Es nieselt, als wir am Morgen von Bad Soden-Allendorf in Richtung Bornhagen, unserem Tagesziel in etwa 15 Kilometern, starten. Der Regen sollte, wie vorhergesagt, mit ganz kleinen Unterbrechungen nicht aufhören. Die Stadt war grau, das Bergland um die Werra lag im Nebel, aber wir waren guten Mutes, gestärkt durch ein reichhaltiges Frühstück im Hotel am Schwanenteich, und zudem mit professioneller Regenbekleidung ausgerüstet.
Durch das noch verschlafene Allendorf geht es an der Werra lang. Bald stoßen wir auf das Plakat, dass anzeigt, wo genau in dieser Gegend Deutschland bis November 1989 geteilt war. Die Grenze verlief vom Sickenberg den Berg hinunter bis zur Werra. Wobei der Grenzverlauf hier und dann noch mal an der Werrabrücke in Lindewerra anders verlief, als die Alliierten es noch vor Kriegsende im Berliner Protokoll vorgesehen hatten. Dort war geregelt worden, dass die Grenze zwischen der Besatzungszone der Westmächte und der der Sowjetunion entlang der ehemaligen kurhessisch-thüringischen Grenze verlaufen sollte. Dumm war nur, dass eine wichtige Nachschublinie der US-Besatzungsmacht, die Bahnstrecke Bebra–Göttingen als Teil der Nord-Süd-Strecke, zwischen Bad Sooden-Allendorf und Eichenberg auf einer Länge von vier Kilometern durch die Sowjetische Besatzungszone verlief. Die Folge: Nachts verschwanden auf besagtem Streckenabschnitt ganze Güterladungen der Amerikaner. Am 17. September 1945 bereiteten dem Unwesen ein amerikanischer und ein russischer General ein Ende. Bei viel Whysky und Wodka verabredeten sie per Handschlag den Tausch von Ortschaften und einen neuen Grenzverlauf: Die 4 Kilometer Bahnstrecke mit den Ortschaften Werleshausen und Neuseesen wurde den Westmächten zugeschlagen, 5 hessische Dörfer – Sickenberg, Asbach, Weidenbach, Mackenrode und Vatterode fielen an die Russen. Der neue Grenzverlauf wurde spöttisch die Whysky-Wodka-Linie genannt.
Hier sind wir jetzt unterwegs, erst entlang der Werra, wo rechts neben dem Fahrradweg noch der alte Kolonnenweg erhalten ist, bis zur Werrabrücke bei Lindwerra. Die war in den letzten Kriegstagen noch von den Nazis zerstört worden, später in der DDR wie alle Werrabrücken natürlich nicht mehr erneuert worden, weil die Grenze durch die Werra lief. Nach dem Mauerfall war es dann das ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger, das half, die Brücke wieder aufzubauen.
In Lindewerra hat der Regen aufgehört und wir steigen langsam 400 Höhenmeter auf durch unwirklich grünen Buchenwald bis zur Teufelskanzel. Eine Stunde brauchen wir. Die Zeit hat sich auch Theodor Storm im Mai 1857 genommen als er diesen Weg mit einem jungen Künstlerfreund erklommen hat. Wegen einer Behinderung des jungen Mannes hatte sich die Gesellschaft im Dorf einen alten Hengst gemietet. 10 Jahre später beschreibt Storm die Wanderung in der Novelle „Eine Malerarbeit“:
„Endlich war die Teufelskanzel erreicht. Sie war nicht unbefugt, diesen Namen zu führen; lotrecht schoß der Fels über hundert Klafter in die Tiefe, wo sich unten im Sonnenglanz die lachendste Landschaft ausbreitete. Durch grün Wiesen, Dörfern und Wäldern vorbei, floß in vielen Krümmungen ein glänzende Strom, dessen Rauschen in der Mittagsstille zu uns heraufklang, und drüber her, in gleicher Höhe mit uns, standen die Lerchen flügelschlagend in der Luft und mischten ihren Gesang in die Musik der Wellen. Wer dessen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Liebeslust bestürmt werden.“
Als wir oben auf der Teufelskanzel stehen, lacht keine Landschaft im Sonnenglanz. Aber die Vögel zwitschern und der Blick auf die Werra-Schleife, die nebelverhangenen Berge und die gelben Rapsfelder wäre ein romantisches Motiv für Caspar David Friedrich.
Im Übrigen bezweifle ich, dass der Berggasthof auf der Kanzel den Gästen damals so vorzüglich aufgetischt hat wie der heutige Wirt es bei uns tat.
Gestärkt und im immer heftiger werdenden Regen gehen wir über die Junkerskuppe dann zur Burg Hanstein und zum Klausenhof. Dort erwartet uns nicht nur ein uriges Zimmer, sondern auch ein vorzügliches Abendessen.
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