Reisen

Die „Zangen-Etappe“ entlang der Pfrimm

Was hatte ich für einen Bammel vor diesem Weg von Worms nach Bockenheim!  Der Rheinterassenweg war in Worms zu Ende. Jetzt musste ich eine „Spange“ bis zum Pfälzer Weinsteig fnden. Während die beiden Fernwanderwege touristisch gut vermarktet und deshalb durchgängig – wenn auch nicht immer sinnvoll – gekennzeichnet sind, ist der Weg von Worms nach Bockenheim eine eigene Zusammenstellung von Etappen zweier Wanderwege. Lange hatte ich getüffelt, um eine einigermaßen schöne Tour durch das Verkehrswegenetz von Autobahnen, Bundes- und Landesstrassen zu suchen. Gefunden habe ich die erste Etappe der Klosterroute (Jakobsweg, früher Teil des Nibelungenweges) raus aus Worms und dann immer an der Pfrimm lang bis Wachenheim. Von dort aus gibt es einen großen Zellertalrundweg (Radweg), der über Bockenheim – dort beginnt die deutsche Weinstraße – ,führt. Das Problem war, den Anschluss zwischen beiden Wegen und natürlich erst mal aus Worms rauszufinden. 20 Kilometer insgesamt , aber ohne wesentliche Steigungen.
Nachts im Doppelstockbett habe ich im Halbschlaf memoriert: Raus aus der Jugendherberge, Südportal Dom, Lutherring bis kurz vors Denkmal, Kriemhildstraße, über die Bahngleise in die Steubenstraße (verkehrsreich!), und dann immer geradeaus bis zur Pfrimm. Es hat geklappt. Um 7:30 Uhr bin ich gestartet (mit Lunchpaket aus der Jugendherberge) und bald schon bin ich aus dem Verkehr raus und biege links ab in einen ungeteerten Fahrradweg an der Pfrimm. Der Verkehrslärm wird leiser und verstummt ganz, als ich an einen Park komme. Ich begegne nur ein paar älteren „Walkern“. Ein Paar spricht mich an, und ist – wie alle – baff erstaunt über mein Unterfangen. Sie wollen ein Stück mitgehen, der Mann am liebsten bis Pfeddersheim, was die Frau dann aber mit dem Hinweis auf Tagesgeschäfte, die zu erledigen sind, verhindert Sie erzählen mir allerdings etwas über die Geschichte des Parks, der von einem in Amerika zu Geld gekommenen hiesigen Geschäftsmann den Einwohnern als englische Parkanlage gestiftet worden war. Dafür trägt der Park seinen Namen, und seine Urne steht in einem Mausoleum im Park. Schön.
Witzig ist „das Ochsenklavier“, das mir meine nette Begleitung zeigt: Eine Reihe von Steinen an einer Furt, die tatsächlich wie die Tasten eines Klaviers aussehen und die früher den Ochsen sicheren Halt beim Überqueren der Pfrimm gegeben haben sollen.


Dank der interaktiven Karte meines Handys, den vereinzelt auftauchenden Muschelzeichen und einer sehr guten Beschreibung im Wander- und Pilgerführer Klosterroute komme ich gut voran. Kein Wunder, es geht immer dem Wasser nach.
Die Vögel zwitschern, die Laubbäume spenden Schatten, die Pfrimm gurgelt – was will das Wanderherz mehr: „Wem Gott will Rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen , in Berg und Strom und Wald und Feld“. Tatsächlich ist es eine Gunst, einfach mal fast 3 Wochen zu Fuß unterwegs sein zu können, und die Krönung wäre ein Kaffee in Pfeddersheim, das ich schnell erreiche. Pustekuchen. Der Ort ist um 9:30 Uhr ausgestorben, und das einzige Eiskaffee am Ort öffnet erst um 12:00 Uhr.
Pfeddersheim ist besonders: Ein großes Neubaugebiet umschließt den kleinen Stadtkern. „Mütter vom Prenzlauerberg“ aus Pfeddersheim machen mit Walking.-Stöcken und Babys im Brusttuch Gruppengymnastik. Ein Walker – ich tippe pensionierter Oberstudienrat – , den ich schon zum zweiten Mal treffe, erklärt mir, dass Worms und Pfeddersheim 2 direkt nebeneinander liegende freie Residenzstädte waren. Einmalig in Deutschland. Heute ist Pfeddersheim Wormser Vorort, ein ordentlicher Vorort: Verbundsteinpflaster, sorgfältig geschnittene Hecken, die Höhe des Rasens stimmt exakt. Als wolle sich der ehemals so mächtige Ort gegenüber Worms irgendwie ein wenig Würde bewahren. Schade – das ist der falsche Weg.

Bürgertum in Pfeddersheim

Aber ein paar Wehrtürme aus der guten Alten Zeit stehen noch, die Synagoge ist erhalten, und ein paar wirklich anheimelnd kleine Häuschen. Also: Nicht alles ist falsch.
Es geht weiter entlang der Pfrimm im Schatten hoher Laubbäume am Bachrain. Rechts Rübenacker und abgeerntete Getreidefelder. Stahlblauer Himmel.

 Das erste, was ich von Monsheim sehe, ist das Klärwerk. Gut versteckt, aber mir entgeht es nicht. Nach einer alten Mühle mit einem imposanten Wasserturm ist der Ort nicht mehr weit. Wie ausgestorben in der Mittagszeit. Von weitem lese ich ein Schild – Kaffee und Kuchen -, doch beim Näherkommen entdecke ich leider ein zweites Schild: Betriebsferien. Wirklich alle Gaststätten in Monsheim machen Ferien. Aber: Glück muss der Mensch haben: Ganz oberhalb des Ortes, im liebevoll restaurierten Bahnhof gibt es das Eiscafe Noisette, mit wirklich leckerem Eis – wird doch tatsächlich aus Berlin geliefert. Und Kaffee gibt’s auch!


Passenderweise  finde ich hier auch meine Wegzeichen wieder. Zwischen einem hohen Bahndamm links und der Pfrimm rechts führt ein Vogellehrpfad. Man lässt das Totholz hier liegen, so dass sich ein kleiner rheinhessischer Urwald entwickeln konnte. Dann weitet sich die Landschaft wieder. Rechts Weinberge, links ein Biotop , Überschwemmungszone der Pfrimm.
Wachenheim: Siehe Pfeddersheim und Monsheim – ausgestorben!
Mein Problem: Hier muss irgendwo die Anschlussstelle zum Zellertalrundweg sein. Internetempfang habe ich keinen. In einer Autowerkstatt hilft mir ein junger Mann weiter, indem er mir die ungefähre Richtung zeigt. Wir schimpfen noch ein wenig gemeinsam über das langsame Internet hier auf dem Land und dann bin ich bald auf dem Radweg die letzten 3,5 Kilometer unterwegs durch die Weinberge nach Bockenheim. Es ist heiß, aber ich kann das gut vertragen.

Blick zurück kurz vor Bockenheim

Ich entdecke auch meine Pension, aber statt einer großen Rieslingschorle finde ich nur einen kleinen Zettel: „Liebe Frau Lampe, wir sind gegen 16:30 Uhr wieder da“. Tja, da heißt es 1 Stunde warten.
Aber dann gibt es eine ganz große, kühle Schorle. Und ich habe meine „Panik-Etappe“ eigentlich ganz gut bewältigt.

 

 

2 Kommentare

  1. Annette

    Ach, ich bekomme ja so Fernweh! Folge dir digital ganz sehnsüchtig. Das Laufen von Ort zu Ort: sooo schön. Irgendwie steckt in uns wahrscheinlich noch ein Stückchen Urmensch. Die sind ja auch durch die Landschaft gelaufen… allerdings auf der Jagd nach einem dicken Büffel oder sonst einem Viech. Das ist doch schon praktischer geworden: so ein Stück Viech lecker gewürzt auf dem Teller abends…
    Haben dich die Gewitter heute verschont?

    • Baobab

      Hier gab es kein Gewitter, nur Wolken.
      Und heute esse ich ausnahmsweise mal vegetarisch.

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