19 Kilometer bis nach Walkenried liegen vor uns. Ich habe so meine Zweifel, ob ich das mit meinem kaputten Knie schaffe. Aber die Notfallkrankenschwester ist ja an meiner Seite.
Es ist 9 Uhr beim Start und schon recht warm. Schnell lassen wir Bartolfelde hinter uns. Es geht durch Wiesen und Felder sachte bergauf in einen Mischwald. Wir laufen heute zu einem großen Teil auf dem Karstwanderweg. Die Gegend bis Walkenried ist Karstgebiet, was wir bald sehr eindrücklich sehen. Kreisrunde kleinere und größere „Krater“ liegen an unserem Weg, viele mit Wasser gefüllt, andere trocken. Grundwasser spült den Gips, der unter einer Schicht von Flussterrassenkies liegt, langsam weg. Die Erde bricht an manchen Stellen trichterförmig ein. So entstehen Teiche mitten im Wald. Irgendwie geheimnisvoll sehen die von Buchen und Eichen umstandenen und mit Wasserlinsen bedeckten, oft kreisrunden Wasserflächen aus. Und tatsächlich hat man in einem oberhalb von Bartolfelde bei einem Tauchgang in den 70er Jahren nicht nur ein totes Schwein, sondern auch eine Frauenleiche entdeckt.


Das tut unserer Stimmung aber keinen Abbruch, und wir wandern über weichen Waldboden oder mit Moos bewachsenen Plattenweg, begleitet von Vogelgezwitscher, Waldblumen, Himbeeren und Erdbeeren Richtung Osten nach Mackenrode.
Kurz vor dem Ort, am Ausgang des unter Naturschutz stehenden Mackenroder Forstes, werden wir auf eine weitere beklemmende deutsche Geschichte aufmerksam gemacht: In Nazi-Deutschland gab es die Helmebach-Bahn, benannt nach dem Fluss, der durch die Region fließt. Sie führte von Nordhausen über das KZ Mittelbau Dora, Ellrich und Walkenried nach Osterhagen. Im letzten Kriegsjahr sollte die Bahn nur noch dem Verkehr zu den unterirdischen Rüstungsfabriken bei Nordhausen dienen. Deswegen wollte man eine zweite Bahn bauen lassen. Dafür wurden über 2000 KZ-Häftlinge eingesetzt. An der Strecke waren die Lager für die Baubrigaden, auch in Mackerode. Die Menschen mussten wie Sklaven arbeiten. Es gab kaum technisches Gerät. Hunderte starben durch Misshandlungen, Hunger, Ungezieferbefall, Erfrieren, Ermordung. Dann wurden diejenige, die noch am Leben waren, am 6. April 1945, als die Alliierten nahten, auf den Todesmarsch geschickt. Über Wernigerode in die Altmark. Nur die Hälfte überlebte.
So steckt unter der Idylle noch das Grauen.

Teil der Klosterruine Walkenried in der Abenddämmerung

Wir gehen den Weg weiter bis nach Walkenried. Das herrliche Zisterzienserkloster – UNESCO-Weltkulturerbe – begrüßt uns. Und fast zeitgleich mit uns ist am Klosterhotel meine Tochter Katharina angekommen, die unser Trio bis zum Brocken komplettieren wird.