Reisen

Autor: Baobab (Seite 11 von 19)

„Basislager“ Puerto Natales

Abendhimmèl über Natales

Das Busfahren über weitere Strecken ist in Chile angenehm, sehr organisiert, gut online buchbar – und die Busse sind pünktlich. Jedenfalls kann ich das von der Gesellschaft Bus-Sur sagen, mit der wir jetzt wiederholt unterwegs sind. Von Punto Areas bis nach Puerto Natales sind es 3 Stunden in nördlicher Richtung nahe der Grenze zu Argentinien, mitten durch menschenleeres Gebiet. Nur selten eine Hazienda, eine Ansammlung von Häusern. Kilometerlang eingezäunte Weiden für Rinder und Schafe, flaches braunes Gras- und Buschland bis zum Horizont, dazwischen Wälder mit vom Wind geformten Krüppelakazien und Pinien, die mit graugrünen Flechten überwuchert sind, manchmal ein See mit Flamingos, ein Fluss. Immer wieder Nandus, die aber nur meine Schwägerin entdeckt – ich bin nicht flink genug mit den Augen. Nur selten führt die Straße einen Hügel hinauf. Pampa.
Am frühen Abend kommen wir in Natales an. Das ist jetzt ein Ort wie ich ihn mir in dieser arktisnahen Region vorstelle: kleine bunte blechverkleidete Häuser, die sich weit am Fjord entlang den Hang hinauf ziehen, kein Stadtkern im eigentlichen Sinn. Eine Mitte ist höchstens der Platz um die Kirche mit einem Park und modernen öffentlichen Gebäuden. Es gibt eine Unmenge von kleinen Geschäften für den täglichen Bedarf, fürs Trecking oder größere Expeditionen, Hostels, Restaurants, ein schönes Kunsthandwerkszentrum. Natales war schon immer Ausgangspunkt für Forscher und Entdecker. Heute ist es guter Start für einen Besuch des Nationalparks Torre des Peines.


Wir wohnen – wie bisher immer – sehr hübsch in einem familienbetriebenen Aparthotel. „ Vieto Patagonico“ liegt oben am Hang in der Nähe des Busbahnhofes. Zuerst dachten wir, dass wir ein wenig abgehängt von Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten seien – in Natales gibt es keinen ortsinneren öffentlichen Nahverkehr. Doch dann stellte sich heraus, dass der Einheitspreis für das Taxi 1.500 Pesos sind, so dass man sich das zu dritt gut leisten kann. Außerdem ist der Fußweg doch nicht so weit wie angenommen. Und drittens fährt uns einer der Söhne der Familie wie selbstverständlich, wenn wir etwa zum Ausgangspunkt einer Tour wollen.

Chile oder Schweden?

Das Haus selbst hat schöne Zimmer, einige mit Küche. Der Clou: Es hat ein ausgebautes Dachgeschoss mit einem Rundumblick auf den Fjord, die Berg- und Gletcherwelt.

Wir haben es also sehr gut, genießen den Abend und nehmen uns auch für den nächsten Tag, dem Geburtstag meines Schwagers – nicht viel vor, außer einer kostenfreien Stadtführung mit einem sehr kündigen jungen Chilenen.
Ultimo Esperanca – so heißt der Fjord, an dessen Eingang Natales liegt. Es war die letzte Hoffnung des Seefahrers und Forschers Juan Ladrillero, im 16. Jahrhundert eine westliche Durchfahrt zur Magellanstrasse zu finden. Vergebliche Mühe. Aber der Ort liegt traumhaft schön am Anfang des Fjords, umgeben von den Gipfeln der Cordillere Riesco und den Eisfeldern. Bei Sonnenschein glitzert das Wasser, Schwarzhalsschwäne schwimmen nahe am Ufer, Kormorane besiedelt die Pfahlstege, die Schaumkrönchen der Wellen leuchten blendend weiß.

Und der Wind weht kräftig. Wie fast immer in Patagonien. Man braucht auch im Sommer eine Jacke!
Unser Führer erzählt von den Mythen der Ureinwohner, die es nicht mehr gibt und deren nachgebildet Masken man in Souvenirläden erstehen kann, von den Schafbaronen, den Schlachthöfen und Wollfabriken, den Kämpfen der Arbeiter um bessere Arbeitsbedingungen. Er führt uns an der Skulptur eines eiszeitlichen Riesenfaultiers vorbei, dessen Überreste der deutsche Kapitän Eberhard am Ende des 19. Jahrhunderts in einer Höhle in der Nähe fand. Das Skelett war so gut erhalten, dass man auf die Suche nach noch lebenden Exemplaren ging, aber der Milodon darwinii ist schon seit 20.000 Jahren ausgestorben.

Wir erfahren, dass die Engländerin Lady Dixie als erste Frau von hier aus zu den Torres del Peines aufbrach, noch bevor das Land kartographiert war. „Across Patagonia“ heißt das Buch der Feministin, das sie über ihre Erlebnisse geschrieben hat.

Als wir an ein Denkmal kommen, das einen Ureinwohner in Fell bekleidet darstellt, wie er die Hand schüttelt mit einem Padre, bekommen wir Besuch. Der Bürgermeister des Ortes will uns etwas erzählen. Er lobt den jungen Gästeführer und hebt dann zu einer nicht enden wollenden dramatischen Rede an, unterstreicht das pathetisch Vorgetragene mit ausladenden Gesten, wünscht uns dann noch einen guten Tag und geht eiligen Schrittes wieder von dannen.

Eine mindestens ebenso resolute Frau aus Tel Aviv – älter als ich und gerade allein auf einer einjährigen Weltreise – übersetzt mir erst, dass der Bürgermeister einen Lobgesang auf die reichen Mäzene des Ortes gesungen habe, die so viel Gutes für Natales tun , u.a. mit einem Kirchenbau, was nicht hoch genug zu würdigen sei. Dann wiederum hebt die Weltreisende zu einer Gegenrede an: Warum man denn dankbar sein solle – schließlich hätten sich die heute reichen Familien damals einfach das Land genommen, die Arbeiter ausgebeutet, die indigene Bevölkerung gemordet. Da könne man doch heute nicht vor Ehrfurcht applaudieren, das seien doch Almosen. Und was, bitte schön, sollten die ärmeren Bewohner von Natales mit einer Kirche anfangen? Davon würden sich deren Lebensverhältnisse nicht bessern.
Am Ende der Führung hat sie dann einen weiteren hochemotionalen Auftritt. In einer Ansprache an die Gäste der Führung, zu denen sie ja auch gehört, appelliert sie, den jungen Stadtführer entsprechend zu entlohnen. Er sei schließlich nur ein Volontee und erhalte keinen gerechten Lohn. Dem folgen denn auch alle. Vielleicht hat die alte Dame da ein wenig des Guten zu viel geredet, denn auch ohne ihren Aufruf hätten alle freiwillig gezahlt.

Die Friedhöfe sind so bunt wie die Städte

Chilenische Safari

Er hält seine Flossenflügel in der Horizontalen ausgestreckt und beginnt sie dann langsam und mit kurzen Pausen von oben nach unten zu bewegen, wartet ab, ob sein Gegenüber die Tanzbewegung aufnimmt, steigert das Tempo nach kurzer Zeit zu einem Flattern, schaut dabei unentwegt sein Gegenüber an, fordert es auf, die Bewegung mitzumachen, drängt, gibt nicht auf – vergeblich. Frustriert wendet er sich um, lässt Kopf und Schultern hängen und watschelt gebückt davon. Aber schon bald, reckt er sich wieder, streckt selbstbewusst die Brust heraus und nimmt die Abfuhr nicht weiter schlimm.

Wir sind inmitten einer riesigen Population Mangellanpinguine auf der Magdaleneninsel. 35.000 Paare – das sind mit Nachwuchs ca. 90.000 Tiere, bevölkern das karge Eiland in der Magellanstrasse auf der Höhe von Punto Arenas.
Ich könnte stundenlang zusehen, und so geht es den meisten, die mit dem kleinen Schiff heute morgen vom Festland bei Punta Arenas aus aufgebrochen sind.
Die Magellanpinguine, klein und putzig, sind die einzige Art, die überhaupt nicht menschenscheu ist. Im Gegenteil, bei der Ankunft des Schiffes begrüßen sie uns schon.

Wir gehen einen abgegrenzten Weg entlang zu einem einsam auf der Höhe stehenden Leuchtturm. Links und rechts von uns Tausende von Pinguinen. Sie stehen als Pärchen zusammen, still wie Statuen, um dann im nächsten Augenblick ruckartig, meist synchron, den Kopf zu drehen. Sie liegen faul in Höhlen, watscheln auch mal allein durch die Gegend, spielen miteinander, raufen, Mütter zupfen ihren Kinder den „Babyflaum“. Sie halten den Schnabel in die Höhe und stoßen krächzende Laute aus, rudern mit ihren kleinen „Ärmchen“ oder putzen sich gegenseitig.

Es war am Abend voher gar nicht sicher, ob es mit der Tour klappen würde – zu stürmisch! Doch das Wetter hat sich über Nacht beruhigt. Wir hatten die Fahrt bereits von Santiago aus bei Solo Expeditiones online gebucht und sind nicht enttäuscht worden. Zwar muss man bereits um 6:30 Uhr am Morgen in der Agentur sein (war nur ein paar Minuten von unserem Hotel entfernt), und es dauert eine Weile, bis alle Mitfahrer bezahlt haben, aber dann geht es mit einem Bus direkt zum Lageplatz der beiden Schiffe, der in der Nähe des Flughafens liegt.

Unterwegs sehen wir Delfine und sogar die Flosse eines Wals. Besser sehen, hören und riechen können wir allerdings die Seelöwen auf der zweiten Insel, die wir anlaufen, Marta Island. Hier können wir nicht an Land, doch auch vom Boot aus lassen sich die Urgetüme gut beobachten. Vor Mittag sind wir wieder zurück und haben noch genügend Zeit für einen Stadtbummel und einen Kaffee mit chilenischem Baumkuchen im La Chocolatta bevor wir in den Bus ins 240 Kilometer entfernte Puerto Natales einsteigen.

Von der Wüste in die Steppe ans Ende der Welt

Wir sind am Ende der Welt. Das geht im 21. Jahrhundert ganz schnell. Mit dem Flieger von der Atacama im Norden Chiles nach Santiago – wo wir einen gemütlichen Grillabend mit der Familie hatten und am nächsten Tag noch Zeit genug war, um Nerudas Haus zu besuchen (mehr davon in einem anderen Blog) – und dann weiter mit dem Flieger nach Punta Areas, einer der südlichsten Städte der Welt. Von einem Extrem zum andern. Von der Wüste in die Steppe. Auf der Busfahrt vom Flughafen ins 19 Kilometer entfernte Punta Arenas, bekomme ich einen ersten Eindruck: linkerhand die Magellanstrasse – ein Sehnsuchtsort meiner Kindheit – rechterhand unendliches Weideland für Schafe. Die Lupinien blühen, Margeritenwiesen und Kamillebüsche, Pinien. Bunte Häuser wie in Schweden. Nein, bunter, denn die Dächer sind auch farbig: grellgrün, mint, blau, rot, kanariengelb.
Bei näherem Hinsehen ist es aber keine Holzfassade wie in Schweden, sondern verzinktes Blech, das vor dem Wind schützt.

Zum Staunen ist dann wahrlich die Innenstadt: Prunkvolle Villen, kleine Chateaus, prächtige Bürgerhäuser, Pinienalleen. Europäische Architektur wie man sie von Wiesbaden oder von den Elbhängen her kennt. Dabei war diese unwirtliche Gegend an der Magellanstrasse Mitte des 19. Jahrhunderts noch der Ort, an den Schwerverbrecher hingebracht wurden. Aber in den letzten 2 Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kamen Einwanderer aus England, Kroatien, Portugal und Dalmatien und nahmen sich das Land mit Duldung der chilenischen Regierung.

Was die Salpeterbarone für de Norden Chiles waren, wurden die Schafbarone für den Süden. Es entstanden riesige Haciendas in Magellanes und auf Feuerland, und ihren Reichtum stellten die „Neureichen“ in Punto Arenas zur Schau. Als dann noch die Kunde von Goldvorkommen in Feuerland kam, rollte die Einwanderungswelle noch schneller.

Gleichzeitg bedeutete das den Tod der Stämme der Selk’nam, nomadisierender Jäger. Die neuen Landbesitzer jagten und töteten sie systematisch. Die Regierung ließ sie gewähren. Es wurden Kopfprämien ausgesetzt. Es war ein Genozid an einem Volk, das dieses Land lange vor den „Landnehmern“ besiedelt hatte.
Zurück in die Gegenwart: heute ist Punto Arenas eine lebendige Stadt, die vom Tourismus (auch Kreuzfahrtschiffe) lebt. Wir essen in einem der zahlreichen Restaurants und übernachten im stylischen Aparthotel Endurance, dessen Inneneinrichtung aus Holz von gekelterten Schiffen besteht.
Am nächsten Tag geht es auf „chilenische Safari“ – mit dem Schiff zu Pinguinen, Seelöwen und Kormoranen.

Musste sein: Pisco Amour (Trester mit Zitronensaft), das chilenische Nationalgetränk.

Nicht ganz freiwilliger Ruhetag: auch nicht schlecht!

Ich trinke einen chilenischen PHARISÄER.

Eigentlich wollten wir nach den beiden Touren am Montag dienstags in den frühen Morgenstunden gleich wieder los – zu noch einer Tour über 4.000 m zu einer Lagune. Als der Bus eine Stunde nach der vereinbarten Zeit immer noch nicht bei unserer Lodge aufgetaucht war, erfuhren wir dann telefonisch, dass wir nicht auf der Fahrerliste gestanden hatten. Das gezahlte Geld bekämen wir zurück. Später stellt sich heraus, dass nicht die Agentur den Fehler gemacht hatte, sondern wir. Wir hatten die Buchung nicht mehr überprüft, denn dort war ein falsches Datum eingetragen. Das Geld gab’s doch zurück, und wir waren gar nicht so unglücklich über die Verschnaufpause und den „freien“ Tag. Vor allem, weil wir als Alternative eine Sternentour mit Observation gefunden hatten. Leider ist genau an diesem Abend der Himmel bewölkt und das Ganze wird abgesagt.
Ruhetag heißt: In den Straßen von San Pedro schlendern, im Café sitzen, lesen, schreiben, schlafen und abends noch eine Kleinigkeit essen. Weil wir in einem Lokal ohne Alkoholkonzession sitzen, gab’s das Bier aus der Tasse: chilenischer Pharasäer

San Pedro: Licht und Schatten

Im Moment erhöhen wir drei den Altersdurchschnitt der Touristen in San Pedro gewaltig. Backpacker auf den Gassen, junge Männer, die ihrer Gitarre auf der Plaza melancholische spanische Weisen entlocken, durchtrainierte Sandboarder, die in den Sanddünen ideale Bedingungen haben, verliebte Pärchen auf Lateinamerikareise. Seltener sind in die Jahre gekommene Aussteiger, die es sich leisten können, den eigenen, hochspezialisierten Camper mit dem Frachtschiff nach Lateinamerika zu transportieren, um dann mit grauem Zopf (Mann) und buntgemusterten Waller-Kleidern (Frau) von ihren Erlebnissen zu erzählen. Schläfrige Gelassenheit liegt über dem Marktplatz mit seinen Cafes unter Laubengängen, dem Park und der alles dominierenden Kirche aus Adobe, in der eine Christusfigur fast schon unheimlich dem ESC-Gewinner Conchita Wurst ähnelt.

Ältere Atacamenos sitzen auf Steinmäuerchen und halten ein Schwätzchen. Auch die Müllarbeiter, die sonst unentwegt unterwegs sind, gönnen sich eine Pause. Und wir trinken frischgepresstem unverdünntem Orangensaft ohne Zuckerzusatz.

In den Gassen mit ihren Tourveranstaltern, Souvenirpassagen, Kneipen und Restaurants wird niemand angemacht. Man kann schlendern und schauen, ohne dass man bedrängt wird. Nicht nur in den Mittagsstunden, sondern auch abends, wenn aus den Bars und Sandwicherias der Beat schlägt.
Die Atacaminos, die hier leben, sind freundliche, zurückhaltende, zuverlässige Menschen. Viele profitieren von den Attraktivitäten der Wüste, der Bauboom lässt die Stadt wachsen, Hostels überall, und unfertige An- und Neubauten.

Und doch liegt über der gesamten Gegend ein Schatten, der immer größer wird: Lithium.
In der Atacama wird der begehrte Rohstoff für Batterien – Handys und Elektroautos! – abgebaut. Chile ist nach Australien der zweitgrösste Lieferant. Und die Nachfrage boomt.
Doch was für die chilenische Wirtschaft ein Segen ist, birgt für die Bevölkerung, besonders die Indigene, existentielle Gefahren. Verschiedentlich haben überregionale Zeitungen in Deutschland schon kurz darüber berichtet. Ein ausführlicher – und wohl gut recherchierter – Artikel findet sich in „Amerika 21. Nachrichten und Analysen aus Lateinamerika“ vom Dezember 2018. Er stammt von Sophia Boddenberg. https://amerika21.de/analyse/219317/die-schattenseiten-des-lithium-booms

Es sind aus ihrer Sicht 4 Punkte, die dazu beitragen, dass Mensch und Natur durch den Lithium-Abbau stark betroffen sind. 4 Punkte, die meiner Meinung nach eng zusammen gehören.

  1. Chile, so wird ein chilenischer Wissenschaftler im Artikel zitiert, konzentriert sich auf die Steigerung der Lithium-Produktion und vernachlässigt die Forschung und Entwicklung der Verarbeitung des Metalle.
  2. Die Chemiefirma SQM, mit der die chilenische Wirtschaftsförderung vertraglich gebunden ist, war einst in Staatsbesitz und wurde unter der Militärjunta Pinochets privatisiert. Der Familie Pinochets gehört heute ein Drittel des Unternehmens, das immer wieder in den Schlagzeilen ist wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
  3. Das Lithium-Vorkommen Chiles liegt im Salar des Atacama, einem Salzsee nahe San Pedro. Das Alkali-Metall wird durch Verdunstung des mineralischen Grundwassers in Becken gewonnen. Dabei wird extrem viel Wasser verbraucht: der Grundwasserspiegel sinkt, Feuchtgebiete trocknen aus, Abwässer werden oft ungeklärt abgeleitet. Was das alles für die grösstenteils indigene Bevölkerung bedeutet, liegt auf der Hand.
  4. Wasserresourcen und -management sind in Chile privatisiert. Die Wasserrechte in der Region um den Sala de Atacama hält SQM (siehe oben).

Der Rat der indigenen Bevölkerung und Gewerkschaften protestieren seit lange gegen das Abkommen der chilenischen Wirtschaftsförderung mit SQM.

Wir begreifen uns als Teil der Pata Hoiri, der Mutter Erde. Wir respektieren sie und deshalb verteidigen wir das Territorium. Unsere Wasservorkommen sind in Gefahr, eines der wichtigsten Elemente für das Leben“, wird Manuel Salvatierra, Präsident des indigenen Rates, zitiert.

https://amerika21.de/analyse/219317/die-schattenseiten-des-lithium-booms

Wenn wir in Europa saubere Lösungen für unsere Umweltprobleme wollen, tragen wir gleichzeitig Verantwortung für die Lebensperspektiven der indigenen Bevölkerung z.B. in der Atacama. Das eine geht nicht ohne das andere.

Lebensfeindliche Schönheit

Die Mauer aus „Game of Thrones“ – nur nicht aus Eis und nicht von Menschenhand erstellt, sondern von Wind und Wetter.

Der Vormittag in über 4000 Meter Höhe war anstrengend. Der Nachmittag sollte ein ebenso anstrengendes Highlight werden.
Wir sind in der Salzkordillere, ein paar Kilometer von San Pedro, im Valle de la Luna. Eine Karstlandschaft, die entstanden ist, nachdem sich vor Millionen von Jahren die Schichten eines ehemaligen Salzsees gehoben hatten und erodiert sind. Wadis, Erdpyramiden, Sanddünen, Kämme, Dolinen bilden Kunstwerke wie sie nur die Natur schaffen kann. Ich kann mich nicht sattsehen. Abends ist der Akku der Kamera leer.

Aber: Hier gibt es außer Touristen, Guides und Angestellten des Parks kein Leben. Früher allerdings schufteten Menschen in dieser Wüste, die Salz abbauten. Unmenschlich!

Nichts kann überleben in dieser salzhaltigen Erde, in dieser Landschaft, in der es vielleicht einmal im Jahr regnet. Keine Pflanzen, keine Tiere. Selbst in der Namib ist mehr Leben.

Eingang zu einem Höhlengang. Bei einem der seltenen Regenfälle füllt sich der Gang mit Wasser.

Und wir wandern in dieser lebensfeindlichen und gleichzeitig faszinierend schönen Landschaft zusammen mit einer internationalen Gruppe junger Leute. Wir steigen durch tiefen Sand Kämme hoch, kriechen mit Taschenlampen durch Höhlengänge, klettern, kommen ins Schwitzen – aber wir halten gut mit. Es macht Spaß!
Der angekündigte Sonnenuntergang fällt auf diesem Breitengrad kurz aus. Die Sonne fällt einfach runter. Beeindruckend ist vor allem die Menge der Menschen, die sich auf den natürlichen Aussichtsplattformen versammelt hat.

Bei den Geysiren im Krater

Es gurgelt und zischt, brodelt und dampft aus der Erde. Die Morgendämmerung taucht die Landschaft in ein sepiafarbenes Licht. Die Luft ist kalt und klar. Denkt man sich die Touristen weg, könnte es der Eingang zu Dantes Inferno sein. Wir sind auf 4.230 Meter Höhe im Krater der Tatio Geysire. El Tatio kommt aus der Quetscha-Sprache und heißt „der Mann, der weint“. Tatsächlich weint er viele Tränen aus vielen Augen: Geysire spucken in die Höhe, Schlammlöcher brodeln, Fumarole stossen giftig gelben Dampf aus, den ganzen Krater durchziehen kleine Rinnsale.

Um dieses Naturereignis zu erleben, müssen wir um 4 Uhr in der Nacht losfahren. Denn am frühen Morgen, wenn es noch unter 0 Grad ist, ist das Spektakel am stärksten. Der Bus eines Tourveranstalters holt uns an unserer Lodge ab. Die Strasse geht steil in Serpentinen nach oben und vielleicht ist es ganz gut, dass es dunkel ist. Manchmal werfe ich einen Blick aus dem Fenster. Der Weg ähnelt teilweise der Strasse hoch nach La Paz, der gefährlichsten Route der Welt. Gott sei Dank haben wir keinen Gegenverkehr. Dafür sind wir aber nicht allein unterwegs. Wie eine Karawane ziehen kleinere und grössere Tourbusse, Pickups, Range Rovers und Limousinen den Berg hinauf. Fast schon oben, stoppt der Verkehr. Ein auf dem Dach liegendes Auto, das sich überschlagen hat. Alle nachkommenden Autos fahren seitlich an der Unfallstelle vorbei. Wie wir später am Tag hören, sind die Insassen unbeschadet davon gekommen.
Auf der Höhe geht es auf einer Wellblechpiste weiter. Ich denke wieder einmal an Afrika. Mit Hubert bin ich manchmal stundenlang auf diesen ungeteerten Ruckelstrassen unterwegs gewesen.
Im Krater muss ich mich erst an die vielen Menschen gewöhnen, die in dicken Winterjacken, Mützen und Handschuhen auf den vorgegebenen Wegen des Naturparks unterwegs sind. Alles ist hier streng geregelt. Es gab wohl schon einige Unfälle mit schweren Verbrennungen.
Nicht verbrannt hat sich meine Schwägerin, die in ein grosses Naturbecken mit dem warmen Wasser aus der Tiefe steigt. Ich kann mich nicht dazu entschließen und laufe noch ein wenig, vorbei an Schlammlöchern und Geysiren. Auf welch dünner Kruste wir uns doch bewegen!

Die Fahrt weiter führt durch Sand- und Steinwüste. Riesige rote Steine, manchmal wild „übereinander gestapelt“, erinnern an den Sinai.
Aus dem Bus sichten wir einen Wüstenfuchs. Vincunas und Flamingos suchen in kleinen Lagunen Futter. Was wir zuerst als Möwen identifizieren (und uns natürlich wundern) ist tatsächlich die in den Anden lebende Gaviota Andina, die es nur noch in einer sehr kleinen Population gibt.

Viel Leben also in diesem Teil der Wüste. Am Nachmittag werden wir eine andere Einöde kennenlernen.

Auf der Suche nach den Ursprüngen

ALMA – ein magisches Wort für jeden Astronom oder Physiker. Die europäische Südsternwarte (ESO) betreibt in der Atacama bei San Pedro mit internationalen Partnern das Atacama Large Millimeter Array (ALMA). 66 Präzisionsantennen mit einem Durchmesser von bis zu 12 Metern sind zu einem riesigen „Auge“ zusammengeschlossen. Dieses Teleskop kann noch die schwächsten Lichtwellen im „kalten Universum“ auffangen, – also dort, wo eigentlich alles dunkel und leer erscheint, im Raum „zwischen den Sternen“.

Das ist jedenfalls, was ich verstanden habe. Wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich die verständliche Website über ALMA: https://www.eso.org/public/germany/teles-instr/alma/

Nur in der klarsten und trockensten Luft der Welt, in der Atacama-Wüste auf dem Chajnantor-Plateau in 5000 m Höhe, kann das Teleskop seine volle Wirkung entfalten.
Der Besuch dort ist ein Traum meines Schwagers, selbst Physiker.
Bereits früh hatten wir in Deutschland versucht, eine Besichtigungstour zu buchen – ein vergebliches Unterfangen, denn die Plätze waren bis Ende März bereits ausgebucht (ALMA ist für Besucher nur am Wochenende geöffnet).
Meine Nichte in Santiago versuchte es über Freunde von Freunden – aber auch dies schien nicht zu klappen. Und so hatten wir uns schon damit abgefunden, dass es nichts werden würde.
Dann am Abend vor unserem Abflug nach San Pedro kam ein Anruf: Wir dürfen! Wir müssten uns lediglich ein Auto besorgen, um hoch zu fahren.
Leicht gesagt, schwer umgesetzt, wenn man am Samstagabend in San Pedro ankommt. Aber dank meiner spanisch sprechenden und hartnäckigen Schwägerin stand am nächsten Morgen ein Jeep mit Fahrer vor unserer Lodge – auch wieder privat auf Umwegen über die netten Menschen in unserer Vincuna-Lode.

Die Sicherheitsvorrichtungen bei ALMA sind streng, aber wir waren ja bereits angekündigt. Und so kamen wir in den Genuss einer Privatführung durch einen überaus liebenswürdigen jungen Wissenschaftler, der voll Leidenschaft dieses einmalige Projekt erklärte. Wir durften in die Laboratorien, sahen den riesigen Transporter, mit dem die Antennen an unterschiedliche Standorte geschafft werden können, wir sahen das Innere eines Receivers in einem Wartungsraum und eine der Antennenschüsseln.

Natürlich habe ich wenig von allem verstanden. Und ich habe zum ersten Mal bereut, dass ich im Physikunterricht nicht bei der Sache war. Vielleicht hätte ich auch so einen Lehrer wie meinen Schwager gebraucht, der verständlich und bildhaft erklären kann.
Aber es fasziniert und erfüllt mich mit Bewunderung, was Menschen in der Lage sind zu schaffen, in welche Sphären sie vordringen können, weil sie dem Ursprung des Universums auf die Spur kommen wollen. Wie es gelingen kann die Geburt von Sternen zu beobachten, ferne Galaxien am Rande des sichtbaren Universums zu sehen und Lichtwellen dann in „Bilder“ umzuwandeln, die für mich als Laie magische Kunstobjekte sind.
Der Besuch von ALMA war jede Anstrengung im Vorfeld wert.

Reise in die Wüste

Wir haben es wirklich bequem: Gegen Mittag wurden wir zum Flughafen gefahren, um mit dem Flieger nach Calamar in den Norden zu kommen. Dort stand schon der Taxi-Bus bereit, der uns ins rund 100 Kilometer entfernte San Pedro in der Atacama brachte. Wir fahren vorbei an Siedlungen für die in den Kupferminen arbeitenden Mineros und ihrer Familien hinein in die gelbgraue Wüste. Unwirklich, unwirtlich und doch faszinierend. Wir sind jetzt auf über 2000 Meter Höhe. Rechts und links Sand, Steine, Geröll, nur ab und zu ein vereinzelter kleiner Strauch. Fata Morganen. Die Strasse auf der Hochebene ist gut ausgebaut, streckenweise schnurgerade – und verführt zum Rasen. An der Seite sehen wir viele kleine Altäre, Zeichen von tödlichen Verkehrsunfällen.
Am Horizont tauchen im Dunst Vulkankegel auf, zwischen 5000 und 6000 Meter hoch.
Nach etwa einer Stunde wird es etwas grüner. Wir nähern uns der Oase San Pedro. Die Stadt in der Wüste besteht fast nur aus Adobe-Häusern, gebaut mit ungebrannten Lehmziegeln. Dank kluger Bauvorschriften sind die meisten Häuser ebenerdig. Die Strassen sind nicht alle geteert.
Irgendwie strahlt der Ort etwas Besonderes aus. Vielleicht liegt das an den beruhigend rötlich braunen Farben der kleinen Häuser, vielleicht an den hohen Gipfeln am Horizont, vielleicht daran, dass der Ort eine Oase in der unendlich erscheinenden Wüstenlandschaft ist, die ständig ihre Farbe wechselt. Vielleicht aber auch daran, dass hier Leben ist.
Denn wir sind nicht allein. Es wimmelt hier von meist jungen Touristen, die zu dieser Jahreszeit die Strassen im Ortskern bevölkern. Die Hauptstrasse ist abends so ein wenig wie die „Drosselgasse“ von San Pedro.
Man findet hier alles: Restaurants für jeden Geldbeutel, unzählige Tourveranstalter, die Ausflüge zu den Naturwundern der Wüste anbieten, Andenkenshops, kleine Lebensmittelgeschäfte, Trekkingläden, Kunsthandwerk.
Wir essen sehr gut im „Adobe“ und erholen uns langsam vom Stress des frühen Abends. Davon im nächsten Blog.

Die Kirche San Pedro aus dem 18. Jahrhundert.

Identitäten

Auf dem Plaza de Armes in Santiago stehen zwei Monumente: ein Reiterdenkmal Pedro de Valdivias und eines neueren Datums von 1990 für die indigene Bevölkerung. Das ist so widersprüchlich. Valdivia, Konquisitator, der als Gründer Santiagos gilt, hat die ursprünglichen Bewohner unterworfen, Tausende ermorden lassen, und Ungezählte zum Frondienst gezwungen.
Die indigene Bevölkerung – die Mapuche, Ajmara, Atacemenos und eine Vielzahl weiterer Ethnien – ist im Laufe der kriegerischen Auseinandersetzungen auch in späteren Jahren immer weiter dezimiert worden. Es ist nur ein erster Eindruck, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Chilenen sehr mit den Menschen, die das Land ursprünglich besiedelten, identifizieren. Natürlich schätzen sie die jahrhundertealte Kultur der indigenen Bevölkerung, im Vordergrund aber steht wohl eher das europäisch-spanische Erbe.
Nach Valdivia ist übrigens auch eine Metro-Station benannt…

Monument für die Indigene Bevölkerung auf dem Plaza de Armas
Selbstbewusst, europäisch, intellektuell: Gemälde im Historischen Museum in Santiago
« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2025 Wolkenfolgen

Theme von Anders NorénHoch ↑