Reisen

Wo früher „Horch und Guck“ spionierten, gibt’s heute kein Netz

Ich sitze oben auf 813 Meter Höhe auf dem Ellenbogen, früher Horchstation der DDR, das Pendant zur „westlichen“ Wasserkuppe, die ich von hier aus ebenso sehe wie geschätzt alle erloschenen  Vulkankegel der Kuppenrhön.  Es ist Abend und langsam werden die Berglinien vor mir zu Schattenrissen. Die Mücken stechen, der angenehme Wind von heute Mittag hat sich verdrückt – und ich habe keinen Empfang. Das muss man sich mal vorstellen: Von hier aus haben die Leute des Ministeriums für Staatssicherheit mit modernster Technik in 6 Türmen die halbe Bundesrepublik ausgespäht (in der Bundesrepublik saßen die amerikanischen Späher mit ihrem Radar auf der etwas höheren Wasserkuppe) – und heute kann ich hier nicht telefonieren.

Dafür ist der Ellenbogen mittlerweile Anziehungspunkt für Wanderer, Familien mit Kindern, Biker, Radfahrer. Und statt der Spähtürme von „Horch und Guck“, die 1990 abgerissen wurden, steht heute auf der Spitze  „Noahs Segel“, eine 23 Meter hohe Metallkonstruktion, die man ersteigen kann. Oben auf der Plattform hat man einen grandiosen Rundumblick. Und für Kinder das Schönste – runter geht es auf einer Rutsche!

Der Name spricht einerseits die Form der Konstruktion an, andererseits verweist er auf ein knapp 6 Kilometer entfernt errichtetes anderes Bauwerk, die Arche. Und dann erinnert das Segel in seiner Form auch noch an einen Ellenbogen. Fast zu viel der Symbolik.

Langsam gehe ich zurück zu meiner Unterkunft, dem Eisenacher Haus, einem Berggasthof mit Geschichte. Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde der mächtige Bau vom Rhönclub errichtet. Nach dem 2. Weltkrieg – der Ellenbogen lag im Osten – wurde der Rhönclub dort verboten, das Haus wurde Staatseigentum und zu einem FDGB-Ferienheim. Danach waren zwischenzeitlich die Russen dort, und dann kam die Staatssicherheit. 1968. Das Haus war wegen seiner Grenznähe idealer Standpunkt für die Funkaufklärung. Noch vor der Wiedervereinigung, im September 1990 wurden die Antennen hnd Türme abgerissen

Das Haus war in einem desolaten Zustand. Doch mittlerweile hat es sich als Berghotel wieder etabliert.

Übrigens: Lange glaubten Russen und Staatssicherheit, dass die Zentrale im Eisenacher Haus mit den Spähtürmen  – genannt „Blitz“ – sowohl dem Westen als auch der eigenen Bevölkerung verborgen sei. Aber der Westen wusste schon lange über Fotos von westlichen Grenzschützern bescheid. Und die Menschen, die im Gebiet wohnten, nannten das Areal um den Ellenbogen „Klein Sibirien“. Noch Fragen?

2 Kommentare

  1. Meine Leser

    Es ist ein bisschen als wenn ich dann da auch wäre. Jetzt liege ich am Feierabend (endlich!) im Garten auf der Liege und fliege in Gedanken in der Rhön rum (mit Segel um den Ellenbogen, oder so)… Schön :o)

    • Baobab

      So soll es sein.

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