Wie gut, dass ich auf den ersten beiden Etappen nicht allein bin! Meine Schwägerin Marlis ist aus Berlin angereist und begleitet mich bis Oppenheim. Der – noch nicht ganz auskurierten Grippe – geschuldet, nehmen wir von Gonsenheim erst mal die Straßenbahn bis zum Hauptbahnhof.
Perfekter kann der erste Wandertag nicht sein: blauer Himmel, Sonnenschein, frische Luft.
Erst einmal begutachten wir die Großbaustelle rund um den Mainzer Bahnhof. Schwer vorstellbar, dass alles am Einheitstag am 3. Oktober fertig sein soll, wie es heute in der Zeitung steht.
Die Figuren am Fastnachtsbrunnen glitzern im Sonnenlicht. Ein Regenbogen spannt sich über Neptun, Nixen und den Schoppestecher.,
Der Dom – ein „rotes Gebirg „, an das sich die kleinen Häuschen der Domkolonnaden schmiegen, als könnte ihnen in er nächsten Nähe des Mächtigen nichts Böses geschehen.
Wir stehen am Marktplatz vor dem Dom. Kein Markttag heute. Dafür haben wir am frühen Morgen vor 9 Uhr den ganzen Platz für uns.
Niemand hat den Dom so gut beschrieben wie die große deutsche Schriftstellerin Anna Seghers, Jüdin, Kommunistin, das Mädchen Netty Reiling aus dem katholischen Mainz. Sie hat dem Dom in „Das siebte Kreuz“ ein großartiges literarisches Denkmal gesetzt. Der aus dem Konzentrationslager „Westhofen“ geflohene Georg Heisler findet im Dom für eine Nach Zuflucht.
„Er … sah nach den Türmen hinauf. Es wurde ihm schwindlig, bevor er die oberste aller Spitzen gefunden hatte, denn über den beiden nahen gedrungenen Türmen erhob sich noch ein einzelner Turm in den Herbstabendhimmel mit solcher mühelosen Kühnheit und Leichtigkeit, dass es in schmerzte.“
Und Anna Seghersversteht es mit wenigen Zeilen die ganze Widersprüchlichkeit des Katholizismus zu verdichten – Allmachtsanspruch und das Versprechen nach Geborgenheit, Unterdrückung und Macht.
„Er fiel auf das nächste Ende der nächsten Bank. Hier, dachte er, kann ich mich ausruhen. Er sah sich dann erst um. So winzig war er sich nicht einmal unter dem weiten Himmel vorgekommen. Das ungeheuer hohe Gewölbe des Doms umfängt den Flüchtling, er fühlt sich kleiner als je zuvor, aber auch zum ersten Mal seit seiner Gefangenschaft wieder geborgen, wieder aufgehoben in einer umfassenden Ordnung.“
Das findet seinen Höhepunkt in der Beschreibung des Denkmals Albrecht von Brandenburgs. Renaissancefürst, zweitmächtigster Mann nach dem Kaiser, gebildet, brutal in den Bauernkriegen, ein Kirchenpolitiker, Macht- und Genußmensch:
„Fünf Meter von ihm entfernt, vom nächsten Pfeiler, traf ihn der Blick eines Mannes, der dort mit Stab und Mitra an seiner Grabplatte lehnte. Die Dämmerung löste den Prunk seiner Kleider auf, die von ihm wegflossen, aber nicht seine Züge, die klar, einfach und böse waren. „
Zum Fürstbischof kommen wir nicht. Davon hält uns eine resolute Kirchenbedienstete ab. Wir waren zwar in den Dom gekommen, allerdings zu früh – vor 9 Uhr. Was nicht sein darf in der katholischen Kirche, das darf eben nicht sein. Ordung muss sein. Also wurden wir wieder rausgeschickt
Auf die Spuren des Kurfürsten trafen wir dann kurz danach doch noch einmal: Der Marktbrunnen wurde von ihm erbaut, nachdem er eine Revolte in seiner Residenzstadt blutig hat niederschlagen lassen. Die Abbildung eines betrunkenen Bauern mit rotem Hahn auf dem Brunnen ist mit den Worten O BEDENK DAS END überschrieben. Welch ein Zynismus!
Als wir dann scnurstracks über den Fischtorplatz zum Rhein gehen, ist die Stadt noch immer menschenleer. Nichts ist zu spüren von der „wimmligen “ Stadt (Seghers in „Der Ausflug der toten Mädchen“), die sie ja später am Tag wirklich ist .
Der Rhein päsentiert sich fast kitschig als „silbernes Band“. Ganz wenige Menschen sind unterwegs, und von denen, denen wir begegnen, ist natürlich eine Bekannte. Mainz ist ein Dorf!
Am Zollhafen machen wir eine erste kleine Rast (Zu früh für einen Kaffee, das Bootshaus hat noch zu).
Mir war nicht in Erinnerung, welch lange Rheinpromenade Mainz hat. Von der Neustadt bis zur Eisenbahnbrücke bei Weisenau. Wir leben am Fluß, merken es aber oft nicht, weil die breite Rheinstrasse wie ein Riegel wirkt.
Links und rechts der Promenade, die nun zum geteerten Wanderweg wird, wachsen Brombeeren (schwarz, aber noch sauer) und Mirabellen,(gelb und rot, aber noch sauer ). Marlis kann nicht widerstehen..
Dann geht es rechts hoch in den renaturierten Steinbruch des ehemaligen Zementwerkes. Zu verdanken ist diese Oase einer Bürgerinitiative, die sich Anfang der 2000er für eine Renaturierung eingesetzt. Wenn nur der Lärmteppich nicht wäre: Autobahn, Flieger im Minutentakt, Eisenbahn. Arme Anwohner!
Auf der Höhe angekommen, rasten wir beim Hofgut Laubenheimer Höhe (kein Kaffee – zu früh – , aber fantastische Aussicht
Das letzte Stück für heute führt durch die Weinberge. Der Fluglärm verschwindet allmählich, am blauen Himmel mit Margritte-Wolken (Marlis) fliegen die Flugzeuge lautlos, Glückshormone steigen, auch wenn Füße und Oberschenkel langsam weh tun.
Aber wir tragen den Kopf noch hoch – im Gegensatz zum Heiligen Alban, dem kopflosen Schutzheiligen vpn Bodenheim, dem wir unsre Referenz erweisen.
Naqh etwas über 14 Kilometern erreichen wir recht früh am Nachmittag Bodenheim mit seinen bunten Fachwerkhäusern und prächtigen Gutshöfen. Im Battenheimer Hof bekommen wir endlich unsren Kaffee und am Abend ein wunderbares Essen.
Mein Tablet will nicht ans Internet, weswegen ich alles auf dem Handy geschrieben habe!!!!!
Liebe Barbara, da hast Du ja mit Marlies einen wunderbaren Tag erlebt, wie man auf dem Foto abends sehen kann. Es hat mir große Freude gemacht, Deinen Bericht zu lesen, zumal noch mit geschichtlichen und literaischen Informationen versehen, klasse.
Weiter so, ein bißchen Bildung kann ja nicht schaden. Schaden kann Dir die Portion Eis am Abend ja auch nicht – da kann ja nichts ansetzen bei dem täglichen Laufpensum.
Ja, und heute war „unser“ Teilstück dran. Mehr dazu später.
Liebe Barbara, einen guten dritten Tag heute. Wetter? Hier in AC kalt aber Sonne. Beim Abschied aus d Rheingau gestern: Regen. Ob du den auch mitbekommen hast?