„Es lebt nur der, der lebend sich am Leben freut“. Der Satz steht als Spruchplastik am alten Fachwerkhaus der Kunstbäckerei in der Limburger Altstadt, umrahmt von Chimären, Sagengesalten, Kynokephalen und Panotieren, die allesamt böse Geister vom Haus abhalten sollen, ähnlich den Wasserspeiern und Fabelwesen an den gotischen Kathedralen. Nur dass diese Figuren noch keine 100 Jahre alt sind, aus Gips geformt und mit einer terrakottafarbenen wetterfesten Lackfarbe überzogen sind. Erschaffen hat sie der Kunstbäcker Friedel Hensler, der sich immer als Bäcker und Künstler verstanden hat. Die Fantasiefiguren erinnern mich sehr an den „Palast des Postboten“ an der Drome. Auch der Postbote hatte aus Büchern und Postkarten die Inspirationen für seinen sagenhaften Fabelbau.
Die Nachfahren Henslers haben sein Werk weitergeführt, und so sehen wir Figuren an Hauswänden bis nach Diez. In der kleinen Bäckerei selbst frühstücken wir köstlich, und erfahren nebenbei noch den einen und anderen Ortsklatsch, weil der Laden ein kleiner Treffpunkt ist,
Irgendwann wird es aber Zeit für die Etappe. Wir müssen eine Weile durch Limburg wandern, eher wir das freie Feld erreichen. Es ist schon ziemlich heiß, Schatten ist Fehlanzeige, das Wiesengras steht hoch, die Brennnesseln auch. Ich hatte mir in Limburg einen Hut gekauft – nicht um der Schönheit, sondern um des Sonnenschutzes wegen, was jetzt von Vorteil ist.
Irgendwann haben wir unmerklich die Grenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz überquert, denn wir nähern uns Diez. Das kleine Städtchen mit seinem prächtigen Grafenschloss ist zwar nicht ganz so pittoresk wie Limburg, hat aber mit Fachwerkhäusern, kleinen Gassen und Plätzen auch seinen Charme. Am Frisco-Brunnen neben dem Schloss erfahren wir mehr über die tragische Geschichte der Regentin Amalie von Nassau-Diez und ihrem Sohn Frisco, bereits als 15jähriger Jugendlicher Statthalter der niederländischen Provinzen, Prinz von Oranien und „Held“ im spanischen Erbfolgekrieg gegen Ludwig IV. Auf einer Reise nach Den Haag überquerte er mit einer Fähre die Maas, setzte sich wegen des regnerischen Wetters in seine Kutsche. Eine Windböe erfasste die Fähre und der junge Prinz ertrank in den Fluten.
Das traurige Schicksal ist aber bald vergessen, als wir von Diez hoch aufsteigen müssen, um wieder zu den Lahnhöhen zu kommen. Es ist ein Vorgeschmack auf das, was heute und morgen noch kommen soll. Der Lahnwanderweg ist durchaus sportlich eine Herausforderung. Ich bewundere Julia, die mit 11 (!) Kilo Gepäck die Anstiege so mühelos meistert.
Schön ist, dass die Lahnhöhen stark bewaldet sind, hauptsächlich Buchenwälder, denn Lärchen und Nadelbäume stehen – wie in der Rhön – nur noch als Gerippe.
Trotzdem fällt auf, dass auch viele Buchen entwurzelt sind. Wie wir erfahren, sind das die Folgen eines Unwetters 2023. Nicht so sehr der Pegel der Lahn war das Problem, sondern die Wassermassen, die von den Höhen ins Tal stürzten. In Balduinstein, unserem heutigen Ziel, kam eine ganze Schieferhalde ins Rutschen. Der Ort wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. „Es war wie im Ahrtal“, erzählt uns eine Bewohnerin.
Aber jetzt kommen wir erst nach Fachingen. Irgenwie bin ich enttäuscht. Es ist ein kleines Dörfchen von 700 Einwohnern und Einwohnerinnen. Nichts besonderes. Dominiert vom Werksgelände. Auf einer Wiese unter einem Baum auf einer Bank steht eine Kiste Fachinger. Gratiswasser. Leider sind alle Flaschen geleert. Doch nach kurzer Zeit erscheint ein Herr, der Nachschub bringt. Er kümmert sich ehrenamtlich um den Service, holt auch Nachschub im Werk, während Fachinger die Kisten mit einer eigenen Haushaltsstelle als Marketing verbucht. Keine schlechte Idee. Und so erfahren wir auch dass das stille Wasser aus der Quelle – das eFachingene Heilwasser – für Menschen, die Wein nicht so gut wegen der Säure vertragen, Fachinger als „Beigetränk“ Wunder wirken soll!
Durch einen Auenweg gelangen wir zur Wasseraustrittsstelle eines alten Stollens. In dem kleinen renaturierten Wasserlauf kühlen wir die Füße, bevor es dann wirklich hochgeht. Zur Franzosenlay. „ Lay“ wird hier überall verwendet und steht für Lage, Aussichtspunkt. Früher wurde der Begriff für Schieferweinlagen an der Mosel verwendet.
Tief unter uns glitzert die Lahn im Sonnenlicht. Irgendwann liegt Balduinstein unter uns. Um dorthin zu kommen, geht es nochmal sehr steil runter. Im „ersten Hotel“ am Platz haben wir eine sehr schöne Unterkunft gefunden. Das eigene Glockenspiel wird uns mit „Guten Abend, gute Nacht“ zu Bett begleiten.
Leider hat das wohl weithin bekannte Hotelrestaurant geschlossen. Oder doch nicht „leider“. Denn so essen wir bei „Giovanni“ direkt an der Lahn unter einem riesigen Kran an einer Brückenbaustelle. Der italienische Wirt ist ein Original, die Musik aus den 90ern, die Antipasti und die Bolognese schmecken prima. Eis gibt’s später in der Waffel. Bei einem Bummel durch den Ort mit teils wunderschön restaurierten, teils arg verfallenen und verschandeltem Fachwerk.
Liebes Dreamteam (selbsternannt!),
als Langstreckenwanderer bewundere ich Eure Muße, wie ihr den Weg angeht und diesen mit den Geschichten und Fotos drapiert. Das liest sich ganz kurzweilig und Barbara hat einen beneidenswerten Schreibstil. Dann bin ich gespannt auf eure nächste Etappe und euren Bericht. Habt ihr die Wanderung mit den Unterkünften komplett durchorganisiert oder findet man ohne Probleme Schlafplätze. Julia hat in ihrem 11kg Rucksack vermutlich noch ein Dreimannzelt verstaut für 3 Frauen?
Euch einen guten Weg.
Achim
Lieber Achim,
Ich hab nochmal einen kleinen Blog mit ein paar Tipps geschrieben. Die Unterkünfte hatte ich vorher gebucht. Julia hat ganz schnell packen müssen, nachdem sie kurz vor der Abreise noch gearbeitet hatte. Aber wir haben davon profitiert, z.B. von einer wasserundurchlässigen Picknickdecke. Oder einem Notfall-Medikamentenset.