Reisen

Kategorie: Grünes Band 2018

Eine Reise entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze.

Vor dem Start: Die Idee

An diesem Grenzstreifen komme ich 2018 noch nicht vorbei: Bei Benneckenstein.

Zwei Personen haben den Anstoß zu dieser Wanderung gegeben: eine Freundin und Hubert:  Als ich vergangenes Jahr bei einem Glas Rotwein von meiner Wanderung in die Pfalz erzählte, verschwand Christiane, um kurze Zeit später mit einer alten „Apotheken-Rundschau“ wieder zu kommen, auf der eine Fernwanderung beschrieben war: „Das Grüne Band“ – entlang der ehemaligen  innerdeutschen Grenze.  1.500 Kilometer von Bad Elster an der tschechischen Grenze bin nach Travemünde. Das wäre ein Traum von ihr, sagte Christiane, diese Strecke zu gehen. Ich war sofort elektrisiert von dem Paradoxon: auf dem ehemalige Todesstreifen mit seinen Sperranlagen, Grenzzäunen, Wachtürmen, der „Schutzzone“ und dem „Niemandsland“ hätten Flora und Fauna Schutz und Raum gefunden, die einmalig sein sollten. Das Wandern auf diesem „Grünen Band“ sei zwar auch heute, fast 30 Jahre nach dem Mauerfall, noch ein kleines Abenteuer, aber das schreckte mich erstmal nicht.  Vor allem deswegen nicht, weil es einen ziemlich guten Wanderführer von Dr. Rainer Cornelius über die gesamte Strecke zu kaufen gibt.  Cornelius unterstützt den Bund für Unwelt und Naturschutz Deutschland – BUND e.V.   dabei, das „Grüne Band“ zu pflegen und auch für Wanderer zugänglich zu machen.

In Huberts großer „DDR-Bibliothek“ fand ich dann natürlich noch ein weiteres Buch über das Grüne Band, eine Beschreibung von Wolfgang Kieling: „Ein deutscher Wandersommer. 1.400 Kilometer durch unsere Wilde Heimat“. Nun war Hubert ein Fan vom Naturfilmer Kieling, der in dem Buch seine vom SWR gefilmte Wandertour beschreibt; mein „favorite author“ wird er aber nicht – und so habe ich sein Buch schnell wieder zur Seite gelegt.

Das war im Winter 1990 auf dem Brocken, kurz nach der Grenzöffnung.

Ein Glück war es, dass eine weitere Freundin, der ich von meinem Plan erzählte,  Lust und Zeit hatte, im Sommer 2018 einen Teil des Weges mit mir zu gehen.

Nein, natürlich nicht 1.400 Kilometer – das erlaubt meine Arbeit nicht – aber eine erste Etappe vom Vogtland bis in den Frankenwald.

Es ist wieder eine Erinnerungswanderung – dieses Jahr nicht wie 2017 – in meine Heimat, sondern in die Geschichte meines Mannes Hubert, die immer ganz eng mit dieser innerdeutschen Grenze verbunden war – und dadurch auch mich über 40 Jahre geprägt hat.

Vorbereitungen

Irgendwie  habe ich mit für diese Tour mehr Mühe mit der Vorbereitung gemacht. Wahrscheinlich ist der Respekt vor dem fremden Weg größer als vor dem mehr oder weniger bekannten Weg in die Heimat, den ich 2017 gegangen bin.

Und so kommt es,  dass ich seit 6 Wochen rauchfrei bin, dass ich mir durch den regelmäßigen Besuch in der „Mucki-Bude“ ein wenig Muskelmasse antrainiert habe, und dass ich durch ein paar kürzere Wanderungen auch hoffentlich genügend Ausdauer habe.

Auf der Soonwaldburg

Ach ja, eine Fortbildung habe ich auch gemacht: Mit Heike Tharun war ich zum Wandertraining unterwegs von Bingen in den Hunrück, um zu lernen, mit Kompass und Karte  umzugehen (kann ich nur empfehlen!).

Blick von Bingen auf den Rhein

Das ist überhaupt das Schöne an den Vorbereitungen für einelängere Wandertour: Die Kurzwanderungen im Vorfeld: In Rheinhessen war ich mit Freunden auf einer neuen Hiwweltour durchs Aulheimer Tal . Bei herrlichem Sonnenschein war dieser 13 Kilometer lange  Rundweg durch die rheinhessische Schweiz einfach nur herrlich abwechslungsreich mit ungezählten Weitblicken. Auf dem Donnersberg wurde es auf den Spuren der Kelten auf dem Kastanienweg eher etwas duster.  Herrliche Blicke dagegen wieder auf einer der Traumschleifen – dem  Rundwanderweg „Fünfseenblick“ von Bad Salzig aus oder auf dem Weg zur Soonwaldburg hoch über dem Rhein.

Kaffee in der Regionalbahn und „Mischwein“ in Bad Elster

 

Wolkenfolgen – Grünes Band 2018

„Möchten Sie einen Kaffee?“ Manche ganz normalen Fragen werden an bestimmten Orten in bestimmten Situationen plötzlich sonderbar. Das Kaffeeangebot des Schaffners in der Vogtlandbahn zum Beispiel – einer privaten Regionalbahn, in der wir von Werdau nach Bad Elster fahren. Den frischen Kaffee gibt’s kostenlos – aber erst nach Plauen, weil nur die Reisenden, die nach diesem Halt noch in der Bahn sitzen, einiges an Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssen. Im Mai nämlich wurden durch starken Regen die Gleise auf einem Streckenabschnitt hinter Plauen so stark überspült und beschädigt, dass die Reparaturarbeiten immer noch nicht abgeschlossen sind. Schienenersatzverkehr also zwischen 2 Stationen, was uns neben dem Kaffee noch zweierlei beschert: eine Busfahrt durch durch die sanfte grüne Hügellandschaft dieser Grenzregion zu Tschechien und erste Gespräche mit Menschen der Region. Der Schaffner etwa, zuerst etwas knodderisch, als er unsere Fahrkarten kontrolliert – „Sie wissen schon, dass Sie derzeit nicht direkt nach Bad Elster kommen?!“ Dann, als er merkt, dass wir seinen etwas trockenen Humor verstehen, freundlich, hilfsbereit und auskunftsfreudig; später, als meine Freundin vom „Königsbad“ Bad Elster spricht, wieder sehr zugeknöpft einsilbig: „Staatsbad hieß das!“ Wir haben verstanden.

Die Sache mit dem Schienenersatzverkehr war aber auch das einzige Unvorhergesehene auf unserer Fahrt von Mainz über Leipzig nach Bad Elster. Die Bundesbahn war pünktlich auf die Minute, was allein schon eine Meldung wert ist.

Und es war auch nicht weiter schlimm,  dass wir ab Leipzig auf S- und Regionalbahn angewiesen waren: Die langsame Fahrt durch das Vogtland lohnt sich.

Leider liegt der Bahnhof von Bad Elster mitnichten im Zentrum, sondern 2,5 km ausserhalb. Und so kamen wir unverhofft am Anreisetag bereits zu einer Kurzwanderung durch den Wald bis zum wirklich sehenswerten Bad Elster. Schön restaurierte Villen, prachtvolle Kuranlagen, ein grosser Kurpark.

Unser Hotel am Ortsrand wird von einer Frau aus Speyer geführt und der Kellner des guten Restaurants kommt aus Trier.  Alles Migranten aus Rheinland-Pfalz!

Garantiert nicht aus Rheinland-Pfalz war eine  Kellnerin, die auf meine Frage, was man sich denn unter dem Begriff „Meissner Schoppen“ auf der Speisekarte vorstellen solle, lapidar antwortete:“Mischwein!“

Ihr wolltet Abenteuer? Ihr bekommt Abenteuer!

Hranice ist ein hoffnungsloser Ort. Die Menschen sind freundlich, aber ohne Zukunft. 2.000 leben noch hier von ehemals 6.000. Textil- und Glasindustrie gibt es nicht mehr. In den ehemaligen Fabrikhallen arbeiten Zuliefererfirmen mit gering qualifiziertem Personal, erzählt man uns. Ganz anders als im adretten Bad Elster, das einen Boom zu erleben scheint, sind hier – wenige Kilometer und eine Grenze weiter – viele Häuser verfallen, das Restaurant Rossbach, benannt nach dem früheren Namen von Hranice, ist eine ausgebrannte Ruine mitten im Ortskern. Der Asia-Laden ist das einzige Lebensmittelgeschäft, und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass in diesem verlorenen „Zipfel Tschechiens“, der hier in das Gebiet der Bundesrepublik hineinreicht, das nette kleine Hotel zu finden ist, das wir gebucht hatten. War es auch nicht.
Es gibt nämlich noch ein Hranice, östlich von Prag. Dort hatten wir über ein Hotel-Portal gebucht.
Die einzige Übernachtung in dem Hranice, in dem wir gerade angekommen war,  gibt es in der „Familienpension Kim“. Darüber informiert auch unser Reiseführer mit dem Hinweis, unbedingt vorher dort anzurufen. Das war aber ja jetzt nicht mehr möglich. Wir sind schon im Ort und klingeln eine etwas verwirrt blickende junge Frau aus dem nicht sehr einladend schauenden Etablissement heraus. Nach einigem Zögern bittet sie uns herein. In einen ungepflegten Gartenbereich: überall Sitzecken mit verdreckten Sofas, gebrauchte Kaffeetassen und volle Aschenbecher auf Couchtischen. Eine zweite und eine dritte Frau kommen, alle sprechen kaum tschechisch, englisch oder deutsch. Ein junger Mann sitzt mit Ohrstöpseln in einem Sessel und ignoriert uns vollständig. Wir sind hier Fremdkörper. Wir können ihnen klar machen, dass wir übernachten wollen. Eine Frau verschwindet und kommt bald darauf mit schmutziger Bettwäsche aus dem Haus. Die andere bringt Tassen, in denen sich mit heißem Wasser übergossenes Kaffeepulver befindet. Sie erzählt uns in gebrochenem Deutsch, dass es hier schrecklich sei, dass sie aus Serbien komme und dass sie weg wolle. Dann kommen zwei weitere Männer. Einer erklärt, dass die Zimmer 12 Euro pro Person kosten. Wir haben inzwischen WLAN und nach einigen Fehlversuchen das Zimmmer im falschen Hanice kostenlos stornieren können.

Zimmer in der „Familienpension Kim“ in Hranice

Zimmerbesichtigung: Das Haus entstammt einem Hitchcock-Krimi. Düsteres Treppenhaus, Wände und Decken vollkommen mit Holz verkleidet, alles verstaubt und schmuddelig, riesige Heiligengemälde neben zugestaubten Trockenblumen, Weihnachtskugeln, Kitschfiguren. Die Zimmer sind noch schlimmer als das Treppenhaus. Ein Bett mit einem stoffgepolsterten Kopfende, überall Spiegel, Gelsenkirchener Barock, zerschlissene Sessel, den schmutzigsten Teppichboden, den ich je gesehen habe. Aber: Auf der kunstvoll arrangierten Bettdecke liegt eine rote Kunstrose. Das habe sie in einem Hotel in Zürich gelernt, wo sie gearbeitet habe, erklärt die Serbin. Annette und ich schauen uns an, lassen uns die Schlüssel geben, verstauen die Rucksäcke und flüchten nach draußen , um Luft zu holen. Es bleibt uns nichts übrig. Wir müssen hier die Nacht verbringen!
Die Kirche von Hranice soll sehenswert sein mit einer seltenen Orgel. Wir holen bei der Küsterfrau den Schlüssel. Sie spricht, hier geboren, ein gepflegtes fränkisch. Und bestätigt uns erst einmal das, was wir über unsere „Herberge“ vermuten. Sie ist so was wie eine Absteige. Die jungen Männer bringen zuweilen die Freier zu den Frauen ins Haus

Taufbecken in der Kirche von HraniceWir wollten Abenteuer. Wir haben es! Zwei Omas übernachten im Puff!
Im Dorf gibt es nichts zu essen, aber wir entdecken ein Schild Richtung Grenze – wo wir morgen sowieso hin müssen – Familienrestaurant mit Einkaufsmöglichkeiten in 1,5 Kilometern. Dort essen wir, kaufen für morgen früh ein, weil es natürlich sonst nirgendwo etwas zum Frühstück gibt, und trinken am frühen Abend noch ein Bier. Vorbereitung auf eine Nacht in Schmuddelzimmern und hoffentlich ohne Ungeziefer. Ich vermisse Huberts dünnen Reiseschlafsack „für alle Fälle“.
Dabei hatte der Tag gut angefangen mit einem Glas Wasser aus der Heilquelle in Bad Elster, einem Spaziergang durch den Park, dann vorbei an wunderbar restaurierten Villen aus ganz verschiedenen Stilepochen, über eine einsame Landstraße bergaufwärts zur tschechisch-deutschen Grenze.

Trinkhalle im Kurpark von Bad Elster


Auf dem Weg von Bad Elster nach Hranice

Nachtrag1: Warum ausgerechnet Hranice?

 

Kirche von Hranice

Das „Grüne Band“ führt entlang der innerdeutschen Grenze als  Erinnerungsweg an die Geschichte der deutschen Teilung mit Grenzschutzzäunen, Hundelaufgräben, Minenfeldern, „Schutzgebieten“, Todesstreifen. Gleichzeitig wird das „Band“ vom BUND und Kommunen gepflegt als Rückzugsort für andernorts bedrohte Flora und Fauna – als Lebenslinie.

Weil die DDR ihrem Brudervolk Tschechoslowakei nicht über den Weg traute, hat sie dort, wo das heutige Tschechien in das Gebiet der DDR hinein ragte, die Grenzsicherungsanlagen einfach weitergeführt. So enstanden ca. 6 Kilometer Grünes Band  entlang der tschechischen Grenze. Es endet bei Hranice, was“Grenze“bedeutet.

Und deshalb sind wir auf der ersten Etappe von Bad Elster nach Hranice gelaufen, um dann das tschechische Grüne Band bis zum Dreiländereck Tschechien, Sachsen, Bayern zu gehen.

Nachtrag 2: Abschied vom Luxusetablissement

 

Die Nacht hatten wir in unseren Zimmern weniger geschlafen  und mehr gewartet, bis der Morgen graut: das Pfefferspray auf dem Nachttisch, möglichst wenig Berührung mit Kissen und Matraze, Schrecksekunde bei jedem Geräusch. Morgens miaut eine gelbe(!) Katze vor meinerTür. Zeit zu gehen. Nicht ohne ein paar Fotos (soviel Zeit muss sein, und soviel Panik war dann wohl doch nicht mehr).

Noch ein Schreckmoment, als der Schlüssel im Schloss der Außentür klemmte – und dann stehen wir draußen.

Viel zu laut lache ich auf dem Weg hinauf zur Grenze. Annette mahnt  zur Sonntagsruhe. Automatenkaffee gibt’s an der Grenztanke und dann sind wir schon bald auf dem Grünen Band und einer beeindruckenden Wanderung.

Grenzgedicht 1: Von Hranice nach Gattendorf

Unsere Wanderung von Hranice nach  Schloss Gattendorf heute war ein Vexierspiel: Wiesen, wie man sie nur noch aus Kindheitserinnerungen kennt – Mohn- und Kornblumen, Margeriten und duftende Kamilleteppiche -, die „Lochmuster“ des Kolonnenweges, mal quer, mal senkrecht verlegt, überwuchert manchmal, und manchmal freigehalten,  Sumpflandschaften und mäandernde Bächlein,  Reste des Kfz-Sperrgrabens, Birken-und Fichtenwäldchen neben Getreidefeldern, freier Blick auf sanfte Hügel und Täler, in der Ferne ein stehen gebliebener Wachturm, am Horizont das Fichtelgebirge, Stelen wie Erinnerungsfetzen an vom DDR-Regime geschleifte Gehöfte und Dörfer, „Wüstungen“, die heute auf keiner topografischen Karte mehr verzeichnet sind, die jubelnde Lerche am stahlblauen Himmel mit Bilderbuchwölkchen: „was grenze ist irrt“

 

Aus: Esther Kinsky. Naturschutzgebiet 2013

Wohin zeigt die wildnis

wohin die zähmung?

zwischen storchenschnabel und

winterlieb lichtet

sich schon das grüne

was grenze ist irrt

hierhin und dorthin

Von Ullitz nach Mödlareuth

 

Eine Schafherde pflegt das Grüne Band

Pünktlich morgens um 8:00 Uhr fährt uns unsere Schlossherrin zum Startpunkt der heutigen Etappe: Ullitz, ein Weiler, der ehemals Grenzübergang mit Schlagbaum war. Bei herrlichem Sonnenschein wandern wir durchs „Himmelreich“ am Grünen Band, Feuchtwiesen und kleine Waldstücke, alle Arten von Schmetterlingen. Aber im Paradies gibt es auch verbiesterte Teufelchen: Bremsen und Schnaken, die sich bei diesen feucht-warmen Temperaturen anscheinend sehr wohl fühlen. Selbst Mückenspray für die Tropen ist zwecklos.
Und dann wird das Grüne Band plötzlich durch die A 72 zerschnitten. Wir müssen den Kolonnenweg verlassen, um nicht „unter die Räder zu kommen“, und über einen Wiesenweg bis zu einer Unterführung gehen. Vor uns die Kapelle St. Clara von Heinersgrün.

Kein Weiterkommen: Grenze Autobahn

Dann braucht es doch schon einigen Orientierungssinn, um wieder aufs Grüne Band zu gelangen. Es gelingt dank des Bauchgefühls und der Kartenlesekunst meiner Freundin. Immer noch ist uns keine Menschenseele begegnet. Dabei ist es doch eine ideale Wandergegend. Teiche, Schilf, ein blühendes Meer von Heilzist – und aus weiter Entfernung beobachten uns ein paar Rehe.


Abwechslung bieten wir auch einer Herde Schafe. Sie gehören zum Schäfer Michael Ulsamer, der mit ihnen das Grüne Band Sachsen freihält.
Überhaupt ist das ganze sächsische Grüne Band erstklassig gepflegt. Hut ab vor so viel Engagement!
Es ist mittlerweile sehr heiß geworden. Langsam verändert sich die Landschaft: Weite Getreidefelder und Windräder. Wir kommen zum Drei-Freistaaten-Stein. (Diese Wort kann man nur in ganz nüchternem Zustand aussprechen.)
Hier einigten sich 1840 die Königreiche Bayern und Sachsen sowie das Herzogtum Reuss auf einen Grenzverlauf. Die drei Freistaaten sind Thüringen, Sachsen und Bayern. Die Grenzen waren Verwaltungsgrenzen. Für die Menschen, die hier lebten, spielten sie keine Rolle. Bis nach dem Krieg.


An der Grenzmarkierung verlassen wir Sachsen, um in Thüringen weiter zu gehen. Allerdings fehlt hier das Grüne Band.
Es sind schweißtreibende Kilometer nach Mödlareuth am Thannbach, jenes Dorf, in dem sich die innerdeutsche Teilung so eindrücklich manifestiert hat. Die Mauer ging durch ein Dorf. Im Mikrokosmos wirkt alles noch beklemmender. „Klein-Berlin“ wurde der Ort genannt, dessen eine Hälfte in der amerikanischen Besatzungszone lag (Bayern) die andere in der russischen (Thüringen). Wie gesagt, diese Grenzen störten jahrhundertelang keinen Menschen…


Wir laufen die Straße bergab nach Mödlareuth und essen dort im „ Grenzgänger“-Gasthof (ehemals Osten) selbstgemachten Kuchen. Er ist ebenso wie der Kaffee ein Genuss.
Auf einen Anruf im Festnetz hin – Mödlaruth ist ein „Tal der Ahnungslosen“  fürs mobile Netz  – werden wir von einer Frau aus dem benachbarten Töpen (Bayern) abgeholt und zu unserem reservierten Hotel gebracht.
Leider gibt’s hier – wie gestern – auch nur Kleinigkeiten zu essen. Wir entscheiden uns, nochmal 2 Kilometer zurück nach Töpen zu einem Italiener zu laufen (leichtes Training zum Auslaufen!). 27 Kilometer sind dann aber genug für heute. Die nette Bedienung fährt uns nach Pizza, Penne, Pino Grigio und Grappa, ins Hotel zurück.
In der Nacht gibt’s einen Witterungsumschwung. 20 Grad weniger und Regen!

Mödlareuth: Deutschland ist ein Dorf

Ich war selten so beeindruckt von einer Ausstellung, die Erinnerung ist, die wirklich ist, die Erinnerung ist, die Alltag ist, die Ausstellung ist…
Mödlareuth, dieses geschundene Dorf. Seine Bewohner lebten einst den normalen Alltag eines Dorfes. Niemanden störte es, dass ein Teil des Dorfes zu Bayern gehörte, der andere zu Thüringen und der kleine Thannbach die Grenze bildete. Es gab eine Schule und ein Wirtshaus und keine Kirche. Zu der ging man nach Töpen. Dann kam Hitler und mit ihm jene entsetzliche Teilung Deutschlands und Mödlareuths bis 1989. Familien wurden getrennt, Freunde durften nicht mehr Freunde bleiben.
Zuerst der Passagierschein, dann die Sperrzone, dann Zwangsumsiedlungen, dann der Bretterzaun, dann der Stacheldrahtzaun, dann die Betonmauer. Eine Mauer, die auch nachts beleuchtet war. Mitten durchs Dorf. Am 9.12.1989 der Grenzübergang für Fußgänger, am 17. Juni 1990 der Abriss der Mauer.
Ein Teil der Mauer ist erhalten geblieben.
Und dann entschließen sich die Bewohner und Bewohnerinnen (heute 16 aus dem bayerischen Teil, 24 aus dem thüringischen), sich zur lebenden Erinnerungskultur zu machen. Mit Kinodokumentation, Museum, Freigelände, Fahzeughalle und dem ganzen Dorf als Freilichtmuseum.


Das alles berührt. Weil es eine so kleine Welt ist, in der, wie in einer Lupe, sich deutsche Geschichte fokussiert.
Es berühren die 2 Dorfteiche „hüben und drüben“, die immer noch sorgfältig geharkte Freifläche zwischen Mauer und Kolonnenweg, die Gänse auf einem alten Foto im Museum, deren Nachfahren noch heute auf „Ostseite“ nach Grünzeug Ausschau halten. Die Flasche Nordhäuser Doppelkorn, die im Koffer eines Mannes gefunden wurde, dessen Flucht misslungen war.


Es gehört Mut dazu, sich selbst zur Erinnerungskultur zu machen. Besonders in Momenten, in denen ca. 70 Touristen aus North-Carolina aus dem Bus steigen, um „Little Berlin“ zu besichtigen.

Neigkeiten von der Kiosk-Besitzerin
Gott sei’s gedankt, dass wir unsere Besichtigungstour vor dem Großgruppenandrang beendet hatten.
In einem Souvenierladen genehmigen wir uns noch einen Kaffee, bevor wir uns in den Regen wagen, der letzte Nacht begonnen hat.
Die Kiosk-Betreiberin führt Statistik: 2015 sind fast 100.000 Besucher und Besucherinnen nach Mödlareuth gekommen. 2017 seien es noch rund 70.000 gewesen. 2015 sei im Fernsehen die 1. Staffel der Serie „Tannbach“ ausgestrahlt worden. Man werde jetzt sehen, wie sich das nach der zweiten Staffel entwickelt. Der Film erzählt die Geschichte eines fiktiven Dorfes vom Ende des zweiten Weltkriegs bis zum Prager Frühling. Das Dorf liegt teils im „Westen“, teils im „Osten“. Reales Vorbild ist Mödlareuth.
Nein, meint die Kioskbesitzerin, mit der Wirklichkeit hätte der Film nicht viel zu tun gehabt. Vielleicht der erste Teil. Umgebracht hätte sich ja damals tatsächlich jemand. Aber der zweite Teil – nee, da sei nichts wie im wirklichen Leben.

Funklaster -eins von vielen Grenzfahrzeugen , die in der Lagerhalle des Museums zu sehen sind.


Und dann werden wir schwer enttäuscht: Die Serie wurde in Tschechien gedreht. Wo wir doch gestern meinten, einige Häuser und Straßen aus dem Film wieder zu erkennen!
Vielleicht drehen Sie ja die nächste Staffel hier, sagt die Kioskbesitzerin. Die soll ja vom Mauerfall handeln, hört man.
Wie dem auch sei – kürzlich war jedenfalls schon mal Bully Herbig hier zu Dreharbeiten. Er verfilmt die Geschichte zweier Ehepaare, die vor fast 40 Jahren im Vogtland mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR geflohen sind.

An der Saale hellem Strande…

In jenen Tagen, als dieses Schild aufgestellt wurde, hatten wir noch Visionen. Derzeit scheint sich Europa selbst zu zerstören.

Durch unsere vom Wanderführer abweichende Streckenplanung haben  wir den Vormittag für die Besichtigung von Mödlareuth. Dann geht es – der Regen hatte aufgehört – wieder auf dem Kolonnenweg am Thannbach entlang. „Cardio-Training“, sagt meine Freundin, denn zwischen geraden Wegstrecken liegen kurze steile An-und Abstiege. Wir laufen durch Wald, der durch den Regen der letzten Nacht fettgrün ist. Bald sind wir an der ersten Saaleschleife. Den Fluss können wir aber wegen des dichten Laubwaldes erst einmal nicht sehen. Und dann glitzert es zwischen den Laubblättern silbrig hell. Tief unter uns liegt träge die Saale.

Ein romantischer Pfad entlang der Saaleklippen zieht sich bis nach Hirschberg. Hier stand früher Deutschlands größte Lederfabrik, heute ist es ein verschlafenes Städtchen an dem Steilhang der Saale, ganz oben malerisch die Burg. Wir haben nach etwa 11 Kilometern unser Etappenziel erreicht.

Brücke an den Saale-Klippen: Hier trauten wir uns nicht.

Hier trauten wir uns: Hängebrücke

Grenzgedicht 2

Wir haben das Vogtland verlassen. Zum Abschied kommentarlos  das Gedicht eines Vogtländers, Bernd Jentzsch aus Plauen:
Ein Wiesenstück
Der Schuss stehend freihändig,
Das Bündel zusammengepackt.
Vor dem Bündel der Hundelaufgraben.
Vor dem Hundelaufgraben die spanischen Reiter.
Vor den spanischen Reitern das Minenfeld,
Vor dem Minenfeld der Gitterzaun.
Hinter dem Gitterzaun das Minenfeld,
Hinter dem Minenfeld die spanischen Reiter,
Hinter den spanischen Reitern der Hundelaufgraben,
Hinter den Hundelaufgraben das Bündel.

Gastbeitrag von Annette: Wo sind wir eigentlich gerade?

Die Eier haben Hütchen. Draussen nieselt es. Die Grand Nation steht im Endspiel. Aber das nützt uns nichts. Es regnet kräftiger. Wir packen uns und die Rucksäcke ein. Und traben von der Pension Kleeblatt, wo man uns ohne mit der Wimper zu zucken um 6:30 Uhr Frühstück serviert hätte – hätte!  _zur Saale runter, wo der Strand weder hell noch vorhanden ist. Stattdessen glänzen die Klippen im Regen. Wir auch. Nach 2 Stunden Marsch erreichen wir Sparnberg. Nieselregen Stufe 3. Kein Cafe, kein Nichts. Doch!

„Cafe unseres Herzens“ bei Holger in Sparnberg

Es gibt wahnsinnig nette Menschen. Holger zum Beispiel, der uns einen wunderbar starken Kaffee kocht und uns auch noch Kuchen dazu serviert. Sein Sohn stellt uns Stühle in die Garage und einen umgedrehten Kasten als Tisch. Fertig ist „ Das Cafe unseres Herzens“. Draussen regnet es inzwischen Salzburger Schnürlregen. Seelisch und körperlich gestärkt gehen wir weiter: rauf, runter… immer an der Saale entlang. Die wunderschön ist, wenn man sie nicht nur durch einen Regenschleier sehen würde. Es geht rauf nach Pottiga und dann nach Blankenberg. Die Nässe kriecht gefährlich die Hosenbeine hoch. Und dann hört es tatsächlich auf zu regnen. Wir wissen manchmal nicht mehr, ob wir in Bayern oder Thüringen sind. Holzbrücke, blaue Brücke, grüne Brücke. Die Grenzen verschieben sich auch in unseren Köpfen. Bei Blankenberg wähnen wir uns im Voralpenland. Was uns irritiert: Immer wenn wir mal einen versprengten Menschen treffen, kommt dieser oder diese garantiert nicht von hier und kann uns keinerlei Auskunft geben.Wir finden dann doch noch den Weg zum Friedrich-Wilhelm-Stollen. Wir träumen von ‚Sommerfrische‘. Es erwartet uns Kroos und Rumpel überall, ein unwirscher Wirt, der gerade Handwerker dirigiert.  Als wir nach entsetzter Flucht zurückkehren, ist der Gestank im Haus verschwunden. Der Kurmel und Kitsch ist geblieben. Wir haben kein Sternemenü gegessen. Aber wir sind satt uns sehr zufrieden, dass wir morgen wieder ganz früh Frühstück bekommen. Und der Regen soll auch aufhören.

Der Spion, der aus der Muschwitz kam

Ein Westspion im Höllental, ein toter Briefkasten (TBK), das Notizbuch eines Ostagenten, das ein westdeutscher Grenzbeamter auf einem Kontrollgang im Gras findet, nasse Pfade und dunkle Schieferhöhlen – Stoff in Hülle und Fülle für einen Thriller.
Und am frühen Morgen, als wir von der „Sommerfrische“ des Friedrich-Wilhelm-Stollens aufbrechen, während unsere Gastwirte noch schlafen – können wir uns diese Grenzgeschichten, die sich tatsächlich hier ereignet haben, sehr gut vorstellen.

Frühmorgens an der Muschwitz

Wir gehen den „Grenzerweg“ von Blankenstein aus immer an der Muschwitz lang. Kein Kolonnenweg hier, weil der Fluss die Grenze bildete. Weicher Waldboden und regennasse Graspfade. Ein Reh quert unseren Pfad. Die Biber, die es hier gibt, haben keine Lust auf Besuch. Die Landschaft hat sich verändert. Tannenwälder, Relikte früherer Bergbautätigkeit, Höhlen. Totale Einsamkeit. Bis wir hinter dem Kulmberg auf den Rennsteig stoßen.

Rennsteig trifft Kolonnenweg

Ich bin erstmal sehr enttäuscht: Wie habe ich es mir auf dem Rennsteig romantisch vorgestellt! Was hat Hubert immer erzählt vom urigen „Falkenstein“! Jetzt laufen wir auf einer geraden Schotterpiste, ideal für Radfahrer, ermüdend für Wanderer. Er scheint genau das zu sein, was der Name im Althochdeutschen bedeutet: ein schmaler Lauf- oder Reitweg. Links Forstwirtschaft, rechts Forstwirtschaft und in der Mitte die Schotterpiste. Jetzt verstehe ich den Gruß der Rennsteigwanderer: „Gut Runst!“ (Gutes Rennen!)


Wie nochmal ist Thüringens heimliche Nationalhymne? „Ich wandere ja so gerne am Rennsteig durch das Land, den Beutel auf dem Rücken, die Klampfe in der Hand…“
Aber dann – dem Touristenverein sei Dank! – trennt der Weg sich wenigstens zeitweise in eine Strecke für Wanderer und eine für Radfahrer. Die für uns führt über Waldpfade, Quellgebiete Waldlichtungen und – immer wieder über den querenden Kolonnenweg. Zu Zeiten der deutschen Teilung war der Rennsteig nicht durchgängig, und auf dem Abschnitt, auf dem wir uns befinden, war Sperrgebiet!
Leider sind – anders als ich dachte – die Gasthöfe und Imbisse am Rennsteig, verwaist, geschlossen – oder es ist Ruhetag.
Immer noch ohne Thüringer Wurst im Magen, kommen wir in dem Schieferstädtchen Brennnersgrün an. Von dort nach Spechtsbrunn wurde 1990 der Rennsteig wieder als durchgehender Wanderweg geschlossen.

Weite Sicht

In Brennersgrün übernachten wir im wunderbaren Rennsteighaus (alte Architektur, modernes Mobiliar!). Der Pächter, ein Italiener, ist gerade in Sizilien, seine alte Mutter zu besuchen. Aber da sind ja die Herbergsleute , ein ganz herzliches Rentnerehepaar, das jeden Gast liebevoll umsorgt. Das entschädigt für die nicht vorhandenen Thüringer Würste.

Schieferort Brennersgrün mit tollem Rennsteighaus!

Was sich aus einem Zeckenbiss entwicken kann

 

Am morgen hat Annette einen Zeckenstich am Bauch (!), der sich entzündet hat, weil die Zeckenkarte kein Ersatz für die Zeckenzange ist.
Die Hausleute des Rennsteighauses raten dringend zum Arztbesuch. Wir werden vom Herbergsvater nach Steinbach (Bayern) am Wald gefahren, die Ärztin versorgt den Stich und entfernt die Zecke, und dann lösen wir ein Ticket für den Regionalzug nach Ludwigsstadt. Von dort wandern wir über die Fischbachsmühle, die Villa Falkenstein nach Probstzella (Thüringen), einst eingemauerte Stadt im Sperrgebiet und Grenzbahnhof für den Transit-IC München – Berlin.  Berüchtigt war der Bahnhof für seinen 20 Meter langen Kontrollgang, durch den alle Reisenden mussten.

Mitten im Wald: eine Pralinenmanufaktur. Köstlich!

 

Ehemaliger Grenzbahnhof: Probstzella

Versäumt haben wir die Schieferstadt Lehesten und die KZ-Gedenkstätte Laura, wo Tests für die Raketenwaffe V2 durchgeführt wurden.

Erfahren haben wir durch den unfreiwilligen Arztbesuch stattdessen die wirkliche Geschichte des Altvaterturms am Wetzstein, die Geschichte vom Grenztourismus in Ludwigsstadt, und – Achtung Höhepunkt – wir haben mitten im Wald eine Confisserie entdeckt mit den köstlichsten Pralinen, mit exzellentem Kuchen (z.B. frischer Stachelbeerkuchen mit Baiser) und richtig guten starken, aromatischen Kaffee.
Und jetzt sitze ich auf der Terrasse eines irrsinnig tollen Bauhaushotels in Probstzella, schaue auf den Wald, unter mir der ehemalige Grenzübergang, trinke einen Aperitif und lasse es mir gut gehen.
Über das Bauhaushotel von Alfred Arndt und den Unternehmer Franz Itting, der sich nie unterkriegen ließ, später mehr.

Eine Perle der Bauhaus-Architektur und ein Unternehmer, der alle Muster sprengt

Das “Haus des Volkes“ ist ein Meisterwerk des Bauhaus-Architekten Alfred Arndt. Eines seiner frühen Bauten. Es ist nicht nur das Wahrzeichen von Probstzella, es dominiert den kleinen Schieferort im ehemaligen Sperrgebiet.
Eigentlich war das gewaltige Bauwerk schon reif für die Abrissbirne, doch dann fanden sich drei im positiven Sinne „Verrückte“, die es Anfang der Jahrtausendwende von der Treuhand ersteigerten und versuchen, es wieder als Hotel, Kultur- und Bildungshaus zu etablieren. Ein Wahnsinnsunterfangen!
Allein der große Veranstaltungsraum fasste einmal 1.000 Plätze. Die Deckenkonstruktion dieser „Kathedrale des Volkes“ – wie sie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts genannt wurde – wurde leider in der DDR-Zeit verschandelt.

Der Rote Saal bietet Platz für 1.000 Menschen. Leider wurde die Deckenkonstrukton verschandelt.

Erbauen ließ das Haus der thüringische Industriepionier Franz Itting. Als Jugendlicher wollte er mit seinem Freund nach Amerika, um „den unterdrückten Indianern“ zu helfen, als Industrieller führte er in seinem Elektrizitätsunternehmen in der Weimarer Republik die 40-Stunden-Woche ein, förderte die Mitgliedschaft in Gewerkschaften, schloss Lebensversicherungen für seine Arbeiter ab…
Das Haus des Volkes sollte den Menschen dieser ärmlichen Gegend Bildung, aber auch Entspannung und Erholung bringen. Der Aufbruch in eine neue Zeit mit den Formen moderner Architektur. Das Konzept ging auf. Zu den Veranstaltungen im „Haus des Volkes“ strömten die Massen. Bis die Nazis kamen.
Itting war Sozialist, war in der Region politisch aktiv und wurde von den Nazis als „Bonze“ und „Volksschädling“ beschimpft, in Schutzhaft genommen, verfolgt. Nach dem Krieg haben ihn die Kommunisten als „feindliches und entartetes Element“ verfolgt, inhaftiert, verurteilt. Aber Itting fing im Westen ein drittes Mal an und blieb bis zu seinem Tod mit über 90 Jahren der Überzeugung treu, „dass sich die Menschheit ein Paradies schaffen könnte“.
Im „Haus des Volkes“ gibt es eine gut konzipierte Ausstellung über das Leben dieses Mannes, der in keine deutsche Norm“ (Roman Grafe) passt. Roman Grafe hat ihm mit dem Buch und Dokumentarfilm „Mehr Licht“ ein Denkmal gesetzt.
Es ist ein Erlebnis, in diesem Bauhaus-Hotel zu übernachten. Würde es in Berlin stehen, wäre es auf Jahre hinaus ausgebucht. Aber es steht am Grünen Band – im „wilden Deutschland“.

 

Frühstücksraum des Hotels und bereits Teil des Museums.

Knödel-Äquator

Heute essen wir zum ersten Mal Thüringer Würste. Zusammen mit fränkischen Würstchen und Sauerkraut in einem Gasthof am Rennsteig. Überall in den kleine Dörfern links und rechts des Grünen Bandes gab es früher Gasthäuser und Pensionen. Jetzt treffen wir unterwegs kaum auf eine Einkehrmöglichkeit. Häufig findet man am Ortseingang noch ein Hinweisschild mit Öffnungszeiten – aber nur, weil man vergessen hat, es abzumontieren.
Häufig bieten die Gasthöfe auch noch Übernachtungen an, allerdings ohne warmes Essen, weil Ruhetag ist, oder Ferien, oder der Koch krank.
Nicht, dass der Betrieb nicht lohnen würde. Nein, die Besitzer, in die Jahre gekommen, finden keinen Nachfolger und/oder keine Mitarbeiter. Wer will heutzutage schon an Wochenenden arbeiten, noch dazu für einen mickrigen Stundenlohn und dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen?

In den Gaststätten selbst ist die Zeit stehen geblieben. Das Interieur aus den 60er Jahren, viel Holz, eine Schiebetür für den zweiten Gastraum, alles im Halbdunkel – ich habe sogar den guten alten Kaugummi-Automaten wiederentdeckt. Die Speisekarte stammt auch aus den 60ern: Strammer Max und Toast Hawaii. Frische Klöße gibt es – wenn überhaupt – nur an Wochenenden und auf Bestellung.
So wandern wir am „Knödel-Äquator“ entlang, und hatten nur am ersten Abend in Bad Elster böhmische Klöße auf dem Teller.
Der kulinarische Tiefpunkt war das Gasthaus am Friedrich-Wilhelm-Stollen in Lichtenberg (Franken) bei Blankenstein (Thüringen). Wir übernachten am Mittwoch, die Gaststätte hat von Montag bis Mittwoch Ruhetag. „Die Frau“, sagt der Wirt, ist in Hof zum Einkaufen. Sie würde uns Grillhähnchen mitbringen. Ob’s recht sei? Nach einer 20-Kilometer-Wanderung ohne Einkehrmöglichkeit unterwegs ist uns alles recht. Das halbe Hähnchen – immerhin macht uns „die Frau“ noch Bratkartoffeln – muss vom schlechtesten Grillwagen der Gegend stammen. Den Geschmack nach altem Fett habe ich die ganze Nacht im Mund, und am nächsten Tag müssen wir uns beide mal des öfteren in die Büsche verziehen.
Die deftige Hausmannskost auf dem Dorf ist eine Mär, zumindest bis jetzt.
Aber das sollte niemand von der Wanderung auf dem Grünen Band abhalten.
Und ein Nachtrag: Wie schnell sich die Sachlage zum Guten ändern kann! Diesen Blog-Beitrag hatte ich Samstagabend geschrieben. Am Sonntagmittag haben wir uns verlaufen. Gott sei Dank!  Wir sind nämlich an einer Gaststätte aus dem Wald gekommen, bei der es fränkische Würste gab und Klöße  mit Soße – so locker und frisch hatte ich noch keine gegessen.

„Zonenrandgebiet“

Vom Sperrgebiet zum Wanderparadies: Zwischen Ludwigsstadt und Probstzella.

Die Frau aus der Touristik-Information in Ludwigsstadt, bei der wir uns nach dem Wanderweg nach Probstzella erkundigen, ist sehr, sehr stolz auf ihre guten und prämierten Wanderwege.
Das sei nicht immer so gewesen. Als die Gegend hier noch „Zonenrandgebiet“ gewesen sei habe man sich vor Touristen nicht retten können. Grenztouristen. Zum Beispiel zur Thüringer Warte oberhalb von Lauenstein. Alle Häuser seien voll gewesen. Nach der Wende habe man gedacht, es gehe alles so weiter. Vor 10 Jahren sei klar geworden, dass man die neue Zeit verschlafen habe. Keine Touristen mehr. Keine Einnahmen. Deshalb setze man jetzt verstärkt auf Wandertourismus. Qualitätsgeprüft. Stimmt – das Wandern hier lohnt sich.

Grandiose Aussicht auf der Thüringer Warte

Die Thüringer Warte

Manche Tage geht’s rauf und runter. An diesem Tag von Probstzella nach Spechtsbrunn geht’s mehr rauf – und zwar steil und schweißtreibend . Erst nach Lauenstein (Bayern) mit Burg, dann nochmal höher zur Thüringer Warte, in früherer Zeit DEM Aussichtspunkt im Westen, um die Grenzanlagen zu sehen.

Besuch des Bundespräsidenten Lübke an der Thüringer Warte 1964

 

Blick nach Süden

Herrliche Aussichten bei strahlendem Sonnenschein hatten wir schon den ganzen Morgen, aber die Blicke vom Turm waren kaum zu überbieten – in alle Richtungen!


Dann wieder ein Stück Kolonnenweg – wir hatten ihn schon vermisst, bis wir nachmittags wieder auf den Rennsteig stoßen (Teerweg!) und nach über 20 Kilometer in Spechtsbrunn ankommen.

Nachdenkliches

„Mit welchen Erwartungen seid Ihr denn hier hergekommen?!“ Eine, deren Heimat der Frankenwald ist, ist nicht sehr erfreut über den letzten Blog, in dem es um geschlossene Gasthäuser ging. „Hier in dieser Region entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze war 50 Jahre nichts. Hier gab es vielleicht in den Dörfern ein Wirtshaus, in das die Männer abends ein Bier trinken gingen.“ Wir könnten diese Region am Grünen Band nicht mit Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz vergleichen. Hier sei nicht viel gewesen – außer der wunderbaren Landschaft.
Tatsächlich bin ich sehr nachdenklich geworden. Hat sich da etwa so eine etwas arrogant-oberflächliche Sichtweise eingeschlichen, dass es im Frankenwald doch – bitte schön – an jeder Wegzweigung eine urige Waldgaststätte zu geben habe?
„Freut Euch doch stattdessen, wenn ihr auf eine Gaststätte trefft, statt nur zu kritisieren, wenn eine geschlossen ist.“ Diesen Ratschlag werde ich in Zukunft beachten. Versprochen.
Und das fällt ja nicht schwer bei dieser wunderbaren Landschaft mit seinen dunkelbewaldeten Berghügeln, den Bächen, Wiesen und Feldern, wo der Wanderer oder die Wandrerin allein auf weiter Flur ist, wo man die Vögel noch singen hört und die Schmetterlinge nicht vereinzelt, sondern hundertfach am Wegrand flattern.

Von Spechtsbrunn bis Kronach

 

Es ist früher Sonntagmorgen, als wir von Spechtsbrunn aus über einen Wiesenweg hinauf zum Waldrand steigen. Dort finden wir bald wieder den Kolonnenweg. Und wir finden die Hinweisschilder über junge Menschen, die bei Fluchtversuchen erschossen worden sind. Hier waren es drei Menschen, vor Spechtsbrunn zwei. Abends sagte mir ein Besucher in der Gastwirtschaft: Hier ist nichts passiert. Nur einer ist mal erschossen worden. Das ist alles in Berlin gewesen.“
Wie sehr hatte Hubert, mein Mann, sich immer aufgeregt, als „seine“ Benneckensteiner im Harzer ehemaligen Sperrgebiet von nichts mehr wussten: Weder von Juden, die im Nationalsozialismus in den Selbstmord getrieben wurden, noch über die Toten der innerdeutschen Grenze.
Trotzdem: Über einen wunderschönen Weg kommen wir zum Wildberghof, gegründet in den 1970ern von Frankfurter Kommunarden. Zwei von Ihnen leiten heute noch den Hof, wo man auch übernachten und sonntags Kaffee trinken kann.
Aber zu dieser Uhrzeit? Vor 10:00 Uhr?
Klar doch, Kaffee geht immer. Zusammen mit einer Unterhaltung der „alten“ Kommunarden, über die Trockenheit und ihre Konsequenzen für die Landwirtschaft.
Nach der Kaffee-Stärkung geht’s über Wald und Wiesen nach Sattelpass und Neuenbau. Dort, auf dem Hammerberg ließ dass DDR-Regime eine „Führungsstelle“ für den gesamten Grenzabschnitt einrichten. Die Sattelpasser hatten es schwer: Wenn in Neuenbau Tanz war, mussten die Sattelpasser um 22:00 Uhr zuhause sein.

Dabei war das früher ganz anders: Die über den Sattelpass verlaufende Straße war seit dem späten Mittelalters Geleitstrasse, auf der Reisenden Schutz und Schild gewährt worden war. Sie war die Verbindungsstrasse zwischen Maintal und oberen Saaletal, zwischen Nürnberg und Leipzig. Martin Luther war wohl der bekannteste Reisende dort.

Dann wandern wir runter ins Tal der Tettau. Ganz lang durch den Frankenwald. Ganz weit runter. So weit, dass wir uns etwas verlaufen. Was nicht schlimm ist. Weil wir direkt an einer Gasstätte rauskommen: Klöße mit Sauce, Thüringer Würste: ein Gedicht!
Der Weg entlang der Tettau – linkerhand ein sehr steiler Frankenwaldsteilhang, rechts die Tettau mit einer zugewachsenen Bahntrasse – führt mal wieder durch eine tolle Landschaft – leider auf dem Fahrradweg. Was es für Wandrerinnen nicht einfach macht.
Es geht bis Heinersdorf, einem zweiten Mödlareuth – mit Mauer.
Wir (müssen) noch weiter zum Bahnhof nach Pressig.

Von wo aus wir nach Kronach fahren. In die Cranach-Stadt. Mit ihren wunderbaren alten Häusern. Wo wir im alten Flossherrenhaus übernachten. Und im Brauhaus gut essen und trinken. Und auf unsere wunderbare Gastgeberin des Ruhetages am Montag treffen. Wir fühlen uns wohl im Frankenwald!

Abschiede, Filmaufnahmen, Auenwald – aber „nur“ ein kurzer Wandertag

 

Was sich manchmal alles in einen Tag hineinpackt:
Da war zuerst einmal der Abschied von Annette, die in Pressig die Tour beendet und dort noch einen Tag bei ihrer Freundin bleibt.  Danke, liebe Annette, für die Begleitung! Dein Orientierungssinn wird mir fehlen. Und ab heute werde ich den Rucksack jedes Mal wieder selbst runter nehmen müssen, wenn ich fotografieren will.
Annettes Freundin – danke, liebe Sigrun, für deine Gastfreundschaft, für deine gedanklichen „Stolpersteine“ und die Fahrten zu DEINEM schönen Frankenwald – hat mich zum Start der heutigen Etappe gefahren.
Dort – und damit bin ich beim zweiten Paket des Tages, standen schon Wagen des Bayerischen Rundfunks. Sie wollten mit Kai Frobl, BUND-Experte und „Erfinder“ des Namens „Grünes Band“, einen Beitrag für die Frankenschau drehen. Und dann kam ich dahergelaufen. Das war natürlich ein wunderbarer Zufall, wie es kein Drehbuch besser schreiben kann. Der Beitrag läuft Ende Juli. Ich bin mit dabei: verschwitzt, mit ungewaschenen Haaren, Sonnenbrille, die ich vergaß abzunehmen…..
Aber trotzdem war es schön.
Und ich freue mich, wenn viele meiner Leser  und Leserinnen etwas zur Erhaltung, Weiterentwicklung und Pflege des Grünen Bandes spenden.

Das Dritte Päckchen des Tages war dann eine Auenlandschaft bei Neustadt. Ich bin gerade auf dem Radweg an der Steinach unterwegs, denke, dass Radwege für die Wandrerin nicht gerade das Non-plus-Ultra sind, als ich den Kolonnenweg entdecke, der über eine Brücke führt. Die Steinach hatte die DDR-Grenztruppe begradigt. Nach der Wende hat sich das Flüsschen sein altes Bett geholt, und so ist eine Aueninsel entstanden: ein kleiner Urwald. Der Kolonnenweg ist hier so gut wie zugewachsen. Brenessel, Brombeeren, Windbruch von Birken und Pappeln – man muss schon einiges bewältigen. Aber es macht Spaß, so sehr, dass ich den Weg immer weitergehe und irgendwann an der Straße Neustadt – Sonneberg herauskomme. Dann muss ich zwar durch ein Gewerbegebiet wieder auf einem Radweg zurücklaufen – aber es hat sich gelohnt!

Der Kolonnenweg

10 Tage sind wir nun zu einem großen Teil auf dem Kolonnenweg gewandert. Langweilig? Immer gleich? Mitnichten. Zwar ist der Aufbau meist identisch. Links und rechts ausgelegte Betonplatten mit Lochmuster, sehr verwitterungsbeständig. In der Mitte ein freigelassene Streifen Bodengrund – nicht immer gleich breit. Grenzfahrzeuge konnten – sogar mit einer Art Militär-T rabi – jeden Punkt der Grenze erreichen.
Heute, Jahrzehnte später, zeigt sich dieser „Wanderweg“ vielfältig.
Es gibt quergelegte Lochplatten, und es gibt hochgelegte. Die quergelegten sind zum Wandern besser.


Manchmal gibt es Betonplatten, die keine Muster haben, sondern nur am oberen und unteren Ende zwei quadratische Löcher. An Kurven gibt es – sehr selten – Betonplatten ohne jegliches Loch.
Viel interessanter ist aber das Verhalten des Untergrundes und der die Platten umgebenden Natur: Manchmal ist das Betonlochmuster von den Grassoden voll ausgefüllt. Dann geht es sich federnd leicht. Manchmal sind die Löcher ausgefüllt mit allen Arten von Wildkräutern und Pflanzen: Klee, blühende Pflanzen, Wildrosen. Das sieht sehr schön aus, verleitet zum Fotografieren, ist für das Wandern aber ungeeignet. Noch ungeeigneter sind tiefe Löcher, die gar nicht ausgefüllt sind. Das ist dann die Rache des DDR-Systems am Wanderer! Hier hilft nur äußerste Konzentration.


Die Lochmuster sind das eine, die unbetonierte Mitte ist ein anderes: Manchmal sind sie – von z.B. Schafen sehr gepflegt – dann kann man „durch die Mitte“ gehen. Manchmal wachsen Gras, Johanniskraut, Schafgarbe fast meterhoch – dann geht in der Mitte gar nichts .

Manchmal führt der Kolonnenweg durch Wald, wie an den Saaleschleifen, dann gehen wir in der Mitte auf federnden Waldboden. Und manchmal ist der Kolonnenweg einfach überwuchert – wie im Auenwald bei Neustadt. Dann ist man auf spannender Spurensuche.
Nein, der Kolonnenweg ist nicht eintönig. Er ist mit ordentlichem Schuhwerk auch keine Stolperfalle. Er ist einfach ein Weg der Konzentration auf das Wesentliche von Vergangenheit und Gegenwart.

Ärmla, Beela, Wanstla – im Puppenmacherland

Da meine Etappe am Dienstag schon früh in Neustadt bei Coburg endet, habe ich viel Zeit für das hübsche kleine Städtchen, seinen Marktplatz, die Cafés und vor allem für das Spielzeugmuseum.
Zwei sehr freundliche Damen im Café haben mir den Tipp gegeben: Das Museum in Sonneberg sei zwar älter und grösser, aber das von Neustadt sei auch sehr, sehr schön. Sie selbst seien allerdings noch nicht dort gewesen, sagt die eine der beiden Damen. Von ihnen erfahre ich übrigens auch, wie man nach Meilschnitz kommt, wie die Nummer des Taxis ist, in welcher Gastwirtschaft es das beste fränkische Essen gibt, und dass die Neustädter früher alle für und von dem Puppenmachen gelebt hatten. „Viele als Heimarbeiter oder als Kleingewerbetreibende. Aber meistens haben sie ja Einzelteile für die großen Betriebe hergestellt: Ärmla, Beela, Wanstla.“

Das Museum ist wirklich toll. Man erfährt sehr anschaulich vieles über die Puppenmacherei seit dem 18. Jahrhundert, es gibt eine beeindruckende Sammlung von Trachtenpuppen aus aller Welt. Diese Sammlung legte den Grundstein für das Museum. Und es gibt auch eine moderne Puppenkunstausstellung (Hanne würde sich freuen, sie zu sehen – und was zu kaufen!)

Mein Höhepunkt war aber die Kinderabteilung im Untergeschoss: Riesengroße Glasvitrinen, eigentlich Puppenbühnen hinter Glas. Darin dreidimensionale Wimmelbilder mit Puppen. Von Dornröschen, von einem Zoo oder von Wilhelm Buschs „Max und Moritz“. Am allerschönsten sind aber die Vitrinen, die die verschiedenen Berufsbilder innerhalb des Puppenmacherhandwerks zeigen: Der Bossierer, der Drücker, der Puppenstopfer, der Puppenkopfmaler, der Augeneinsetzer, der Puppenfriseur…..
Ich bin immer noch ganz fasziniert, während ich in der Gastwirtschaft Eckstein sitze, einen Frankenwein trinke, eine ganz frische Forelle esse und die Aussicht auf den Neustädter Marktplatz genieße. Prost!

Wenig Strecke, viele Kilometer

Auch das gibt es: mutwillig zerstörte Informationstafeln zum Grünen Band und dem Naturschutz. Gesehen oberhalb von Meilschnitz.

Ich war durch den Wanderführer vorgewarnt: Der Kolonnenweg bei Meilschnitz sei sehr steil. Und das war nicht übertrieben. Obwohl es noch früher Morgen ist, schwitze ich aus allen Poren. Ich kann mir kaum vorstellen , dass hier Fahrzeuge hoch kommen. Na ja, Militärfahrzeuge wohl schon.
Dabei ist der Weg durch den Wald toll. Ganz still ist es. Über mir,  gar nicht hoch, kreist ein Raubvogel. Ein Reh springt über den Weg. Das dritte bisher auf der gesamten Tour.

Oben am Isaak liegt der „Generalsblick“. Hierher führten DDR-Grenzoffiziere ausländische Militärs hin, um ihnen die „perfekte Grenze“ zu zeigen. Heute habe ich einen wunderbaren Ausblick über die Bäume bis nach Sonneberg.

Dann geht’s weiter hoch bis zur Straße. Und dann kommen die Bremsen (pfälzisch). Nichts hält sie ab. Obwohl ich mit Mückenspray eingerieben bin, finden Sie immer noch einen Platz zum Zustechen.
Ich verlasse fluchtartig den Platz und laufe auf der gegenüberliegenden Seite Kolonne weiter. Am Waldrand jetzt rechts Felder, Birken säumen den Weg, dann geht’s wieder rein in den Wald, immer schön auf einer Höhe – und dann ist der Weg weg. Ich erahne noch, wo es lang gehen könnte, merke aber, dass alles keinen Zweck hat. Einen kleinen Pfad gehe ich ein paar Meter ins Dickicht, gebe aber auch das bald auf. Auf den Infotafeln am Wegrand, wird immer wieder vor Minen gewarnt, die möglicherweise noch im Boden liegen. Da habe ich viel zu sehr Schiss.
Also Kehrtwende und alles wieder zurück, die Straße erst runter nach Effelder und wieder hoch nach Rückerswind. In Effelder bestätigt man mir, dass ich durchaus richtig war. Und Minen gibt’s hier nicht mehr. „Wir gehen dort oben ja auch in die Pilze und in die Beeren!“
Dann ist es aber ein schöner Weg ins Tal der Effelder, weiter durch den Talgrund bis zum Froschgrundstausee, der von der gigantischen ICE-Brücke der Strecke Nürnberg – Berlin überspannt wird. Und: In einem Restaurant am See gibt’s gutes Essen.

In Weißenbrunn hoch über dem Stausee tut mir der Wasserfall nicht den Gefallen: Es gibt kein schönes Foto, weil das Wasser fehlt. Also auf nach Almerswind und dann noch mal 2,5 Kilometer bis Schalkau. Das erste Mal spüre ich die gelaufenen Kilometer. Es war ein sehr heißer Tag. Und durch den Umweg habe ich zwar 29 Kilometer, aber keine „Strecke gemacht“.

Die mauer

Mauerstück bei Görsdorf: Es ist nach Mödlareuth und Heinersdorf das dritte Dorf an der ehemaligen Grenze, das durch eine Mauer geteilt bzw. abgeschirmt wurde.

 

Zum 3.oktober 1990

Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht,

wie hoch sie ist

in uns

 

Wir hatten uns gewöhnt

an ihren horizont

 

Und an die windstille

 

In ihrem schatten

warfen alle keine schatten

 

Nun stehen wir entblößt

jeder entschuldigung.

Rainer Kunze

 

 

In einem kühlen Grunde

Der Weg von Schalkau nach Eisfeld heute ist trotz der Hitze ein Genuss. Schon um 7 Uhr hat mir die Zimmerwirtin den Kaffee gebracht. Sie war Spielzeugfacharbeiterin in der DDR: „Lang ist das her“, sagt sie. Ein paar Puppen stehen noch in einer Vitrine.

Zurück in Almerswind, wo ich gestern auf dem Hinweg schon vorbei gekommen war. Da hatte mir die Gastwirtin ein großes Glas Wasser gegeben und den Weg nach Schalkau gezeigt.
Dort entdecke ich das wunderschönste Schieferhaus auf der ganzen Tour: Schieferwände mit Staniolmalerei. Überhaupt sind die Häuser hier in den Dörfern der Umgebung fein rausgeputzt, ohne „Schickimicki“ zu sein. In Weissenbrunn am Wald zum Beispiel: Mit viel Einfühlungsvermögen hergerichtete Fachwerkhäuser, daneben Bauernhöfe, wo es den Misthaufen im Hof noch gibt und die Gänsefamilie auf der Wiese zum Bach spaziert.

Von Almerswind aus geht es immer auf dem Kolonnenweg zügig hoch und dann durch den Wald. Heute komme ich mal sehr schnell voran. Und wenn man so mitten im Sinnieren ist, mit sich und der Welt und dem Weg im Reinen,  wird es wieder verstörend: In diesem Wiesengrund stand einmal eine Mühle. Nichts außer einem Hinweisschild erinnert daran. Die Weihersmühle wurde 1515 (!) zum ersten Mal erwähnt. Nie scherte sich jemand daran, dass sie an der Landesgrenze zwischen Coburg und Meiningen , später Thüringen und Bayern lag. Bis 1961 die Mauer in Berlin gebaut wurde. Da wurden die Besitzer nach Schmalkalden umgesiedelt, weil man sie verdächtigte, Menschen bei der Flucht geholfen zu haben. Das Gehöft wurde abgerissen. „In einem kühlen Gründe“….
Nach Görsdorf, dem Dorf mit der Restmauer, verändert sich die Landschaft unmerklich. Viele Kiefern neben Fichten, Heidekraut, Ginster ( was muss das an Pfingsten für ein gelber Rausch sein!), Sandboden.

Ich gehe durch das Naturschutzgebiet Görsdorfer Heide. Es ist entstanden, weil ein Regime einst einen todbringenden Zaun durch ganz Deutschland gezogen hat. Heute bietet es vielen seltenen Pflanzen und Tieren Schutz. Damit das so bleibt, muss diese „Kulturlandschaft“ ständig gepflegt werden. Sonst verbuscht sie. Verrückte Welt!
In Eisfeld, in der Nähe der Autobahnabfahrt, am damaligen Grenzübergang übernachte ich im Waldhotel Hubertus. Hubert hätte es jetzt nicht so sehr zugesagt. Mir ehrlich auch nicht. Aber die Bedienung war sehr freundlich.

Das Parfum des Grünen Bandes

 

Ich weiss ja nicht, ob es daran liegt, dass ich seit 7 Wochen nicht mehr rauche, oder daran, dass in diesem relativ unberührten Teil Deutschlands manches intensiver riecht, oder dass die sommerliche Hitze verantwortlich war, oder alles zusammen – auf jeden Fall sind mir die Gerüche dieser Wanderung besonders hängen geblieben.

Sie duften gewissermaßen nach: die Felder von Kamilleblüten im Vogtland, der scharfe Gestank des Misthaufens bei Eisfeld, der Geruch von „glücklichen Kühen“ in Schalkau, der Wildgeruch in der Nähe einer Wildschweinkuhle im Frankenwald, der Duft von gemähten Gras in den Langen Bergen, von wildem Thymian bei Mödlareuth, von Schafen, Ziegen und Pferden überall am Grünen Band, von frisch gehauenem Holz am Rennsteig und, und, und…..

Schade, dass man das im Blog nicht weiter reichen kann.

 

Grenzenlos wandern

Mein letzter Wandertag. Leider, denn eigentlich würde ich gerne noch einige Tage weiter laufen. Aber ich habe keine Wanderkarten mehr. Und nur die kleinen Kartenausschnitte im Wanderführer sind – wie sich herausgestellt hat – einfach nicht ausreichend.
Doch die letzten 22 Kilometer werden noch einmal sehr schön.
Von der ehemaligen Grenzübergangsstelle Rottenbach – Eisfeld wandere ich die Langen Berge hoch. Nein, es geht nicht sehr steil aufwärts. Das Maß aller Dinge war der Weg bei Meilschnitz, das „Alpe d’Huez“ des Kolonnenweg-Wanderers!
Heute laufe ich meistens durch Wiesen, Feldfluren, vorbei an Streuobstwiesen und Waldesrand. Es ist ein Hochsommertag.
Das Grüne Band ist hier sehr gepflegt, denke ich gerade, als ich in dieser absoluten Einsamkeit und Stille plötzlich Autogeräusche höre, die hinter mir immer näher kommen. Es ist Verena Volkmar vom Landschaftspflegeverband „Thüringer Grabfeld“ e.V. , der das Grüne Band in der Region pflegt schützt. Zusammen mit Landwirten, Schäfern und Schäferinnen erhält der Verein auf schonende Weise die Freifläche, bewahrt sie vor Verbuschung und bringt alle Betroffenen und Interessierte an einen Tisch, um sie in Planungs- und Umsetzungsprozesse einzubinden.
Verena Volkert kommt gerade von einer der Schäferinnen, die sie betreut. Jetzt will sie sich noch ein paar Stellen am Grünen Band anschauen. Man merkt sofort: Da ist jemand mit dem ganzen Herzen am Werk.

Ein paar Minuten später sehe ich rechts am Wegrand Kreuze. Hier, bei Harras, wurden 1975 zwei Grenzsoldaten von einem flüchtenden NVA-Angehörigen erschossen. Auch das ist passiert an dieser unmenschlichen Grenze.
Auf der Informationstafel werden die Grenzsicherungsanlagen detailliert beschrieben: „…Der Grenz- und Signalzaun stand unter Strom (ca. 60 Volt) und reagierte auf Berührung, welche auf 50 Meter genau lokalisiert werden konnte …“
Ich schaue mich um: Die Aussicht ist fantastisch. Diese Weite. Man schaut bis an den Horizont.
Was passiert mit Menschen, die jahrzehntelang eingeschlossen werden? Hier, wo es nur Natur und Landwirtschaft gab? Wie werden sie? Was treibt sie?
Mit festem Schritt laufe ich weiter. Grenzenlos wandern.
In Hetschbach verabschiede ich mich für dieses Jahr vom Kolonnenweg. 14 Tage war ich auf ihm unterwegs. Vergangenes Jahr bin ich in der Heimat gewandert.  Dieses Jahr in einem mir unbekannten, ja fremden Teil Deutschlands. Das war eine gute Idee, die ich irgendwann an der Ostsee zu Ende bringen möchte.

In Bad Rodach beende ich meine diesjährige Etappe am Grünen Band. Das hat auch etwas: Ich bin sozusagen von Kurbad zu Kurbad gegangen – von Bad Elster nach Bad Rodach.

Dort geblieben sind ein einzelner Socken in Blankenberg, mein schöner Strohhut irgendwo an der Saale, nutzloses Mückenspray in Schalkau, mein löchriges Trägershirt am Ziel in Bad Rodach,  Stress und die Hektik irgendwo auf dem Grünen Band.

Mitgebracht habe ich eine Unzahl von Bildern (im Kopf und auf dem Tablet), Erinnerungen an durchweg freundliche und hilfsbereite Menschen, die schon Auskunft geben wollen, bevor ich gefragt habe, oder die einen einfach so zum Kaffeetrinken einladen. Gelernt und erfahren habe ich vieles über die ehemalige innerdeutsche Grenze, was so niemand in einem Geschichtsbuch lernen kann.

Dafür ist mein Unverstädnis denjenigen gegenüber, die heute wieder Grenzen und Mauern errichten wollen, – ob in Europa oder in Amerika – noch einmal grösser geworden.

Klar ist mir mal wieder geworden, dass es Menschen gibt, die in Ruhehaltung ruhig werden, und solche, die durch Bewegung zur Ruhe kommen. Ich gehöre zur letzteren Gruppe.

Bis zur nächsten Wanderung.

Ich bin dann mal wieder da!

 

 

 

 

© 2024 Wolkenfolgen

Theme von Anders NorénHoch ↑