachland. Ich bin bereits in den Ausläufern des Küll-Mittelgebirges.

Aber die Hornungskuppe, auf die ich dann steige, liegt tief unter der Spitze des Monte Kali. Ich bin jetzt so nah, dass ich die Laufbänder höre, die den Abfall hoch transportieren.  Und ich bin nicht mehr sicher, ob es mein Schweiß ist, den ich schmecke, oder das Salz des Berges.

Auf dem monströsen Berg kann man auch Führungen buchen oder Nachtwanderungen. Almhornbläser waren auch schon da, erzählt mir jemand.

Durch den dichten Wald geht es abwärts, und was gestern die Grenzsteine waren, sind jetzt die Kontrollschächte, die in schöner Regelmäßigkeit neben dem asphaltierten Feldweg auftauchen.

Seit zwei Tagen laufe ich auf „dünnem Boden“, denn unter mir ist die Erde ausgehöhlt. Ein Labyrinth von Schächten.

Und dann geht das Nieseln in einen heftigen Regen über. Der auch nicht mehr aufhört. Unten im Tal bin ich trotz Regencape durchnässt. Autos versuche ich vergeblich anzuhalten.

Bis ein junger Mann hält. Er muss nach Kleinsee, wo wir eigentlich schon gleich sind. Sich dort auf einer Baustelle bewerben. Wie selbstverständlich fährt er mich nach Berka,  10 Kilometer weiter und dann auch noch ein Umweg wegen einer Strassensperre.  In einer knappen Stunde muss er zu seinem Bewerbungsgespräch in Kleinsee sein. Das schafft er noch gut, sagt er. Er kann nicht verstehen  dass die Deutschen jemanden im Regen stehen lassen.

So ist der Tag noch gut ausgegangen. Auch wenn ich leider das Vogelparadies Rhäden und die Wasserbüffel nicht gesehen habe.

 

Reden wir vom Kali-Bergbau

3 Tage lang waren sie fast allgegenwärtig auf meiner Wanderung auf dem Grünen Band. Von Wenigentaft nach Vacha. Von Vacha nach Dankmarshausen. Und von Dankmarshausen nach Berka: die Kali-Abraumhalden von Philippstal und  Heringen – Monte Kali.

Ich bin im Kali-Revier. Seit über 100 Jahren werden hier industriell Kalisalze abgebaut.

Wenn das Wetter schön ist, leuchten die Berge weiß wie Dünen in der Wüste.  Deshalb sagen die Menschen in der Region auch, der Monte Kali könne das Wetter vorhersagen: Wenn der Berg grau ist…

Die Menschen hier sagen auch, er halte die Gewitter von ihnen fern und manch anderes. Für einige, so kommt es mir vor, ist ihr Berg ähnlich wie Gott Baal.

An einen Science Fiction Film erinnert mich die Salzhalde, als ich auf der Hornungskuppe (439 m) stehe. Nur ein eingezäunter Abgrund ist zwischen mir und dem monströsen, von Menschen geschaffenen Berg, der die Kuppe noch weit überragt. 520 m ist der “Kalimandscharo“ hoch. Und er wächst schnell, wie eine Frau aus dem „Land der weißen Berge“ erzählt. Jeden Tag werden mehrere tausend Tonnen hier abgelagert. Salz, das aus der Erde geholt, aber nicht verwertet wird.

Der internationale Bergbaukonzern „Kali und Salz“ – überall fahren die Laster mit den Aufschriften K+S – verkauft weltweit Kali-Produkte als Düngemittel oder Rohstoffe, etwa für die Chemieindustrie. 70 Prozent von dem, was unter Tage abgebaut wird, gilt als Abfall. Gelöste Abfallsalze werden in die Werra eingeleitet. Feststoffe werden auf Abraumhalden von bis zu 200 Metern Höhe gestapelt. Salzabwässer werden in den tiefen Untergrund verpresst.

Das YSalz und die Werra

Die Folgen: Das Öko-System ist nachhaltig gestört, die Werra ist kein Süßwaserfluss mehr, die Fische sterben, die Grundwasserverschmutzung steigt.

„Der Spiegel“ schreibt im April diesen Jahres: „Wie bedrohlich diese Versenkung für das Grundwasser ist, wissen die Behörden nach Erkenntnissen der Ermittler schon lange. Ein Gutachter des hessischen Landesamts für Bodenforschung habe 1963 vorgeschlagen, das Salzwasser möglichst nahe an der Grenze zur damaligen DDR in den Boden zu pumpen. Die Grundwasserschäden träten dann im sozialistischen Teil Deutschlands auf.“

Dazu kommt: Das  ganze Gebiet ist unterhöhlt mit Schächten. Schlagwetter sind eine Gefahr und Unfälle mit Kohlendioxid.

Und als ob das noch nicht genug sei, lagern im stillgelegten Schacht Herfa-Neurode hochgiftige Industrieabfälle aus Europa und den USA.

Die Region lebt vom „Weißen Gold“, und gleichzeitig macht es die Region und seine Menschen krank.

 

 

Die letzten 5 Kilometer sind die schwersten!

Störche in Berka

ü

In Berka, hübsche Fachwerkstadt an der Werra im Wartburg-Kreis, treffe ich zum ersten Mal auf Menschen, die auch auf dem Grünen Band gehen. Eine Frau ist mit ihrer Nichte unterwegs. Natürlich kommen wir sofort ins Fachsimpeln.  Die nächste Etappe hat es in sich – 27 Kilometer durch den Fulda-Wald, der bis zur Grenzöffnung komplett gesperrt war, und dann weiter bis Herleshausen auf hessischer Seite.

Während ich mich schon vor Beginn meiner Wanderung entschieden hatte, diese Strecke abzukürzen (auf da. 22 km), wollen die beiden anderen ihre Rucksäcke in Berka lassen, eine 24-Kilometer-Runde drehen und am nächsten Tag mit dem Zug nach Herleshausen fahren.

Man sieht daran: Wanderinnen auf dem Grünen Band sind flexibel, unideologisch, eher an Genuss orientiert und nicht darauf aus, möglichst viele Kilometer abzuhaken.

Trotzdem bin ich etwas nervös: Mein Gesäßmuskel schmerzt, und der Wetterbericht verheißt nichts Gutes.

Leider geschlossen: die Rundkirche in Untersuhl mit Fresken aus dem 15. Jahrhundert.

Am morgen grüßen die Störche vom Turm und die Sonne scheint.  Erst eine Auenlandschaft, die wunderbare Rundkirche in Untersuhl, dann die A4, früher mit dem Grenzübergang Wartha-Herleshausen, an dem wir manches Mal gestanden haben. Erinnerungen werden wach an Grenzschikanen, an dieses Grummeln im Bauch, bis wir endlich durch waren und der Transit begann.

Dann verstummt langsam der Autolärm je höher ich hoch auf den Fuldaer Berg komme, herrliche Aussichten aufs Werra-Tal, Kirschbäume am Weg. Der Plattenweg beginnt und der Wald wird dunkler, der sich von dem in der Rhön unterscheidet: Fichten, Kiefern, vereinzelt Birken, kaum Buchen. Ich bin ganz froh über den stetigen Anstieg, denn das geht mit der Muskelverspannung besser als abwärts. Den Aufstieg ganz zum Gipfelkreuz am Arnsberg nehme ich dann doch nicht. Zum einen will ich etwas abkürzen, zum anderen denke ich daran, dass ich dann auch wieder runter gehen muss. Dabei waren es nur noch 50 Höhenmeter. Doch ein Fehler? Nein!

Denn als ich den bequemen und darüber hinaus überaus schönen Weg durch ein Hochtal mit überall sprudelnden Quellen und Teichen gehe, fängt es wieder einmal zu regnen. Besser: Es schüttet. Es ist ein Glück, dass ich in der Nähe des ehemaligen Jagdhauses Kohlbachshäuschen bin. Zu DDR-Zeiten,  als der gesamte Wald gesperrt war, fand „das Kohlbachhaus vorwiegend jagdliche Verwendung durch Grenztruppen und Angehörige der Staatssicherheit“ . Sprich: Jagdhütte der Stasi, die im gesperrten Wald ihrem Hobby frönen konnte.

Nach der Wende wurde das kleine Haus durch Waldarbeiter und  ABM-Kräfte instand gesetzt.

An der Jagdhütte erschrecke ich erst einmal einen jungen Waldarbeiter, der dort auch Schutz gesucht hatte. Er dachte wohl, er sei allein im Wald!!! Er mäht mit einer Sense das Gras, das auf einer Aufforstungsfläche  ziemlich hoch gewachsen ist. Eine undankbare Aufgabe, weil er mit jedem Sensenschnitt auch die Setzlinge treffen kann.

Und als der Förster noch dazu kommt, bekomme ich endlich eine Antwort auf die Frage von Marlis,  ob der Borkenkäfer auch Buchen befällt. Ja, das tut er. Wusste man aber bis vor kurzem nicht. Hier wird deshalb jetzt eine Aufforstung mit Eichen versucht.

Wer Kohlbachquelle trinkt, wird lange leben und kein Geld dem Arzte geben.

Als der Regen in Nieseln übergeht, mache ich mich auf den Weg, trinke an einer Heilquelle noch Wasser, was meine verspan6ten Muskeln auch nicht löst, und komme zum zweiten Mal in einen Regenguss.  Gott sei Dank gibt es im Fuldaer Wald viele Schutzhütten.

Nach 23 Kilometer bin ich unten an der Werra. „Die letzten 5 Kilometer sind immer die schwersten“, sagt man. Und deshalb rufe ich ein Taxi, das mich zu meinem Hotel mit angeschlossener Metzgerei bringt (das zweite auf der Tour). In Herleshausen gibt es ein physiotherapeutisches Zentrum. Dort nimmt sich eine kundige Frau meiner Muskeln an.

Ende eines langen und verregneten Tages.

Frau-Holle-Land

Ein rundum schöner Wandertag zum Genießen, auch wenn es zwischendurch so aussah, als müsse ich hungrig schlafen gehen.

Von Herleshausen aus gehe ich erst eine längere Strecke auf hessischer Seite durch den Wald bergauf, das frisch geschlagene Holz verbreitet einen Duft, so dass man ganz tief einatmen möchte.  Oben angekommen, kann ich wieder einmal nicht genug bekommen von den Aussichten. Über Gerstenfelder hinweg – hier wird Bier gebraut! – geht der Blick bis zur Wartburg. Auf dem Weg liegen ein kleines Wasserschloss und eine Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Es ist die erste Kirche, die ich offen vorfinde. Gott sei es gedankt, denn das  Kreuzgewölbe  und die Schlichtheit der Gesamtanlage berühren.

Auf einer Obstbaumallee laufe ich auf den Kolonnenweg, und damit auch auf die thüringische Seite zu.

Die Region zwischen Werra und Meissner,  in der ich momentan wandere, gehört zum Geo-Naturpark „Frau-Holle-Land“. Und an die Grimmschen Märchen erinnert diese Landschaft auch: Fachwerkdörfer, bewaldete Hügel, weite Wiesen, Storchennester, Teiche und Bäche. Mitten durch die Werra. Alles lieblich, ein wenig spießig – da, wo die Welt halt noch in Ordnung zu sein scheint.  Auf den ersten Blick – eben wie im Märchen.

Sauerkirschen, Süsskirschen – die frühen sind reif – , Äpfel, Pflaumen und Himbeeren. Mit diesen und den Kirschen genehmige ich mir ein zweites (Obst)Frühstück. Denn beim Hotel mit angeschlossener Metzgerei gab’s das natürlich nicht.

Ich kann es gebrauchen, denn vor mir liegen über 6 Kilometer Plattenweg, hoch auf über 400 Meter und dann in Serpentinen steil wieder runter. Links und rechts von mir ein Blütenmeer, in dem sich die Schmetterlinge tummeln. Anstrengend, aber herrlich!

Als der kleine thüringische Ort Ifta vor mir liegt, biege ich ab, um zu meiner Übernachtung zu kommen. Ein Ferienappartement in einer hochmodernen Anlage, in der ich mir den Schlüssel mittels eines Codes holen muss. Alles wunderbar, aber wo bekomme ich heute Abend etwas zu essen?

Ich rufe die einzige Gaststätte  in dem kleinen Fachwerkdörfchen an: Der „Rote Hirsch“ hat zu. Aber die Seniorchefin hat Erbarmen: „Lassen Sie mich überlegen. Ich habe Kartoffel und Eier und Salat. Wenn Ihnen das Recht ist, kommen Sie um 17 Uhr.“  Und wie recht mir das ist! Der Salat ist mit Stiefmüttterchen garniert, die Eier von den eigenen Hühnern, und die Bratkartöffelchen sind eine kulinarische Köstlichkeit.

Nebenbei erzählt die Wirtin von der Zeit kurz nach der Wende, als man die Häuser im Dorf im vormaligen Sperrgebiet endlich herrichten konnte. Aber auch, dass das „zusammen Bier trinken in der Gaststätte“ langsam aufhörte. Sie erzählt, wie sie nach der Wende in den Alpen Urlaub gemacht hat, aber jetzt lieber zuhause ist. Vor der Wende sei sie im Harz und einmal (!) an der Ostsee gewesen. Da habe man sich selbst versorgen müssen, denn das Mittagessen sei ungeniessbar gewesen. Was ich übrigens bestätigen kann.

Sie spricht vom „einfachen Bier“, das es zu DDR-Zeiten gab, und wie man versuchte, besseres zu bekommen.

Hier sitzt eine Frau vor mir, die 2 Systeme und eine Übergangsphase durchlebt hat, und die nie jemanden „im Regen stehen lassen würde“.

Übrigens hätte ich im „Roten Hirsch“ übernachten können, was aber nur die wissen, die auf dem Elisabeth-Weg pilgern.

Auch im evangelischen Pfarrhaus wäre ich noch untergekommen, wie mir ein Arbeiter der Kirchengemeinte sagt, als ich zum Abschluss die wunderbare Kirche von Ifta besichtige. Dort wird gerade alles herausgeputzt. Am Sonntag ist Konfirmation mit 5 Konfirmand:innen. Nicht schlecht für ein Dorf, das wenig über 1000 Einwohner hat.

Jetzt sitze ich auf der Terrasse meines hochmodernen, schicken Appartements.  Die Sonne steht noch immer hoch. Vor mir liegen Wiesen und Wald. Liebliche Hügellandschaft mit weißem Wachturm.

 

Frau-Holle-Land.

Morgen soll es regnen.

 

 

 

 

Begegnung mit dem Riesen an der Werra

 

Am nächsten Tag regnet es nicht! Stattdessen wieder eine wunderschöne Etappe bei idealem Wanderwetter (das ist dann häufig leider kein günstiges Fotografier-Wetter). Schnell bin ich morgens „zurück auf der Tour“ am Iftaer Baumkreuz. Hier kreuzen sich die B7 (Eisenach und Kassel) und die ehemalige Grenze. Ziemlich in der geografischen Mitte Deutschlands wurde hier 1990 begonnen, ein Baumkreuz zu pflanzen: Eine dreireihige Eschenallee auf dem ehemaligen Todesstreifen und eine Lindenallee an der B7. Jedes Jahr im November kommen Menschen hierher, um weitere Linden zu pflanzen. Richtung Eisenach ist die Allee fertig gestellt. Die nach Kassel ist „noch im Bau“.

In das Kunst- und Gedenkprojekt integriert ist der Grenzzaun, das wohl längste erhaltene Stück.

Danach wird es bunt und grün und einfach herrlich. Der Plattenweg ist hier durch Grassoden zu einem schönen Wanderweg geworden. Es geht zwar stetig auf, aber das merke ich kaum. Dann treffe ich auf eine Schafherde. Es ist das erste Mal auf meiner diesjährigen Tour, dass ich sehe, wie das Grüne Band von Tieren freigehalten und so vor Verbuschung bewahrt wird. Das hat einen weiteren Vorteil: Das Fleisch der Lämmer, deren Mahlzeiten die  Kräuter dieser Wiesen sind, muss köstlich schmecken.

Ehe ich es mich versehe bin ich schon auf dem Heldrastein in über 500 Meter Höhe. Der Fels aus Muschelkalk (deswegen heldra= hell) überragt auf thüringischer Seite das Werratal und war als „Riese des Werratals“ schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel mit einem Aussichtsturm. Später gab es sogar einen „Berggasthof mit Fremdenzimmern“. 1952 wurden die damaligen Wirtsleute ausgewiesen. Der Turm verfiel, wurde abgerissen und ersetzt durch einen Horchposten der Stasi. Nach der Wende haben viele engagierte Bürger:innen den Radarturm wieder in einen Aussichtsturm umgebaut – 30  Meter hoch.

Ich habe dort oben eine wunderbare Rundum-Aussicht: Wasserkuppe, Brocken, Meissner, Öchsen.

Nur muss ich danach wieder runter vom Berg. Ein wenig alpin geht es sehr steil nach unten an die Werra. Und bald bin ich im hessischen Heldra.

Wo mich etwas Einzigartiges erwartet.

Im Tiny-Haus

 

Heute ist mein Ruhetag. Und während es draußen ununterbrochen regnet, liege ich hier sehr kuschelig im Bett in einem ehemaligen Bauwagen. Durch Bleiglasfenster kommt das Tageslicht, ein Gründerzeit-Vertiko, zwei Biedermeierstühle und ein kleiner Tisch machen mein Tiny-Haus komplett. Ich bin im Kleegarten in Heldra. Der Gutshof ist der Stammsitz von August-Hermann Francke, dem Begründer der Franckeschen Stiftung in Halle.

Vielleicht weil ich noch vor ein paar Jahren in Halle, wo die Erziehungswissenschaften der Universität auf dem Gelände der Franckeschen Stiftung untergebracht sind, eine Tagung mitgestaltet hatte, habe ich mich bei meiner Wanderplanung für den Gutshof entschieden.

Als ich dort ankam, war ich erst einmal sprachlos. Ein riesiges Areal in der Mitte des Ortes mit kleinen und größeren liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern. Auf dem großen Innengelände stehen auf einer Wiese bunte Bauwagen. Ich bin entzückt. Leider bin ich ganz allein auf dem Gut. Aber bald nachdem ich den Besitzer, Dr. Pippart, angerufen habe, kommt ein älterer Herr aus dem Dorf – wohl so etwas wie der gute Geist des Gutshofes, zeigt mir die Zimmer – alle nur mit Antiquitäten und Raritäten eingerichtet, die Wände voll von Kunst – und auch den Bauwagen. Genau dort möchte ich meinen Ruhetag verbringen.

Wenig später ist auch der Hausherr da. Der 77ährige, immer noch praktizierende Landarzt, hat zusammen mit seiner Frau und vielen – vor allem jungen – ehrenamtlich tätigen Dorfbewohnern das Anwesen 1999 vor dem Verfall bewahrt und dafür u.a. den Deutschen Fachwerkpreis erhalten.

Dr. Pippart bringt Kuchen mit und kocht Kaffee. An Werktagen hat er eigentlich geschlossen und deswegen auch kein Personal. Ich esse an einem großen Holztisch neben der Küche. Die Küche ist übrigens das einzig Moderne im Haus.

Dr. Pippart erzählt von den Jahren,als er mit seiner Frau, den Dorfleuten und Handwerkern dieses Anwesen fachgerecht restauriert hat. Ich kann nur Staunen.

Dann möchte er wissen, was ich abends essen will. Er will kochen, weil die zweite Gaststätte im Dorf auch geschlossen hat.

Soviel Mühe ist mir fast unangenehm. Aber es kommt noch ein zweiter Gast. Am Abend sitzen die Pipparts und ihre beiden Gäste bei einem sehr guten Weissburgunder von der Unstrut, essen Pasta, Schweinelendchen mit frischen Pilzen  und erzählen Geschichten aus dem Leben.

Wie kann ein Tag besser ausklingen?

Über die „Mainzer Köpfe“ zum Kloster Hülfensberg

Heute wird meine letzte Etappe auf dieser Tour sein. Das angekündigte Wetter für die nächsten Tage soll sehr regnerisch sein, weswegen es einfach auch gefährlich ist, die steilen Abstiege durch die „Eichsfelder Schweiz“ auf dem Plattenweg zu gehen.

Also genieße ich diesen vorläufig letzten Weg von Heldra über die „Mainzer Köpfe“, am Eichsfelder Kreuz vorbei hoch hinauf zum Hülfensberg mit dem Franziskanerkloster.

Warum der Bergrücken, auf den ich steige, „Mainzer Köpfe“ heißt, erschließt sich mir nur teilweise. Der Bezug zu Mainz ist klar: Ich betrete Eichsfelder Gebiet, das schon um das Jahr 1000 als ferne Exklave zum Herrschaftsbereich der Mainzer Erzbischöfe gehörte.

Aber die „Köpfe“? Maul Dreyer, Margit Sponheimer, Michael Ebling?

Auch aus der Form des Bergrückens kann ich kein mir bekanntes Profil erkennen.

Egal. Ich gehe also im wahrsten Sinne über die Köpfe meines Lebensmittelpunktes hinweg. Es geht ziemlich hoch und runter, an ehemaligen Beobachtungstürmen vorbei und einer „Agentenschleuse“.  Durch das überdimensionierte Kanalrohr soll die ehemalige DDR ihre Agenten in den Westen geschleust haben. So recht kann ich daran nicht glauben. Da war mir doch der Agentenweg im Höllental an der Muschwitz plausibler.

Angeblich krochen damals die DDR-Agenten durch das Kanalrohr in den Westen. Wer´s glaubt…

Der Kolonnenweg ist hier wunderbar gepflegt, über weite Strecken sind die Löcher geschlossen,  so dass eine große Gefahrenquelle wegfällt.

Es liegt daran, dass das Grüne Band gut in das Netz der Wanderwege der Region oder sogar der Fernwanderwege wie dem Lutherweg oder dem Werra-Burgen-Steig eingebunden ist.

Es ist wahrhaft eine tolle Wanderregion für diejenigen, die keine großen Knieprobleme haben.

Ich genieße  den Weg, mit den blühenden Wiesen, den Schmetterlingen, den Wäldern mit Buchen, Eschen, Linden, Platanen……

Und natürlich mit den Aussichten – mal ins Werra-Tal, mal ins katholische Eichsfeld.

Bei Döringshausen, wo hinter dem Dorf die Grenze verlief, an der Strasse nach Wanfried, steht das Eichsfelder Kreuz.

Alle Eichsfelder sind sehr heimatverbunden. Und der Hülfensberg mit dem Kloster und den Wallfahrten war (ist?) ihnen heilig. Mit der zunehmenden Grenzsicherung flüchteten viele Thüringer Eichsfelder. Als dann auch die Wallfahrten nicht mehr möglich waren, weil der Hülfensberg Sperrbezirk war, errichteten Eichsfelder im Westen vor Döringshausen ein Kreuz, an dem nun die Wallfahrten stattfanden.

Das letzte Mal war ich wohl Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu der Hochzeit eines guten Freundes meines Mannes in Wanfried. Natürlich musste mein Mann, geboren in Worbis im Eichsfeld, bis zur Grenze fahren,  um einen Blick auf den Hülfensberg zu werfen.

Heute will ich oben im Kloster übernachten. Nach 20 Kilometer in den Beinen ist das noch einmal eine Herausforderung.

Aber ich schaffe es. Die drei verbliebenen Franziskanerbrüder empfangen mich freundlich und nehmen mich für einen Abend in ihre Gemeinschaft auf.

Dabei benehme ich mich zuerst einmal komplett daneben: Zwischen den Sohlen meiner Barfußschuhe hatte sich Erde festgesetzt. Den habe ich natürlich gleich in den Andachtsraum mitgeschleppt.

Da werden doch Erinnerungen an alte Zeiten im Internat der Franziskanerinnen wach. Nur kann ich heute drüber lachen!

Beim Abendessen erfahre ich, dass auch der Mainzer Bischof Kohlgraf bereits hier oben war und gepredigt hat.

Na dann…

Wirklich beeindruckt hat mich aber das romanische Kreuz in der Wallfahrtskirche.

Dabei ist es nur eins von dreien, die hier oben stehen. Daneben gibt es auf dem Berg noch das große, weithin sichtbare Kreuz des Hülfensbergs (mächtig, nach Osten gerichtet), und das Friedenskreuz zur Einheit (nach Westen gerichtet).

Es ist sehr friedlich hier. Nur fehlt mir ein wenig der Schwung, wenn die Brüder den Sonnegesang des Franziskus singen. Aber man kann ja nicht alles haben.

Am nächsten Morgen  wandere ich runter nach Wanfried, wo ich den nächsten Bus nach Eisenach nehme.

Es ist grau und es regnet. Es war die richtige Entscheidung, hier aufzuhören. Und der Hülfensberg ist ein guter Abschluss einer Wandertour über 2 Wochen.

Die nächste Etappe geht hoffentlich vom Eichsfeld in den Harz.

Was bleibt nach 2 Wochen

Natürlich war diese Wanderung für mich selbst ein Test: Was schaffst du denn noch nach soviel Krankheit? Bekommst du das hin, dich nicht vom Kranksein dominieren zu lassen?

Klar, da sind Wehwechen – aber über die habe ich auch schon vor Jahren gejammert. Und das gehört doch auch zu jeder Wanderung dazu, oder?

Aber ich weiß jetzt, dass Kondition und Ausdauer nicht gelitten haben. Im Gegenteil, manches ist leichter und vielleicht intensiver geworden.

Fester Bestandteil seit dieser Wanderung ist die WanderAPP, die ich jetzt immer nutzen werde. Sie gibt so viel Sicherheit, auch wenn ich mich mal kurz verlaufen habe. Denn ich weiß immer, wo ich bin.

Geblieben sind die Bilder von den liebevoll hergerichteten Fachwerkhäusern sowohl auf thüringischer als auch auf hessischer Seite.

Geblieben ist gleichzeitig die Wehmut darüber, dass trotz dieser Modernisierungen die alten Dorfstrukturen langsam verschwinden werden.

Erinnern werde ich die Menschen, die mir weitergeholfen haben, die ihre Träume  Wirklichkeit werden lassen, wie den 77jährigen Dr. Pippard aus Heldra oder der ältere ehemalige Leistungssportler, der mit dem Fahrrad auf Spurensuche in seiner „alten Heimat“ ist: „You are never too old, to see another goal or dream a new dream.“

In Erinnerung bleiben werden die Spinnweben, die sacht meine Haut streiften, wenn ich morgens durch die hohen Wiesen gelaufen bin. Die Walderdbeeren in den Löchern des Plattenweges. Die unzähligen Orchideen und Schmetterlinge am Wegesrand. Die Rehe, die ich mit den Geräuschen meiner Wanderstöcke regelmäßig aufgescheucht habe, und die vielen Raubvögel über mir.

Bleiben werden die Buchenwälder der Rhön und die Aussichten weit ins Land.

Laut gelacht  habe ich, als ich mich irgendwann einmal selbst habe singen hören: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Dem will er seine Wunder weisen in Berg und Tal und Strom und Feld.  Die Trägen, die zu Hause liegen, erquicket nicht das Morgenrot… „. Weiter konnte ich dann den Text nicht mehr.

Ja, irgendjemand hat mir eine rechte Gunst erwiesen, wer auch immer – einfach so.

Berührt hat mich nahe Heldra eine Brücke über die Werra aus Teilen einer ehemaligen Wassersperre, die Menschen an der Flucht durchs Wasser hinderte.

Berührt war ich aber auch vom  Plattenweg  über die „Mainzer Köpfe“, der mit der Zeit zum Wanderweg geworden ist: Der Weg selbst ist so schön einfach zu gehen, links und rechts Wiesen, begrenzt von Wald. Im  Graben,  früher KfZ-Sperre, wachsen Bäume.

Zwei Bilder, die zeigen, wie Grenzen zu Brücken und Verbindungen werden können, auf denen es sich gut gehen lässt.

© 2024 Wolkenfolgen

Theme von Anders NorénHoch ↑