Reisen

Autor: Baobab (Seite 15 von 20)

Grenzgedicht 2

Wir haben das Vogtland verlassen. Zum Abschied kommentarlos  das Gedicht eines Vogtländers, Bernd Jentzsch aus Plauen:
Ein Wiesenstück
Der Schuss stehend freihändig,
Das Bündel zusammengepackt.
Vor dem Bündel der Hundelaufgraben.
Vor dem Hundelaufgraben die spanischen Reiter.
Vor den spanischen Reitern das Minenfeld,
Vor dem Minenfeld der Gitterzaun.
Hinter dem Gitterzaun das Minenfeld,
Hinter dem Minenfeld die spanischen Reiter,
Hinter den spanischen Reitern der Hundelaufgraben,
Hinter den Hundelaufgraben das Bündel.

An der Saale hellem Strande…

In jenen Tagen, als dieses Schild aufgestellt wurde, hatten wir noch Visionen. Derzeit scheint sich Europa selbst zu zerstören.

Durch unsere vom Wanderführer abweichende Streckenplanung haben  wir den Vormittag für die Besichtigung von Mödlareuth. Dann geht es – der Regen hatte aufgehört – wieder auf dem Kolonnenweg am Thannbach entlang. „Cardio-Training“, sagt meine Freundin, denn zwischen geraden Wegstrecken liegen kurze steile An-und Abstiege. Wir laufen durch Wald, der durch den Regen der letzten Nacht fettgrün ist. Bald sind wir an der ersten Saaleschleife. Den Fluss können wir aber wegen des dichten Laubwaldes erst einmal nicht sehen. Und dann glitzert es zwischen den Laubblättern silbrig hell. Tief unter uns liegt träge die Saale.

Ein romantischer Pfad entlang der Saaleklippen zieht sich bis nach Hirschberg. Hier stand früher Deutschlands größte Lederfabrik, heute ist es ein verschlafenes Städtchen an dem Steilhang der Saale, ganz oben malerisch die Burg. Wir haben nach etwa 11 Kilometern unser Etappenziel erreicht.

Brücke an den Saale-Klippen: Hier trauten wir uns nicht.

Hier trauten wir uns: Hängebrücke

Mödlareuth: Deutschland ist ein Dorf

Ich war selten so beeindruckt von einer Ausstellung, die Erinnerung ist, die wirklich ist, die Erinnerung ist, die Alltag ist, die Ausstellung ist…
Mödlareuth, dieses geschundene Dorf. Seine Bewohner lebten einst den normalen Alltag eines Dorfes. Niemanden störte es, dass ein Teil des Dorfes zu Bayern gehörte, der andere zu Thüringen und der kleine Thannbach die Grenze bildete. Es gab eine Schule und ein Wirtshaus und keine Kirche. Zu der ging man nach Töpen. Dann kam Hitler und mit ihm jene entsetzliche Teilung Deutschlands und Mödlareuths bis 1989. Familien wurden getrennt, Freunde durften nicht mehr Freunde bleiben.
Zuerst der Passagierschein, dann die Sperrzone, dann Zwangsumsiedlungen, dann der Bretterzaun, dann der Stacheldrahtzaun, dann die Betonmauer. Eine Mauer, die auch nachts beleuchtet war. Mitten durchs Dorf. Am 9.12.1989 der Grenzübergang für Fußgänger, am 17. Juni 1990 der Abriss der Mauer.
Ein Teil der Mauer ist erhalten geblieben.
Und dann entschließen sich die Bewohner und Bewohnerinnen (heute 16 aus dem bayerischen Teil, 24 aus dem thüringischen), sich zur lebenden Erinnerungskultur zu machen. Mit Kinodokumentation, Museum, Freigelände, Fahzeughalle und dem ganzen Dorf als Freilichtmuseum.


Das alles berührt. Weil es eine so kleine Welt ist, in der, wie in einer Lupe, sich deutsche Geschichte fokussiert.
Es berühren die 2 Dorfteiche „hüben und drüben“, die immer noch sorgfältig geharkte Freifläche zwischen Mauer und Kolonnenweg, die Gänse auf einem alten Foto im Museum, deren Nachfahren noch heute auf „Ostseite“ nach Grünzeug Ausschau halten. Die Flasche Nordhäuser Doppelkorn, die im Koffer eines Mannes gefunden wurde, dessen Flucht misslungen war.


Es gehört Mut dazu, sich selbst zur Erinnerungskultur zu machen. Besonders in Momenten, in denen ca. 70 Touristen aus North-Carolina aus dem Bus steigen, um „Little Berlin“ zu besichtigen.

Neigkeiten von der Kiosk-Besitzerin
Gott sei’s gedankt, dass wir unsere Besichtigungstour vor dem Großgruppenandrang beendet hatten.
In einem Souvenierladen genehmigen wir uns noch einen Kaffee, bevor wir uns in den Regen wagen, der letzte Nacht begonnen hat.
Die Kiosk-Betreiberin führt Statistik: 2015 sind fast 100.000 Besucher und Besucherinnen nach Mödlareuth gekommen. 2017 seien es noch rund 70.000 gewesen. 2015 sei im Fernsehen die 1. Staffel der Serie „Tannbach“ ausgestrahlt worden. Man werde jetzt sehen, wie sich das nach der zweiten Staffel entwickelt. Der Film erzählt die Geschichte eines fiktiven Dorfes vom Ende des zweiten Weltkriegs bis zum Prager Frühling. Das Dorf liegt teils im „Westen“, teils im „Osten“. Reales Vorbild ist Mödlareuth.
Nein, meint die Kioskbesitzerin, mit der Wirklichkeit hätte der Film nicht viel zu tun gehabt. Vielleicht der erste Teil. Umgebracht hätte sich ja damals tatsächlich jemand. Aber der zweite Teil – nee, da sei nichts wie im wirklichen Leben.

Funklaster -eins von vielen Grenzfahrzeugen , die in der Lagerhalle des Museums zu sehen sind.


Und dann werden wir schwer enttäuscht: Die Serie wurde in Tschechien gedreht. Wo wir doch gestern meinten, einige Häuser und Straßen aus dem Film wieder zu erkennen!
Vielleicht drehen Sie ja die nächste Staffel hier, sagt die Kioskbesitzerin. Die soll ja vom Mauerfall handeln, hört man.
Wie dem auch sei – kürzlich war jedenfalls schon mal Bully Herbig hier zu Dreharbeiten. Er verfilmt die Geschichte zweier Ehepaare, die vor fast 40 Jahren im Vogtland mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR geflohen sind.

Von Ullitz nach Mödlareuth

 

Eine Schafherde pflegt das Grüne Band

Pünktlich morgens um 8:00 Uhr fährt uns unsere Schlossherrin zum Startpunkt der heutigen Etappe: Ullitz, ein Weiler, der ehemals Grenzübergang mit Schlagbaum war. Bei herrlichem Sonnenschein wandern wir durchs „Himmelreich“ am Grünen Band, Feuchtwiesen und kleine Waldstücke, alle Arten von Schmetterlingen. Aber im Paradies gibt es auch verbiesterte Teufelchen: Bremsen und Schnaken, die sich bei diesen feucht-warmen Temperaturen anscheinend sehr wohl fühlen. Selbst Mückenspray für die Tropen ist zwecklos.
Und dann wird das Grüne Band plötzlich durch die A 72 zerschnitten. Wir müssen den Kolonnenweg verlassen, um nicht „unter die Räder zu kommen“, und über einen Wiesenweg bis zu einer Unterführung gehen. Vor uns die Kapelle St. Clara von Heinersgrün.

Kein Weiterkommen: Grenze Autobahn

Dann braucht es doch schon einigen Orientierungssinn, um wieder aufs Grüne Band zu gelangen. Es gelingt dank des Bauchgefühls und der Kartenlesekunst meiner Freundin. Immer noch ist uns keine Menschenseele begegnet. Dabei ist es doch eine ideale Wandergegend. Teiche, Schilf, ein blühendes Meer von Heilzist – und aus weiter Entfernung beobachten uns ein paar Rehe.


Abwechslung bieten wir auch einer Herde Schafe. Sie gehören zum Schäfer Michael Ulsamer, der mit ihnen das Grüne Band Sachsen freihält.
Überhaupt ist das ganze sächsische Grüne Band erstklassig gepflegt. Hut ab vor so viel Engagement!
Es ist mittlerweile sehr heiß geworden. Langsam verändert sich die Landschaft: Weite Getreidefelder und Windräder. Wir kommen zum Drei-Freistaaten-Stein. (Diese Wort kann man nur in ganz nüchternem Zustand aussprechen.)
Hier einigten sich 1840 die Königreiche Bayern und Sachsen sowie das Herzogtum Reuss auf einen Grenzverlauf. Die drei Freistaaten sind Thüringen, Sachsen und Bayern. Die Grenzen waren Verwaltungsgrenzen. Für die Menschen, die hier lebten, spielten sie keine Rolle. Bis nach dem Krieg.


An der Grenzmarkierung verlassen wir Sachsen, um in Thüringen weiter zu gehen. Allerdings fehlt hier das Grüne Band.
Es sind schweißtreibende Kilometer nach Mödlareuth am Thannbach, jenes Dorf, in dem sich die innerdeutsche Teilung so eindrücklich manifestiert hat. Die Mauer ging durch ein Dorf. Im Mikrokosmos wirkt alles noch beklemmender. „Klein-Berlin“ wurde der Ort genannt, dessen eine Hälfte in der amerikanischen Besatzungszone lag (Bayern) die andere in der russischen (Thüringen). Wie gesagt, diese Grenzen störten jahrhundertelang keinen Menschen…


Wir laufen die Straße bergab nach Mödlareuth und essen dort im „ Grenzgänger“-Gasthof (ehemals Osten) selbstgemachten Kuchen. Er ist ebenso wie der Kaffee ein Genuss.
Auf einen Anruf im Festnetz hin – Mödlaruth ist ein „Tal der Ahnungslosen“  fürs mobile Netz  – werden wir von einer Frau aus dem benachbarten Töpen (Bayern) abgeholt und zu unserem reservierten Hotel gebracht.
Leider gibt’s hier – wie gestern – auch nur Kleinigkeiten zu essen. Wir entscheiden uns, nochmal 2 Kilometer zurück nach Töpen zu einem Italiener zu laufen (leichtes Training zum Auslaufen!). 27 Kilometer sind dann aber genug für heute. Die nette Bedienung fährt uns nach Pizza, Penne, Pino Grigio und Grappa, ins Hotel zurück.
In der Nacht gibt’s einen Witterungsumschwung. 20 Grad weniger und Regen!

Die Schlossherrin und die Windräder

Nein, das Schloßhotel Gattendorf ist kein 5-Sternehotel, und, nein, wir essen auch kein fürstliches Menü – Schloß Gattendorf ist eher ländlich mit Pferden, einem Esel, Katzen…., aber sympathisch.
Die Schloßherrin ist eine sehr offene und hilfsbereite Frau. Weil das Restaurant Ruhetag hat, zaubert sie für uns einen köstlichen Wurstsalat, serviert einen guten fränkischen Riesling und tut alles für unser Wohlbefinden. Am nächsten Tag fährt sie uns um 8:00 Uhr nach Ullitz, dem Start unsere nächsten Etappe.
In Erinnerung wird sie uns auch wegen der Windräder bleiben, die es hier wirklich zuhauf gibt.
In der Gegend sei es heute ja ganz schön windig. Ob das oft so sei, frage ich. „Wir sagen hier, dass es bei uns so windig ist, seit die Windräder hier stehen“.

Von Hranice bis Gattendorf – der Weg prosaisch


Eigentlich geht diese 2. Etappe bis nach Ullitz. Aber 27 Kilometer mit Gepäck wollten wir uns am Anfang der Tour nicht zumuten. Nun sind aber Übernachtungsmöglichkeiten in dieser Region Deutschlands rar gesät. Deswegen wollen wir nach 20 Kilometern Schluss machen und im Schloßhotel in Gattendorf übernachten.
Der Weg war gut zu finden. Er geht nicht nur durch eine Landschaft mit grandiosen Ausblicken und viel Abwechslung fürs Auge – mal Wald, mal Feuchtwiesen, mal Felder -, es ist auch ein Weg der Schicksalsorte, und nicht umsonst heißt ein Wanderweg so (WSO), der streckenweise auf dem Grünen Band verläuft.
Freies Schuss- und Sichtfeld!
So machen wir unser Frühstückspicknick nach Überquerung der Grenze auf einer Blumenwiese in der Nähe des Weilers Papstleithen, in der ehemaligen DDR-„Schutzzone“, in der viele Gehöfte und Häuser von DDR-Truppen dem Erdboden gleich gemacht worden sind. Es ist so idyllisch hier auf einem Boden, auf dem in der Vergangenheit so viel Unrecht geschehen ist. Hasenreuth zum Beispiel, in der Nähe von Nentschau, ist heute eine „Wüstung“, auf keiner topografischen Karte mehr erfasst. Jetzt steht dort eine Erinnerungsstele. 1952 wurden 2 Bauernfamilien im Rahmen der Aktion „Ungeziefer“ umgesiedelt, die Höfe zerstört, der Kontrollstreifen entstand: Freie Schussbahn!
Besonders hart traf es Papstleithen bei der 3. Umsiedlungsaktion 1972-1974. Heute gibt es kaum noch Spuren der einstigen Gehöfte, die wegen der „Sicherung der Grenze“ von der Landkarte verschwinden mussten. Nur die Erinnerungen der Nachkommen. Doppeltes Leid: Die betroffenen Familien wurden nach der Wende nach Urteil des Verwaltungsgerichtes Chemnitz nicht entschädigt – anders als übrigens in Thüringen. Mich wundert da nicht mehr, dass die Verbitterung bis heute anhält!


Nach Papstleithen betreten wir zum ersten Mal den Kolonnenweg, der uns jetzt bis zum Ende unserer Wanderung begleiten wird. Er führt durch bühende Feuchtwiesen, entlang kleiner Gewässer, in der es Flussperlmuscheln geben soll, bis zum Dreiländereck Sachsen – Tschechien – Bayern. Ein Feuchtgebiet mit kleinen Brückchen über plätscherndem Wasser. Die Grenzsteine dort stammen von 1848. Drei Königsreiche trafen hier aufeinander: Sachsen, Bayern und Österreich, später war hier die Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn, ab 1945 die innerdeutsche Grenze und die Grenze zur Tschechoslowakei.
Hier treffen wir erstmals an diesem Tag auf Menschen: Spaziergänger aus Tschechien und ein deutscher Radfahrer, der heute, am Sonntag, „mal schnell noch den ehemaligen DDR-Radweg“ fahren will. Auf unseren Hinweis, dass es in der DDR hier keinen Radweg gegeben hat und auch nicht geben konnte, war seine Antwort: Der heißt heute „green belt“. Aha!
Auf tschechischer Seite werden Biertische abgebaut und die Reste eines Volksfestes von gestern Abend beseitigt.
Wir wandern entlang der bayerisch-sächsischen Landesgrenze immer auf dem Kolonnenweg. Die Sonne sticht, aber es weht eine Brise, so dass das Gehen nicht so schwer fällt. Bei Gassenreuth (Sachsen) verlassen wir das Grüne Band und laufen noch ein paar Kilometer auf Landstraße und Feldweg bis nach Schloß Gattendorf (Bayern) hinauf, wo wir im Schloßhotel übernachten. Damit haben wir zwar auf die im Wanderführer als sehr schön beschriebene Strecke bis nach Ullitz  verzichtet – aber wir wollen ja Urlaub machen und keine Streckenrekorde brechen.

Grenzgedicht 1: Von Hranice nach Gattendorf

Unsere Wanderung von Hranice nach  Schloss Gattendorf heute war ein Vexierspiel: Wiesen, wie man sie nur noch aus Kindheitserinnerungen kennt – Mohn- und Kornblumen, Margeriten und duftende Kamilleteppiche -, die „Lochmuster“ des Kolonnenweges, mal quer, mal senkrecht verlegt, überwuchert manchmal, und manchmal freigehalten,  Sumpflandschaften und mäandernde Bächlein,  Reste des Kfz-Sperrgrabens, Birken-und Fichtenwäldchen neben Getreidefeldern, freier Blick auf sanfte Hügel und Täler, in der Ferne ein stehen gebliebener Wachturm, am Horizont das Fichtelgebirge, Stelen wie Erinnerungsfetzen an vom DDR-Regime geschleifte Gehöfte und Dörfer, „Wüstungen“, die heute auf keiner topografischen Karte mehr verzeichnet sind, die jubelnde Lerche am stahlblauen Himmel mit Bilderbuchwölkchen: „was grenze ist irrt“

 

Aus: Esther Kinsky. Naturschutzgebiet 2013

Wohin zeigt die wildnis

wohin die zähmung?

zwischen storchenschnabel und

winterlieb lichtet

sich schon das grüne

was grenze ist irrt

hierhin und dorthin

Nachtrag 2: Abschied vom Luxusetablissement

 

Die Nacht hatten wir in unseren Zimmern weniger geschlafen  und mehr gewartet, bis der Morgen graut: das Pfefferspray auf dem Nachttisch, möglichst wenig Berührung mit Kissen und Matraze, Schrecksekunde bei jedem Geräusch. Morgens miaut eine gelbe(!) Katze vor meinerTür. Zeit zu gehen. Nicht ohne ein paar Fotos (soviel Zeit muss sein, und soviel Panik war dann wohl doch nicht mehr).

Noch ein Schreckmoment, als der Schlüssel im Schloss der Außentür klemmte – und dann stehen wir draußen.

Viel zu laut lache ich auf dem Weg hinauf zur Grenze. Annette mahnt  zur Sonntagsruhe. Automatenkaffee gibt’s an der Grenztanke und dann sind wir schon bald auf dem Grünen Band und einer beeindruckenden Wanderung.

Nachtrag1: Warum ausgerechnet Hranice?

 

Kirche von Hranice

Das „Grüne Band“ führt entlang der innerdeutschen Grenze als  Erinnerungsweg an die Geschichte der deutschen Teilung mit Grenzschutzzäunen, Hundelaufgräben, Minenfeldern, „Schutzgebieten“, Todesstreifen. Gleichzeitig wird das „Band“ vom BUND und Kommunen gepflegt als Rückzugsort für andernorts bedrohte Flora und Fauna – als Lebenslinie.

Weil die DDR ihrem Brudervolk Tschechoslowakei nicht über den Weg traute, hat sie dort, wo das heutige Tschechien in das Gebiet der DDR hinein ragte, die Grenzsicherungsanlagen einfach weitergeführt. So enstanden ca. 6 Kilometer Grünes Band  entlang der tschechischen Grenze. Es endet bei Hranice, was“Grenze“bedeutet.

Und deshalb sind wir auf der ersten Etappe von Bad Elster nach Hranice gelaufen, um dann das tschechische Grüne Band bis zum Dreiländereck Tschechien, Sachsen, Bayern zu gehen.

Ihr wolltet Abenteuer? Ihr bekommt Abenteuer!

Hranice ist ein hoffnungsloser Ort. Die Menschen sind freundlich, aber ohne Zukunft. 2.000 leben noch hier von ehemals 6.000. Textil- und Glasindustrie gibt es nicht mehr. In den ehemaligen Fabrikhallen arbeiten Zuliefererfirmen mit gering qualifiziertem Personal, erzählt man uns. Ganz anders als im adretten Bad Elster, das einen Boom zu erleben scheint, sind hier – wenige Kilometer und eine Grenze weiter – viele Häuser verfallen, das Restaurant Rossbach, benannt nach dem früheren Namen von Hranice, ist eine ausgebrannte Ruine mitten im Ortskern. Der Asia-Laden ist das einzige Lebensmittelgeschäft, und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass in diesem verlorenen „Zipfel Tschechiens“, der hier in das Gebiet der Bundesrepublik hineinreicht, das nette kleine Hotel zu finden ist, das wir gebucht hatten. War es auch nicht.
Es gibt nämlich noch ein Hranice, östlich von Prag. Dort hatten wir über ein Hotel-Portal gebucht.
Die einzige Übernachtung in dem Hranice, in dem wir gerade angekommen war,  gibt es in der „Familienpension Kim“. Darüber informiert auch unser Reiseführer mit dem Hinweis, unbedingt vorher dort anzurufen. Das war aber ja jetzt nicht mehr möglich. Wir sind schon im Ort und klingeln eine etwas verwirrt blickende junge Frau aus dem nicht sehr einladend schauenden Etablissement heraus. Nach einigem Zögern bittet sie uns herein. In einen ungepflegten Gartenbereich: überall Sitzecken mit verdreckten Sofas, gebrauchte Kaffeetassen und volle Aschenbecher auf Couchtischen. Eine zweite und eine dritte Frau kommen, alle sprechen kaum tschechisch, englisch oder deutsch. Ein junger Mann sitzt mit Ohrstöpseln in einem Sessel und ignoriert uns vollständig. Wir sind hier Fremdkörper. Wir können ihnen klar machen, dass wir übernachten wollen. Eine Frau verschwindet und kommt bald darauf mit schmutziger Bettwäsche aus dem Haus. Die andere bringt Tassen, in denen sich mit heißem Wasser übergossenes Kaffeepulver befindet. Sie erzählt uns in gebrochenem Deutsch, dass es hier schrecklich sei, dass sie aus Serbien komme und dass sie weg wolle. Dann kommen zwei weitere Männer. Einer erklärt, dass die Zimmer 12 Euro pro Person kosten. Wir haben inzwischen WLAN und nach einigen Fehlversuchen das Zimmmer im falschen Hanice kostenlos stornieren können.

Zimmer in der „Familienpension Kim“ in Hranice

Zimmerbesichtigung: Das Haus entstammt einem Hitchcock-Krimi. Düsteres Treppenhaus, Wände und Decken vollkommen mit Holz verkleidet, alles verstaubt und schmuddelig, riesige Heiligengemälde neben zugestaubten Trockenblumen, Weihnachtskugeln, Kitschfiguren. Die Zimmer sind noch schlimmer als das Treppenhaus. Ein Bett mit einem stoffgepolsterten Kopfende, überall Spiegel, Gelsenkirchener Barock, zerschlissene Sessel, den schmutzigsten Teppichboden, den ich je gesehen habe. Aber: Auf der kunstvoll arrangierten Bettdecke liegt eine rote Kunstrose. Das habe sie in einem Hotel in Zürich gelernt, wo sie gearbeitet habe, erklärt die Serbin. Annette und ich schauen uns an, lassen uns die Schlüssel geben, verstauen die Rucksäcke und flüchten nach draußen , um Luft zu holen. Es bleibt uns nichts übrig. Wir müssen hier die Nacht verbringen!
Die Kirche von Hranice soll sehenswert sein mit einer seltenen Orgel. Wir holen bei der Küsterfrau den Schlüssel. Sie spricht, hier geboren, ein gepflegtes fränkisch. Und bestätigt uns erst einmal das, was wir über unsere „Herberge“ vermuten. Sie ist so was wie eine Absteige. Die jungen Männer bringen zuweilen die Freier zu den Frauen ins Haus

Taufbecken in der Kirche von HraniceWir wollten Abenteuer. Wir haben es! Zwei Omas übernachten im Puff!
Im Dorf gibt es nichts zu essen, aber wir entdecken ein Schild Richtung Grenze – wo wir morgen sowieso hin müssen – Familienrestaurant mit Einkaufsmöglichkeiten in 1,5 Kilometern. Dort essen wir, kaufen für morgen früh ein, weil es natürlich sonst nirgendwo etwas zum Frühstück gibt, und trinken am frühen Abend noch ein Bier. Vorbereitung auf eine Nacht in Schmuddelzimmern und hoffentlich ohne Ungeziefer. Ich vermisse Huberts dünnen Reiseschlafsack „für alle Fälle“.
Dabei hatte der Tag gut angefangen mit einem Glas Wasser aus der Heilquelle in Bad Elster, einem Spaziergang durch den Park, dann vorbei an wunderbar restaurierten Villen aus ganz verschiedenen Stilepochen, über eine einsame Landstraße bergaufwärts zur tschechisch-deutschen Grenze.

Trinkhalle im Kurpark von Bad Elster


Auf dem Weg von Bad Elster nach Hranice

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