Reisen

Autor: Baobab (Seite 15 von 19)

Ihr wolltet Abenteuer? Ihr bekommt Abenteuer!

Hranice ist ein hoffnungsloser Ort. Die Menschen sind freundlich, aber ohne Zukunft. 2.000 leben noch hier von ehemals 6.000. Textil- und Glasindustrie gibt es nicht mehr. In den ehemaligen Fabrikhallen arbeiten Zuliefererfirmen mit gering qualifiziertem Personal, erzählt man uns. Ganz anders als im adretten Bad Elster, das einen Boom zu erleben scheint, sind hier – wenige Kilometer und eine Grenze weiter – viele Häuser verfallen, das Restaurant Rossbach, benannt nach dem früheren Namen von Hranice, ist eine ausgebrannte Ruine mitten im Ortskern. Der Asia-Laden ist das einzige Lebensmittelgeschäft, und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass in diesem verlorenen „Zipfel Tschechiens“, der hier in das Gebiet der Bundesrepublik hineinreicht, das nette kleine Hotel zu finden ist, das wir gebucht hatten. War es auch nicht.
Es gibt nämlich noch ein Hranice, östlich von Prag. Dort hatten wir über ein Hotel-Portal gebucht.
Die einzige Übernachtung in dem Hranice, in dem wir gerade angekommen war,  gibt es in der „Familienpension Kim“. Darüber informiert auch unser Reiseführer mit dem Hinweis, unbedingt vorher dort anzurufen. Das war aber ja jetzt nicht mehr möglich. Wir sind schon im Ort und klingeln eine etwas verwirrt blickende junge Frau aus dem nicht sehr einladend schauenden Etablissement heraus. Nach einigem Zögern bittet sie uns herein. In einen ungepflegten Gartenbereich: überall Sitzecken mit verdreckten Sofas, gebrauchte Kaffeetassen und volle Aschenbecher auf Couchtischen. Eine zweite und eine dritte Frau kommen, alle sprechen kaum tschechisch, englisch oder deutsch. Ein junger Mann sitzt mit Ohrstöpseln in einem Sessel und ignoriert uns vollständig. Wir sind hier Fremdkörper. Wir können ihnen klar machen, dass wir übernachten wollen. Eine Frau verschwindet und kommt bald darauf mit schmutziger Bettwäsche aus dem Haus. Die andere bringt Tassen, in denen sich mit heißem Wasser übergossenes Kaffeepulver befindet. Sie erzählt uns in gebrochenem Deutsch, dass es hier schrecklich sei, dass sie aus Serbien komme und dass sie weg wolle. Dann kommen zwei weitere Männer. Einer erklärt, dass die Zimmer 12 Euro pro Person kosten. Wir haben inzwischen WLAN und nach einigen Fehlversuchen das Zimmmer im falschen Hanice kostenlos stornieren können.

Zimmer in der „Familienpension Kim“ in Hranice

Zimmerbesichtigung: Das Haus entstammt einem Hitchcock-Krimi. Düsteres Treppenhaus, Wände und Decken vollkommen mit Holz verkleidet, alles verstaubt und schmuddelig, riesige Heiligengemälde neben zugestaubten Trockenblumen, Weihnachtskugeln, Kitschfiguren. Die Zimmer sind noch schlimmer als das Treppenhaus. Ein Bett mit einem stoffgepolsterten Kopfende, überall Spiegel, Gelsenkirchener Barock, zerschlissene Sessel, den schmutzigsten Teppichboden, den ich je gesehen habe. Aber: Auf der kunstvoll arrangierten Bettdecke liegt eine rote Kunstrose. Das habe sie in einem Hotel in Zürich gelernt, wo sie gearbeitet habe, erklärt die Serbin. Annette und ich schauen uns an, lassen uns die Schlüssel geben, verstauen die Rucksäcke und flüchten nach draußen , um Luft zu holen. Es bleibt uns nichts übrig. Wir müssen hier die Nacht verbringen!
Die Kirche von Hranice soll sehenswert sein mit einer seltenen Orgel. Wir holen bei der Küsterfrau den Schlüssel. Sie spricht, hier geboren, ein gepflegtes fränkisch. Und bestätigt uns erst einmal das, was wir über unsere „Herberge“ vermuten. Sie ist so was wie eine Absteige. Die jungen Männer bringen zuweilen die Freier zu den Frauen ins Haus

Taufbecken in der Kirche von HraniceWir wollten Abenteuer. Wir haben es! Zwei Omas übernachten im Puff!
Im Dorf gibt es nichts zu essen, aber wir entdecken ein Schild Richtung Grenze – wo wir morgen sowieso hin müssen – Familienrestaurant mit Einkaufsmöglichkeiten in 1,5 Kilometern. Dort essen wir, kaufen für morgen früh ein, weil es natürlich sonst nirgendwo etwas zum Frühstück gibt, und trinken am frühen Abend noch ein Bier. Vorbereitung auf eine Nacht in Schmuddelzimmern und hoffentlich ohne Ungeziefer. Ich vermisse Huberts dünnen Reiseschlafsack „für alle Fälle“.
Dabei hatte der Tag gut angefangen mit einem Glas Wasser aus der Heilquelle in Bad Elster, einem Spaziergang durch den Park, dann vorbei an wunderbar restaurierten Villen aus ganz verschiedenen Stilepochen, über eine einsame Landstraße bergaufwärts zur tschechisch-deutschen Grenze.

Trinkhalle im Kurpark von Bad Elster


Auf dem Weg von Bad Elster nach Hranice

Kaffee in der Regionalbahn und „Mischwein“ in Bad Elster

 

Wolkenfolgen – Grünes Band 2018

„Möchten Sie einen Kaffee?“ Manche ganz normalen Fragen werden an bestimmten Orten in bestimmten Situationen plötzlich sonderbar. Das Kaffeeangebot des Schaffners in der Vogtlandbahn zum Beispiel – einer privaten Regionalbahn, in der wir von Werdau nach Bad Elster fahren. Den frischen Kaffee gibt’s kostenlos – aber erst nach Plauen, weil nur die Reisenden, die nach diesem Halt noch in der Bahn sitzen, einiges an Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssen. Im Mai nämlich wurden durch starken Regen die Gleise auf einem Streckenabschnitt hinter Plauen so stark überspült und beschädigt, dass die Reparaturarbeiten immer noch nicht abgeschlossen sind. Schienenersatzverkehr also zwischen 2 Stationen, was uns neben dem Kaffee noch zweierlei beschert: eine Busfahrt durch durch die sanfte grüne Hügellandschaft dieser Grenzregion zu Tschechien und erste Gespräche mit Menschen der Region. Der Schaffner etwa, zuerst etwas knodderisch, als er unsere Fahrkarten kontrolliert – „Sie wissen schon, dass Sie derzeit nicht direkt nach Bad Elster kommen?!“ Dann, als er merkt, dass wir seinen etwas trockenen Humor verstehen, freundlich, hilfsbereit und auskunftsfreudig; später, als meine Freundin vom „Königsbad“ Bad Elster spricht, wieder sehr zugeknöpft einsilbig: „Staatsbad hieß das!“ Wir haben verstanden.

Die Sache mit dem Schienenersatzverkehr war aber auch das einzige Unvorhergesehene auf unserer Fahrt von Mainz über Leipzig nach Bad Elster. Die Bundesbahn war pünktlich auf die Minute, was allein schon eine Meldung wert ist.

Und es war auch nicht weiter schlimm,  dass wir ab Leipzig auf S- und Regionalbahn angewiesen waren: Die langsame Fahrt durch das Vogtland lohnt sich.

Leider liegt der Bahnhof von Bad Elster mitnichten im Zentrum, sondern 2,5 km ausserhalb. Und so kamen wir unverhofft am Anreisetag bereits zu einer Kurzwanderung durch den Wald bis zum wirklich sehenswerten Bad Elster. Schön restaurierte Villen, prachtvolle Kuranlagen, ein grosser Kurpark.

Unser Hotel am Ortsrand wird von einer Frau aus Speyer geführt und der Kellner des guten Restaurants kommt aus Trier.  Alles Migranten aus Rheinland-Pfalz!

Garantiert nicht aus Rheinland-Pfalz war eine  Kellnerin, die auf meine Frage, was man sich denn unter dem Begriff „Meissner Schoppen“ auf der Speisekarte vorstellen solle, lapidar antwortete:“Mischwein!“

Vorbereitungen

Irgendwie  habe ich mit für diese Tour mehr Mühe mit der Vorbereitung gemacht. Wahrscheinlich ist der Respekt vor dem fremden Weg größer als vor dem mehr oder weniger bekannten Weg in die Heimat, den ich 2017 gegangen bin.

Und so kommt es,  dass ich seit 6 Wochen rauchfrei bin, dass ich mir durch den regelmäßigen Besuch in der „Mucki-Bude“ ein wenig Muskelmasse antrainiert habe, und dass ich durch ein paar kürzere Wanderungen auch hoffentlich genügend Ausdauer habe.

Auf der Soonwaldburg

Ach ja, eine Fortbildung habe ich auch gemacht: Mit Heike Tharun war ich zum Wandertraining unterwegs von Bingen in den Hunrück, um zu lernen, mit Kompass und Karte  umzugehen (kann ich nur empfehlen!).

Blick von Bingen auf den Rhein

Das ist überhaupt das Schöne an den Vorbereitungen für einelängere Wandertour: Die Kurzwanderungen im Vorfeld: In Rheinhessen war ich mit Freunden auf einer neuen Hiwweltour durchs Aulheimer Tal . Bei herrlichem Sonnenschein war dieser 13 Kilometer lange  Rundweg durch die rheinhessische Schweiz einfach nur herrlich abwechslungsreich mit ungezählten Weitblicken. Auf dem Donnersberg wurde es auf den Spuren der Kelten auf dem Kastanienweg eher etwas duster.  Herrliche Blicke dagegen wieder auf einer der Traumschleifen – dem  Rundwanderweg „Fünfseenblick“ von Bad Salzig aus oder auf dem Weg zur Soonwaldburg hoch über dem Rhein.

Unterwegs mit Freunden

Selfie  auf dem Flaggenturm

Es gibt Tage, an denen man gut allein sein kann, und solche, an denen es schön ist, Freunde um sich herum zu habe. Jetzt – um den 40. Hochzeitstag herum – sind Tage, an denen das Alleinsein schwerer fällt. Es ist Zufall, dass heute Dagmar und Dieter mit mir wandern (von Bad Dürkheim nach Deidesheim) und morgen Annette und Jürgen (von Deidesheim über den Geissbockweg nach Lambrecht). „Aber es gibt ja keine Zufälle“, wie meine Freundin Beate zu sagen pflegt.

Morgens um 7:45 Uhr habe ich mich mit Dagmar und Dieter am Amtsgericht in Bad Dürkheim verabredet. Nur ein paar Jogger sind im Kurpark unterwegs, und über den Marktplatz bin ich schnell oben am vereinbarten Treffpunkt. Die Plätze und Orte tauchen alle in meiner Erinnerung wieder auf, weil ich auch diesen Weg schon mit Hubert gegangen bin. Es ist eigentümlich, wie wir Bilder speichern, vergessen, und wie sie bei bestimmten Reizen wieder ganz klar aus der Versenkung der Gehirnwindungen auftauchen. Meine Gehirnzellen sind auf dieser Wanderung sehr aktiv! Gestern noch hätte ich die Tour nicht genau beschreiben können, heute fällt mir genau ein, wo Hubert und ich uns verlaufen hatten, wo wir dann wie gegangen sind, wo wir wem begegnet sind und wo wir uns über was unterhalten haben.

Aber das ist Vergangenheit.

Wir laufen durch die Weinberge zum Flaggenturm und können uns nicht satt sehen an dem Rundumblick: Die Limburg (kürzlich abgebrannt), mein Weg gestern und vor allem der vor uns liegende Pfälzer Wald.

Nach dem Mundhardter Hof ( Siedlung von Wohlbetuchten, deren Häuser nicht immer architektonische Glanzlichter sind) steigen wir in den Wald ein durch schmale Pfade immer mal auf und ab, entlang von Bachläufen, queren das Poppental. Mal laufen wir auf Bucheneckerboden, mal auf getrockneten Kastanienblüten, mal auf Kiefernnadeln.  Und wir staunen über einen Ameisenhaufen, der in meiner Kindheit noch nichts Außergewöhnliches war. Heutzutage schon.

Über einen Campingplatz geht es hoch zur Wachtenburg mit herrlichem Weitblick in die Rheinebene.  Sie heißt  ja nicht umsonst „der Balkon der Pfalz“.  Und die Burgschänke ist nur zu empfehlen. Die Burgunderschinken sind riesig und saftig, den Kastanienhonig kann ich leider nicht mitnehmen. Auf und ab geht es weiter bis zu den „Heidenlöchern“, den Resten einer alten Fliehburg aus karolingischer Zeit. Man kann die Ausmaße  noch erahnen.

Nochmal den Blick bei der Michaelskapelle schweifen lassen – auch auf Deidesheim unter uns und den Wegeinstieg für morgen. Dann sind wir wieder in den Weinbergen und merken jetzt erst, wie die Sonne sticht.

 

Der älteste Bildstock der Pfalz bei Deidesheim mit der Heiligen Barbara und der Heiligen Katharina (links).

Kuchen essen im Ritter von Boehl nach einer wunderbaren, gar nicht anstrengenden Wanderung mit vielen kleinen Pausen an idyllischen Plätzen, Gesprächen über Gott und die Welt, Vergangenem und vielleicht Zukünftigem.

„Hier hättest du auch übernachten können. Hier ist es schön“, sagt Dagmar. Nach einem Blick auf mein Handy stelle ich fest: Das ist meine Übernachtung. Es war weiß  Gott keine Enttäuschung.

Abschied von Freunden. Bis bald in Mainz. Abends trinke ich auf Hubert und unseren 40. Hochzeitstag einen Blanc de noir.

 

Erinnerungsweg Nr. 2 oder „Japanisch ist Weltsprache“

Genau eine Woche ist es her,  dass ich mit jemandem zusammen – mit Marlis –  zu Abend gegessen habe. Zeit, das zu ändern. In Bad Dürkheim sitze ich mit Dagmar, Dieter und einem Freund von beiden auf der Terrasse der Fronmühle (empfehlenswert) und geniessen pfälzische Spezialitäten. Morgen wandern wir zu dritt die 3. Weinsteigetappe nach Deidesheim.

Im Moment steckt mir allerdings noch die Etappe von von heute in den Beinen. Der Pfälzer Weinsteig ist doch etwas anderes als der Rheinterrassenweg. Sanft auf- und abschwingende Wege, meist auf der Höhe entlang, sind hier nicht mehr angesagt. Hier geht es richtig bergauf- und bergab, gerne auch mal auf kleinen Pfaden in Spitzkehren abwärts, die von Bikern  so hergerichtet Worten sind, dass es für Wanderer ungemütlich wird.

Trotzdem wird ganz allmählich für mich die Natur heimeliger: Mischwald von Buchen, Birken,  Eichen, Kiefern, Fichten , Lärchen, Kastanien – die ganze Viefalt eben. Farne und Heidekraut, weiche Waldwege, kleine Talschluchten, Buntsandsteinfelsen: Ich bin in der Pfalz!

Jedenfalls am Rand, dort wo in Zeitmillionen die Erde „eingebrochen“ ist, wo an der Bruchstelle ein einmaliges Stück Natur entstanden ist: sonnendurchflutete Rebenhänge, die bis an den Waldrand gehen, der durchzogen ist von tief eingeschnittenen Tälern und bis in die Spitzen bewaldeten Erhebungen. Durch diese Landschaft führt der Pfälzer Weinsteig. Man steigt am frühen Morgen durch die Weinberge auf und wandert dann durch schattenspendenden Wald, nicht düster, sondern grün wie im Frühling, weil das Sonnenlicht auf den Blättern glitzert.

 

Genug der Schwärmerei.

Heut morgen bin ich im Rebenland aufgebrochen, ganz schön früh und ohne Frühstück, weil die Winzerwirtin so flexibel denn doch nicht war, um mir um 7:00 wenigstens einen Kaffee hinzustellen. Ich steige durch die Treppengässchen des noch schlafende Neuleiningen, ins Tal, dann wieder auf, bis ich an den Waldsaum komme (siehe oben).

Blick zurück nach Neuleiningen

Alles kommt mir sehr bekannt vor, weil ich diese Wege schon mit Hubert gegangen bin.

Battenberg mit seiner Burgruine ist nach einem relativ steilen Anstieg erreicht. Die „Blitzröhren“, ungezählte Löcher im Bundsandstein, irgendwie eine geologische Besonderheit, wegen der ich beim letzten Mal schon unter Lebensgefahr eine S-Kurve auf der Landstraße ohne Gehweg überquert habe, spare ich mir. Ich bin jetzt allein und muss auf mich aufpassen. Durch Battenberg durch, wo ich keinen Bäcker finde: „Hier gibt’s nur 3 Winzer!“  Das kann ja heiter werden! Langsam meldet sich der leere Magen. Aber der Weg dann auf den weichen Waldwegen, immer auf und ab am steilen Uferhang des Krumbachtals entlang, lenkt ab. Es ist absolut still. Im Bannwald – oder kurz davor – weitet sich der Blick und ich schaue auf einer Lichtung ins Tal.

Ein verwittertes Kreuz am Wegrand erzählt die tragische Geschichte eines Försters, der an dieser Stelle erschossen worden ist: Es gibt 3 Varianten, wieso und warum der „unbescholtene“ Mann um die Ecke gebracht worden sein soll. Kurz gefasst: Variation 1: Er hatte eine zu schöne Frau, auf die ein anderer sein Auge geworfen hatte. Variation 2: der Försterlehrling, der im Rollenspiel“ den finalen Schuss auf das Wildschwein üben sollte – wobei der Förster der Keiler war – hatte scharfe Munition im Gewehr. Variante 3: Schmuggler. Der Vorfall gehört zu den ungeklärten Mordfällen.


Beim Abzweig zum Ungeheuer-See diskutiere ich einige Minuten mit mir, ob ich die 800 Meter runter und wieder hoch laufe oder meine Energie spare (Mittlerweile habe ich mir doch eine kleine Blase eingehandelt). Ich entscheide mich für den Abstieg und werde nicht enttäuscht: Der See liegt eher wie ein zahmes Tier denn ein Ungeheuer in der Morgensonne. Enten schwimmen an gewaltigen Seerosenblättern vorbei, Libellen schwirren – und dann kommen die Japaner.
Zwei ältere Ehepaare. DIE Gelegenheit, etwas gegen meinen knurrenden Magen zu tun. Als ich mit Hubert hier an einem Wochenende war, war hier Remmidemmi. Und natürlich war die Hütte des Pfälzerwald-Vereins geöffnet, die jetzt an einem Wochentag geschlossen ist. Nur die Japaner können mir noch weiterhelfen. Sie bieten mir auch sofort geschnittene Pfirsichstückchen und Schokolade an. Was ich dankbar annehme. Mein Versuch englisch zu sprechen, wird von einem von ihnen, der hier lebt, unterbrochen: „Meine Freunde sind zu Besuch hier. Sie sprechen nur Japanisch. Ich übersetze.“ Ich denke an Julia: „Japanisch ist Weltsprache“.


Mit neuer Energie gehe ich den Hang bergauf wieder 800 m hoch. Komisch, vor ein paar Jahren, mit Hubert, war ich außer Puste. Jetzt geht es gut. Mit Rucksack. Klar, nach einer Woche Wandern!
Die Lindenmühle hat geöffnet. Gott sei Dank! Die sechs Kilometer bis Bad Dürkheim wären sonst eine Fastenwanderung geworden. Ich esse „Grumbeere mit Weißem Käs“, die Kartoffeln ungepellt geviertelt, das Messerchen daneben, zum Quark Zwiwelcher. Ein Genuss. Zum Bismarckturm hoch, der geschlossen ist ( wird vom Verein auch nur am Wochenende betrieben; hatte dort mit Hubert selbstgebackenen Kuchen gegessen, Nickerchen im Gras.
Dann geht es eigentlich nur noch – mit einigen kleinen Anstiegen – bergab. Vorbei am Teufelstein und an der Heidenmauer – ein keltischer Wall, den ich fast übersehen hätte, weil nirgendwo ein Hinweisschild war. Apropos: Der Weinsteig hat Note 1 mit Sternchen verdient, was die Markierungen betrifft. Immer wenn ich dachte, jetzt könnte mal wieder ein Zeichen kommen, tauchte eins auf. Mit Informationstafeln haben es die Pfälzer weniger. Kultur ist ja auch nicht alles. Hauptsache ankommen und „gut gess un getrunk“.


Kriemhilds Stuhl war schon bei der ersten Wanderung mit Hubert beeindruckend. Tatsächlich sieht der Steinbruch, aus dem bereits die Römer den bunten – hier hellen – Sandstein gebrochen haben, wie ein überdimensionierter Thron aus.
Es geht abwärts auf schmalen Pfaden und in engen Kehren. Der Weg zum Merkure-Hotel zieht sich. Aber dort – Luxus: Das Hotel hat einen direkten Zugang zum öffentlichen Schwimmbad, Solebecken inklusive. Das Bad tut dem Körper gut. Der Seele tut es gut, dass ich in der Fronmühle an den Salinen dann Dagmar und Dieter treffe.
Ich schlafe sehr gut. Vielleicht auch wegen der guten Luft aus den Salinen direkt gegenüber meinem Balkon.

 

Mein Rucksack

Ruhetag.  Ein paar Sachen auswaschen. Mit dem Bus über die Dörfer durchs Leininger Land nach Grünstadt fahren. Schuh reparieren lassen. Doch noch eine Hose und eine Bluse (im Sonderangebot ) kaufen. Wiegt kaum was! Köstliches Himbeereis bei Venezia essen (seit 1957 in Grünstadt; selbstgemachtes Eis ohne Milchpulver!). Durch die mittelalterlichen Gässchen von Neuleiningen spazieren. Am frühen Abend einen Riesling Spätlese mit Blick auf diese schier endlose Ebene des Rheingrabens. Bis zur BASF und nach Philippsburg (AKW sind halt gute Anhaltspunkte, Philippsburgs qualmt noch). Die vergangenen Wandertage überdenken.
Es geht mir sehr gut. Keine Blessuren. Ein paar Mückenstiche. Kein Muskelkater, keine Kniebeschwerden, keine Rückenschmerzen, die Füße in Ordnung. Gebräunt ohne Sonnenbrand. Die Fettpolster schwinden. Die „Winke-Arme“ auch. Die Gedanken fliegen. Die Energie steigt.
Der Rucksack wird leichter, obwohl er doch mittlerweile mehr Gewicht hat (eine Broschüre der romanischen Basilika aus Bechtheim, ein kleines Buch über Osthofen, Hotelübernachtungsrechnungen samt Prospekten, Mückenspray, neue Kleider).
Sein Gewicht merke ich nur morgens für einen Moment, wenn ich ihn auf den Rücken hebe. Dann vergesse ich ihn – meistens. Als ob er ein Teil von mir wird. Und er bezwingt auch ein wenig meinen „Buckel“.
Vielleicht ist das auch mit der Trauer so. Sie nimmt nicht ab. Aber sie wird ein Teil von dir. Du gehst mit ihr deinen Weg. Schöne Wege. Auch mal nervig und anstrengend. Allein, aber nicht einsam.
Jemand hat mir nach Huberts Tod geschrieben, ich müsse jetzt lernen, auf 2 Beinen zu gehen. Nach 40 Jahren. Genau das mache ich im Moment. Ich denke für uns mit: Vor dem Verlassen des Hotelzimmers noch mal schauen, ob alles eingepackt ist. Nach jeder Rast den Blick zurück, damit nichts liegen bleibt. Der Griff an den Rucksack: Ist das Portemonnaie noch da? Nicht zu schnell gehen. Den Wein und das Essen genießen. Neugierig sein. Nachfragen. Zusammenhänge herstellen. Und doch: die Leichtigkeit des Seins.
Aber auch meinen Part von uns behalten: Das Wundern über diese prachtvolle Erde, ihre Farben und Formen: „Hubert, sag doch mal, ist das nicht schön?!“
Aber vielleicht wird der Rucksack ja auch nur deswegen leichter, weil bei mir ein paar Kilo Fett runter sind – physikalisch gesehen.
Jetzt noch ein paar Tempo-Taschentücher und morgen auf nach Bad Dürkheim. Ich freue mich auf Dagmar und Dieter. Und einen Tag später auf Jürgen und Annette.

 

 

Verlaufen, Schuh kaputt – aber alles ist gut!

Heute habe ich mich auf der ersten Etappe des Pfälzer Weinsteigs richtig verlaufen. Und mein rechter Schuh löst sich auf. Wie gut, dass morgen mein Ruhetag ist!
Aber der Reihe nach.


Bockenheim – Neuleiningen, die erste Etappe des Pfälzer Weinsteigs. Das ist kein Problem, habe ich mir gedacht. Nur die Sonne – gemeldet waren 36 Grad – könnte die Sache anstrengend machen.
Also um 7: 00 Uhr sehr gut in der Pension Brunnet gefrühstückt und dann direkt hoch durch die Weinberge, wo ich oben auf meinen Weg treffen will. Klappt. Es ist schon warm, aber je höher ich komme, desto mehr frischt ein leichter Wind auf. Eine Heiligenkirche liegt am Weg, eine kleine Feldkapelle, dem Petrus geweiht, mit barockem Portal, die in die Ruinen der romanischen Vorgängerkirche gebaut ist. Die gemauerte „Gnadenquelle“ davor ist derzeit versiegt. Aber ein Plastikeimer davor sagt mir, dass das nicht immer so ist.
Ein Kreis von Kastanienbäumen umschließt das Rund, als wollte er etwas beschützen. Das Böse fern halten. Was das ist, sehe ich eine Kehre weiter und ca. 50 Meter höher: Der „Katzenstein“, ein großer Felsblock aus Muschelkalkstein – man vermutet ein heidnischer Opferstein unsrer Vorvorfahren. Da haben die christlichen Missionare den Petrus mal gegen den Donar ins Feld geschickt!


Weiter durch die Weinberge. Leider kann man die Aussicht auf die Rheinebene nicht fotografieren – es ist einfach zu hell. Aber den Blick hinab auf diese weite, weite flache Ebene kann eh‘ keine Tablet-Kamera festhalten.
Auf der anderen Seite meine ich den Donnersberg zu sehen, will aber für meine geographischen Kenntnisse nicht die Hand ins Feuer legen.


Die Weinterrassen hier unterscheiden sich sehr von denen in Rheinhessen: Sie sind sanfter, haben weichere Bewegungen. Wie weite grüne Sonnensegel.

Während ich so sinniere, bin ich immer weiter abwärts gelaufen und merke erst zu spät, dass ich einen Abzweig übersehen habe.
Ein Winzer, der mir auf seinem Traktor entgegen kommt, hilft weiter, denn ich will nicht den ganzen weiten Hang wieder hoch laufen. Also weiter runter, dann rechts an der Sporthalle vorbei bis zur Hauptstraße: „Über den Bersch, den du do siehscht, Mädche, do muscht niwwer. Beim nächste, do siehscht dann schun Neuleininge“, erklärt er in vorderpfälzischem Singsang. Aller dann!
Ich folge seinen Anweisungen, was in Ordnung war, folge den Anweisungen eines weiteren „Einheimischen“, der mich in die Irre führt, und lande dann im Pfalzhotel in Asselheim, wo ich mir einen Kaffee genehmige. Von hier sind es knappe 3 Kilometer nach Grünstadt. Dort komme ich dann wieder auf den Weinsteig.
In Grünstadt kaufe ich in der hübschen Fußgängerzone ein Schälchen Himbeeren und mache es mir im ehemaligen Schlosspark – oder was davon übrig ist – gemütlich. Ich komme mit einem älteren Herrn auf einer Parkbank ins Gespräch. Vor sich hat er seinen Rollator stehen. Er kennt alle Wege. Wir vertiefen uns in die Landkarte. Er bekommt leuchtende Augen. „Sie sind wohl früher viel gewandert?“ „Ja, sehr viel. Irgendwann geht es halt nicht mehr“. Pause. Und dann: „Wandern macht frei.“ Dabei schaut er nicht auf den Rollator, sondern irgendwohin in die Ferne.

Aller dann!
Der Weg hoch in die Weinberge ist schweißtreibend. Und als ich an einem großen Nussbaum ankomme, denke ich mir, dass das ein gutes Plätzchen für eine Rast sei. Ich muss ja nicht in der Mittagshitze laufen!
Da entdecke ich das Malheur: Vorne an der Spitze des linken Schuhs löst sich die Sohle. Mit so einem Schuh habe ich mir in den Alpen vor Jahren das Bein gebrochen.
Sehr konzentriert gehe ich die restlichen 2,5 Kilometer bis zu meinem Etappenziel, dem Winzerhof „Sonnenberg“, mitten im gleichnamigen Weinhang, mit einem fantastischen Blick auf die Burgruine Neuleiningen. Nur die unten im Tal verlaufende Autobahn stört mit ihrem Lärmteppich etwas die Idylle. Aber man kann nicht immer alles haben.
Fazit des Tages:
Punkt 1: Es gibt immer einen zweiten Weg.
Punkt 2: Die Freiheit beim Wandern besteht auch darin, sich mal nicht an die vorgegebenen Wegmarkierungen zu halten.
Punk 3: Wer sich verläuft kürzt manches Mal auch ab. Das war heute der Fall. Und bei 36 Grad war das nicht das Schlechteste.
Morgen habe ich Zeit, mich um den kaputten Schuh zu kümmern.

 

 

 

Die „Zangen-Etappe“ entlang der Pfrimm

Was hatte ich für einen Bammel vor diesem Weg von Worms nach Bockenheim!  Der Rheinterassenweg war in Worms zu Ende. Jetzt musste ich eine „Spange“ bis zum Pfälzer Weinsteig fnden. Während die beiden Fernwanderwege touristisch gut vermarktet und deshalb durchgängig – wenn auch nicht immer sinnvoll – gekennzeichnet sind, ist der Weg von Worms nach Bockenheim eine eigene Zusammenstellung von Etappen zweier Wanderwege. Lange hatte ich getüffelt, um eine einigermaßen schöne Tour durch das Verkehrswegenetz von Autobahnen, Bundes- und Landesstrassen zu suchen. Gefunden habe ich die erste Etappe der Klosterroute (Jakobsweg, früher Teil des Nibelungenweges) raus aus Worms und dann immer an der Pfrimm lang bis Wachenheim. Von dort aus gibt es einen großen Zellertalrundweg (Radweg), der über Bockenheim – dort beginnt die deutsche Weinstraße – ,führt. Das Problem war, den Anschluss zwischen beiden Wegen und natürlich erst mal aus Worms rauszufinden. 20 Kilometer insgesamt , aber ohne wesentliche Steigungen.
Nachts im Doppelstockbett habe ich im Halbschlaf memoriert: Raus aus der Jugendherberge, Südportal Dom, Lutherring bis kurz vors Denkmal, Kriemhildstraße, über die Bahngleise in die Steubenstraße (verkehrsreich!), und dann immer geradeaus bis zur Pfrimm. Es hat geklappt. Um 7:30 Uhr bin ich gestartet (mit Lunchpaket aus der Jugendherberge) und bald schon bin ich aus dem Verkehr raus und biege links ab in einen ungeteerten Fahrradweg an der Pfrimm. Der Verkehrslärm wird leiser und verstummt ganz, als ich an einen Park komme. Ich begegne nur ein paar älteren „Walkern“. Ein Paar spricht mich an, und ist – wie alle – baff erstaunt über mein Unterfangen. Sie wollen ein Stück mitgehen, der Mann am liebsten bis Pfeddersheim, was die Frau dann aber mit dem Hinweis auf Tagesgeschäfte, die zu erledigen sind, verhindert Sie erzählen mir allerdings etwas über die Geschichte des Parks, der von einem in Amerika zu Geld gekommenen hiesigen Geschäftsmann den Einwohnern als englische Parkanlage gestiftet worden war. Dafür trägt der Park seinen Namen, und seine Urne steht in einem Mausoleum im Park. Schön.
Witzig ist „das Ochsenklavier“, das mir meine nette Begleitung zeigt: Eine Reihe von Steinen an einer Furt, die tatsächlich wie die Tasten eines Klaviers aussehen und die früher den Ochsen sicheren Halt beim Überqueren der Pfrimm gegeben haben sollen.


Dank der interaktiven Karte meines Handys, den vereinzelt auftauchenden Muschelzeichen und einer sehr guten Beschreibung im Wander- und Pilgerführer Klosterroute komme ich gut voran. Kein Wunder, es geht immer dem Wasser nach.
Die Vögel zwitschern, die Laubbäume spenden Schatten, die Pfrimm gurgelt – was will das Wanderherz mehr: „Wem Gott will Rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen , in Berg und Strom und Wald und Feld“. Tatsächlich ist es eine Gunst, einfach mal fast 3 Wochen zu Fuß unterwegs sein zu können, und die Krönung wäre ein Kaffee in Pfeddersheim, das ich schnell erreiche. Pustekuchen. Der Ort ist um 9:30 Uhr ausgestorben, und das einzige Eiskaffee am Ort öffnet erst um 12:00 Uhr.
Pfeddersheim ist besonders: Ein großes Neubaugebiet umschließt den kleinen Stadtkern. „Mütter vom Prenzlauerberg“ aus Pfeddersheim machen mit Walking.-Stöcken und Babys im Brusttuch Gruppengymnastik. Ein Walker – ich tippe pensionierter Oberstudienrat – , den ich schon zum zweiten Mal treffe, erklärt mir, dass Worms und Pfeddersheim 2 direkt nebeneinander liegende freie Residenzstädte waren. Einmalig in Deutschland. Heute ist Pfeddersheim Wormser Vorort, ein ordentlicher Vorort: Verbundsteinpflaster, sorgfältig geschnittene Hecken, die Höhe des Rasens stimmt exakt. Als wolle sich der ehemals so mächtige Ort gegenüber Worms irgendwie ein wenig Würde bewahren. Schade – das ist der falsche Weg.

Bürgertum in Pfeddersheim

Aber ein paar Wehrtürme aus der guten Alten Zeit stehen noch, die Synagoge ist erhalten, und ein paar wirklich anheimelnd kleine Häuschen. Also: Nicht alles ist falsch.
Es geht weiter entlang der Pfrimm im Schatten hoher Laubbäume am Bachrain. Rechts Rübenacker und abgeerntete Getreidefelder. Stahlblauer Himmel.

 Das erste, was ich von Monsheim sehe, ist das Klärwerk. Gut versteckt, aber mir entgeht es nicht. Nach einer alten Mühle mit einem imposanten Wasserturm ist der Ort nicht mehr weit. Wie ausgestorben in der Mittagszeit. Von weitem lese ich ein Schild – Kaffee und Kuchen -, doch beim Näherkommen entdecke ich leider ein zweites Schild: Betriebsferien. Wirklich alle Gaststätten in Monsheim machen Ferien. Aber: Glück muss der Mensch haben: Ganz oberhalb des Ortes, im liebevoll restaurierten Bahnhof gibt es das Eiscafe Noisette, mit wirklich leckerem Eis – wird doch tatsächlich aus Berlin geliefert. Und Kaffee gibt’s auch!


Passenderweise  finde ich hier auch meine Wegzeichen wieder. Zwischen einem hohen Bahndamm links und der Pfrimm rechts führt ein Vogellehrpfad. Man lässt das Totholz hier liegen, so dass sich ein kleiner rheinhessischer Urwald entwickeln konnte. Dann weitet sich die Landschaft wieder. Rechts Weinberge, links ein Biotop , Überschwemmungszone der Pfrimm.
Wachenheim: Siehe Pfeddersheim und Monsheim – ausgestorben!
Mein Problem: Hier muss irgendwo die Anschlussstelle zum Zellertalrundweg sein. Internetempfang habe ich keinen. In einer Autowerkstatt hilft mir ein junger Mann weiter, indem er mir die ungefähre Richtung zeigt. Wir schimpfen noch ein wenig gemeinsam über das langsame Internet hier auf dem Land und dann bin ich bald auf dem Radweg die letzten 3,5 Kilometer unterwegs durch die Weinberge nach Bockenheim. Es ist heiß, aber ich kann das gut vertragen.

Blick zurück kurz vor Bockenheim

Ich entdecke auch meine Pension, aber statt einer großen Rieslingschorle finde ich nur einen kleinen Zettel: „Liebe Frau Lampe, wir sind gegen 16:30 Uhr wieder da“. Tja, da heißt es 1 Stunde warten.
Aber dann gibt es eine ganz große, kühle Schorle. Und ich habe meine „Panik-Etappe“ eigentlich ganz gut bewältigt.

 

 

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