Ich war selten so beeindruckt von einer Ausstellung, die Erinnerung ist, die wirklich ist, die Erinnerung ist, die Alltag ist, die Ausstellung ist…
Mödlareuth, dieses geschundene Dorf. Seine Bewohner lebten einst den normalen Alltag eines Dorfes. Niemanden störte es, dass ein Teil des Dorfes zu Bayern gehörte, der andere zu Thüringen und der kleine Thannbach die Grenze bildete. Es gab eine Schule und ein Wirtshaus und keine Kirche. Zu der ging man nach Töpen. Dann kam Hitler und mit ihm jene entsetzliche Teilung Deutschlands und Mödlareuths bis 1989. Familien wurden getrennt, Freunde durften nicht mehr Freunde bleiben.
Zuerst der Passagierschein, dann die Sperrzone, dann Zwangsumsiedlungen, dann der Bretterzaun, dann der Stacheldrahtzaun, dann die Betonmauer. Eine Mauer, die auch nachts beleuchtet war. Mitten durchs Dorf. Am 9.12.1989 der Grenzübergang für Fußgänger, am 17. Juni 1990 der Abriss der Mauer.
Ein Teil der Mauer ist erhalten geblieben.
Und dann entschließen sich die Bewohner und Bewohnerinnen (heute 16 aus dem bayerischen Teil, 24 aus dem thüringischen), sich zur lebenden Erinnerungskultur zu machen. Mit Kinodokumentation, Museum, Freigelände, Fahzeughalle und dem ganzen Dorf als Freilichtmuseum.
Das alles berührt. Weil es eine so kleine Welt ist, in der, wie in einer Lupe, sich deutsche Geschichte fokussiert.
Es berühren die 2 Dorfteiche „hüben und drüben“, die immer noch sorgfältig geharkte Freifläche zwischen Mauer und Kolonnenweg, die Gänse auf einem alten Foto im Museum, deren Nachfahren noch heute auf „Ostseite“ nach Grünzeug Ausschau halten. Die Flasche Nordhäuser Doppelkorn, die im Koffer eines Mannes gefunden wurde, dessen Flucht misslungen war.
Es gehört Mut dazu, sich selbst zur Erinnerungskultur zu machen. Besonders in Momenten, in denen ca. 70 Touristen aus North-Carolina aus dem Bus steigen, um „Little Berlin“ zu besichtigen.
Neigkeiten von der Kiosk-Besitzerin
Gott sei’s gedankt, dass wir unsere Besichtigungstour vor dem Großgruppenandrang beendet hatten.
In einem Souvenierladen genehmigen wir uns noch einen Kaffee, bevor wir uns in den Regen wagen, der letzte Nacht begonnen hat.
Die Kiosk-Betreiberin führt Statistik: 2015 sind fast 100.000 Besucher und Besucherinnen nach Mödlareuth gekommen. 2017 seien es noch rund 70.000 gewesen. 2015 sei im Fernsehen die 1. Staffel der Serie „Tannbach“ ausgestrahlt worden. Man werde jetzt sehen, wie sich das nach der zweiten Staffel entwickelt. Der Film erzählt die Geschichte eines fiktiven Dorfes vom Ende des zweiten Weltkriegs bis zum Prager Frühling. Das Dorf liegt teils im „Westen“, teils im „Osten“. Reales Vorbild ist Mödlareuth.
Nein, meint die Kioskbesitzerin, mit der Wirklichkeit hätte der Film nicht viel zu tun gehabt. Vielleicht der erste Teil. Umgebracht hätte sich ja damals tatsächlich jemand. Aber der zweite Teil – nee, da sei nichts wie im wirklichen Leben.
Und dann werden wir schwer enttäuscht: Die Serie wurde in Tschechien gedreht. Wo wir doch gestern meinten, einige Häuser und Straßen aus dem Film wieder zu erkennen!
Vielleicht drehen Sie ja die nächste Staffel hier, sagt die Kioskbesitzerin. Die soll ja vom Mauerfall handeln, hört man.
Wie dem auch sei – kürzlich war jedenfalls schon mal Bully Herbig hier zu Dreharbeiten. Er verfilmt die Geschichte zweier Ehepaare, die vor fast 40 Jahren im Vogtland mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR geflohen sind.
Die Tannbach-Filme haben wir auch gesehen und waren beeindruckt. Natürlich sehen das die Menschen, die dort leben, anders. Wir haben natürlich nicht bemerkt, dass nicht alles mit den wirklichen Ereignissen übereinstimmt. Auf jeden Fall hat man schon ein Gefühl für die Absurdität der Trennung bekommen.
Besseres Wetter wünsche ich Euch.
Gruß Helga