Frankeneck, meine Logis für die Nacht, ist anders als die bisherigen adretten Weinorte, durch die ich gekommen bin. Früher bestimmt ein ganz lebendiges Örtchen kurz hinter Lambrecht, das erst vom Holzmachen, dann von der Papierindustrie lebte, ist es heute in einen Dämmerschlaf gefallen, den – so fürchte ich – kein Prinz wieder wegküssen kann. Putz blättert an vielen Häusern, Immobilien stehen zum Verkauf, auch bei Sonnenschein spürt man die Tristesse. Meine Unterkunft liegt direkt an der Straße ins Elmsteiner Tal. Trotz Fahrverbot für Motorräder in der engen, kurvenreichen Straße röhren sonntags die Maschinen. Es gibt zu viele Ausnahmegenehmigungen, sagt meine Wirtin.
Gegenüber dem Gasthof steht die Papierfabrik von Frankeneck. Wenige Menschen arbeiten hier noch. Im Schichtbetrieb. Das meiste ist automatisiert. Zigarettenpapier wird hergestellt. Tagsüber hört man den Fabrikationslärm. Rhythmisches Gezische. Dampf steigt ständig auf. Es muss heiß sein in der neuen Halle, die die Straße mit ihrer Hässlichkeit beherrscht und alles Schöne, was vielleicht mal war, arrogant niedergedrückt hat. Selbst der Wald, der gleich hinter der Fabrik beginnt, kann hier nichts mehr wett machen.

Blick von der Terrasse des Gasthofs auf den nicht ganz so hässlichen Teil der Fabrik. Die Halle schließt sich daran an.

Der Gasthof hatte wohl auch schon bessere Zeiten erlebt. 700 Quadratmeter Wohn- und Schankfläche verantwortet die Wirtin: Ein großer Gastraum, eine ebenso große überdachte Terrasse mit Blick direkt auf die Fabrik, Treppen und Stiegen, die in die Privat- und Gästezimmer führen. Alles ist reinlich und sauber. Die Küche blinkt. Überall Pflanzen, echte und künstliche. Letztere bevorzugt als Drapage um Spiegel und Lampen. Kleine und große Figürchen, wo man hinschaut. Landschaftsbilder. Über meinem Zimmer mit Möbeln aus den 50er Jahren hängt eine Dolomitenlandschaft. Wie bei Oma. Bunte Teppiche. Kachelöfen. Alles mit wenig Sonnenlicht.
Die Wirtin ist einem Theaterstück von Brecht und entsprungen. Klein, drahtig, um die 60, kluge, warme Augen, kehliges Lachen. Es klingt so, als habe sie die Welt und sich durchschaut. Sie bewirtschaftet das ganze Haus allein.
Ich bin der einzige Gast. Ein älteres Ehepaar war zum Essen hier.
Jetzt sitzen die Wirtin und ich auf der Terrasse und erzählen uns das Leben bei Schorle und Zigaretten. Zwei so unterschiedliche Biographien: Die eine ziemlich geradlinig, fast leicht – bis auf den einen Bruch; die andere mit so vielen Sackgassen, Rückschlägen, Verletzungen, gebrochenen Bildungswegen.
Und doch. Die Wirtin sagt: „Ich han viel gelernt im Lewe.“ Lacht ihr kehliges Lachen, das ein bisschen dreckig ist und trotzig. Mutter Courage eben.
Trotz aller Tristesse: Ich habe mich wohl gefühlt in dem Gasthaus in Frankeneck.