Schade, dass am Ende so wenig Zeit für Valparaiso blieb. Aber man kann nicht alles haben.
Wir fahren die kurvenreiche Küstenstraße nach Süden. Es geht langsam, nicht nur wegen der Kurven, und Straßenlöcher, auch wegen manch anderem Hindernis. So kriechen wir einige Zeit hinter einem Reiter, der 3 weitere Pferde mit sich führt.
Vor Vina del Mar bekomme ich zuerst einmal einen kleinen Kulturschock: Wie ein Moloch breiten sich die Hochhäuser dieses, laut Reiseführers mondänen Badeortes an der Küste aus – und gehen dann ohne eigentliche Grenze ins Stadtgebiet von Valparaiso über. Wir parken, wie uns aus Sicherheitsgründen empfohlen wurde, in einem der Parkhäuser am Hafen.
Riesige Dampfer liegen dort, und es scheint, dass heute, am Samstag, auch die Marinesoldaten Ausgang haben. Überall trifft man auf junge Männer in ihren leuchtend weißen Uniformen.
Ich erwähne dass deshalb, weil das Weiß natürlich besonders heraussticht in dieser Hafenstadt mit ihrem Schmutz und ihren teils verfallenen, aber bunten Häusern und Graffitis. Valparaiso muss seinen besonderen Flair haben, das ahne ich. Der Architekturmix aus Bauten der Kolonialzeit, viktorianischem Stil und modernen Bauten hat seinen Reiz. Neben den hochherrschaftlichen ehemaligen Handelshäuser wirken die bunten Holzhäuschen in den Gassen die Hügel hinauf winzig. Auf den vielen kleineren Plätzen quirrlt das Leben: Lebensmittelmärkte, Flohmärkte, Kunsthandwerk. In den Straßen und Gassen herrscht Einkaufsgedränge. Die Sammeltaxis und O-Busse haben trotzdem noch Platz.
Wir nehmen aus Zeitmangel keinen der berühmten Ascensores, mit denen man auf die Hügel der Stadt fahren kann. Ein Taxi bringt uns hinauf zu Nerudas Haus, dem Sebastiana. Der Dichter hat schon gewusst, wo es sich gut leben lässt. Der Blick über die bunte Stadt und auf den Ozean ist fantastisch.
Wieder unten entdecken wir zufällig ein kleines Café am Platz Anibal Punto, das sich anscheinen der Literatur verschrieben hat. In trauter Eintracht sitzen an einem Bistrotisch Neruda und Gabriela Mistral – in Pappmaché, aber mit richtigen Kleider. Ich hätte die erste Literaturnobelpreisträgerin Chiles zuerst für einen Mann gehalten, mit ihren im Profil herben Gesichtszügen und dem grauen Herrensakko.
Ich weiß nicht, ob es Zufall war, dass mein Schwager auf der Fahrt zurück nach Santiago dann ein Essay von Siri Hustvedt vorliest: Beeing a man. Von der Ambivalenz der Geschlechter.
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