Dank Julia, die einen Teil meines Gepäcks in ihrem Rucksack verstaut hat – böse Zungen sprechen in diesem Fall von einer Sherpa – gelingt mir der Start nach einem Jahr ohne Rucksackwandern recht gut. Dazu beigetragen hat auch das fantastische Frühstück im Hotel, das uns zusätzliche Energie gibt. Die haben wir auch nötig, denn kaum sind wir unterwegs, beginnt es zu nieseln. Das stört noch wenig, und wir lassen uns noch die Zeit, an einem Mahnkreuz für den NVA-Soldaten André Rössler Halt zu machen, der hier 1976 bei einem Fluchtversuch erschossen worden ist. Seine Ermordung wurde danach auf perfide Weise vertuscht, um dem Klassenfeind im Westen keinen Anlass zur Hetze auf die DDR zu geben: “ Wenn z.B. der Löwenthal (ZDF) von dieser Sache Wind bekommt, ist er morgen mit einem Fernsehteam in Hondorf, und dann geht die Rakete los (Generalmajor Siegfried Gehlert, Leiter der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt).

Auf dem Kolonnenweg von Teistungenburg aus in Richtung Fuhrbach geht es ziemlich giftig bergauf und bergab durch die Ausläufer des Ohmgebirges, Duderstadt mit seinen markanten Kirchtürmen immer linker Hand in der Ferne. Wieder einmal bin ich als Grenzgängerin unterwegs, dieses Mal zwischen Niedersachsen und Thüringen. Mittlerweile prasselt der Regen auf uns runter und selbst die besten Regencapes geben langsam ihren Widerstand gegen das Nass von oben auf. Gott sei Dank gibt’s jede Menge Schutzhütten unterwegs.

Am ost-westlichen Tor

Nach einer der vielen kurzen aber anstrengenden Anstiege sehen wir Licht hat am Horizont, und als wie am ost-westlichen Tor ankommen, hat sich der Regen verzogen, und zaghaft wagt sich die Sonne vor. Wie symbolträchtig! Hier haben nach der Grenzöffnung Anka Förster und Robert Schützle zwei zwölf Meter hohe Eichenstämme mit einer am Boden liegenden Edelstahlschwelle verbunden. Darum gruppieren sich 66 Eichen, die mittlerweile eine beachtliche Größe erreicht haben. Ein topos, ein locus amoenus, an dem sich einst Michael Gorbatschow und Jürgen Trittin ( damals niedersächsischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten) die Hände reichten: Hier sollte zusammenwachsen, was zusammengehört. So ganz hat das bis heute nicht geklappt.

An der Sielmannshütte – in der Nähe befindet sich Gut Herbigshausen, ein Naturerlebniszentrum der Stiftung des Tierfilmers -, trocknen wir notdürftig unsere Kleidung. Julia wringt ihr klatschnassen Socken aus, ich trockne das Regencape in der Sonne.

Es geht noch einmal sehr steil hoch zum Bunsenberg durch dichten Wald auf einem sehr stark bewachsenen Plattenweg, den man als solchen gar nicht mehr richtig erkennen kann – aber ein wenig Abenteuer muss sein.

Dann wird es etwas einfacher und idyllischer; über uns kreisen die Rotmilane, seitlich im Feld springen die Rehe.

Nach Fuhrbach, ein langgestrecktes Strassendorf auf niedersächsischer Seite, sind es noch zwei Kilometer bis zum Paterhof, einem landwirtschaftlichen Betrieb mit besonderer Geschichte. Hier übernachten wir.