Im Moment erhöhen wir drei den Altersdurchschnitt der Touristen in San Pedro gewaltig. Backpacker auf den Gassen, junge Männer, die ihrer Gitarre auf der Plaza melancholische spanische Weisen entlocken, durchtrainierte Sandboarder, die in den Sanddünen ideale Bedingungen haben, verliebte Pärchen auf Lateinamerikareise. Seltener sind in die Jahre gekommene Aussteiger, die es sich leisten können, den eigenen, hochspezialisierten Camper mit dem Frachtschiff nach Lateinamerika zu transportieren, um dann mit grauem Zopf (Mann) und buntgemusterten Waller-Kleidern (Frau) von ihren Erlebnissen zu erzählen. Schläfrige Gelassenheit liegt über dem Marktplatz mit seinen Cafes unter Laubengängen, dem Park und der alles dominierenden Kirche aus Adobe, in der eine Christusfigur fast schon unheimlich dem ESC-Gewinner Conchita Wurst ähnelt.
Ältere Atacamenos sitzen auf Steinmäuerchen und halten ein Schwätzchen. Auch die Müllarbeiter, die sonst unentwegt unterwegs sind, gönnen sich eine Pause. Und wir trinken frischgepresstem unverdünntem Orangensaft ohne Zuckerzusatz.
In den Gassen mit ihren Tourveranstaltern, Souvenirpassagen, Kneipen und Restaurants wird niemand angemacht. Man kann schlendern und schauen, ohne dass man bedrängt wird. Nicht nur in den Mittagsstunden, sondern auch abends, wenn aus den Bars und Sandwicherias der Beat schlägt.
Die Atacaminos, die hier leben, sind freundliche, zurückhaltende, zuverlässige Menschen. Viele profitieren von den Attraktivitäten der Wüste, der Bauboom lässt die Stadt wachsen, Hostels überall, und unfertige An- und Neubauten.
Und doch liegt über der gesamten Gegend ein Schatten, der immer größer wird: Lithium.
In der Atacama wird der begehrte Rohstoff für Batterien – Handys und Elektroautos! – abgebaut. Chile ist nach Australien der zweitgrösste Lieferant. Und die Nachfrage boomt.
Doch was für die chilenische Wirtschaft ein Segen ist, birgt für die Bevölkerung, besonders die Indigene, existentielle Gefahren. Verschiedentlich haben überregionale Zeitungen in Deutschland schon kurz darüber berichtet. Ein ausführlicher – und wohl gut recherchierter – Artikel findet sich in „Amerika 21. Nachrichten und Analysen aus Lateinamerika“ vom Dezember 2018. Er stammt von Sophia Boddenberg. https://amerika21.de/analyse/219317/die-schattenseiten-des-lithium-booms
Es sind aus ihrer Sicht 4 Punkte, die dazu beitragen, dass Mensch und Natur durch den Lithium-Abbau stark betroffen sind. 4 Punkte, die meiner Meinung nach eng zusammen gehören.
- Chile, so wird ein chilenischer Wissenschaftler im Artikel zitiert, konzentriert sich auf die Steigerung der Lithium-Produktion und vernachlässigt die Forschung und Entwicklung der Verarbeitung des Metalle.
- Die Chemiefirma SQM, mit der die chilenische Wirtschaftsförderung vertraglich gebunden ist, war einst in Staatsbesitz und wurde unter der Militärjunta Pinochets privatisiert. Der Familie Pinochets gehört heute ein Drittel des Unternehmens, das immer wieder in den Schlagzeilen ist wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
- Das Lithium-Vorkommen Chiles liegt im Salar des Atacama, einem Salzsee nahe San Pedro. Das Alkali-Metall wird durch Verdunstung des mineralischen Grundwassers in Becken gewonnen. Dabei wird extrem viel Wasser verbraucht: der Grundwasserspiegel sinkt, Feuchtgebiete trocknen aus, Abwässer werden oft ungeklärt abgeleitet. Was das alles für die grösstenteils indigene Bevölkerung bedeutet, liegt auf der Hand.
- Wasserresourcen und -management sind in Chile privatisiert. Die Wasserrechte in der Region um den Sala de Atacama hält SQM (siehe oben).
Der Rat der indigenen Bevölkerung und Gewerkschaften protestieren seit lange gegen das Abkommen der chilenischen Wirtschaftsförderung mit SQM.
Wir begreifen uns als Teil der Pata Hoiri, der Mutter Erde. Wir respektieren sie und deshalb verteidigen wir das Territorium. Unsere Wasservorkommen sind in Gefahr, eines der wichtigsten Elemente für das Leben“, wird Manuel Salvatierra, Präsident des indigenen Rates, zitiert.
https://amerika21.de/analyse/219317/die-schattenseiten-des-lithium-booms
Wenn wir in Europa saubere Lösungen für unsere Umweltprobleme wollen, tragen wir gleichzeitig Verantwortung für die Lebensperspektiven der indigenen Bevölkerung z.B. in der Atacama. Das eine geht nicht ohne das andere.
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