Reisen

Autor: Baobab (Seite 3 von 20)

Hinterm Horizont gehts weiter

Dass ich dieses Jahr noch einmal zu Fuß auf dem Grünen Band unterwegs bin, das heißt, dass ich es jedenfalls versuche, war eigentlich im November letzten Jahres kaum vorstellbar. Eine Routine OP am Meniskus war aus dem Ruder gelaufen und ein kaputtes Knie das Resultat. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Und jetzt bin ich zusammen mit meiner Nichte Julia unterwegs von Duderstadt Richtung Harz Wir werden sehen, wie weit uns die Füße tragen und mein Knie hält.
Heute jedenfalls ist erst einmal Relaxen angesagt im Wellnesshotel Teistungenburg. Zu Vorzeiten im 13. Jahrhundert stand hier ein Kloster der Zisterzienserinnen. In den Bauernkriegen und im 30jährigen Krieg wurde das Kloster zerstört und geplündert, die Nonnen flüchteten nach Duderstadt. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts begann der Neuaufbau. Doch bereits ein knappes Jahrhundert später wurde das Areal im Zuge der Säkularisierungswelle unter Napoleon verkauft (Duderstadt war damals Verwaltungszentrum des Departement Harz).
Und damit nicht genug: Als nach dem Grundlagenvertrag 1972 in Teistungenburg ein „kleiner Grenzverkehr“ eingerichtet wurde, ließen die DDR-Behörden das Kloster schleifen. Sie hatten Angst, dass sich dort Flüchtlinge verstecken könnten.


Heute stehen nur noch die Klostermauer, die einen Hinweis auf die ehemaligen Ausmaße der Anlage gibt, und der Rinderstall – heute Tagungshaus.
Ansonsten ist nicht mehr Beten und Arbeiten angesagt, sondern Entspannen und Relaxen. Temporär mutantur….

 

 

Nach Duderstadt

Am Morgen verabschiede ich mich von meiner Tochter, die zurück muss. Als Rentnerin habe ich die Freiheit, ohne Terminstress einen Tag weiter zu wandern. Und da die Sonne auch heute aufs Eichsfeld scheinen soll, mache ich mich auf den Weg nach Duderstadt, der bunten Fachwerkstadt im Eichsfeld und früher Grenzstadt. Hier haben meine Schwiegereltern lange Zeit gelebt, hier sind sie auch begraben. Am Start meiner letzten Etappe für dieses Mal umrunde ich die Kirche von Weissenborn, Teil einer Kirchhofburg aus dem Mittelalter. Hier, im Grenzgebiet zwischen dem Mainzer Erzbistum und den Welfen kam es im 30jährigen Krieg des öfteren zu Auseinandersetzungen. Die dicke Ringmauer schützte Mensch und Vieh.

Es ist ein Sonntagmorgen, wie ich ihn mir schöner nicht wünschen kann: Frühtau, Vogelgezwitscher, der Eichelhäher kündigt im Buchenwald mein Kommen an, und der Hase  springt davon, wenn ich auf freies Feld komme. Der Weg führt durch Wiesen, schmale Waldpfade und dann immer mal wieder auch auf dem Kolonnenweg, der aber oft abrupt vor einem Rapsfeld endet.

Wenn ich auf den Höhen stehe, leuchten in den Tälern die roten Dächer der Fachwerkhäuser, die sich um die Kirche, das Feuerwehrgerätehaus  und den Dorfplatz mit Kastanie gruppieren.

Es ist ein wenig wie in den Märchenfilmen aus den 70er Jahren, als die Regentrude unter einem Baum schlief und Frau Holle die Betten ausschüttelte.

Ich komme an Steinen aus dem Jahr 1781 vorbei, die die Grenze zwischen dem Königreich Preußen und dem Königreich Hannover markierten. Keine 2 Meter weiter steht noch der alte DDR-Grenzpfahl und zeigt wieder einmal, dass die Alliierten die Demarkationslinie beim Potsdamer Abkommen im wesentlichen von den alten Grenzziehungen übernommen hatten.

Auf einer Anhöhe zwischen Böseckendorf und Nesselröden raste ich an einem Ort, an dem der Böseckendorfer Flucht gedacht wird, als 1961 die Hälfte der Dorfbevölkerung über den verminten Grenzstreifen nach Nesselröden floh.  Es war die Zeit der Zwangsumsiedlungen an der Grenze, in der auch viele Gehöfte leergeräumt und dann dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Heute ist von all diesem Leid nichts mehr zu sehen. Die Ortschaften an der Grenze sind schmuck hergerichtet, man feiert alljährlich den Schützenkönig und die Schützenkönigin und es gibt Plakate, die zur Männerwallfahrt an Christi Himmelfahrt einladen.

Aber während im Ortskern das Fachwerk und die Bauerngärten vorherrschen, sieht es am Dorfrand im Neubaugebiet aus wie in all den anderen Neubaugebieten Deutschlands: geschotterte Vorgärten mit Rhododendron, Kirschloobeer und Hortensien, Doppelgaragen und Zierrasen.

Und auch auf freier Flur ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen: Die Rapsfelder, so schön sie im Mai aussehen, haben LPG-Ausmaße. Einmal gehe ich fast 2 Kilometer an einem Rapsfeld entlang, bevor es von  einem Kornfeld mit ebensolcher Länge abgelöst wird.

Nach 17 Kilometern bin ich in Immingerode, wo ich die Grenzwanderung beende und auf dem Radweg ins 3 Kilometer entfernte Duderstadt laufe.

Ein Bett im Kornfeld

Es ist der Tag, an dem der Himmel wolkenlos ist, die 50 -Faktor-Sonnencreme zum Einsatz kommt, und es ist der Tag, an dem wir die meisten Kilometer zurücklegen: 23. Ich weiß nicht, ob ich mir das alleine zugetraut hätte.

Wir starten vor 9 Uhr, bestens versorgt mit Broten und der guten Eichsfelder Stracke. Wir gehen anfangs ein Stück auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda, treffen aber immer wieder auf den Kolonnenweg. Und damit bin ich bei einer weiterem Superlativ; Es ist der Tag, an dem wir gefühlt jede Biegung der ehemaligen Grenze „ausgehen“. Dabei wird der ganze Grenz-Irrsinn mit den Füßen erfahrbar.

Der „antifaschistische Schutzwall“, der aber seine tödliche Gewalt nur nach innen, also gegen die eigenen Bürger und Bürgerinnen richtete, kostete die DDR allein zwischen 1961 und 1964 1,8 Milliarden Mark der DDR. Die laufenden Unterhaltskosten wurden auf jährlich rund 500 Millionen Mark geschätzt. Stacheldraht, Grenzzäune, Millionen von Bodenminen, Beobachtungstürme und Erdbunker, Hunde-Laufanlagen, Warnsysteme und Sperrgräben für Kraftfahrzeuge.100.000 Mark kosteten die fürchterlichen Splitterminen je Kilometer. Dazu das Personal….

1.400 Kilometer lang war der Todesstreifen. Dazu kommen noch mehrere 100 Kilometer Anfahrten. Über die ganze Länge führte der Kolonnenweg, der wohl für die Ewigkeit gebaut worden ist.

Heute genießen wir dort, wo vor 40 Jahren noch Menschen erschossen wurden, die herrliche Natur: Löwenzahnwiesen, die jetzt, im Mai, aussehen, als seien sie mit einem zarten Federflaum bedeckt Ginster, Buchenwälder, Landwirtschaft, Feldhasen und Vogelgezwitscher.

Aber dann lässt sich unsere ansonsten zuverlässige App im Stich: Der Kolonnenweg führt in ein Kornfeld. Wir folgen den Traktorenspuren, bis es nicht mehr weiter geht. Das „Bett im Kornfeld“ wäre zu dieser Jahreszeit definitiv zu feucht. Wir drehen und suchen uns einen neuen Weg. Erfolgreich.

In Siemerode erwartet uns ein kleines Paradies: „Conny’s Eiscafe“ mit selbstgemachtem Eis und starkem Kaffee. Danach sind die 2 Kilomter nach Weissenborn ein Klacks.

Die Bio-Pferdepension, wo wir übernachten, ist wie ein Relikt aus den alternativen 80ern. Aber die Menschen sind freundlich, das selbst gebackene Brot köstlich, und nach dem gemeinsamen „Abendbrot“ versammelt sich das halbe Dorf um den Maibaum bei mitgebrachten Salaten, Grillwurst und Bier. Herz, was willst du mehr in der Mitte Deutschlands?

 

 

 

„Wir wussten schon, dass Ihr kommt, da wusstet Ihr es selbst noch nicht!“

Wieder hält die Realität, was die Wetter-App versprochen hat: Sonnenschein im Eichsfeld. Nach einem herrlichen Frühstück mit Käse, frischen Eiern und alle Sorten Eichsfelder Wurst – schließlich gehört zum Klausenhof auch ein Wurstmuseum – machen wir uns auf zu einer vorgeblich „leichten Tour“ von 17 Kilometern nach Reiffenhausen, die es in sich hat. Drei kurze aber heftige Anstiege bringen uns ins Schwitzen. Entschädigt werden wir durch einen wunderbaren Frühlingstag, den Duft von blühenden Bäumen und Sträuchern, Vogelgezwitscher, Orchideen und Schlüsselblumen auf den Magerwiesen und über uns die Raubvögel.

Wie eine Narbe führt der Kolonnenweg durch die Idylle, zieht sich über die Hügel, hinunter ins Tal, zum Horizont und darüber hinaus bis an die Ostsee. Spuren der einstigen Teilung Deutschlands, bis heute spürbar.

Bis zum Meer reicht die Sicht natürlich nicht, aber der Blick kann sehr weit schweifen, und wir meinen, in der Ferne den Brocken zusehen.
Gerade zum richtigen Zeitpunkt taucht das Rittergut Besenhaus auf. Dort ist in einer ehemaligen Zuckerfabrik das wunderbare Café Rosenwinkel untergebracht. Der Stachelbeerkuchen mit Baisser ist ein Traum.
Das Gut gehörte ebenfalls der Familie Hanstein, an deren Burg wir morgens noch vorbei gelaufen sind. Das Potsdamer Abkommen sah vor, dass die Demarkationslinie mitten durch das Gelände gehen sollte: Das Gutshaus und der Hof auf sowjetisch besetzter Seite, die Wassermühle mit dem Wehr an der Leine und den Häusern der Arbeiter auf britischer Seite. So hätte das Gut nicht existieren können. Es kam zu einem Tausch: Die Russen durften das Gutshaus drei Tage lang plündern, danach wurde die Grenze verschoben, so dass das gesamte Gut zum westlichen Sektor kam.
Dann wechseln Landschaft und Stimmung: Wir kommen ins agrarwirtschaftlich geprägte Obereichsfeld mit kleinen Ortschaften wie aus dem Ei gepellt. Der Verkehr nimmt zu, die A38 ist nicht weit – und der Lärm der Autobahn ist nach einem Tag der Stille sehr laut.
Aber schon sind wir am Waldesrand und im idyllischen Reiffenhausen, wo wir eine Ferienwohnung gebucht haben. Wir bekommen ein ganzes Haus für eine Nacht. In der nahe gelegenen Gaststätte am Campingplatz erwartet man uns bereits zum Essen. Es gibt selbst gemachte Königsberger Klopse.
„Wir wussten schon, dass Ihr zum Essen kommen würdet, als Ihr es selbst noch nicht wusstet“, werden wir begrüßt. Nachbarschaftshilfe und Vereinsleben werden hier großgeschrieben. Und der Dorffunk funktioniert einwandfrei. Und weil es morgen sehr sonnig werden soll, wir keinen Sonnenschutz dabei haben, fährt der Platzwart des als Verein betriebenen Campingplatzes meine Tochter kurzerhand noch zu einem Supermarkt in Richtung Friedland.
Hier ist die Welt wirklich noch in bester Ordnung!

Idylle in Reiffenhausen

 

Die Sage zur Teufelskanzel: Vom Brocken, vom Meißner und der Werra

 

Es war ganz eigentümlich: Als ich mit meinem schweren Rucksack japsend endlich den steilen Hang die 400 Meter hinauf zur Teufelskanzel geschafft hatte und oben auf der notdürftig gesicherten Plattform balancierte, kamen mir sofort Bilder vom Brocken und der Walpurgisnacht in den Sinn. Und tatsächlich, wie ich später erfuhr, sind beide Orte in einer Sage verbunden: Als nämlich in einer jener berauschenden Frühlingsnächte der Teufel von einer Kanzel auf dem Brocken den Hexen die Leviten gelesen hatte, fragte ihn eine im Scherz, ob er denn die Fels-Kanzel, ohne sich auszuruhen, zum Hohen Meißner auf dem linken Werra-Ufer tragen könne. Der Teufel, immer vor Übermut und Selbstbewusstsein strotzend, sah dies als eine Kleinigkeit an, packte den Felsblock und brauste Richtung Meißner. Doch dann kam er auf dem Höhberg, noch auf der rechten Werra-Seite, ins Schwitzen. Am Ende seiner Kräfte, musste er ausruhen. Wieder eine Kleinigkeit, dachte er, denn in dieser menschenleeren Gegend würde ihn ja sowieso niemand sehen, wenn er kurz verschnaufen würde. Da hatte er aber die Rechnung ohne das kleine Hexlein gemacht, das ihm auf einem Besen gefolgt war und ihn sofort einen Prahler und Angeber schimpfte.

Vor Wut stürzte sich der Teufel in die Werra, wo er sein Höllengrab fand. Die Werra aber fuhr schaudernd zur Seite und fließt noch heute in Form eines mächtigen Hufeisens. Der Felsbrocken hoch über der Werra wird seither vom Volk „Teufelskanzel“ genannt.

 

Die Whysky-Wodka-Route

Es nieselt, als wir am Morgen von Bad Soden-Allendorf in Richtung Bornhagen, unserem Tagesziel in etwa 15 Kilometern, starten. Der Regen sollte, wie vorhergesagt, mit ganz kleinen Unterbrechungen nicht aufhören. Die Stadt war grau, das Bergland um die Werra lag im Nebel, aber wir waren guten Mutes, gestärkt durch ein reichhaltiges Frühstück im Hotel am Schwanenteich, und zudem mit professioneller Regenbekleidung ausgerüstet.

Unterwegs im Eichsfeld: Das Mainzer Rad ist hier allgegenwärtig.

Durch das noch verschlafene Allendorf geht es an der Werra lang. Bald stoßen wir auf das Plakat, dass anzeigt, wo genau in dieser Gegend Deutschland bis November 1989 geteilt war. Die Grenze verlief vom Sickenberg den Berg hinunter bis zur Werra. Wobei der Grenzverlauf hier und dann noch mal an der Werrabrücke in Lindewerra anders verlief, als die Alliierten es noch vor Kriegsende im Berliner Protokoll vorgesehen hatten. Dort war geregelt worden, dass die Grenze zwischen der Besatzungszone der Westmächte und der der Sowjetunion entlang der ehemaligen kurhessisch-thüringischen Grenze verlaufen sollte. Dumm war nur, dass eine wichtige Nachschublinie der US-Besatzungsmacht, die Bahnstrecke Bebra–Göttingen als Teil der Nord-Süd-Strecke, zwischen Bad Sooden-Allendorf und Eichenberg auf einer Länge von vier Kilometern durch die Sowjetische Besatzungszone verlief. Die Folge: Nachts verschwanden auf besagtem Streckenabschnitt ganze Güterladungen der Amerikaner. Am 17. September 1945 bereiteten dem Unwesen ein amerikanischer und ein russischer General ein Ende. Bei viel Whysky und Wodka verabredeten sie per Handschlag den Tausch von Ortschaften und einen neuen Grenzverlauf: Die 4 Kilometer Bahnstrecke mit den Ortschaften Werleshausen und Neuseesen wurde den Westmächten zugeschlagen, 5 hessische Dörfer – Sickenberg, Asbach, Weidenbach, Mackenrode und Vatterode fielen an die Russen. Der neue Grenzverlauf wurde spöttisch die Whysky-Wodka-Linie genannt.

In Wanfried tauschten ein russischer und ein amerikanischer General bei viel Alkohol einfach mal Gebiete aus: Das linke blau eingefärbte Gebiet kam zur amerikanischen Zone, und damit hatte der Güterverkehr wieder freie Fahrt. Der blaue Teil rechts im Bild um Sickenburg wurde sowjetische Besatzungszone, was eine große Fluchtbewegung auslöste.

Hier sind wir jetzt unterwegs, erst entlang der Werra, wo rechts neben dem Fahrradweg noch der alte Kolonnenweg erhalten ist, bis zur Werrabrücke bei Lindwerra. Die war in den letzten Kriegstagen noch von den Nazis zerstört worden, später in der DDR wie alle Werrabrücken natürlich nicht mehr erneuert worden, weil die Grenze durch die Werra lief. Nach dem Mauerfall war es dann das ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger, das half, die Brücke wieder aufzubauen.


In Lindewerra hat der Regen aufgehört und wir steigen langsam 400 Höhenmeter auf durch unwirklich grünen Buchenwald bis zur Teufelskanzel. Eine Stunde brauchen wir. Die Zeit hat sich auch Theodor Storm im Mai 1857 genommen als er diesen Weg mit einem jungen Künstlerfreund erklommen hat. Wegen einer Behinderung des jungen Mannes hatte sich die Gesellschaft im Dorf einen alten Hengst gemietet. 10 Jahre später beschreibt Storm die Wanderung in der Novelle „Eine Malerarbeit“:

„Endlich war die Teufelskanzel erreicht. Sie war nicht unbefugt, diesen Namen zu führen; lotrecht schoß der Fels über hundert Klafter in die Tiefe, wo sich unten im Sonnenglanz die lachendste Landschaft ausbreitete. Durch grün Wiesen, Dörfern und Wäldern vorbei, floß in vielen Krümmungen ein glänzende Strom, dessen Rauschen in der Mittagsstille zu uns heraufklang, und drüber her, in gleicher Höhe mit uns, standen die Lerchen flügelschlagend in der Luft und mischten ihren Gesang in die Musik der Wellen. Wer dessen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Liebeslust bestürmt werden.“

Als wir oben auf der Teufelskanzel stehen, lacht keine Landschaft im Sonnenglanz. Aber die Vögel zwitschern und der Blick auf die Werra-Schleife, die nebelverhangenen Berge und die gelben Rapsfelder wäre ein romantisches Motiv für Caspar David Friedrich.

Die Werra-Schleife im Nebel von der Teufelskanzel aus.

Die Werra-Schleife im Nebel von der Teufelskanzel aus.

Im Übrigen bezweifle ich, dass der Berggasthof auf der Kanzel den Gästen damals so vorzüglich aufgetischt hat wie der heutige Wirt es bei uns tat.
Gestärkt und im immer heftiger werdenden Regen gehen wir über die Junkerskuppe dann zur Burg Hanstein und zum Klausenhof. Dort erwartet uns nicht nur ein uriges Zimmer, sondern auch ein vorzügliches Abendessen.

Frühstück im Klausenhof: deftig und gut.

o

 

Wieder auf dem Band: Bad Sooden-Allendorf und das Grenzmuseum

Fast zwei Jahre sind es her, seit ich auf dem Hülfensberg meine Tour auf dem Grünen Band ein paar Tage früher als geplant abgebrochen hatte. Das Wetter war einfach zu schlecht. Eine gute Entscheidung, denn zuhause stellte sich heraus, dass ich zudem einen Ermüdungsbruch im Becken hatte. Das waren auch die Schmerzen gewesen, die mich am letzten Tag so schrecklich geplagt hatten. Jetzt also ein neuer Aufbruch. Das Wetter ist nicht so, wie ich es mir gewünscht habe, ich habe allerdings meine Tochter als Begleiterin. Wir planen nur ein paar Tage unterwegs zu sein. Einmal, weil ich ausprobieren will, wie meine Knochen das Laufen mit Gepäck verkraften. Zum anderen, weil ich die 4 Tage vorher bereits mit Freunden auf dem Werratal-Radweg unterwegs war. Wir starten in Bad Sooden-Allendorf, wo ich nach der Fahrradtour einen Ruhetag eingelegt habe. Das Kurstädtchen ist tatsächlich eine „Bindestrich-Stadt“. Diesseits der Werra der Kurort Bad Sooden mit Jugendstilvillen aus der Hochzeit des Kurens, dem Gradierwerk, dem Kurpark, dem stylischen Kurtheater (Kino) aus den 60er Jahren und der Therme. Jenseits der Werra Allendorf mit seinem geschlossenen Altstadtkern aus beeindruckenden Fachwerkbauten. Fürs Herz hat Allendorf auch was, denn durch die vielen Wehre sind zahllose Seitenarme und kleine Inseln in der Werra entstanden. Die Gegend rund um die Fischerstad nennen die Einheimischen deshalb „Klein-Venedig“.

Brücke über der Werra, die Bad Sooden und Allendorf verbindet

Auch wenn die Blütezeit der beiden Städte schon lange vorbei ist, so erahnt man bei einem Spaziergang doch, wie reich die Stadt durch Salzgewinnung und -handel einmal gewesen war. Und wie kreativ zudem, das  Gradierwerk zur Salzgewinnung in späteren Zeiten zum Aufbau als Kurstadt zu nutzen.

Ich wiederum nutze den Ruhetag, um hoch auf den Sickenberg zu gehen, wo 1991 das erste Grenzlandmuseum erbaut worden ist. Das Museum „Schifflersgrund“ liegt auf thüringischer Seite und wird derzeit modernisiert. Besonders beeindruckend – und gleichzeitig erschreckend – sind die Außenanlagen mit einem 1500 m langen Metallgitterzaun, Reste des Kraftfahrzeugsperrgrabens, Suchscheinwerfern, Pfosten mit modellartigen Nachbildungen von Splitterminen und, und, und….

In einem Lagerraum steht noch der Schaufelbagger, mit dem hier am 29. März 1982 der Arbeiter Heinz-Josef Große die Flucht über den Grenzzaun versuchte – und von zwei jungen Grenzsoldaten erschossen wurde.

Der Schaufelbagger, mit dem Heinz-Josef Große vergeblich versuchte, die Grenze zu überwinden: Er wurde erschossen.

Er hatte als Zivilist jahrelang an der Grenze gearbeitet. An dem Tag seiner Flucht war er mit Erdarbeiten beschäftigt. Als er sich unbeobachtet fühlte, fuhr er an den Grenzzaun, legte den Auslader darüber, kletterte hinauf und sprang. Er versuchte, über die steile Böschung die Grenzlinie zu erreichen, wurde aber entdeckt und erschossen.
An ihn und andere Opfer des DDR-Regimes erinnern hier oberhalb von Bad Sooden-Allendorf einige Kunstprojekte, beeindruckend in die Landschaft gesetzt.

 

 

Schlösser von Schinkel und Co

Schloß Lomnica, Teil des Gesamtensembles

Das letzte Mal, dass ich eine Region mit einer solchen Schloßdichte gesehen habe, war bei einem Besuch an der Loire. Man kann im Hirschberger Tal tatsächlich jeden Tag ein paar Schlösser besichtigen, die von Schinkel und Co geschaffen wurden und deren Parks von Lenée und anderen Parkgestaltern für die damals Reichen, Schönen und Adligen angelegt worden sind. In Schloss Lomnica wollten wir ursprünglich übernachten, aber leider war das Hotel im ehemaligen „Witwenbau“ ausgebucht.   Das Palac ist ein ganzes Ensemble aus Schlössern, Park und Gutshof. Dort haben wir gegessen und in einem Leinenladen gestöbert.

Oder Schloss von Miłków (Arnsdorf) , in dem zwar Bier gebraut wird, das aber doch enge Beziehungen zum Rheingau hat: 1837 wurde es Residenz des Grafen Bernhard von Matuschka, Verfasser eines Kräuterhandbuches mit der Beschreibung der schlesischen Pflanzenwelt. Die Vorbesitzerin war übrigens auch eine interessante Frau: Gräfin von Lodron, die auf der Suche nach einem Unsterblichkeitselexier im Schloß experimentierte. Ihr Grab ist bis heute nicht gefunden worden, das Rezept ist aber auch verloren gegangen.

Bekannt ist das Palac Staniscow in Deutschland eher unter dem Namen Stonsdorf. Natürlich kaufen wir dort den Kräuterlikor, der übrigens viel frischer und fruchtiger schneckt als den , den ich bisher in Deutschland getrunken habe. Auch dieses Schloß ist zu einem Hotel umgebaut worden mit Wellness und Spa.

 

Schloß Milkow gehörte einst einem Grafen Matuschka.

Schloß Staniscow

 

 

Einer von mehreren Speiseräumen in Schloß Staniscow

Mit Rübezahl auf der Schneekoppe

 

Wir wollen auf die Schneekoppe, den höchsten Berg des Riesengebirges mit etwas über 1 600 m.
Die Schneekoppe, der Name hat für mich schon immer etwas Mythisches gehabt. Das ist das Reich von Rübezahl, der hier sein Unwesen oder, je nach Laune, seinen Schabernack treibt. Oder aber auch sein gutes Herz zeigt und einem armen Menschen einen Goldklumpen schenkt. Carl Hauptmann, der fast vergessene ältere Bruder des Nobelpreisträgers Gerhart, hat ein wunderbares Rübezahlbuch geschrieben, das im Gutenberg-Projekt auch online zur Verfügung steht!


In einer Einführung zu neun gesammelten und niedergeschrieben Rübezahl-Abenteuern reflektiert er: „Rübezahl erscheint seit Urzeiten in tausend lebendigen und toten Gestalten. Er entwischt durch die Lüfte wie der Sturmreiter, nachdem er noch kaum als starrer Steinklotz am Wege gestanden. Und er entwischt durch die Stubenritze wie eine rote Maus, und hat noch eben beim Tanze in der einsamen Baude mit der Wirtstochter Kapriolen geschlagen und aus rostiger Kehle gejohlt und gejodelt. Auch »alt« und »jung« sind für ihn keine Namen. Das Geheimnis ist, daß kein Mensch je sagen kann, was der Geist der Berge eigentlich ist…
Freilich weiß auch der Mensch von sich selber nicht, was er eigentlich ist?
Auch der Mensch macht ewig Verwandlungen durch. Einmal ist er ein kleines Wickelkind an der Mutterbrust, das nur seltsame Käuzchenschreie tut und wimmert. Dann wieder, wenn es zufällig ein Knabe ist, muß er als ausgescholtener Schulbube im Winkel heimlich gegen das harte Menschenschicksal räsonieren. Oder liegt als frischer, junger Försterbursche, von Wildschützen schwer angeschossen, im einsamsten Sommerwalde, fast verdürstend und muß sich mit den Fingern im Waldgras bis zum Bache krallen, um zu trinken. Derselbe kann noch als alter, weiser, mächtiger Grünrock durch die Welt gehen. Und jedenfalls hat schon mancher Mann, der vorher ein kühner Weltkaiser war, im kostbaren Brokatstuhl als ein kranker, jämmerlicher, armer Schlucker sitzen müssen, dem sein Grab geschaufelt vor der Nase lag.
Dabei ist Versteckenspiel genug.
Und vielleicht wird man eine Ewigkeit brauchen, um auch hier ganz dahinter zu kommen“.
Vom Riesengebirge selbst glaubt Hauptmann, dass es in seiner „gedehnten Erdwucht und seiner ewigen Frühlingsfruchtbarkeit selber die verzauberte Riesentochter ist, die weithin in alle Lande sichtbar unter dem hellen Sommerhimmel aufragt…“.


Und tatsächlich ist es keine schroffe Gebirgslandschaft, sondern es sind hohe, gerundete Kuppen, die sich weithin ins Land dehnen und mit etwas Fantasie an einen liegenden, barocken Frauenkörper erinnern.
Die Schneekoppe kann man auf drei Wegen mit je unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad erwandern. Oder man nimmt im unteren Teil eine Sesselbahn.

Die Schneekoppe ist auch ein Zwei-Länder-Berg: Hier die Sicht nach Tschechien.

 

Ich nehme den leichten Weg, der sanft in Serpentinen ansteigt. Links und rechts rückt der Wald recht nah. Überall sprudeln und gurgeln Gebirgsbäche. Pilze wachsen im Unterholz und die Beeren der Eberesche leuchten rot. Bis dann der Wald lichter und niedriger, der Weg breiter und für Spaziergänger*innen geeigneter wird. Schon bin ich auf der ersten Baude, an der sich mehrere Wanderwege treffen. Von hier aus geht es, mit zunehmend mehr Menschen, auf einer Hochebene über einen gepflasterten Weg bis zur Baude unterhalb der Kuppe. Dann heisst es nochmal steil 200 Höhenmeter hoch. Aber stürzen kann hier niemand, denn neben einer exzellenten Kettensicherung drängen au h Menschenmassen zum Gipfel. Würde man stolpern, würde man weich fallen.
Oben ist es kalt mit herrlicher Aussicht. Es war eine gute Entscheidung, hochzuladen.

 

Eine Wikinger-Kirche im Riesengebirge

Wir sind am Fuße des Riesengebirges angekommen, wo wir in Karpacz/Krummhügel die beiden letzten Nächte unserer Tour durchs schlesische Elysium verbringen werden. Der Ort war schon sehr früh beliebtes Ziel naturhungriger Städter und Städterinnen, vor allem, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die schlesische Gebirgsbahn Berlin mit Krummhübel direkt verband. Der Ort wurde zum Wintersport und zur  Sommerfrische. Theodor Fontane schrieb hier den Roman Quitt, der auf einer wahren Kriminalgeschichte aus dem Ort beruht.

Heute ist Karpacz/Krummhügel einer jener Orte, die es überall in Gebirgsregionen gibt: mit  Ferienhausanlagen und Hotelklötzen, mit Souvenirständen, einer Ski-Arena, Pommes- und Dönerbuden. Einige schöne alte Villen und – ehemalige – Hotels findet man zwischen Schnellrestaurants und Kinderbelustigungen. Es ist noch viel los Anfang Septemer. Wie schön, dass wir etwas am Rand von Karpacz übernachten. Hier ist es ruhig.

Wir beschließen, zur Kirche Wang zu laufen, die auf 800 Meter Höhe über dem Ort liegt. Wieder so eine Kuriosität in Niederschlesien, denn die Stabkirche stammt aus Norwegen aus dem 12. Jahrhundert, wo sie in Vang in den 40er Jahren des 19. Jahrunderts abgerissen werden sollte.  Ein norwegischer Maler, der in Dresden lebte, wollte verhindern, dass das Kleinod aus der Wikingerzeit zerstört wird. Er schaffte es, dass der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV  die Kirche kaufte. In Einzelteile zerlegt, wurde das alte Stück  nach Berlin transportiert,  wo es auf der Pfaueninsel wieder aufgebaut werden sollte. Diese Idee wurde aber nicht umgesetzt. So landete die wunderschöne Holzkirche schließlich auf Initiative einer Gräfin am Fuß  der Schneekoppe.  Irgendwie passt sie in die Landschaft, und wirkt doch geheimnisvoll: Im reich geschnitzten Inneren lebt die Tradition der Wikinger. Und deren ornamentale Schnitzkunst wiederum erinnert an arabische  Arabesken und Bögen. Das alles zusammen in einer christlichen Kirche hat etwas Versöhnliches.

Wer wie wir zur Kirche wandern will, braucht etwas Kondition. Zuerst geht es noch sanft ansteigend an der Lomnitza entlang, aber dann schwitzt man schnaufend die Strasse in engen steilen Kehren hoch. Es lohnt die Mühe.

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